Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

***

Während der Guguck die Laimgrube hinaufging und seinen Weg über die lärmende Mariahilferstraße fortsetzte, freute er sich noch immer über das menschliche Lächeln, das bei der Aussicht, das Verhältnis zur Kalle in ein rechtmäßiges zu verwandeln, auf einmal Schabsels Züge durchsonnt hatte.

»Er ist halt auch ein Mensch,« dachte er. »Aber wenn einer sein Lebtag behandelt wird wie ein Hund! ... Ihn macht es schlechter und uns macht es schlechter. Alles, was Zwang und Gewalt ist, macht die Menschen schlechter, die, die Gewalt üben, und die, die Gewalt leiden.«

Als er zur Kirche im Schöff gelangte, die nach dem Gnadenbild auch Mariahilferkirche genannt wurde, übersetzte er die Fahrstraße, denn auf der andern Seite sah er einen gedrungenen, breiten Mann stehen, in Stulpstiefeln und abgetragenem schmieriggrauem Frack, mit einem lächerlich winzigen schäbigen Filz auf dem viereckigen Kopf. Es war der Webstuhlmechaniker Schweibenroider aus der »Roten Latern« in der Kandelgasse, mit dem er ohnedies ein Wort geschäftlich zu reden hatte. Und der stand also auf einmal wie gerufen da und sah aus wie eine Bildsäule; denn er war unbeweglich vor den großen Auslaufbrunnen hingepflanzt, der auf dem Platzl gegenüber dem Kirchentor plätscherte, und schien in den Anblick des fließenden Wassers völlig versunken.

Kebach wunderte sich.

»Was stehst denn da wie ein angemalter Türk' und schaust? Mir kommt vor, den Brunnen hab' ich schon öfter gesehen in den drei, vier Jahren, seit wir die Albertinische Leitung haben.«

Schweibenroider schwenkte kurz sein Hütlein über dem umfangreichen, geröteten Gesicht, das sich durch einen stark angeglühten Mittelpunkt auszeichnete. Der Melcher, der früher Latzenzieher beim Guguck gewesen war, hatte einmal behauptet, das, was der Schweibenroider mitten im Gesicht habe, das sei die rote Latern, nach der das Haus in der Kandelgasse heiße.

»Wenn ich so ein Wasserl rinnen seh',« sagte der Mechaniker, »so kann ich mich halt nicht satt daran schauen.«

Sie hatten denselben Weg und gingen gemeinsam weiter.

»Jetzt möcht' ich nur wissen,« meinte Kebach, »was an so einer rinnenden Basseener eigentlich zu sehen ist?«

»Das Wasser!« sagte Schweibenroider. »Wenn es so aus einem Brunnen läuft, kommt es mir vor wie das reine Gottswunder. Setzt sich aus lauter kleinen, schwachen Tropfen zusammen, und ist doch ein starker einziger Strahl. Wechselt und rinnt beständig und steht doch immer gleichmäßig und ruhig vor dir wie ein gebogener Stab aus Glas vom Auslaufrohr bis in den Trog. Ist das nicht wunderbar?«

»Wüßt' nicht, was ich mir da dran anschauen sollt'.«

»Wenn du in einer Auslag' ein schönes Stück Seidenzeug liegen siehst, so bleibst halt auch stehen und schaust dir's an. Weil es zu deinem Metier gehört. Und alles, was nicht lebendig ist und sich doch bewegt, gehört zu meinem Metier. Verstehst?«

»Gehört der neuartige Scherrahmen, den du mir eingerichtet hast, auch zu deinem Metier?« fragte Kebach stichelnd.

Schweibenroider stutzte.

»Freilich wohl! Warum denn nicht?«

»Weil er nicht lebendig ist und sich aber auch nicht bewegt.«

»Was soll das heißen?« begehrte der Mechaniker auf.

»Gehn tut er halt nicht!« sagte Kebach ohne Umschweife. »Sonst will ich ja weiter nichts gegen ihn sagen, manches wär' gar nicht so schlecht daran; dieses kleine Kastel zum Beispiel, was da von selber an dem Scherrahmen auf- und niedersteigen soll ...«

»Die Katz' meinst du?«

»Die Katz'?«

»Das kleine Kastel nämlich, von dem du redest, das heißt man die Katz' oder den Fadenführer.«

»Alsdann sagen wir die Katz'. Die wär' sogar eine sehr gescheite Erfindung, weil die Schweiferin die Fäden, die von den Spulen laufen, nicht mehr mit der Hand auf den Rahmen hinauf und hinunterleiten braucht' – wenn sie nämlich gehn tät', die Katz'. Aber sie bewegt sich halt nicht. Und grad so ist es mit dem ganzen Scherrahmen. Wunderschön ausgedacht ist er, nach dem Mechanikbüchel stimmt wahrscheinlich alles auf ein Haar, aber taugen tut er nichts.«

Schweibenroider blieb stehn.

»Taugen tät' er nichts?« sagte er entrüstet. »Taugen tät' er nichts?«

Hitzig rückte Kebach seine breite Angstbutte aus der Stirn.

»Wenn ich sage, taugen tut er nichts, so tut er halt einmal nichts taugen!«

»Und wenn ich ihn eingerichtet habe, so tut er auch was taugen!« sagte der Mechaniker rot vor Zorn.

