Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

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Der Werksgeselle Vincenz stand im Hof des Guguckshauses und handhabte einen großen Reisigbesen. Die grimmige Kälte der ersten Jännerwochen hatte die riesigen Schneehaufen, die das verflossene Jahr zurückgelassen, zu einer festen Eismasse zusammengebacken, und ein paarmal war neuer Schnee darauf gefallen und hatte sie noch vergrößert, und der neue Schnee war wieder festgefroren, so daß man schließlich meinen konnte, wenigstens bis in die Hundstage hinein würde noch ein Restchen dieser zuckerharten Gletscher im Hofe liegen bleiben. Aber dann war plötzlich Tauwetter eingetreten, und alles begann zu rinnen. Auf dem Blech der Dachtraufen hämmerten Tag und Nacht die fallenden Tropfen, und die Gletscher sanken zusammen wie ein Eierschaumauflauf, der zu lang am Feuer steht, und liefen förmlich davon. Im Garten standen neben den noch vorhandenen Schneeflecken stille, dunkle Weiher, in denen sich die kahlen Bäume und Büsche und die Mauern und Dächer spiegelten, und im Hof rieselten von allen Seiten braune Bäche, fast sah es aus wie im Werd und in Liechtental, wenn der Eisstoß losbricht und die Donau die tiefer gelegenen Vorstädte überschwemmt. Diesen Fluten Herr zu werden, war die Kaplanek allein nicht imstande, dazu bedurfte es schon einer männlichen Kraft. Und der Vincenz war froh, seine Arme gebrauchen und seinen Tatendrang befriedigen zu können. Er stellte sich vor, daß er der Herrgott sei, oder wenigstens der Erzherzog Generalissimus, und die braunen Schlammwogen, die er mit wuchtigen Besenstreichen ins Kanalgitter fegte, das waren die Franzosen, von denen er das Land säuberte.

Aus dem Gelaß des alten Salzküfels trat Wettl heraus. Sie hob ihr Kleid hoch und sah sich nach Inseln um. Der Vincenz eilte herbei, um ihr einen Pfad zu kehren.

»Wie geht es denn dem Großvater?« fragte er, während sie wartete.

»Immer gleich,« sagte sie traurig. »Nicht schlechter, aber auch nicht besser.«

Im Stockwerk wurde ein Fenster aufgemacht. Der struppige Kopf des Gesellen Schnaus zeigte sich.

»Vincenz, der Meister fragt, warum Sie nicht bei der Arbeit bleiben?«

»Ich kann doch das Guguckshaus nicht ersaufen lassen!« gab er maulend zurück, und zu Wettl sagte er: »Hat er mich gewiß wieder beim Meister verzunden, als ob ich spazieren gehen tät'!«

Beide blickten sie auf: es klirrte etwas auf dem Pflaster des Hofes. Erstaunt sahen sie zwei stattliche, goldbetreßte Umformen sich nähern. Der Nachbar Reckenschuß war es, von der »Munteren Tyrolerin« in der Zieglergasse, und der Zeugmacher Lorenz Bargetti von der »Hollerstauden« in der Wendelstadt, alle zwei in voller Gala als Hauptleute der Bürgermiliz. Sie traten vorsichtig auf, um ihre Pracht nicht zu beschmutzen, und dem Reckenschuß kam nach jedem zweiten Schritt der Degen zwischen die Beine, so daß er beständig Gefahr lief hinzuschlagen. Übellaunig fragte er Wettl, ob der Guguck zu sprechen wäre? Sie bejahte und führte die Herren hinauf. Der Vincenz sah ihnen nach, Mund und Augen standen ihm offen. Ein neuer Hoffnungsstrahl fiel in sein verdüstertes Herz. Er hatte es noch nicht verwunden, daß er bei der Landwehr nicht angekommen war, und grämte sich im stillen darüber. Wie wär' es, meinte er jetzt, wenn er es mit der Bürgerwehr versuchte? Bei der Bürgerwehr würden sie doch einen altgedienten Krieger nicht zurückweisen, der noch überdies kurrent und latein schreiben konnte!

