Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 24. Der jüngere Titurel.

In den bisherigen Untersuchungen über den Ursprung der Gralssage sind große Verwirrungen dadurch entstanden, daß man auf die Angaben im jüngern Titurel Gewicht legte, weil man zuerst auch dieses Werk unserm Dichter zuschrieb, hernach aber, als der ungeheure Abstand zwischen seinem Stil und dem jenes spätern Werks nicht länger verkannt werden konnte, doch immer noch, und zwar bis auf diesen Tag der Meinung anhing, der Verfaßer des Titurel habe mit Wolfram aus gleicher Quelle geschöpft und das Gedicht des Provenzalen Kiot vor sich gehabt. Ich kann aber meine Ansicht, daß dieß keineswegs der Fall war, nicht darthun ohne auf eine nähere Betrachtung des jüngern Titurel einzugehen.

Nach Lachmanns Ansicht rührte derselbe gröstentheils von einem Ungenannten her, der es für gut befunden, sich für Wolfram auszugeben und dessen echte Titurelstrophen in sein untergeschobenes Machwerk zu verweben. Ein Späterer, der sich Albrecht nannte, meinte dann, noch immer sei die im Parzival begonnene und im Titurel ergänzte Geschichte der Pfleger des Grals nicht zu Ende geführt, und weil er sich im Besitz der vollständigen Aventüre glaubte, entschloß er sich zu einer Fortsetzung, die nun ebenfalls einen Theil des Titurel bildet. Etwa funfzig Jahre nach Wolframs Tode (um das Jahr 1270) wurden auch die freien Verse in den Strophen der echten Bruchstücke, um sie mit den ängstlicher gemeßenen und doppelt gereimten des jüngern Titurel in Uebereinstimmung zu bringen, überarbeitet und die ersten beiden Langzeilen der Strophen mit innern Reimen versehen, nicht von Albrecht, sondern von einem Ungenannten, der Wolfram für den Verfaßer des ganzen Werkes hielt.

Worauf die letzte Ansicht eigentlich beruht, weiß ich nicht: denn wenn der Verbeßerer vor der ersten Strophe der alten Bruchstücke, die er jedesmal mit einigen Strophen einleitet, sagt:

her Wolfram sî unschuldec:
ein schrîber dicke reht unrihtic machet,

so bezieht sich dieß eben nur auf die echten alten Bruchstücke, die ja wirklich von Wolfram herrühren, mithin kann, auch die Lesart «ich Wolfram bin» statt «her Wolfram sî unschuldec» zugegeben, nicht daraus geschloßen werden, daß dem Verfaßer Wolfram für den Dichter des ganzen Titurel gegolten habe. Auch die Worte:

ein meister ist ûfnemende,
swenn ez mit tôde ein ander hie gerûmet.

gehen nur auf den Wolframschen Abschnitt vom Brackenseil und würden sich ganz gut im Munde Albrechts geziemen, wenn dieser der Verbeßerer wäre, auch wenn wir ihn mit dem Verfaßer des grösten Theils des jüngern Titurel nicht für Eine Person hielten.

Dieser letztern Meinung, die sich darauf stützt, daß der Dichter des ganzen Werkes, der sich bisher so oft Wolfram genannt hat, nicht auf einmal ohne Veranlaßung vor dem Schluß seinen wahren Namen entdeckt haben werde, steht allerdings Vieles zur Seite, und selbst die obigen Stellen scheinen dafür zu sprechen, daß wenigstens zwei Dichter anzunehmen wären, einer, der sich für Wolfram ausgiebt, und ein anderer, der sich von ihm unterscheidet.