»Taugen tut er zwar nichts,« beharrte Kebach, »aber deswegen brauchst nicht in alle Ewigkeit stehen zu bleiben.«

Sie setzten sich wieder in Bewegung und gingen eine Weile schweigend nebeneinander hin. Jetzt bogen sie in die Zieglergasse ein, da wurde es auf einmal ganz still um sie herum. Das Rasseln der Wagen verhallte, nur das friedliche Geräusch der Webstühle klang aus den Häusern.

»Wüßt' nicht, warum er nichts taugen sollt'!« nahm der Mechaniker den Kampf wieder auf. »Dem groben Schroll in der Kaiserstraße hab' ich auch einen eingerichtet. Zwei sogar! Und alle zwei drehn sich wie ein Ringelg'spiel!«

»Was geht mich ein Bandmacher an!« sprudelte Kebach hervor. »Für diese Flor- und Taffetbandeln ist bald was gut! Was weiß ich, was der für eine Gattung Schweifrahmen brauchen kann? Das ist seine Sach'!«

»Grad so einen braucht er wie du! Noch einen viel größeren! Vier Ellen haben seine Scherrahmen im Umfang! Wie das große Faß in Klosterneuburg schauen sie aus, wo man am Lepolditag herunterrutschen tut! Denn wie lang ist denn bei euch die Kette, he? Vielleicht sechzig, oder wenn es hoch kommt, neunzig Ellen. So schweift ihr halt ein paar Ellen herunter, da wird schon das Fadenkreuz gemacht, dann wieder ein paar Ellen hinauf, so wird noch einmal das Fadenkreuz gemacht, und ein Gang ist auch schon geschert. Aber weißt du, wie lang die Bandmacherkette ist? Mit Ketten von drei- und vierhundert Ellen arbeitet der Schroll!«

Kebach war wütend, daß man einem Zeugmacher einen Bandweber zum Exempel hinstellen konnte.

»Daß bei der Bandelfabrikation alles in die Länge geht wie bei den Seilern, damit sagst mir nichts Neues! Es wird halt mehr so im Ramsch gearbeitet, nur recht lang, nur recht lang, ganze Meilen von Bändeln, wenn es auch ein Pofel ist! Darum verdienen sie ja auch so leicht, die Bandmacher! Aber was ein Stoff ist, ein guter nämlich, dazu brauch' ich eine Kette, so gleichmäßig geschert, daß von den zweitausend Fäden jeder die gleiche Spannung hat und keiner um ein Haar! Haar länger oder kürzer ist als der andere. Und dazu kann ich einen Zettelrahmen, der mir beim Schweifen alle Augenblick den Schnackerl kriegt, halt nicht brauchen, da kannst sagen, was du willst!«

»Wirst halt eine rechte Urschel von einer Schweiferin hingestellt haben, die sich nicht auskennt!« sagte der Mechaniker.

Jetzt war es aber an Kebach stehen zu bleiben.

»Ich hab' keine Urscheln unter meinen Schweiferinnen! Gehn tut er nicht, der Rahmen! Dem Großvater hab' ich mir ihn noch gar nicht zu zeigen getraut. Der tät' mich schön auslachen!«

»Also bleib nicht alleweil stehen und komm' weiter!« drängte Schweibenroider. Er hatte die Absicht, den Guguck gleich zu begleiten, denn er brannte vor Ungeduld, bei dem Zettelrahmen, der nicht gehen sollte, nach dem Rechten zu sehen. Etwas, das gegen seine Geschäftsehre ging, ließ er nicht gern lange auf sich sitzen. Um den blauen Guguck wieder zu versöhnen, fragte er, wie die Geschäfte gingen? Damit hatte er aber erst recht ins Wespennest gestochen.

»Wie dein Zettelrahmen!« platzte Kebach heraus.

»Dann ist es eh' gut, dann werden sie bald gehen wie geschmiert.«

»Vorderhand gehen sie gar nicht,« murrte Kebach. »Ohnedies ist es schon so weit gekommen, daß der Fabrikant dem Kaufmann nachlaufen muß. Ein paar Stückeln Taft und Atlas, ein Stückel Moiré und eins Croisé – das sind die Bestellungen, die ich nach Hause trag'! Jetzt, wo das Weihnachtsgeschäft schon langsam anziehen sollte! Und dabei soll nicht bloß der Fabrikant, dabei soll auch noch« – er zählte es an den fünf Fingern her – »der Arbeiter und der Seidenhändler und der Färber und der Appreteur und der Webstuhlmechaniker existieren! – Mir ist jetzt schon alles gleich,« sagte er. »Im Gegenteil, ich bin froh, daß es endlich zur Entladung kommt!«

Sie waren hundert Schritte weitergegangen, aber jetzt blieb wieder der Schweibenroider stehen. Rätsel lösen und dabei auch noch ans Gehen denken, war ihm eine Unmöglichkeit.

»Entladung? Was soll sich denn entladen? Ah, den Krieg meinst du, daß es zum Krieg kommen könnt'?«

»Na ja freilich, was denn sonst, darum geht ja das Geschäft so schlecht; wird doch schon überall davon geredet! – Deswegen brauchst aber doch nicht beständig stehen zu bleiben!« sagte er ungeduldig und zog ihn mit sich fort.