Entschlossen lehnte er seinen Besen in die Ecke – jetzt mochte der Schnaus dafür sorgen, daß das Guguckshaus nicht ersaufe, ihn rief das Vaterland! Daß gleich zwei Bürgerhauptleute auf einmal ins Haus gekommen waren – was konnte es anderes sein als ein Wink des Schicksals! Vincenz begab sich in seine Kammer, legte sein Sonntagsgewand an, rasierte sich und unterzog seine äußere Erscheinung einer gründlichen Prüfung. Freilich konnte er sich in dem halbblinden, nicht viel über handgroßen Spiegel, den er besaß, nur stückweise betrachten; aber im Geiste verschmolz er die einzelnen Teile seiner Gestalt, die der Spiegel ihm zeigte, zu einem einheitlichen Ganzen, von dem er ohne jede Voreingenommenheit behaupten zu dürfen glaubte, daß es noch immer stramm und stattlich genug aussehe und keiner Truppe zur Schande gereichen würde.

Inzwischen machten oben in der großen Wohnstube die beiden goldbetreßten Herren vergebliche Versuche, den Guguck noch in letzter Stunde zum Eintritt in die Bürgerwehr zu bereden. Der Reckenschuß war an diesem Morgen mit dem linken Fuß aufgestanden und hatte, während er seine schöne Uniform anlegte, über das scheußliche Trantschwetter geseufzt, das die ganze Stadt in ein Meer von Straßenkot tauchte. Um die Mittagsstunde sollte die Bürgerwehr der schottischen Freigründe sich auf dem Holzplatzl versammeln und dann unter seinem Kommando auf den Hof marschieren, um die Hauptwache zu übernehmen. Das war gewiß höchst ehrenvoll, aber er fand, daß es auch an einem Tag hätte geschehen können, wo die Straßen weniger schmutzig waren. Überhaupt sah es jetzt beinahe aus, als wolle man die Bürgerwehr auf einmal furchtbar ernst nehmen und wie richtiges Militär verwenden! Das paßte ihm nicht recht; so hatte er nicht gewettet! Er war mißmutig darüber, sich auf dieses leidige Soldatenwesen eingelassen zu haben. Warum tat er eigentlich mit? Warum sollte gerade er die Suppe auslöffeln, während andere leer ausgingen? Am meisten ärgerte ihn, daß sein Nachbar, der Guguck, es besser haben sollte als er, und um sein Herz zu erleichtern, hatte er beschlossen, den Guguck bei seinem Vaterlandsgefühl zu packen und womöglich zu überreden. Damit die Sache aber feierlicher und fast wie eine Abordnung aussehe, hatte er den Bürgerhauptmann Bargetti veranlaßt, mit ihm zu kommen.

»Sappermaudi, Tyrolerin und Hollerstauden!« rief der Guguck lachend, als die beiden Militärdilettanten bei ihm eintraten. »Geht ihr auf einen Maskenball, oder ist der Napoleon schon in Schönbrunn?«

Der Reckenschuß führte das Wort und brachte sein Anliegen vor; aber er verschoß sein Pulver unnütz. Der Guguck hatte seine bestimmten Ansichten über die Bürgerwehr. Sie gefalle ihm nicht, erklärte er unumwunden: erstens habe sie nach seinem Geschmack eine viel zu schöne Uniform – da müßt' er sich ja rein wie ein Kasperl vorkommen, wenn er so eine anzög'. Zweitens hätte die Bürgerwehr 1805 die Franzosen, wie sie in Wien waren, unterstützt und ihnen bei Aufrechterhaltung der Ordnung geholfen, als ob es gar nicht die Feinde wären. Und drittens hätte sie sogar den Napoleon selbst in Schönbrunn bewacht, damit ihm nur ja nichts geschehe! Und das fehlte ihm gerade noch, meinte er, daß er in der äußersten Not des Vaterlandes vielleicht einen Polizeimann zur Unterstützung der Parlezvous oder eine Leibgard' für den korsischen Katzelmacher abgeben müßt'!