Allein die Absicht zu betrügen, dem Leser sein Machwerk als Wolframs Gedicht zu verkaufen, muß man dem Verfaßer des Titurel nicht zutrauen. Wenn er in Wolframs Namen spricht, so ist das nur ein Spiel, eine poetische Fiktion, die des Lesers Aufmerksamkeit feßeln und zugleich der Eigenliebe des Dichters schmeicheln soll. Wenn es ihm mit seiner Verkleidung ein rechter Ernst gewesen wäre, so hätte er weder durch Zeitanspielungen, wie jene auf den kronehalb kahlen Richard von Kornwall (K. 23, 36) sich als einen Spätern zu erkennen geben, noch seine eigenen persönlichen Verhältnisse, namentlich die zu seinen Gönnern, denen er sein Werk zu widmen gedachte, und die ihn dafür unterstützen sollten, einmischen dürfen. Schon im Eingange Str. 61–64 gedenkt er dreier Fürsten, für die er zu Felde sein Leben in Stürmen und Streiten wagen müße, und bei denen seine Bitte um Muße zu Vollendung seiner großen Aventüre bisher nicht verfange.

Diu hat den sprunc sô witen
genomen und ir gesinde,
daz sich ein michel strîten
noch hebt vil lîht ê daz ich underwinde
mich der rede sô gar ein übermâze.
mit bet wil ichz versuochen,
daz man mich sölher arebeit erlâze.

Derselben Fürsten erwähnt er wieder K. 39, 283. 4, wo er schon damit umgeht, sein Werk nicht weiter zu führen. Es war Sitte der mittelhochdeutschen Dichter, sich selber und ihre Gönner am Anfang oder am Ende des Werkes zu nennen. Er will aber von den seinigen schweigen, weil sie sich diese Märe so wenig oder so gar nichts bei ihm kosten laßen.

Wer dise vürsten wæren,
des wil ich gerne swîgen,
sî lânt sich niht vermæren,
wan ich ir gâbe nimmer darf genîgen.
sî sint der mitte wol ûf diutscher terre.
sî sint den bergen nâhen,
diu milte hât ab in gehûset verre.

Es war also seine Ansicht gewesen, ihre Namen als die seiner Gönner und Helfer der Sitte nach am Ende zugleich mit dem seinen, den wir bald darauf auch erfahren, zu nennen; da sie sich aber nicht vermæren laßen, weil der Dichter keine Hoffnung mehr hat, ihnen jemals danken zu dürfen, so verschweigt er sie, sieht sich aber in dem Folgenden wiederholt nach andern Gönnern um, ohne deren Hülfe er nicht fortdichten will:

umb rîchiu soldamente
wær ich noch diu mære fürbaz gebende,

und weiterhin:

ob mich der mite stiure
alsô ringe wil dar zuo besâzen,
sô wurde ein rede noch hie vil wol gelenget.

Unmittelbar hierauf folgt nun die bekannte Stelle, wo Albrecht sich nennt und erklärt, er wolle vom Walplatz traben, weil ihm der Hülfe Lanze an einem Fürsten gebrochen sei. Träte hier Albrecht zuerst als Fortsetzer auf, so wäre es wunderlich, daß er vom Walplatz zu traben drohte, eben indem er darauf trabt. Es ist also derselbe Mann, der sich bisher schon über die Kargheit seiner Gönner beschwert hat, zumal da er auch fernerhin noch wie Jener nach helfenden Gönnern sucht und fortfährt, Gründe zu häufen, warum die Geschichte noch nicht zu Ende sei und weiter fortgeführt werden müße. Daß er hier seinen wahren Namen entdeckt, kann also gar nicht befremden, eben weil er vom Wal zu traben, d. h. zu schließen gedenkt, wenn er keine Unterstützung findet, und weil es, wie wir nach Obigem glauben dürfen, immer seine Absicht war, sich vor dem Schluß der Sitte gemäß zu nennen, wie er auch seine Gönner genannt haben würde, wenn sie sich hätten vermæren laßen. Er muste ja auch am Ende die Maske fallen laßen, weil der Lohn, auf den er hofft, nicht Wolfram, sondern ihm selber zu Gute kommen sollte. Nur das könnte befremden, daß er gleichwohl nicht schließt, sondern die Geschichte weiter führt. Vielleicht hoffte er aber, daß ihm das fertige Werk größern Nutzen bringen werde als das unvollendete; vielleicht hatte er auch schon, wie K. 40, 118 vermuthen läßt, wo er von dem Adler spricht, der alle Vögel überstiege, wie seine Aventüre allen andern vorzuziehen sei, einen neuen Gönner im Sinne, dem er sein Werk gegen reichlichen Lohn zu widmen gedachte.