»Mein Gott, geredet wird schon lange davon,« meinte der Mechaniker. »Kommt aber schließlich doch nicht dazu! Der Kaiser wird sich hüten, noch einmal mit dem Napoleon anzubandeln!«

»Und glaubst, er wird ruhig zuschauen, wie der Napoleon einen König nach dem andern absetzt, bis die Reih' an ihn kommt? Nein, und wenn wir alle zugrunde gehen – ich sag' es immer, und in dem Punkt versteh' ich keinen G'spaß: einmal müssen wir es noch probieren, ob sich die Parlezvous nicht halt doch unterdrücken lassen! Einmal müssen wir es noch probieren, eh' daß es zu spät ist, sonst setzt der dicke Korsikaner uns auch noch einen von seinen Brüdern auf den kaiserlichen Thron – pfui Teufel!«

»Was du nicht sagst! Hör mir auf! Ich bitt' dich!« rief Schweibenroider ganz aufgewiegelt.

»Hast du nicht gehört, was er neulich gesagt haben soll, in Spanien oder wo? Daß in ein paar Jahren seine Dynastie die älteste in ganz Europa sein wird?«

Der Mechaniker, entflammt und mitgerissen durch Kebachs Worte, fuhr sich mit der Hand um den starken Hals, die hohe, weißleinene Binde wurde ihm schier zu eng.

»Ja, wenn das wäre – Himmel Laudon noch einmal! Da sag' ich auch: Dreinschlagen, lieber heut' als morgen! Die Lombardei werden wir ja hoffentlich nicht gleich zurückerobern?«

Die vorausgegangenen drei unglücklichen Kriege gegen die Franzosen hatten die Seidenweber auf den schottischen Freigründen ebenso wie alle anderen Geschäftsleute zwar schwer empfunden, aber nur wegen der dadurch verursachten allgemeinen Mißstände, der Verschlechterung der Geldwirtschaft und der hohen Steuern und Kontributionen; im übrigen aber waren ihnen aus den Friedensschlüssen von Campo Formio und Preßburg sogar beträchtliche Vorteile erwachsen. Denn der Verlust der italienischen Provinzen hatte der österreichischen Seidenwarenerzeugung einen gefährlichen Wettwerber vom Halse geschafft und ermöglichte ihr seit Jahren eine ungestörte Entwicklung und ein vordem kaum erhofftes Blühen.

»Na, wär' nicht aus!« meinte der Guguck erschrocken. »Die Lombardei zurückerobern? Dazu haben wir Schottenfelder unsern Landwehrbeitrag nicht gegeben! Und dagegen könnten wir auch ein Veto einlegen, nachdem wir so viel gezahlt haben, und ich bin überzeugt, der Kaiser hätte ein Einsehen. – Aber daraus wird ja nichts, das hat keine Gefahr!« tröstete er sich. »Gar so siegreich werden auf einmal unsere Waffen doch nicht sein! Genug, wenn wir dem Napoleon zeigen, daß wir auch wer sind, und daß wir den Kaiser haben, den wir wollen, und nicht einen, der ihm paßt!«

Schweibenroider war genau derselben Meinung. In politischen Dingen verstanden sie sich ausgezeichnet, Sie hatten jetzt das Haus »Zum blauen Guguck« erreicht und traten in die Torfahrt. Noch einmal blieb der Mechaniker stehen.

»Wenn es wirklich dazu kommt,« sagte er feierlich und hob drohend seinen Finger, »dann rüst' ich auf meine eigenen Kosten noch extra einen Landwehrmann aus. Das wollen wir doch sehen, ob wir diesem welschen Glücksritter nicht Herr werden!«

Von der Torfahrt des Guguckshauses konnte man durch einen Windfang in den langgestreckten Hof hinausblicken, hinter dem der Garten anfing. Der Windfang war mit farbigen Scheiben verglast, die das Bild etwas verdunkelten, wenn man hindurchsah, und da Schweibenroider überdies ein schwaches Gesicht hatte, fragte er:

»Was ist denn das für eine Ansammlung von Leuten in deinem Hof?«

»Weiß der Himmel, was es da zu schauen gibt?« meinte der Guguck.

»Merkwürdig, lauter dunkelblaue Menschen!« sagte der Mechaniker, durch eine Scheibe spähend. »Sind es Leute aus dem Haus?«

Es standen etwas entfernt im Hofe einige Personen um irgend eine Sehenswürdigkeit im Kreise herum.

»Blaue Menschen siehst du?« sagte der Guguck, dem es Spaß machte, gleichfalls durch eines der farbigen Gläser zu blicken. »Ich sehe wieder gelbe. Lauter schöne gelbe Menschen. Und der Himmel ist auch gelb, und die Bäume im Garten und der Laurenziturm, der dahinter herüberschaut, alles ist gelb. Also, und von den gelben Menschen im Hof, da ist einmal die eine, die so ein schönes hellgelbes Kleid an hat: das ist meine Wettl. Dann die andere im dunkelgelben Kleid, das ist eine von den Winderinnen, weißt, die Frau Kaplanek, die zugleich Hausmeisterin ist. Hernach rechts daneben ein Kanarienvogel mit einer gelben Schirmkappe auf dem Kopf, das ist der Großvater. Dann seh' ich da einen Zeisig, der uns den Rücken zuwendet – ja, mir scheint, das ist der Vincenz, der Werksgeselle; der könnt' auch lieber bei seiner Arbeit bleiben! Dann ist noch ein gelb Angestrichener dabei, das ist der alte Tollrian, der Nachbar, und ein baumlanger Soldat – wie kommt denn der in die Gesellschaft? Den kenn' ich nicht.«

Schweibenroider vergaß, daß er durch eine farbige Scheibe blickte, und sagte bestürzt:

