Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

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***

Der Pimperonkel hatte eines Vormittags einen Zugbuben an Kebach geschickt und ihn ersuchen lassen, gelegentlich zu ihm zu kommen, er wolle seine Meinung hören über die neuen Stühle, die er sich eingeschafft.

»Neue Stühle?« dachte der Guguck. »Sapperlot, wenn nur der Pimper keinen Pluzer gemacht hat!«

Er kannte den englischen Lord zur Genüge. Das war ein Schönseher, der nie daran glaubte, daß etwas schief gehen könnte, wenn er es unternahm. Einer von denen, die nur immer lachen und den Bauch schütteln, wenn man ihnen mit Bedenken und Vorstellungen kommt. Und ein Raschentflammter obendrein, der sich leicht blenden ließ. Wenn der nur nicht einem der vielen Erfinder aufgesessen war, die jetzt auf dem Schottenfeld umherliefen!

Der Guguck zog sogleich seinen Arbeitspenzer aus und seinen Frack an und machte sich auf den Weg nach der Schottenfelder Kirchengasse.

Wie viele neue Erfindungen an Webstühlen hatte man ihm in den letzten Jahren schon angepriesen und einreden wollen! Aber in solchen Dingen war er ein schlauer Fuchs und prüfte und versuchte lieber hundertmal, eh' daß er einmal ja gesagt hätte. Wahr ist es schon, meinte er: das Alte klappert, und das Neue klingt. Aber ein Klappern, bei dem was herauskommt, ist halt doch gescheiter als ein Klingen, das hohl bleibt. Nicht daß er gerade gegen den Fortschritt gewesen wäre; aber er zog allmähliche Verbesserungen den plötzlichen Neuerungen vor. Und mit seinem Freund Schweibenroider, dem Webstuhlmechaniker aus der »Roten Latern« in der Kandelgasse, war er bisher immer gut gefahren; denn der setzte auch nur Schritt vor Schritt und prüfte gleichsam immer vorher mit dem Fuß den Boden, bevor er fest auftrat.

Gleich als er in Pimpers Schreibstube eintrat, fiel es dem Guguck auf, daß der sonst so laute und zuversichtliche Mann gedrückt schien und bekümmert dreinsah. Er dankte ihm, daß er gekommen, und führte ihn in die Fabrik hinüber. Sie gingen durch ein paar Arbeitssäle und traten in den letzten, dort standen die neuen Stühle: ein ganzer Saal mit Stühlen, die nicht arbeiteten.

»Teuxel noch einmal,« sagte Kebach; »was ist denn das für ein Friedhof?«

»Hochsprungstuhl nennt sich das Zeug,« sagte der Pimperonkel zornig. »Sonst sind sie nicht viel anders als meine alten Trommelstühle; nur daß die Trommel statt der hervorstehenden Stiften mit eingeschnittenen Vertiefungen versehen ist, die dem Muster entsprechend verteilt werden. Und die Drahtnadeln, die du da siehst, die bestimmen durch ihr Eingreifen oder Nichteingreifen in die Trommellöcher die Bewegung der Platinen.«

»Aha!« machte Kebach, der sofort begriff. »Und die Drahtnadeln, die in die Trommellöcher eingreifen, die kann man in mehreren Reihen hintereinander anbringen. Der Gedanke ist gar nicht schlecht! Ein ganz guter Anfall! Denn wenn man gleich ein paar Reihen Platinen zur Verfügung hat, so kriegt man natürlich eine viel reichere Musterung heraus als bei den alten Trommelstühlen. Schau, schau, das ist gar nicht dumm! Im Gegenteil! Sehr schlau ausgedacht ist es – aber gehn wird's wahrscheinlich nicht.«

Der Lord mußte lachen, so wenig ihm danach zumute war.

»Und woher weißt du denn das? Kennst du die Stuhle schon?«

»Kennen? Nein! Die Gattung gerade kenn' ich nicht. Aber siehst, Pimper, mit den Stühlen ist es genau so wie mit den Menschen: Vor lauter Gescheitsein bringt gar mancher sein Lebtag nichts Rechtes zusammen. Der Stuhl da, der ist zu gescheit, das seh' ich gleich. Er bild't sich auch was ein darauf! Man braucht ihn nur anzuschauen, so kennt man's, wie eitel und aufgeblasen daß er ist. Das ist kein verläßlicher Arbeiter! Der glaubt, weiß Gott wer er schon ist, weil er Löcher statt Stiften in der Trommel hat!«

»Aber es ist auch was Besonderes, so ein Stuhl,« sagte der Pimperonkel. »In Gang mußt du ihn sehen, da hat man schon seine helle Freud' daran!«

