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Zwei Tage darauf ist Pfingstsonntag, und wie die Wettl in aller Früh' ins Schöff zur Kirche geht, da sieht sie ganze Regimenter französischer Soldaten die Mariahilferstraße hereinmarschieren, in der Richtung gegen die Stadt. Als sie in die Kirche hineinging, war es Fußvolk, als sie nach der Messe wieder herauskam, rasselten die Geschütze daher, eins hinter dem andern, ein unabsehbarer Zug. Und dann jagten wieder ein paar Chasseure auf abgehetzten Pferden vorüber, wie um eine eilige Botschaft zu bestellen, und in offenen Kaleschen, die in scharfem Trab den langen Marschkolonnen vorfuhren, saßen hohe französische Offiziere, die schmuck und heiter aussahen, als führen sie zu einer Parade.
Wettl war froh, unter der festtägig geschmückten Menge, die gaffend die Mariahilferstraße entlang wogte, einen Bekannten zu treffen, den Webstuhlmechaniker Schweibenroider aus der »Roten Latern'« in der Kandelgasse. Den konnte sie nun doch fragen, was eigentlich los wäre? Er trug ein großes Fernrohr unter dem Arm und kam von der Rotenturm-Bastei, wo er über die Dächer des Werks hinweg die Bewegungen der am Fuße des Bisamberges aufgestellten österreichischen Regimenter beobachtet hatte. Gemächlich erzählte er von marschierenden Truppenkörpern, die hinter berghohen Staubwolken mit blitzenden Waffen und Geschützrohren sichtbar geworden wären. Und dabei labte er die glutrot leuchtende Latern', von der der Melcher einst gesagt hatte, daß nach ihr das Haus in der Kandelgasse benannt sei, mit einer ausgiebigen Prise.
Wie es bei der schwarzen Lacke aussehe? wollte Wettl wissen.
Er wußte es nicht anzugeben. Aber an der schwarzen Lacke habe es keine Gefahr, sagte er stolz. Dort stehe die Wiener Landwehr, vor der würden selbst die Gardegrenadiere umkehren müssen. Niemand konnte es besser wissen als er, hatte er doch selbst einen ganzen Landwehrmann ausgerüstet, aus eigenen Mitteln.
Und was denn diese vielen französischen Soldaten und Kanonen zu bedeuten hätten? fragte Wettl beklommen.
Durch die Jägerzeile zögen sie die große Donau hinunter, berichtete er. Vom Stephansturm aus habe man beobachtet, daß der Napoleon an der Insel Lobau Brücken schlage und von da seine Streitkräfte aufs Marchfeld werfe.
Wettls Herz pochte bis zum Halse hinauf.
»Wie der Napoleon nur das Herz haben kann, gerade an einem Pfingstsonntag loszuschlagen!«
»Dem ist jeder Tag gleich. Für ihn ist die Religion nichts weiter als ein Ring, den er den Menschen durch die Nase zieht. Aber der heilige Geist wird mit den Unsrigen sein, und sie werden es ihm zeigen, daß wir einen Kaiser haben, und keinen Empereur!«
Seine rote Nase glühte vor Begeisterung. Er ging neben Wettl her und begleitete sie die Zieglergasse hinauf, bis zum Guguckshaus.
Am Nachmittag, gegen zwei oder drei Uhr etwa, eben als die Wettl in die Laurenzkirche zum Segen gehen wollte, da sagte der Guguck: »Merkwürdig! Ein Gewitter, schon im Mai!«
Aber das ferne Rollen des Donners hörte gar nicht mehr auf und dauerte bis tief in die Nacht hinein. Wettl lag wach in ihrem Bett, sie konnte kein Auge zutun vor Angst und Herzensnot. Nun wußte sie es, wie es ist, wenn man eine schreckliche Nadel im Leibe hat und in marternder Ungewißheit schwebt: Wird dieser Kelch an dir vorübergehen? Und wirst du jemals wieder froh und glücklich werden können auf dieser Erde? Oder ist es dir beschieden, den herben Trank des Leidens auszukosten und dein verarmtes Leben in Entsagen und Erinnern hinzuschleppen? Ach – sie hatte sich's doch viel, viel leichter gedacht, als es in Wirklichkeit sein mochte: sein Kreuz auf sich zu nehmen und gottergeben zu tragen!
Spät schlief sie endlich ein, aber schon am frühesten Morgen weckte sie wieder das unsäglich marternde Geräusch des rollenden Donners aus der weiten Ferne, von jenseits der Donau. Es mußte ein unerhört fürchterliches Gewitter sein, das dort drüben niederging! ...