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Der erste Schnee war gefallen, aber die Sonne hatte ihn rasch von den Dächern geleckt. Eine Reihe von schönen, klaren Wintertagen trocknete das Erdreich, und das Gras im Gugucksgarten sehnte sich nach Feuchtigkeit und nach dem flaumigen, weißen Deckbett, mit dem es sich sonst gern zudeckte, wenn es kalt wurde und Weihnachten vor der Tür stand.
Der alte Salzküfel ging durch den Hof und stieg ins Stockwerk hinauf, um den neuen Schweifrahmen zu besuchen, auf dem eine Kette für ihn geschweift wurde. Als er sah, daß die Schweiferin bald damit fertig wurde, war er zufrieden und freute sich auf die neue Arbeit. Der neue Schweifrahmen war halt doch etwas wert, das mußte jeder zugeben, dem nicht gerade der – Zornpünkel einen ungebetenen Besuch abstattete. Er arbeitete mindestens ebenso akkurat wie die alten und jedenfalls rascher. Behaglich sah der Salzküfel eine Weile der Schweiferin zu, wie sie die Kurbel drehte. Da würd' er also morgen mit dem Aufbäumen beginnen können, meinte er. Für heute hätt' er ohnedies noch an der alten Kette zu weben. Sie mög' es der Andreherin sagen, daß sie sich für ihn bereit halte.
Es wurden nämlich die Fäden einer neu aufgebäumten Kette in der Regel an die noch vorhandenen Fäden der früheren Kette angedreht, um das mühsame Durchziehen jedes einzelnen Kettenfadens durch die Augen der Litzen und zwischen den Zähnen des Rietes zu ersparen. Eine eigene Andreherin besorgte dieses Geschäft, deren Daumen und Zeigefinger durch die stets gleiche anstrengende Hantierung abgemagert waren und wie die Knochenfinger eines Totengerippes aussahen.
Das Kästchen, das der Fadenführer oder die Katz' genannt wurde, und das soeben langsam am Pfosten des Schweifrahmens hinaufkletterte, lenkte, wie es fast jedesmal geschah, wenn der Salzküfel am neuen Schweifrahmen vorüberging, seine Aufmerksamkeit auf sich. Und wie fast jedesmal, machte er sich auch jetzt den Spaß, seinen alten Pudelpinscher damit zu necken.
»Diwrisl, wo ist das Katzerl?«
Aber Diwrisl kannte den Scherz zur Genüge und fand ihn nachgerade langweilig. Für dieses »Katzerl« interessierte er sich nicht. Er tat, als hätt' er nicht gehört, und sah beharrlich nach der andern Seite. Der Salzküfel jedoch, der manchmal schon etwas kindisch wurde, gab sich nicht damit zufrieden und wiederholte in immer aufreizenderem Tone seine Frage. Da tat Diwrisl ihm endlich den Gefallen und kläffte ein paarmal, machte aber ein Gesicht dabei, daß es fast beschämend für den Salzküfel war. Der kümmerte sich indessen nicht darum und lachte vor Vergnügen.
Die Kaplanek, die in der Nähe an ihrer Windmaschine auf und nieder ging und sie mit dem Fuß in Bewegung hielt, hatte eine unheilverkündende Miene aufgesetzt.
»Man soll den Teufel nicht an die Wand malen!« rief sie herüber.
Immer noch lachend und sehr zufrieden verließ der Großvater den Saal und ging mit seinem Hunde die Treppe hinunter. In dem Augenblick aber, als sie in den Hof traten, lief eine wirkliche Katze, eine große, schwarze, mitten durch den Hof gegen den Garten. Diwrisl mochte noch eine gewisse Verstimmung in sich fühlen, daß er immer mit einer falschen Katze gereizt wurde. Er war überhaupt leicht empfindlich und gekränkt und spürte schon lange, daß niemand im Hause es ihm recht zutrauen wollte, mit einer richtigen Katze fertig zu werden. Und gar so alt sei er ja doch noch nicht, meinte er. Besonders sein Herr, der Salzküfel, der hatte immer eine förmliche Angst, daß ihm eine Katze begegnen könnte. Als ob es ein Unglück gewesen wäre! Und als ob er rein gar nichts mehr taugen tät'!