»Einen blauen Kürassier hab' ich überhaupt bei uns noch nicht gesehen! Es werden doch nicht am Ende schon die Franzosen da sein?«

Kebach lachte ihn weidlich aus. –

Indem sie jetzt in den Hof eintraten, sagte er:

»Hundertmal geht man gedankenlos an diesen farbigen Gläsern vorüber und könnt' doch öfter einmal seinen G'spaß damit haben. Es ist gar nicht schlecht, wenn man die Welt manchmal in einem anderen Licht sieht; man kommt dabei auf verschiedene Gedanken.«

Sie näherten sich der Gruppe. Was gab es also da zu sehen? Der Diwrisl trank seinen Jausenkaffee! Das heißt, eigentlich war es gar nicht seiner, sondern Kebach seiner; denn für gewöhnlich bekam Diwrisl keinen.

»Jesses!« rief die Wettl, »der Herr Vater! So lang hab' ich den Kaffee aufgehoben, und jetzt hat ihn der Melcher gekriegt, und den Rest trinkt gerade der Diwrisl!«

»War ihnen vergönnt,« sagte Kebach gutmütig. »Und der Welcher – wo ist denn der?«

Der Kürassier stand schon die ganze Zeit »Habt acht«.

»Das soll er sein? Der Baumlange? Ja richtig, jetzt kenn' ich ihn! Fesch schaut er aus! Sehr fesch! Und den Helm, den er hat! Und den Sabel! Wird ihn vielleicht bald brauchen!... Na alsdann, wie geht's denn beim Militari? Haben wir schon parieren gelernt, was?«

»Ich bitt', er führt sich brav auf,« sagte Frau Kaplanek strahlend. »Nicht eine einzige Straf' hat er gehabt' die ganzen dritthalb Jahr', daß er dabei ist.«

»Schön! Brav!« sagte Kebach ernst. »So was hört man gern. Älter werden schadet nie, mancher wird auch gescheiter dabei. Ein rechter Spirifankerl ist er gewesen, der Melcher. Na, wenn er wieder herauskommt und sich fleißig zur Arbeit hält, nachher werden wir ihn halt doch endlich freisprechen. Ist mir selbst am meisten hart geschehen, daß es früher nicht möglich war, aber Ordnung muß sein.«

Er sah sich nach dem Werksgesellen Vincenz um, um ihn anzuschnauzen, daß er bei der Arbeit zu bleiben habe. Der war aber schon in aller Stille entschwunden.

»Hat er jetzt einen Urlaub?« wendete er sich wieder an den Kürassier.

»Kurzen Urlaub auf vier Tage zu der Mutter, weil das Kronprinzen-Kürassierregiment in Korneuburg steht,« meldete Melcher, noch immer »Habt acht« stehend.

Salzküfel, der Großvater, zupfte Kebach mit kindischer Freude am Ärmel.

»Schauen Sie, Herr Sohn, wie es dem Diwrisl schmeckt!«

Er hatte mit wahrem Behagen zugesehen, wie Diwrisl seinen Milchkaffee lepperte, und sich so innig in seinen Hund hineingedacht, daß er mit seinem zahnlosen Mund gleichsam selbst mitschmeckte und mitgenoß. Sein Gesicht glich einer überwinterten Lederreinette, so runzlicht und braun war es, und auf dem Kopf trug er eine ebenso braune Schirmkappe, Winter und Sommer, gleichgiltig, ob es kalt oder warm war, in der Stube wie im Freien, der Melcher, als er noch Lehrbub und Latzenzieher im Guguckshaus gewesen war, hatte einmal behauptet, sogar in der Nacht. Auch die unscheinbare altväterische Ärmelweste war braun, die er zu Hause statt eines Rockes immer anhatte, und die mit ihren Schößen bis nahe an die weißen Zwirnstrümpfe hinabreichte. Denn der uralte hagere Mann, der wohl an die achtzig Jahre oder mehr zählen mochte, hielt der neuen Zeit zum Trotz an Kniehosen und Strümpfen fest.

»Schauen Sie, Herr Sohn!« wiederholte er beseligt: »So geschmeckt hat es dem Diwrisl schon lange nicht!«

Des Alten Herz hing an dem schwarzgrauen Pudelpinscher fast wie an einem geliebten Kinde. Darum wurde dieser auch von Wettl gehetscht und im ganzen Hause hochgeachtet. Diwrisl nahm die allgemeine Wertschätzung, die ihm gelegentlich auch materielle Vorteile einbrachte, wie etwas ihm Gebührendes und Zukommendes mit ruhiger Würde entgegen. Er war sich dessen wohl bewußt, was er für das blaue Guguckshaus bedeutete. Als nächster Freund und Kamerad des Großvaters bekleidete er eine verantwortungsvolle Vertrauensstellung. Er hatte auf ihn acht zu geben, ihn auf Schritt und Tritt zu begleiten und an seinem Webstuhl zu liegen, wenn er webte. Sie waren zusammen alt geworden, aber ebensowenig als der Salzküfel daran dachte, sich zur Ruhe zu setzen, ebensowenig dachte Diwrisl daran. Zwar von dem allgemeinen Nachtdienst im Hause, den er in seinen Jünglings- und Mannesjahren versehen hatte, war er längst genötigt gewesen sich zurückzuziehen. Die Beine wollten nicht mehr recht, und die Zähne waren ihm ausgefallen. Dafür widmete er sich mit um so treuerer Hingabe dem Personaldienst beim Großvater. Aber wenn eine Katze über ein Dach oder gar über den Hof schlich, da konnte er zu Salzküfels Freude noch immer bellen wie ein Junger.