»So, jetzt wißt ihr es, und jetzt könnt ihr wieder gehen und sagen, es war nichts.«

Da alle Gegenvorstellungen fruchtlos blieben, mußten die beiden Goldbetreßten schließlich unverrichteter Dinge wieder abziehen. Im Hof trat ihnen der sorgfältig geschniegelte Vincenz entgegen, stellte sich als Held von Austerlitz vor und bot ihnen seine Dienste an. Er hatte aber wiederum an der unrechten Tür angeklopft, denn zur Bürgerwehr wurden nur Bürger genommen. Indessen machte Bargetti, dem des Werksgesellen vaterländischer Eifer wohlgefiel, ihn auf das Hohenzollersche Kürassierregiment aufmerksam, das gestern zur St. Marcuslinie hereingeritten sei und seinen Werbetisch auf dem kaiserlichen Hofburgplatz aufgeschlagen habe. Wie das möglich sei? fragte Reckenschuß erstaunt. Es sei das ehemalige Dampierresche Dragonerregiment, erklärte Bargetti, durch das Ferdinand II. einst aus der bedrängten Lage befreit wurde, in die die protestantischen Stände bei einer Audienz in der Hofburg ihn versetzt hatten. Seither genieße das Regiment das Vorrecht, jederzeit in die kaiserliche Burg einreiten zu dürfen. Von diesem Vorrecht habe es gestern Gebrauch gemacht, der Oberste sei vom Kaiser empfangen, und das Offizierkorps vom Generalissimus bewirtet worden, und darauf habe der Kaiser dem Regiment gestattet, drei Tage lang im Burghof selbst eine öffentliche Werbung zu veranstalten.

Sobald Vincenz diese Botschaft vernommen hatte, war er nicht mehr zu halten. Er hätte sich jetzt entschlossen, erklärte er dem Meister, ein Hohenzollerscher Kürassier zu werden; bei den Reitern würde man ihm die vernarbte Wunde am Fuß doch sicher nicht als Untauglichkeitsgrund anrechnen können. Feurig und den Kopf voll von Zibeben verließ er das Guguckshaus und zog, der kaiserlichen Burg entgegen, die Mariahilferstraße hinunter, die wie in ein großes Kriegslager verwandelt schien. Überall waren Piquetpferde und Militärkarren zu sehen und ganze Züge von Leiterwagen, die Lebensmittel in die Lagerhäuser der Stadt schafften; überall wimmelte es von Soldaten und Offizieren, die noch ihre letzten Einkäufe besorgten, und von jungen Leuten, die auf ihren Mützen und Hüten künstliche Blumen und Silberflitter als Zeichen der Auslosung oder des Einrückens trugen. Bei der Kirche im Schöff begegnete er dem Lebold aus dem Schrollhaus in der Uniform eines Landwehrmannes, der ihm sagte, es heiße, der Krieg wäre schon längst erklärt worden, wenn die Rüstungen nicht ein wenig im Rückstand geblieben wären. Aber sicher sei es, daß die Kriegserklärung höchstens noch ein paar Wochen auf sich warten lassen könne. Fast trunken vor Begeisterung setzte Vincenz seinen Weg fort. Der Guguck hatte seinen Werksgesellen mit einem verborgenen Lächeln ziehen lassen. Er konnte nicht recht daran glauben, daß sie bei den Hohenzoller-Kürassieren wirklich auf den Vincenz warteten. Darum war er nicht sonderlich überrascht, als er ihn am Abend wieder zum Tore des Guguckshauses hereinschleichen sah, genau so geknickt wie damals, da man ihn bei der Landwehr zurückgewiesen hatte. Er dauerte ihn nachgerade; es war doch seltsam, daß der Ärmste keine Gelegenheit finden konnte, seinen vaterländischen Opfermut zu betätigen! Wo es denn diesmal gefehlt habe? fragte er. Der Vincenz war tief betrübt und wischte sich sogar ab und zu mit dem Handrücken über die Augen. Ein Kürassierreiter, habe man ihm gesagt, müsse einen »korpulenten Körper« haben. Als ob er gar so ein Krispinderl wäre!

»Mach dir nichts daraus,« tröstete ihn der Guguck. »Wenn sie dich nicht brauchen, um so besser: ein Zeichen, daß sie sich zutrauen, es auch ohne dich zu richten!«

»Aber sagen Sie mir einmal aufrichtig, Herr Meister,« fragte Vincenz bekümmert, »schau' ich denn wirklich gar so z'nicht aus?«

»Ah belei!« versicherte der Guguck; »wenn ich der Kaiser wär', tät ich dich auf der Stell' in die Leibgard' einreihen!«

Da leuchtete das Gesicht des Vincenz. Er ging in seine Kammer, zog seine Sonntagskluft aus und war in den folgenden Tagen mit einem Eifer bei der Arbeit wie schon lange nicht.


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