Das kochte schon lange in ihm. Und jetzt übermannte ihn der Zorn und verjüngte ihn, wie es die Leidenschaft immer tut, und ehe sein Herr ihn zurückhalten konnte, flog er wie ein Pfeil durch die ganze Länge des Hofes und stürzte sich auf die Feindin. Die schwarze Katze machte einen Buckel und fauchte und zog sich, während sie mit der Pranke Ohrfeigen austeilte, langsam gegen das Gartengitter zurück. Was nützte es, daß Diwrisl seine zahnlosen Kiefer bleckte? Er fühlte seine ganze Ohnmacht, und das steigerte nur seinen Ingrimm, so daß er blind auf das wehrhafte Tier losfuhr. Dieses hatte bald erkannt, daß Diwrisls Zähne nicht bissen, und indem es wie ein kleiner Panther gegen den Feind ansprang, wischte es ihm ein paarmal mit den Krallen über Gesicht und Kopf.
Der alte Salzküfel schrie und setzte sich in Trab und kam gelaufen. Wettl, die zufällig einen Blick durchs Fenster getan hatte, flog die Treppe herunter und mit wehenden Kleidern durch den Hof: »Gsch, gsch! Gsch, gsch!« Roslini stürzte aus ihrer Tür und klatschte in die Hände: »Gsch, gsch! Gsch, gsch!« Oben im Webesaal hatte man des Großvaters Angstrufe gehört, ein Fenster flog auf und ein Wurfgeschoß durch die Luft. Es war ein Schlappschuh des Vincenz, der mit bewundernswerter Treffsicherheit der schwarzen Katze auf den gekrümmten Buckel sauste. Und nun fegte auch mit angstverzerrtem Gesicht die Kaplanek heran, die berufene Hüterin des Hauses und des Hofes: »Gsch, gsch! Gsch, gsch!« Und in atemlosem Laufen schwang sie einen großen Reisigbesen in den Händen.
Der Vincenz hatte die Schlacht entschieden und die Feindin durch seine artilleristische Leistung zum Rückzug gezwungen. Sie glitt wie ein Aal zwischen den Stäben des Gartengitters hindurch und ergriff die Flucht. Aber schon war das Unheil geschehen. Mit wehleidigem Winseln schleppte Diwrisl sich zu den Füßen seines Herrn, ein Ohr hing ihm blutend herunter, und die roten Tropfen fielen auf den Boden. Der Salzküfel, bleich und zu Tode erschrocken, stammelte abgebrochene Laute, nahm seine braune Schirmkappe vom Kopf und griff sich an die Stirn, und auf einmal wurde ihm schwach und er wankte. Gerade noch rechtzeitig sprang Wettl hinzu, ihn zu stützen, sonst wär' er vermutlich der Länge nach auf das Pflaster hingeschlagen.
»Was haben Sie, Großvater?« rief Wettl ängstlich. »Was ist Ihnen denn?«
Aber er gab keine Antwort und blickte wie verloren um sich. Der ausgestandene Schreck oder das Laufen durch den Hof oder beides zusammen mochte ihm einen kleinen Nervenprall gegeben haben. Wettl und Frau Kaplanek faßten ihn unter den Armen und trugen ihn mehr in seine Stube, als daß sie ihn führten, denn seine Beine waren wie gelähmt und schlotterten. Sie wollten ihn ins Bett legen, aber er wehrte sich dagegen und wurde ganz zornig und deutete mit dem Kopf auf seinen Sitz am Webstuhl, daß er dahin geführt zu werden verlange. Kaum hatten sie ihn niedergelassen, so drehte er sich herum und ergriff die Weberlade, als ob er sogleich wieder zu weben anfangen wollte. Aber er hielt nur immer die Hände an der Weberlade und bewegte sie nicht und saß müde und teilnahmslos vor seinem Webstuhl.
Wettl eilte voller Bestürzung ins Magazin hinauf und berichtete dem Vater, was geschehen war. Der Guguck erschrak heftig und kam besorgt mit ihr herunter.