Er rief einen Arbeiter herein und hieß ihn auf einem der Stühle weben. Es war wirklich ein Vergnügen zuzusehen, wie die blanken Drahtplatinen im feierlichen Reigen auf- und niedertanzten und sich im Takte symmetrisch gruppierten. Wie ein Menuett in vornehmer Gesellschaft sah es aus, so wohlgeordnet und sittsam und abgemessen ging es dabei her. Und die Korden machten gleichsam aus Respekt vor den sie bemeisternden Platinen die sinnreiche Bewegung mit und zupften die farbig schimmernden Seidenfäden der Kette empor, so daß es aussah, wie wenn tanzende Damen mit zierlichen Fingern ihr Kleid ein wenig hochheben.

»Na, was sagst du?« rief der Pimperonkel ganz aufgeräumt. »Das sieht sich doch nett an – wie?«

Das Herz hüpfte ihm vor Freude und beteiligte sich begeistert an dem rhythmischen Menuett der Korden und Platinen.

»Ja,« sagte Kebach, »das ist wieder wie bei den Menschen. Nach was aussehn tut es immer, was die Übergescheiten machen. Nur dahinter ist meistens nichts. Der Wille wär' ja da, aber der Organismus ist zu empfindlich, und es ist gar zu viel Absicht dabei, verstehst? Auf den Rahmenwagen da, der die Mustertrommel so kunstvoll an die Nadeln heranrollt und wieder wegschiebt, auf den hab' ich am allerwenigsten Fiduz. Der ist mir zu bagschirlich. Der wird wahrscheinlich alle Augenblick' Zuständ' kriegen.«

Der Lord wollte den Rahmenwagen in Schutz nehmen.

»Na ja, das kenn' ich schon,« meinte der Guguck. »Hör mir auf mit diesen Webstühlen! Das sind keine rechten Männer! Das sind empfindsame Frauenzimmer!«

Noch hatte er nicht ausgeredet, so hörte der Arbeiter zu weben auf. Am Rahmenwagen spießte sich etwas, und die Nadeln hatten sich verbogen.

»Weil Sie auch nicht ordentlich acht geben!« herrschte der Pimperonkel ihn an.

»Ich hab' eh' aufgepaßt wie ein Haftelmacher!« murrte der Arbeiter verdrossen. »Probieren Sie's selber auf dem G'lumpert zu weben, wenn Sie können!«

Er stand auf und ging brummend hinaus und warf heftig die Tür hinter sich ins Schloß. –

»Also, was soll man jetzt machen?« sagte der Pimperonkel verzweifelt.

»Den Schweibenroider laß kommen, er soll die neuartigen Trommeln herausnehmen und wieder alte einfügen.«

»Der Schweibenroider war eh' schon da,« gestand der Pimper kleinlaut. »Er sagt, es geht nicht, da macht er lieber einen neuen Webstuhl.«

»Alsdann, nachher in die Rumpelkammer damit!« sagte der Guguck die Achsel zuckend.

»Teuxel noch einmal! Und ich hab' die Erfindung so teuer bezahlt!«

»Gezahlt hast sie schon?« rief Kebach entsetzt. »Na hörst, du bist aber auch ein – hätt' bald was gesagt! So was muß einer doch erst ausprobieren! Welcher Mechaniker hat denn die Stühl' eigentlich gemacht? Vermutlich der Waldhör?«

Der Lord bejahte.

»Wie er mir vorgewebt hat,« sagte er, »ist alles wie am Schnürl gegangen. Und da hab' ich mich halt bestechen lassen, weil die Platinen gar so schön tanzen.«

»Die Erfindung ist sehr gescheit,« meinte der Guguck, »und der Waldhör ist ein tüchtiger Mechaniker und ein erfindungsreicher Kopf. Aber er arbeitet nach dem Büchel und nach den Regeln – selbstverständlich! Ein Weber ist er ja nicht. Man kann von einem Mechaniker nicht verlangen, daß er auch Weber sein soll. Das hättest du ihm sagen müssen, daß die Stuhle für den Gebrauch nichts taugen. Aber das kommt daher,« sagte er rücksichtslos, »weil du den Kopf immer voll mit dem Negozieren hast! So nebenher kann einer nicht Zeugmacher sein. Und wenn du dich ein bissel mehr um die Sachen kümmern tät'st, so hättest wissen können, daß wir schon vor zwanzig Jahren eine ähnliche Maschine gehabt haben, den Baucasonschen Stuhl. Und daß wir die haben auch in die Rumpelkammer stellen müssen, weil sie zwar sehr schön ausgedacht, aber nicht zu brauchen war. So, und jetzt, wenn du meinen Rat wissen willst: schmeiß den ganzen Krempel weg und mach es wie der neue Wiedner Grund, von dem man sagt, daß er dort anfängt, wo der alte aufgehört hat.«

