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Im Riesendome von St. Stephan stand Wettl mit ihrem Vater im Gedränge der Menschen, die Orgel brauste und bläuliche Weihrauchwollen füllten die Luft.
»Jetzt – jetzt kommen sie!« hörte sie die Leute flüstern. Sie konnte nichts sehen, aber sie hörte den schweren, gemessenen Schritt der Bataillone, die in die Kirche einmarschierten. Noch einmal, wußte sie jetzt, war sie dem Lebold nahe, vielleicht zum letzten Male. Sie neigte ihr Haupt und betete:
»Herr! Gott im Himmel! Beschütze ihn!«
Es fiel ihr ein, was sie zu Lebold gesagt hatte, daß Gott nicht wie ein Latzenzieher sei, dem wir zumuten dürfen, die Fäden des Schicksals nach unseren eigenen Absichten zu leiten. Schwer rang sie mit sich.
»Herr! Gott! Dein Wille geschehe, und deine Kraft sei mit mir, auch in der Not!«
»Dort! Dort!« hieß es plötzlich; »dort sieht man die Kaiserin!«
Sie stellte sich, auf die Fußspitzen, am Hochaltar sah sie eine junge, blendend schöne Frau, in Anmut strahlend wie eine Heilige. Zu ihren Seiten zwei Generäle, der eine blutjung und hübsch wie die Kaiserin selbst, der andere älter, mit Augen, großen Augen. Er trug einen weißen Militärfrack und das Goldene Vließ auf der Brust.
»Das ist der Karl!« hörte sie flüstern.
»Der Erzherzog Karl? Der Generalissimus?« fragte sie erschrocken.
Der Guguck nickte. »Und der andere, der junge, das ist der Maxl, der Bruder der Kaiserin.«
Sie sah, wie der Erzherzog Generalissimus der jungen Kaiserin eine Fahne hinreichte, und dann wieder eine und noch eine, und wie sie eigenhändig Nägel in die Fahnenstangen schlug und Bänder daran befestigte, und wie sie sich immer dazwischen die Augen trocknete und weinte.
Die Orgel setzte wieder ein, das Hochamt nahm seinen Fortgang. Der Erzbischof im goldenen Ornat weihte die Fahnen. Jetzt drängte alles Volk dem Ausgang zu, und auch Wettl und der Guguck wurden mit ins Freie geschoben. Ein rauher Märzsturm heulte um die Fialen und Kreuzblumen des Domes, der noch die Babenberger gesehen hatte, und um die steinernen Zierraten des riesigen Turmes, der hier, im Herzen der Stadt, ein äußerstes, gegen die Donau vorgeschobenes Wahrzeichen des deutschen Volkes, seit Hunderten von Jahren den Adler und das Kreuz gegen den fern verdämmernden Osten emporhielt.
Die Landwehrbataillone hatten im Freien, gegenüber dem Riesentor Aufstellung genommen, der Erzbischof trat in feierlichem Zuge, das Allerheiligste in der Hand tragend, aus der Kirche, sie zu segnen. Alle Mannschaften und alles Volk kniete, die Glocken setzten dröhnend ein und erfüllten mit ihren mächtigen Stimmen den weiträumigen Platz. Und dann plötzlich knappe, gellende Kommandoworte: mit einem einzigen Ruck standen die Bataillone aufrecht wie eine Mauer, über die Köpfe der noch knieenden Leute hinweg erblickte Wettl für einen Augenblick den Lebold, wie er mit präsentiertem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett in der Reihe stand. Tränen traten ihr in die Augen, sie war glücklich, ihn noch gesehen zu haben.
»Sehen Sie, Wettl, dort – dort ist er!« flüsterte eine Stimme ihr zu.
Der Webstuhlmechaniker Schweibenroider war es, der neben ihr stand.
»Wer? Wen meinen Sie?« fragte sie betreten.
»Dort, im ersten Glied, der vierte von links, das ist der Landwehrmann, den ich ausgerüstet hab'!« erklärte er voll Eifer.
Die Menge hatte sich wieder erhoben. Brausende Zurufe erschollen: »Hoch Franz! Hoch Karl!« Erhobene Arme, wehende Tücher, winkende Hüte, jubelnde Begeisterung ... Wettl sah und hörte und wußte nichts mehr, sie war ganz von dem einen Gedanken erfüllt: Sie hatte ihn gesehen, sie hatte ihn noch einmal gesehen!