»Also, Herr Schwieger, was treiben Sie denn?« fragte er teilnehmend. »Tut Ihnen etwas weh?«
»Gar nichts, gar nichts!« lallte der Salzküfel und versuchte zu lächeln. Er blickte auf den Boden, nach der Stelle, wo sonst Diwrisl zu liegen pflegte, und sah dann alle der Reihe nach befremdet und erschrocken an, und es war, als ob er nach seinem Hund fragen wollte.
»Dem Diwrisl fehlt gar nicht viel,« sagte Wettl, »nur einen kleinen Kratzer übers Ohr hat er abgekriegt. Die Roslini pflegt ihn schon, und ich werd' ihn gleich bringen.«
Sie eilte hinaus, und die Kaplanek folgte ihr. Die Roslini hatte in ihrer Stube ein Waschbecken bereit gestellt und wusch das verwundete Ohr des leise wimmernden Tieres. Alle drei halfen sie jetzt zusammen, die eine hielt den Diwrisl, die andere seinen Kopf, die dritte netzte die Wunde und kühlte sie. Dabei jammerte die Kaplanek, als hinge ihr selbst ein Ohr herunter, und kramte ihre ganzen Katzengeschichten aus. Sie hab' es ja immer gesagt, daß die schwarze Katz' ein Unhold sei und gar keine wirkliche Katz', und das müsse auch sein, sonst hätte sie nicht durch ein bloßes Anfauchen dem Salzküfel die Augen verbrennen können, daß er auf einmal nichts mehr gesehen hätt' und ganz damisch geworden wär'. Und sie glaube immer, der Basilisk, der in der Schönlaterngasse in einem Brunnen gesehen worden sei und einen Bäckerlehrling bloß mit seinem giftigen Blick umgebracht habe, das müsse in Wahrheit auch eine Katz' gewesen sein, denn da sei ein Basilisk noch ein unschuldiges Tier im Vergleich mit einer Katz'. Aber es gebe schon ein Mittel, nur wüßten es die meisten nicht, man brauche nur zu sagen »Kodel, der Wana ist gestorben,« dann fahre jede Katz' aus der Haut und zum Schornstein hinaus, wenn gerade einer in der Nähe sei. Oder, wo das nichts helfe, müsse man sagen: »Rie, Ra, Ranze, du sollst kommen zum Tanze,« dann renne das Untier wie besessen davon und renne so lange, bis es Mitternacht wäre, und dann tanze es im Mondschein mit anderen Katzen im Wald oder am Bach, wo es gerade sei, aber wirklich auf den zwei Hinterpfoten, nicht auf allen Vieren.
Wettl hatte indessen das Ohr Diwrisls verpflastert und verbunden, so gut es gehen wollte, und trug ihn jetzt behutsam, wie man ein Wickelkind trägt, in des Salzküfels Gelaß hinüber. Als sie ihn an seinen gewohnten Platz zu des Großvaters Füßen niederließ, leckte Diwrisl dankbar ihre Hand, und über des Salzküfels Lederreinettengesicht glitt ein freudiges Aufleuchten. Er griff abermals nach der Weberlade, es schien, daß er das Gefühl hatte, jetzt sei alles wieder in Ordnung, jetzt könne er weiterweben. Aber er bewegte die Weberlade nicht und hielt nur immer die Hände daran; dabei sah er jedoch ganz vergnügt aus. Er mochte die Vorstellung haben, daß er an der Arbeit sei, und das befriedigte ihn, und glücklicherweise schien er sich dessen gar nicht bewußt zu werden, daß er nichts förderte.
Aber auf einmal entdeckte er, daß Wettl, Kebach und die Kaplanek noch in seinem Zimmer waren und ihn mit sorgendem Blick umstanden. Da machte er ganz unwillige Augen und winkte ihnen heftig mit der Hand, daß sie sich jetzt entfernen und ihn nicht länger in seiner Arbeit stören sollten. Es blieb ihnen nichts übrig als zu gehorchen. Aber jede Viertelstunde lief Wettl hinunter, öffnete leise die Tür und blickte in seine Stube. Und immer sah sie ihn bewegungslos vor seinem Webstuhl sitzen, wie er die Weberlade anfaßte oder die Schütze in der Hand hielt, als ob er sie gerade durch den Sprung werfen wollte. Aber er warf keine Schütze und schlug keinen Faden fest, und seine Füße ruhten und traten nicht wie gewöhnlich auf den Weberschemeln herum.