Jetzt hatte Diwrisl sein Schüsselchen leer geleckt und blickte würdevoll im Kreise von einem zum andern, während ab und zu seine rosenrote Zunge über den struppigen Schnauzbart wischte. Er machte nicht Miene sich vom Fleck zu bewegen und blieb ruhig vor dem leeren Napf stehen. Vielleicht dachte er, das Glück könnte es wollen, daß doch noch einmal nachgefüllt würde. Vielleicht war er nur zu bequem, ohne ersichtlichen Grund eine Veränderung mit sich vorzunehmen. Jedenfalls schien er sich als Mittelpunkt dieses Kreises ihm wohlgesinnter Menschen behaglich und auf dem ihm zukommenden Platz zu fühlen.

Wettl beugte sich zu ihm nieder.

»Ja, ich hab' halt nichts mehr, Diwrisl, weißt? Bis zum Nachtessen wieder, nachher bring' ich dir ein Bröckerl!«

Diwrisl nahm das freundliche Versprechen gerne zur Kenntnis und bestätigte es mit einem kleinen Wedeln des Schwanzes, der buschig wie der eines Pudels, aber weitaus kürzer war.

Herr Tollrian, der für einen Philosophen galt, sagte:

»Das unterscheidet den Menschen vom Tier: wenn es satt gegessen hat, so ist es zufrieden. Der Mensch hingegen schöpft aus der Nahrung neue Lust zu neuer Tätigkeit.«

Der schwarzgraue Pudelpinscher wendete ruhig den Kopf und warf ihm einen langen, aufmerksamen Blick zu. Es war, als ob er ihn ergründen und durchforschen wollte. Dann schaute er mit einem gleichsam gelangweilten Ausdruck wieder zur Seite und tat mit der Zunge noch einen Schlecker in seinen Napf, um einen letzten Tropfen, der sich darin angesammelt haben mochte, nicht umkommen zu lassen.

»Jetzt hätt' er was gesagt, wenn er reden könnte!« rief der Guguck lachend.

»Ich bitt' Sie, Herr von Tollrian,« sagte Schweibenroider behaglich; »wie mancher Mensch ist auch zufrieden, wenn er nur gegessen und getrunken hat!«

»Ist auch das Wichtigste! Ist auch das Allerwichtigste!« rief der alte Salzküfel mit seiner etwas hohen, scheppernden Greisenstimme.

»Das Essen und Trinken meinen Sie?«

»Nicht das Essen und Trinken!« sagte er lebhaft und mit dem Eifer, den die Überzeugung verleiht. »Nicht das Essen und Trinken! Sondern, daß einer zufrieden ist! Der eine halt mit dem, und der andere wieder mit was anderem! Aber daß jeder sich was aussucht, was ihn zufrieden macht, das ist die von unserm Herrgott eingesetzte Ordnung.«

Herrn Tollrians Wort mochte Diwrisls Seele verwundet haben. Vielleicht hatte er den Sinn doch ungefähr begriffen. Jedenfalls schien er den Philosophen jetzt Lügen strafen zu wollen. Denn er entfernte sich von seinem Napf, stellte sich vor seinem Herrn auf und schaute zu ihm empor, gerade als ob er sagen wollte:

»Ich bin fertig, jetzt können wir wieder an die Arbeit gehen!«

»Recht hast,« sagte der Salzküfel; »gehn wir wieder an die Arbeit!«

Die Glocke von St. Laurenz holte aus und schlug brummend die Stunde. Über die Bäume des Hausgartens und der angrenzenden Gärten hinweg, die zwischen Feuermauern und Hinterhäusern eingeschlossen lagen, spähte Kebach nach der Turmuhr.

»Richtig! Nur mehr zwei Stunden bis Feierabend! – Jetzt ist es aber Zeit,« sagte er zu Schweibenroider, »daß wir nach dem Schweifrahmen sehen.«

»Ist mir eh' recht,« meinte der Mechaniker. »Kommen Sie mit, Salzküfel, da werden Sie Augen machen!«

Der Guguck war nicht einverstanden damit.

»Nein, bittschön, der Großvater soll da bleiben! Eh' daß die Geschichte nicht ganz glatt geht, eh' zeigen wir ihm nichts. Sonst lacht er uns alle zwei aus!«

Aber Schweibenroider fühlte sich siegessicher. Er verbürgte sich dafür, den neuen Zettelrahmen in Gang zu bringen, und bestand darauf, der Großvater müsse ihn in seiner Gegenwart sehen und sein Zeuge sein, damit nicht nachher »irgendwer« sagen könne, etwas, das er gemacht habe, tauge nichts. Der Salzküfel wollte den Mechaniker nicht gerade kränken und wagte deshalb nicht, es abzuschlagen. Er ging also mit, wiewohl ungern; denn all diese Neuerungen ließen ihn vollkommen gleichgiltig, er fand sie überflüssig, meistens sogar nachteilig. Eine so gediegene Webe wie zu »seiner Zeit« brachte man heute doch nicht mehr zustande, trotz aller mechanischen Verbesserungen, die nach seiner Meinung nur dazu da waren, die Faulheit zu unterstützen.