Der Pimper verteidigte sich nicht mit einer Silbe gegen Kebachs harte Vorwürfe. Von keinem andern hätte er sich das sagen lassen, aber vom Guguck nahm er es an und schwieg. Vielleicht weil er wußte, wie gut der es mit ihm meinte, und weil er fühlen mochte, daß der Guguck im Grunde recht habe; vorwiegend aber wohl deshalb, weil das breite Selbstbewußtsein und die an Übermut grenzende Zuversicht, die ihn für gewöhnlich erfüllten, in den letzten Tagen einen gewaltigen Stoß erlitten hatten. Denn wie schon ein Unglück selten allein kommt, so hatte sich zu der Enttäuschung über die neuen Webstühle auch noch das entschiedene Mißglücken und Fehlschlagen einer jener geschäftlichen Unternehmungen gesellt, die mit dem »Negozieren« zusammenhingen.

Als sie in die Schreibstube zurückgekehrt waren, wollte es dem Guguck scheinen, als ob der Pimperonkel die Sache mit den neuen Stühlen schwerer nehme, als es schließlich ihrer Bedeutung entsprach. Denn der sah fast trübsinnig aus, und seine vollen Wangen hingen ihm fahl und schlapp herunter, als sei dem sonst so lebendigen Mann alle Tatkraft entflohen. Da dauerte er den Guguck, und seine harten Worte reuten ihn.

»Geh, Pimper,« sagte er gutmütig, »hast halt auch einmal ein Hirschauer Stückel gemacht! Was liegt denn weiter daran? Wie oft ist mir schon etwas ähnliches passiert! Immer noch gut, wenn man mit einem blauen Aug' davonkommt! Ein anderer hätt' sich an diesen neuen Stühlen verbluten können – du aber spürst es ja kaum! Bei dir kommt's auf die paar tausend Gulden nicht an, die du dabei verlierst!«

Der Pimper machte mit der Hand eine Bewegung – fast wie einer, der sich selbst aufgibt. Es war, als ob er etwas sagen wollte, als ob er etwas auf dem Herzen hätte. Weil er aber doch nichts sagte und beharrlich schwieg, so meinte Kebach, es wäre besser, er ließ' ihn allein, und machte Miene sich zu verabschieden und zu gehen. In diesem Augenblick wurde Pimper abgerufen.

»Sei so gut, blauer Guguck,« sagte er; »wenn du noch ein paar Minuten für mich Zeit hättest – ich bin gleich wieder da!«

Kebach legte den Hut wieder hin und blieb allein zurück. Er ging in der Schreibstube auf und nieder und schüttelte den Kopf und sann auf allerlei. Es klopfte an die Tür, und zu seiner größten Verwunderung trat Schabsel ein.

»Küss' die Hand, Herr von Guguck!« sagte der und blickte wie schwermütig seitwärts auf den Boden. »Hab' ich mir's doch gedacht, daß ich Sie werd' treffen hier.«

»Der Schabsel sucht wahrscheinlich den Pimper,« meinte Kebach etwas ungeduldig; »der ist jetzt nicht da.«

Ohne eine Gegenwirkung auf den deutlichen Wink zu äußern, blieb Schabsel stehen, wo er stand.

»Freilich hab' ich wollen sprechen mit dem englischen Herrn von Lord; aber wenn schon Gott es fügt, daß ich kann treffen den Herrn von Guguck –«

Kebach fuhr fort im Zimmer auf und nieder zu gehen.

»Ich kauf' jetzt keine Sacktücheln!« herrschte er ihn an.

»Ein Papier, das ich will zeigen dem Herrn von Guguck, ist doch kein Sacktüchel!« sagte Schabsel und hielt ihm ein gefaltetes Blatt hin, das er aus der Rocktasche hervorgezogen hatte.

»Was soll ich denn damit?« fragte Kebach mißtrauisch und blieb stehen. »Geht mich denn das Papier etwas an?«

Schabsel lächelte, so als ob er Kebachs Mißtrauen recht kindisch fände, und sagte zutulich:

»Wenn der Herr von Guguck wird geworfen haben nur einen Blick auf das Papier, so wird er sehen, ob es ihn geht etwas an oder nicht.«

Jetzt nahm Kebach das Papier und überflog es. Er wurde bleich vor Schreck: es war ein Schuldschein über eine beträchtliche Summe, die Schabsel dem englischen Lord zu hohen Zinsen vorgestreckt hatte. Und er wurde rot vor Zorn: denn das Schriftstück ging ihn in der Tat durchaus gar nichts an, und er empfand es als eine Unzartheit gegenüber dem Pimperonkel, es eingesehen zu haben, so unschuldig er auch daran war.