Der Guguck hatte inzwischen um einen Arzt geschickt, das war ein gar feiner, mit einer himmelblauen Atlasweste und zwei Uhren, deren kurze goldene Ketten ihm mit einem ganzen Haufen wunderlicher Berlocken rechts und links über dem Bauche klimperten. Aber zu sagen wußte er nicht viel. Er sagte nur, man könne nicht viel sagen, das Alter sei es halt, und alles, was man sagen könne, sei, daß sich nichts Bestimmtes sagen lasse. Lang werde er es auf keinen Fall mehr machen, der alte Mann; ob er denn schon früher einmal einen Arzt gefragt hätte? Nein, meinte der Guguck, so viel er wisse, habe der Salzküfel noch nie einen Arzt gebraucht. Das hätte er sich gleich gedacht, sagte der Doktor, denn wenn er früher einen Arzt gefragt hätte, der hätt' es ihm schon längst gesagt, daß er eigentlich schon viel zu alt sei und bald einmal werde daran glauben müssen. Übrigens gehöre so ein alter Mensch, der schon mit anderthalb Füßen im Grab stehe, ins Bett und nicht an einen Webstuhl, und man möge ihn sogleich ins Bett legen, ob er wolle oder nicht. Ein so Alter habe überhaupt nichts mehr zu wollen, man müsse ihn behandeln wie ein Kind und keine Rücksicht darauf nehmen, ob es ihm recht sei, was man mit ihm mache, oder nicht.
Den Salzküfel ins Bett legen, das war aber auch leichter gesagt als getan. Er verschloß sich allem Zureden und wollte sich durchaus nicht zu Bett bringen lassen. Und daß es mit Gewalt geschehe, wie der Doktor gemeint hatte, das ließ Wettl nicht zu. Es sei gar nicht wahr, sagte sie, daß der Großvater schon wie ein Kind geworden sei, er wisse genau, was um ihn vorgehe, und was er wolle, und vielleicht besser, wieviel es geschlagen habe, als der Herr mit den zwei Uhren. Man ließ ihm also seinen Willen, und er blieb am Webstuhl sitzen. Zu Mittag brachte Wettl ihm das Essen, und er ließ sich gutwillig füttern; aber immer mußte sie ihn ermahnen: »So, Großvater, jetzt tun Sie wieder einmal beißen!« Und wenn er dann gekaut hatte, mußte sie wieder sagen: »So, Großvater, jetzt tun Sie wieder einmal schlucken!« Dann schluckte er gehorsam hinunter. Aber wenn sie ihn nicht immer daran erinnert hätte, so hätte er ganz darauf vergessen.
Als es Abend geworden war, ließ er sich von Wettl und Frau Kaplanek gutwillig vom Webstuhl fortführen und zu Bett bringen. Er war gänzlich hilflos, konnte sich nicht allein auf den Beinen halten und stotterte nur ab und zu einmal ein Wort, das schwer verständlich blieb. Aber als Wettl Anstalt machte, die Nacht bei ihm zu wachen, durchschaute er sogleich ihre Absichten und gab durch Zeichen zu erkennen, daß er nicht einverstanden damit sei. Und als sie nicht nachgeben wollte, wurde er gleich wieder heftig und murrte so lange, bis sie einsah, es wäre besser, ihm seinen Willen zu tun. Denn sie spürte, daß es ihn gegrämt hätte, als Kranker behandelt zu werden, und daß es ihm seinen leidenden Zustand erst recht zu Bewußtsein gebracht hätte. Also sagte sie ihm Gutnacht und ging. Und schon nach einer halben Stunde, als sie sich leise wieder in sein Zimmer schlich, um zu horchen, erkannte sie an seinen festen und tiefen Atemzügen, daß er eingeschlafen war.