Als sich die drei Männer durch den Hof entfernten, um über die Stiege in den Stock hinaufzusteigen, wo sich neben des Meisters Wohnung das Magazin und anschließend daran die Arbeitssäle befanden, eilte Wettl ihrem Vater nach und bat ihn, einen Augenblick zurückzukommen. Der Melcher habe noch etwas zu sagen, flüsterte sie ihm zu, sie wisse nicht was, aber sie merke, daß der arme Bursch sich im »Blauen Guguck« nicht wieder zu Hause fühlen könne, bevor er es nicht vorgebracht.

Der große Kürassier, auf den die Nähe seines ehemaligen Meisters ungefähr wie die Anwesenheit eines Generals zu wirken schien, hatte die ganze Zeit, so lange Kebach da war, unbeweglich wie ein Stock gestanden, gleichsam immer eines Befehls oder einer Anrede gewärtig, mit geschlossenen Fersen und die Hände an der Hosennaht. Jetzt warf er Wettl einen dankbaren Blick zu und ging dem Meister ein paar Schritte entgegen. Er pflanzte sich in militärischer Haltung vor ihm auf, daß die Sporen klirrten, und sagte stramm, so als ob er eine Meldung erstattete:

»Ich bitt' den Herrn Meister halt vielmals um Verzeihung, daß ich mich früher schlecht aufgeführt hab'! Ich bin ein rechter Hallodri gewesen und hab' dem Herrn Meister viel Ärger gemacht. Und ich seh' jetzt alles ein, was mir der Herr Meister damals gesagt hat. Und wenn ich wieder zurückkomm' so wird es anders werden!«

»Das nenn' ich einen braven Willkomm!« rief der Guguck, sich kindisch freuend. »Willkommen also auch unter meinem Dach! Jetzt gehört er wieder zum Guguckshaus, wo er geboren und aufgewachsen ist! Jetzt soll er sich auch daheim hier fühlen, was, Frau Kaplanek? Daß Sie mir schauen auf Ihren Buben! Daß es ihm gut geht die paar Tage, die er Urlaub hat! Und du, Wettl, nimm dich ein bissel um den Welcher an – zu tun wird ja heut' nicht mehr viel sein, morgen ist eh' Sonntag. Und der Kaplanek hilfst halt ein bissel in der Wirtschaft aus mit deinen Vorräten, daß sie aufkochen kann. Soldaten sind hungrig – na ja, das wissen wir schon! Aber jetzt muß ich den zwei Herren nachlaufen – wir sehen uns ja noch öfter.«

Er ließ Melchers Hand los, die er mit seinen beiden Händen gefaßt und beinahe zerdrückt hatte, und eilte fort.

Der Kürassier atmete tief auf und erinnerte sich endlich, daß es auch ein Kommando »Rührt euch!« gibt.

»Jetzt ist mir erst leicht,« sagte er strahlend, »ich danke halt recht schön, Wettl!«

»Nichts zu danken,« sagte sie freundlich. »Du, weißt du, ich hab' beinah' den Stein auf dem Pflaster pumpern hören, der dir vom Herzen gefallen ist.«

Tollrian und Frau Kaplanek standen noch beieinander. Die beiden jungen Leute traten wieder zu ihnen.

»Nein, war das heut' eine Überraschung,« sagte Wettl, »wie auf einmal der Melcher anrückt! Ich hab' ihn aber doch gleich gekannt! Sie auch, Frau Kaplanek, nicht wahr? No ja, die Mutter! ... Und immer noch in voller Rüstung steht er da, als ob er grad in die Schlacht reiten wollt'!«

»Er hat halt warten wollen, bis ihn der Herr Meister sieht, wie er ausschaut, und ob er ihm erlaubt, die paar Tage im Haus zu bleiben,« sagte das glückstrahlende Weiblein und ließ ihr Mutterauge, das beständig überfloß, auf dem wehrhaften Sohne ruhen.

»Und was er für einen mordsmäßigen Säbel hat!« wunderte sich Wettl.

»Das ist kein Säbel, das ist ein Pallasch,« berichtigte Melcher mit Wichtigkeit.

»Woran kennt man denn nachher, was ein Säbel und was ein Pallasch ist?«

»Den Säbel kennt man daran, daß er ein bissel gebogen ist; nicht so stark wie ein türkischer, aber halt doch. Deswegen könnt' ich zu einem Säbel keine rechte Freud' haben. Da schaut einer ja beinah' wie ein Grundwachter aus oder gar wie der Kara Mustapha, der am Hernalser Kirtag auf dem Esel reitet. Dagegen mein Pallasch – also das sieht die Fräule ja selbst, wie der gerade ist: wie das Schwert vom Erzengel Michael auf dem Seitenaltar von St. Ulrich, Und ist auch nicht so g'ring wie ein Säbel, sondern hat schon eine gehörige Wucht. Und ich sag' halt immer: entweder – oder. Entweder ich spiel' mich, nachher tut's auch ein Degen, wie ihn der Herr Burgermeister zu Frohnleichnam tragt, wenn er hinter dem Himmel geht. Oder ich hau' drein, nachher will ich aber auch was in der Hand haben.«

Er zog die Klinge ein wenig aus der Scheide, daß die Kaplanek kreischend seitwärts auswich.

»Mariandjosef, Melcher, wirst ihn gleich stecken lassen!«

Lachend stieß er das Schwert wieder zurück.

»Hat die Frau Mutter noch immer ihre Weiberangst?« sagte er im Bewußtsein seiner bewaffneten männlichen Stärke.

