Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

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Als etwas später Lebold aus dem Hause ging, begleitete Wettl ihn durch den Hof, und dabei hatte sie ihren Arm in den seinigen gelegt. Wie sie allein zurückkehrte, kam die Roslini aus ihrem Gelaß hervor.

»Was hab' ich gesehen, Wettl? Laß dich umarmen, Kind! Bist du denn recht glücklich?«

Wettl erzählte glückselig, wie alles sich gefügt Plötzlich erschrak sie heftig, unterbrach sich und erblaßte.

»Was ist dir, Wettl?«

Sie zeigte empor, über das Dach schlich die schwarze Katze und verschwand im Bodenfenster. Durch die Gemütsbewegungen, die sie seit Monaten durchgemacht, durch das ermüdende Geschwätz der Kaplanek, das durch den Tod Melchers doch gleichsam eine Bestätigung erfahren hatte, durch die tiefe Erregung, in der sie sich im Augenblicke befand, war Wettl einer vorübergehenden kleinen Anwandlung von Aberglauben unterlegen.

»Das hat etwas zu bedeuten,« sagte sie leise.

Roslini lächelte. Sie zog Wettl mit sich fort. Was sie denn wolle? fragte diese. Sie möge nur mitkommen, beharrte Roslini, sie müsse ihr etwas zeigen, etwas sehr Nettes. Sie führte sie die Stiege hinauf und dann noch höher über die Dachbodentreppe auf den Dachboden. Oben war es dämmerig. Wettl erinnerte sich, daß die Kaplanek einmal von einer Katze erzählt hatte, die verfolgt wurde und auf einmal in einem dunklen Winkel saß, Feuerräder statt der Augen im Kopf. Sie fürchtete sich beinahe, als sie hinter Roslini die hallenden Bretter entlang ging, die über die roten Backsteine gelegt waren. Die Herzensangst, die sie solange um den Lebold und um den Großvater gelitten, mochte doch eine gewisse Überreizung in ihr zurückgelassen haben, die sich erst jetzt meldete, da die Spannung völlig gelöst und sie wieder ganz befreit und glücklich war.

»Um Gotteswillen, was ist denn das?«

Aus einem mit Bodenkram vollgeräumten Winkel starrte ihr ein Gesicht entgegen, bleich wie eine Leiche.

»Das ist ein alter Haubenstock aus Pappe,« sagte Roslini lachend; »noch von der Großmutter her, aus der Zeit der großen Hauben. Aber komm nur weiter!«

Endlich blieb Roslini stehen und schob vorsichtig einen alten Kistendeckel, der schräg gegen eine Ecke gelehnt war, zur Seite. Da lag die schwarze Katze hingestreckt wie ein kleiner Tiger in dem Nest, das sie sich mit Roslinis Hilfe bereitet hatte, inmitten von sechs oder sieben niedlichen Kätzchen von verschiedener Farbe, schwarz, grau, gelb, weiß, gefleckt und gestreift, und sah mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Sorgfalt und Liebe auf ihre Jungen nieder. Eins nach dem andern leckte und putzte sie mit ihrer rosigen Zunge und machte sie alle spiegelglatt, und dabei warf sie von Zeit zu Zeit einen ruhigen, ernsten Blick nach den beiden Zuschauerinnen hinüber, ohne jede Scheu und Furcht. Sie schien sich nicht die geringste Sorge zu machen, als fühle sie sich sicher und geborgen, und als könne sie sich bestimmt darauf verlassen, in der Ausübung ihrer Mutterpflichten nicht gestört zu werden.

»Je, wie herzig!« rief Wettl die Hände zusammenschlagend.

»Das hat etwas zu bedeuten!« sagte Roslini lächelnd.

»Geh, du bist garstig!« rief Wettl und lief ihr davon. Am Fuß der Treppe erst holte Roslini sie ein.

»Also, Wettl, sag einmal, fürchtest du dich noch vor der schwarzen Katz'?«

»Du geheime Katzenmutter!« drohte Wettl lachend. »Wir scheuchen, und du züchtest sie; sogar noch unter dem Dach des Guguckshauses!«

Sie könne nichts dafür, beteuerte Roslini. Ganz zufällig sei sie dazugekommen, das arme Tier habe sie gedauert, und da habe sie ihr halt ein wenig geholfen, ihr Lager zurecht machen und sie vor dem Blick der Menschen zu schirmen.

»Davonjagen,« meinte sie, »konnte ich doch eine Mutter mit sieben unmündigen Kindern nicht!«

»Es gibt wirklich nichts herzigeres als so ein Katzerl!« sagte Wettl; »am liebsten hätt' ich selbst eins, wenn mir nicht um den guten Großvater wär' ... Aber ich muß jetzt zu ihm gehen, noch weiß er von nichts.«

Sie lief durch den Hof und trat in das Gelaß des Salzküfels, der wie gewöhnlich an seinem Webstuhl saß. Leise kniete sie an seiner Seite nieder und legte ihren Kopf an seine Brust.

»Großvater, wissen Sie es schon –? Ich hab' mich heute verlobt!«

»Mit dem Lebold?« sagte er glückselig lachend. »Ja, das hab' ich schon lang gespannt!« Er legte seine dürre Hand auf ihr reiches Haar ... »Macht es halt brav, Kinder! Macht es brav!«

Lang ruhten sie so ineinander, ohne ein Wort weiter zu sprechen. Wettl war es zumut, als ob Friede und Zuversicht aus diesem alten treuen Herzen in ihr künftiges Leben überströme. Auf einmal spürte sie etwas Warmes, das sich von der anderen Seite an sie drängte. Diwrisl war es, den die Eifersucht plagte: da wurde so süß und traut umarmt, und er war nicht mit dabei! Und er gehörte doch auch zur Familie! Wettl kraute ihn liebevoll hinter den Ohren, das ließ er sich gern gefallen, er legte seinen Kopf an ihren Schoß und war auch ein wenig glücklich.

»Jetzt will ich aber den Herrn Großvater nicht länger von der Arbeit abhalten,« sagte sie endlich sich erhebend.

»Ja, du hast recht, Wettl, ich hab' zu tun, es ist schon wieder eine neue Kette für mich geschweift. Aber wenn ich dann Zeit hab', am Feierabend, nachher reden wir noch mehr darüber, gelt, Wettl?«

Sie küßte ihn auf die Stirn und ging. Und er fuhr emsig fort, seine Schemel zu treten und seine Schütze zu schleudern und die eingetragenen Fäden mit der Weberlade festzuschlagen.


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