»Und für was zeigen Sie mir denn das, Sie Mauschel!« fuhr er wütend gegen den Juden los. »Und wie können Sie sagen, daß das Papier mich etwas angeht?«

»Hab' ich denn gesagt, daß das Papier etwas angeht den Herrn von Guguck? Ich hab' doch nur gesagt, der Herr von Guguck wird sehen, ob es ihn geht etwas an oder nicht, wenn er wird haben gelesen das Papier!«

Der Lord trat ein. Kebach wurde verlegen, er entschuldigte sich: durch ein Mißverständnis habe er Einblick in das Dokument erhalten. Es tät' ihm leid, aber es sei wirklich nicht seine Absicht gewesen, in Pimpers persönliche Angelegenheiten einzudringen.

»Es tut ja gar nichts,« sagte der Pimperonkel seine Fassung bewahrend. »Es waren mir halt gerade keine Kapitalien flüssig – dabei ist doch nichts Besonderes, und ein Geheimnis brauch' ich daraus nicht zu machen.«

Er war aber doch sichtlich unangenehm berührt. Seine Verlegenheit, sein Ärger, seine Sorgen entluden sich jetzt über Schabsel.

»Wie kommen Sie da herein?« schrie er ihn an. »Was wollen Sie eigentlich hier? Machen Sie, daß Sie fortkommen, Sie sehen, ich hab' jetzt keine Zeit.«

Schabsel kniff die Augen zusammen, und ein stechender Strahl drang unter den gesenkten Lidern hervor.

»Wie ich komme herein?« fragte er frech. »Wie wird der Schabsel kommen herein? Durch die Tür wird er kommen herein so wie jeder andere Mensch. Und was der Schabsel will? Was wird er wollen, der Schabsel? Das kann erfahren der englische Herr von Lord ganz von selbst, wenn er will haben die Gnade zu werfen einen Blick auf den Kalender.«

»Also sehen Sie nicht, Schabsel, daß ich Besuch hab'?« sagte der Pimperonkel sich beherrschend. »Das ist doch keine Manier, mir so hereinzuplatzen! Kommen Sie ein anderes Mal wieder, aber jetzt ersuche ich Sie, sich zu entfernen!«

»Gut!« sagte der Jude. »Wie der englische Herr von Lord es anschafft. Wenn er wünscht, daß der Schabsel sich soll entfernen, so wird der Schabsel sich entfernen.«

Er blieb aber ruhig stehen und machte keine Miene, sich vom Fleck zu bewegen.

»Also wird's bald?« sagte Pimper ungeduldig. »Auf was warten Sie denn noch?«

»Ich will doch wieder fortgehn, damit ich nicht stören tu' die Herren!« sagte Schabsel und blieb stehen.

»So gehn Sie doch endlich!« rief der Guguck.

»Aber wenn ich soll gehen,« sagte der Jude, »so muß ich doch vorher einkassiert haben mein Geld?«

Der Pimperonkel setzte sich in seinen Schreibtischsessel und schien nachzudenken. Kebach meinte zu spüren, daß seine Anwesenheit ihm peinlich war, und wollte sich entfernen. Aber Pimper hielt ihn zurück. »Bleib nur da, Guguck, du kannst es schon hören, was wir miteinander zu reden haben. Mit einem Wort ist es gesagt: ich hab' im Augenblick kein Bargeld. Das kann doch vorkommen bei einem Geschäftsmann, daß seine Kapitalien festliegen und nicht von heut' auf morgen flüssig zu machen sind – no also! Sie müssen sich halt ganz einfach noch eine Zeit gedulden, Schabsel! Da ist doch weiter nichts dabei, es wird Ihnen ja eh' verzinst, und hoch auch noch!«

»Wie soll ich mich gedulden?« sagte Schabsel, indem er mit bekümmerter Miene sein Haupt wiegte. »Wie soll ich mich gedulden, wenn ich hab' keine Sicherheit?«

»Plauschen Sie nicht! Sicherheit!« sagte der Pimper. »Übrigens – wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch eine Hypothek auf den ›Englischen Lord‹ geben.«

Der Jude lachte auf.