»Hättest lieber mehr auf mich gefolgt!« rief sie in Erinnerung früherer Sorgen. »Was hab' ich immer gepredigt: Melcher, mach keine Streich', halt deine Zung' im Zaum, der Meister leidet's nicht! Das waren dann immer Weiberängsten! Und mit der schwarzen Katz' – grad wie du ausgelost worden bist, am Tag vorher, ist sie wieder über den Hof geloffen. Da muß also doch etwas daran sein!«

Seit vielen Jahren bot die schwarze Katze, die gelegentlich durch den Hof oder über das Dach des blauen Guguckshauses schlich, den »Weiberängsten« der Frau Kaplanek reichliche Nahrung. Bevor die schreckliche Feuersbrunst in der Wendelstadt war, bevor ihr Mann starb, bevor der Schackerl davonlief, bevor sie den großen Verdruß mit der Greislerin hatte, bevor der Melcher zu den Soldaten genommen wurde, und in hundert andern Fällen – immer hatte vorher die schwarze Katze sich auf dem Dache gezeigt, oder in der Nacht wie ein gepeinigtes Kind geschrien, oder war über den Hof gegeistert oder hatte gar auf einmal wie eine Spukgestalt vor ihrem Fenster gesessen und geschnurrt oder mit der Pfote gedroht wie mit einer erhobenen Faust. Vermutlich war es jeweils nicht nur eine einzige und jedenfalls die ganze Zeit her nicht immer dieselbe schwarze Katze gewesen; aber für Frau Kaplanek blieb es nun einmal die schwarze Katze schlechthin. Sie glaubte an eine Art Hexenkraft des Tieres und hielt sein Erscheinen für eine böse Vorbedeutung. Und auch alle andern Bewohner des Guguckshauses, wenn sie auch ihren Köhlerglauben nicht teilten, vereinigten sich mit ihr wenigstens in einer gewissen ablehnenden Haltung gegen die schwarze Katze und gegen jede Katze überhaupt. Auf dem ganzen Grunde waren nirgends die Katzen so wenig gut gelitten wie im »Blauen Guguck«. Nicht nur, daß keine gehalten wurde; es begann auch sofort ein eifriges Scheuchen und allgemeines In-die-Händeklatschen und Gsch-gsch-gsch-Machen, sobald von den Nachbars-Gärten oder -Dächern, sich eine herüber verirrte. Das geschah freilich nicht eigentlich aus eigener innerer Abneigung gegen dieses Tier und am allerwenigsten der Frau Kaplanek zulieb; sondern aus Liebe und Fürsorge für den von allen verehrten alten Salzküfel, der Katzen nun einmal nicht vertragen konnte und auch seine guten Gründe zu haben behauptete, warum er sie verachtete.

»Das mit der schwarzen Katze, liebe Mutter,« eiferte Melcher, »ist halt doch ein Aberglaube und eine Weiberangst, nichts weiter. Frag nur einmal den Herrn Göd, der weiß es, denn er hat es studiert, und der wird es dir ganz genau auseinandersetzen: wenn die schwarze Katze durch den Hof laufen tut, so ist es deswegen, weil sie nicht weiß ist, und weil sie nicht über das Dach gehen mag. Und wenn ich in den Sack greif' und das Soldatenlos zieh', so ist es deswegen, weil der Sack kein Lotteriebeutel ist, sonst wär' ich eh' so gescheit gewesen und hätt' das große Los gezogen.«

»Er ist halt noch immer der Alte!« sagte die Mutter beseligt.

Der Göd, den Melcher zum Zeugen aufgerufen hatte, war Herr Tollrian. Er hatte den Melcher über die Taufe gehalten, Melchers Vater zulieb, der Geselle bei ihm gewesen war, als er noch seine Bandfabrik besaß; sonst aber gegen seine Überzeugung, weil er den Weisheitsborn, der ihm aus dem Wasserschloß der französischen Enzyklopädie und des verwandten Schrifttums quoll, für klarer hielt und höher schätzte als Jordanswasser. Außer dem goldenen Maria-Theresia-Dukaten, den er ihm als Notpfennig in die Wiege gelegt hatte, verdankte Melcher ihm auch seinen Namen. Denn Frau Kaplanek hätte ihren Sohn, wär' es auf sie allein angekommen, Kaspar oder Balthasar getauft. Über ihrer Tür standen stets mit Kreide angeschrieben die Buchstaben: C M B. Denn sie verehrte die Heiligen drei Könige als Abwender mancherlei Unheils. Und daß ihr Junge Kaspar, Melchior oder Balthasar heißen mußte, stand fest, sie hatte bei seiner Geburt ein Gelübde darauf abgelegt. Dagegen vermochte auch Tollrian nichts, dem keiner der drei Könige recht zu Gesichte stand. Aber da es nun einmal durchaus einer von ihnen sein mußte, so entschied er für Melchior, das klang wenigstens wie ein lateinischer Komparativ, und man konnte sich allenfalls einen gesteigerten Melcher darunter denken. Melcher selbst hatte als kleiner Junge unbewußt seinen Namen auf die erste Vergleichungsstufe vermindert, und so war ihm das »Melcher« geblieben. Nur der Göd verharrte bei der gesteigerten Namensform: Melchior.