Vor Kummer und Sorge um den Großvater tat sie die ganze Nacht kein Auge zu und war in aller Früh' aus den Federn, um nach ihm zu sehen. Er lag schon wach, und auf ihre Frage, wie es ihm gehe, nickte er ihr fröhlich zu, als könnt' es ihm gar nicht besser gehn. Da er ihr zu erkennen gab, daß er aufstehen wolle, und ihre Bemühungen, ihn im Bette zu halten, abermals erfolglos blieben, so rief sie die Kaplanek, und die beiden Frauen kleideten ihn wieder an und führten ihn, wie er es wünschte, an seinen Webstuhl. Und sogleich faßte er wieder mit der Hand nach der Weberlade, überzeugte sich durch einen Blick, ob Diwrisl da sei, und saß unbeweglich still wie am vergangenen Tage. Und so am folgenden Tage wieder, ohne etwas zu sprechen, ohne klares Bewußtsein offenbar, aber anscheinend auch ohne Sorgen oder schwere Gedanken, und wie in der festen Überzeugung, daß er seine Arbeit verrichte wie gewöhnlich. Und auch am nächstnächsten Tage war es nicht anders und blieb Tag für Tag immer dasselbe, ohne ein Anzeichen von Besserung. Man mußte schließlich die Hoffnung fast aufgeben, daß ihm die vollen Sinne wiederkehren würden, und noch froh sein, daß sein Zustand sich vorderhand nicht verschlimmerte, daß er weder körperlich noch seelisch zu leiden schien, und daß es vielmehr aussah, als wär' er ganz zufrieden und in sich beruhigt.
Das war ein trauriges Weihnachtsfest für Wettl und für das ganze Guguckshaus! Denn alle grämten sich um den alten Salzküfel.
Wettl betreute und pflegte ihn, so weit er es nur irgend zuließ. Die Kaplanek half ihr dabei und hatte guten Willen, aber daß ihr der Mund wie ein Mühlwerk ging, und daß sie immer neue Vorschläge und Mittel bereit hielt, ermüdete Wettl mehr als die Wartung des Kranken. So oft sie Wettls habhaft werden konnte, lag sie ihr mit einem neuen Einfall in den Ohren. Von den Augen, meinte sie, sei die Krankheit ausgegangen, wie die Katze den Salzküfel angefaucht habe; darum wolle sie Wettl zu bedenken geben, und die mög' es auch ihrem Vater sagen, ob es nicht ratsam wär', sich bei der heiligen Lucia ein Blattl einzulegen, denn die heilige Lucia habe die Augen über und könne sie bessern, wenn sie nur wolle. Und weil die schwarze Katz' vermutlich gar keine richtige Katze gewesen sei, so müßte man auch den heiligen Ignaz im Aug' behalten, denn der habe die Macht gegen Spuk und Gespensterschreck. Der Guguck mög' es doch um Gotteswillen nicht versäumen, der heiligen Lucia ein neues seidenes Mäntelchen und dem heiligen Ignaz ein silbernes Herz zu spendieren. Schaden könne es einmal sicher nicht, und vielleicht tät' es nützen. Überhaupt – wenn sie der Guguck wär', sie wüßte schon, was tun. Ihr käm' es auf ein paar Gulden und auf ein paar Ellen kostbaren Seidenzeugs nicht an, und schließlich sehe es jeder Heilige gern, wenn man ihm Verehrung erweise, und man könne gar nicht wissen, wo es dem Salzküfel eigentlich fehle, und darum wär' es am besten, an alle Heiligen zu denken. Den Heilgen Rochus allenfalls, den könne man übergehen, denn der sei gegen die Pest, und die Pest wär' es nicht, so viel wüßte man. Aber ob es nicht am Ende der Sand und Stein wäre? Dem könne der heilige Liborius abhelfen, und wenn es etwa von den Zähnen ausginge – denn die kleinen Kinder bekämen auch Fraisen vom Zahnen – dann wäre wieder die heilige Apollonia die richtige. Vielleicht sei es aber gar ein Halskrampf oder komme von der Brust, das heile der heilige Blasius besser als jeder Doktor. Auf keinen Fall aber dürfe man den heiligen Seraphin vergessen, denn die Sache daure jetzt schon lang, und der heilige Seraphin habe die langwierigen Krankheiten über.