In der That fand Sulpiz Boisserée im Jahre 1817 den Decken des Heidelberger Titurels Nr. 141 zwei im Herbst 1819, als Lachmann diesen Codex abschrieb, verschwundene Blätter aufgeklebt, mit 23 zum Theil unleserlichen und verstümmelten, aber von derselben Hand wie der Codex geschriebenen Strophen, welche er abschrieb und 1835 in den Abhandlungen der k. baierischen Akademie der Wißenschaften (München, Bd. 7. S. 384) veröffentlichte. Sie rühren offenbar von Albrecht her, der sich wiederholt nennt, und enthalten eine Zuschrift seines Werks an einen Fürsten, den er dem Adler vergleicht, den der Baiern Prinz sîn salûte nenne, und den er selbst als Duc Loys et Palatinus und wiederum Str. 18 als phalatzgrâve bezeichnet. Dieser kann nun kein anderer sein als Ludwig der Strenge (1253–1294), Pfalzgraf und Herzog in Oberbaiern (Dux et Palatinus), welcher seinem jüngern Bruder Heinrich in der Theilung von 1255 das Herzogtum Niederbaiern überlaßen hatte, als Pfalzgraf bei Rhein die Verwesung des Reichs Jahre lang ruhmvoll führte und zuletzt 1273, da ihm die übrigen Fürsten ihre Stimmen übertragen hatten, die Wahl Rudolfs von Habsburg durchsetzte. Dieß genügt, den Vergleich mit dem Adler und den Lobspruch, von Oesterreich bis Flandern sehe man seine Kleider herlich schwanken, zu rechtfertigen, und man braucht nicht an seinen Sohn Ludwig von Baiern zu denken, der von 1314 bis 1347 den deutschen Kaiserstuhl besaß. Auch fällt dieser schon zu spät für den Dichter, der von Richard von Kornwall († 1272) als einem Lebenden spricht (Kap. 23), den der Franziskanermönch Berthold († 1272) schon citiert und commentiert (Kling S. 162) und der funfzig Jahre nach Wolfram, um das Jahr 1270, dessen Langzeilen mit innern Reimen versehen hat. Die Stelle 69, 22, wo es heißt, vor hundert Jahren sei in Thüringen ein Fürst gestorben,

den man dô Hermann als nu disen nande,

enthält keine Zeitbestimmung: denn der Dichter spricht in Wolframs Namen, und mit dem als nu disen ist dessen Gönner, der milde Landgraf († 1216), gemeint, so daß zur vollständigen Erklärung der Stelle nur zu ermitteln bleibt, welcher Herman von Thüringen hundert Jahre früher, um 1116, verstorben sein solle.

St. Marte rückt aber das Gedicht in noch spätere Zeit, indem er jene Widmung, die nur nach Beendigung des Werkes verfaßt sein kann, für eine Einleitung ansieht, und demnach den Beginn des Gedichtes in die Zeit von 1322–1329 setzt, wo nach Besiegung des Gegenkaisers Friedrich von Oesterreich erst von Ludwig gesagt werden konnte, sein Adlerfittich reiche von Oesterreich bis Flandern. Die Beendigung des Werks, die sonach fast ein ganzes Menschenleben ausfüllt, fällt ihm dann in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, weil unter den drei Fürsten nicht wohl andere als drei von den sechs Söhnen Ludwigs verstanden werden könnten. Hiezu ist aber nicht der mindeste Grund vorhanden: denn von den drei Fürsten sagt der Dichter nicht, wer sie seien, und die Andeutung, daß sie den Bergen nahe und in der Mitte des deutschen Landes wohnten, giebt keine Auskunft und würde eher die bairischen Prinzen ausschließen.


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