Mit der Nachsicht, die Fanatiker des Unglaubens gegen den Aberglauben gerne üben, sagte er jetzt:

»Zum Glück gibt es auch weiße Katzen. Sogar mehr, wenn mir recht ist, als schwarze. Und wenn die Frau Kaplanek glaubt, daß die schwarzen Unheil bringen, so müssen also die weißen Glück bedeuten.«

»Es gibt deren in allen Farben,« sagte Wettl, »und wir haben genug zu tun mit Scheuchen, damit der arme Großvater keinen Ärger hat.«

»Glück bedeuten die Katzen nie!« sagte Frau Kaplanek mit Überzeugung. »Die weißen und gelben so wenig wie die grauen und gescheckten. Die schlimmsten aber sind die schwarzen.«

Sie wollte anfangen aus ihrer Erfahrung den Beweis für ihre Worte zu erbringen. Aber Herr Tollrian kannte die Geschichten zu gut, als daß es ihn danach verlangt hätte, sie noch einmal zu hören. Er entschuldigte sich, seine Arbeit warte auf ihn, die er nur wegen Melchers unerwarteter Ankunft unterbrochen habe, und schickte sich an zu gehen, kehrte aber nach ein paar Schritten wieder zurück.

»Ja, dem Melchior,« meinte er, »muß ich als sein Göd noch etwas sagen. Wegen dem Säbel da, der eigentlich ein Pallasch ist. Denn weißt du, Melchior, dreinhauen mit dem Säbel, das ist nun freilich einmal dem Soldaten seine Sach'. Aber wenn es nun wirklich zum Dreinhauen kommt, dann denk daran und vergiß nicht, daß du dem alten Tollrian sein Täufling bist. Und deswegen hau nicht drein wie jeder nächstbeste, aus purer Roheit, wie ein Landsknecht! Sondern immer mußt du daran denken, immer denken, daß der Soldat selbst ein Schwert oder ein Pallasch ist, in der Hand der Allgemeinheit, für die er kämpft. Und darum darf er nicht aus Roheit dreinhauen, sondern bei jedem Hieb, den er macht, soll er daran denken, daß er es für einen Zweck, für einen höheren Zweck tut.«

»Na ja,« meinte Melcher, den hier im Guguckshaus wieder die alte Schalkhaftigkeit zu kitzeln anfing; »Wenn der Herr Göd glaubt, so werd' ich halt immer zu jedem Franzosen, eh' daß ich ihn niedersäbeln tu', sagen: Sie Musje, warten Sie ein bissel, ich muß mir erst was denken!«

»Melcher!« ermahnte die Mutter streng.

Aber Herr Tollrian nahm es nicht krumm. Er war daran gewöhnt, unverstanden zu bleiben. Und er hatte sich damit abgefunden. Er wußte es ja: wer sich auf die Suche nach der Wahrheit macht, der hat einen dornigen Pfad betreten.

»Der Gedanke, lieber Melchior,« sagte er, »der ist noch viel schneller als dein Pferd und dein Schwert!«

Er grüßte und ging. Sein Haar war länger, als die jetzige Mode es gestattete, und als er sich umdrehte, konnte man bemerken, daß ein Teil davon hinten sogar zusammengebunden war, wie ein letzter schüchterner Versuch, das absterbende Zöpfchen noch am Leben zu erhalten. Vielleicht hätte er seinen Kopf noch gepudert, wenn er nicht ohnedies schon grau gewesen wäre. Und doch war er nichts weniger als ein »Erzpatriot« und ein Anhänger der alten Staatsform. Vor zehn und fünfzehn Jahren, in der Zeit der ärgsten Jakobiner-Riecherei, hatte er sogar für verdächtig gegolten und war von Spitzeln umlauert gewesen. Ihm bedeuteten auch Zopf und Puder nicht das Veraltete und überlebte, und der Frack, den er trug, war für ihn nicht derselbe Frack, in dem jetzt jeder wohlgesetzte Bürger einherging; er war ihm das Kleidungsstück, in dem bei der ersten Notablenversammlung der dritte Stand erschienen war, um seine widersetzliche Gesinnung zum Ausdruck zu bringen. So versuchte er in seiner äußeren Erscheinung die Zeit der schönen Hoffnungen festzuhalten, denen keine Erfüllung beschieden gewesen war; denn die Revolution hatte auch ihn enttäuscht. Aber es gelang ihm nur unzulänglich, wie ein vor-revolutionärer Freisinniger auszusehen. Denn die Tracht der damaligen Stürmer war inzwischen zur Kleidung der Wohlgesinnten geworden. Diese Wahrnehmung schmerzte ihn, weil sie die alte Erfahrung bestätigte, daß so oft nur das äußere Umundauf, mit dem neue Ideen ins Leben treten, sich durchsetzt, während ihr Kern verloren geht. Das also war das Ergebnis der großen Umwälzung: der Frack mit Stulpstiefeln oder langen Hosen! Die Külotte und die Strümpfe waren unterlegen, aber die Tyrannei war siegreich geblieben auf allen Linien!

Und so sah er, wohin er blickte, nichts als Enttäuschungen und Enttäuschungen. Sein ganzes Leben war eine einzige, ununterbrochene, lange Enttäuschung.

Langsam und auf seinen Stock gestützt, schon ein alter, gebrochener Mann, obgleich er wohl an die zwanzig Jahre jünger sein mochte als sein Freund, der Salzküfel, entfernte er sich durch den Hof, um in sein Haus hinüberzugehen. Dort warteten auf ihn seine Bücher. In ihrer Mitte allein gelang es ihm noch, zu vergessen und zu hoffen.


 << zurück weiter >>