Ein andermal legte sie wieder Wettl ans Herz, doch zuverlässig jeden Morgen mit dem Salzküfel das Siebenschlössergebet zu beten. Das sei von der heiligen Jungfrau Maria selbst ihrer Freundin, der heiligen Mechtild, geoffenbart und verhindere, daß ein Mensch ohne Empfang der heiligen Sakramente stürbe. Und daß der Salzküfel plötzlich abberufen werden könne, darauf müsse man jetzt doch jeden Augenblick gefaßt sein. Also, und das brauche man sich nur vorzustellen, wie schrecklich das wäre, wenn er ohne Ölung und geweihte Kerzen hinüber müßte! Und was für Vorwürfe sich Wettl nachher machen tät', wenn sie ihren Rat nicht befolgt und den Großvater nicht zum Siebenschlössergebet angehalten hätte!
Da ließ Wettl sich doch einmal von Ungeduld übermannen.
»Hören Sie mir auf mit solchen Faxen, vor denen dem lieben Gott selber graust! Ich werd' doch den armen alten Mann nicht quälen auch noch! Der kommt schon ohne Siebenschlössergebet in den Himmel, darauf können Sie sich verlassen!«
Einen Tag oder zwei gab die Kaplanek Frieden. Aber nicht lange, so fiel ihr wieder etwas neues ein. Dieses sollte man nicht unterlassen, und jenes sollte man probieren, und Katzenfleisch sei gut gegen viele Krankheiten, und sie möchte zwar keines essen, aber dem Salzküfel könne man ja einreden, es sei Hasenbraten. Und wenn Wettl auch das nicht wolle, so möge sie ihm doch wenigstens ein Peter-Martyrkreuzlein um den Hals hängen, das könne ihm doch auf keinen Fall schaden. Am Dreikönigstag wollte sie dem Salzküfel durchaus geweihtes heiliges Dreikönigswasser zu trinken geben. Er mochte es aber nicht, weil es abgestanden war, und verlangte frisches. Da seufzte sie und sagte zu Roslini, es sei ein Kreuz mit ihm, gegen alles Heilsame sperre er sich, und Wettl unterstütze noch seine Widerspenstigkeit. Wie könne er dann wieder gesund werden! Schließlich vertröstete sie sich auf Ostern. Am Palmsonntag würde sie ihm drei geweihte Palmkatzerln mitbringen, und die müsse er bei nüchternem Magen verschlucken, damit er wenigstens kein Fieber bekäme.
Wettl fand die gutgemeinte Fürsorglichkeit des geschwätzigen Weibleins nachgerade unerträglich. Und da sie merkte, daß auch der Großvater sie nicht gern um sich hatte, dagegen immer so dankbar und herzlich blickte, wenn Wettl ihm einen Handgriff machte, so schob sie die Kaplanek beiseite und tat lieber allein die doppelte Arbeit. Nun war sie den ganzen Tag auf den Beinen, treppab und treppauf, und oft erhob sie sich mitten in der Nacht von ihrem Lager, warf schnell warme Kleider um und schlich hinunter, um zu lauschen, ob der Großvater nicht am Ende ihrer bedürfe. Es wäre eine große Erleichterung für sie gewesen, wenn sie sich hätte in seiner Stube eine Liegerstatt aufschlagen können. Aber er wachte ängstlich über seinem Rechte, des Nachts allein zu bleiben. Daß man ihm willfahrte, mochte er in helleren Augenblicken als einen Beweis dafür betrachten, daß er nicht arg krank sein könne. Das fühlte sie, und diesen Trost wollte sie ihm nicht rauben. So war sie Tag und Nacht geteilten Herzens, immer oben und unten zugleich, von ruhigem, ungestörtem Schlaf wußte sie längst nichts mehr. Und sie hatte so viel Plage und Sorge mit ihm, daß sie all ihres sonstigen Kummers vergaß.