»Und das nennt der Herr eine Sicherheit? Wenn der Herr sich hineinbemühen will ins Dominium bei den Schotten, wo geführt werden die öffentlichen Grundbücher, so wird er sehen, ob das Haus ›Zum englischen Lord‹ noch gewähren kann eine Sicherheit.«

»Für die lumpigen paar tausend Gulden werd' ich ihm doch noch gut sein?« schrie der Pimper jetzt ganz aufgebracht.

»Der Herr ist mir gut für alles – aber noch besser ist mir das Geld.«

»Also, wenn Sie schon hören, daß ich im Augenblick das Geld nicht flüssig hab'!«

»Da werden Sie müssen machen Bankerott.«

Der Lord war aus seinem Schreibsessel aufgefahren. Jetzt sank er wieder in ihn zurück und starrte bleich vor sich hin.

Der Guguck legte sich ins Mittel.

»Was fällt denn dem Schabsel eigentlich ein? Wegen einem augenblicklichen Mangel an Bargeld wird er doch einen vermöglichen Geschäftsmann nicht in den Konkurs treiben wollen!«

»Bitte, Herr von Guguck,« stellte Schabsel fest, »ich hab' nicht gesagt Konkurs, ich hab' gesagt Bankerott.«

»Und was soll denn da für ein Unterschied sein?« fragte der Guguck harmlos.

»Das ist ein großer Unterschied,« erklärte der Jude. »Wenn er macht Konkurs, so kommen die Kreditoren und nehmen alles weg, was da ist. Wenn er aber macht Bankerott, so wissen die Kreditoren, daß nichts mehr da ist, und es bleibt ihm, was er hat. So kann er wohnen im Hause seiner Frau und essen von ihrem Silber und fahren mit ihren Pferden, und dem Schabsel bezahlen das Seinige, dafür daß er ihm gegeben hat den guten Rat, und die übrigen Gläubiger haben das Nachsehen.«

»Der Mensch bringt mich noch in den Schuldturm!« rief der Pimperonkel verzweifelt.

»Die Kreditoren werden es sich überlegen, Sie zu setzen in den Schuldturm,« sagte Schabsel mit Überzeugung. »Müssen sie nicht, wenn sie einen setzen in den Schuldturm, ihn ernähren standesgemäß? No also! Wenn man einen armen Juden setzt in den Schuldturm, so ist es billig und kostet nicht viel. Aber was für einen Herrn Fabrikanten vom Schottenfeld ist standesgemäß, das kostet Geld! Und sogar wenn die Herrn Kreditoren wirklich sich wollten machen die Auslagen und Sie setzen in den Turm. Was tut's? Länger als ein Jähr kann niemand sitzen im Schuldgefängnis. No, und wie lange ist ein Jahr? Zwölf kurze Monate! Und wenn sie sind vorüber, die paar Dutzend Wochen, so kommen Sie wieder heraus und sind ein reicher Mann wie zuvor.«

Dem Guguck hatte es fast die Red' verschlagen. Jetzt befreite er seine gepreßte Brust durch einen Stoßseufzer:

»Himmel Kruzitürken noch einmal, Schabsel! Was sind Sie für ein abgefeimter Halunke!«

Schabsel zuckte zusammen wie unter einem gegen ihn geführten Streiche.

»Wer ist ein Halunke?« fragte er. »Der Schabsel ist ein Halunke? Hat der Schabsel gebracht seine Gläubiger um ihr Geld?«

Der Pimperonkel schwieg fassungslos. Kebach trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Der Schabsel aber blickte wie verzweifelt in eine Ecke des Zimmers. Das Wort des Gugucks hatte ihn tief verwundet. Er war doch ein ehrlicher Mann? Er glaubte es zu sein! Er hatte nie anders gedacht, als daß er durch und durch ein ehrlicher Mann sei. Ein paar kleine Geschäftskniffe – nun, die gehörten zu seinem Gewerbe; aber sonst hatte er sich doch nie etwas zuschulden kommen lassen und sich sein Leben lang redlich geplagt und rechtschaffen durchgeschlagen. Und jetzt – hätte er denn auf sein sauer erworbenes Geld verzichten sollen? Und war denn unter Christen schuftig, was er da vorschlug? Er hatte das Beste gewollt und einen Weg ausgedacht, wie er zu dem Seinigen kommen konnte, ohne daß dem englischen Lord allzuhart dabei geschah. Und nun nannte ihn der Guguck, der einzige Christ, den er verehrte und liebte, einen abgefeimten Halunken! Das tat ihm weh. Auf einmal liefen ihm, er wußte nicht wie, die Tränen in den grauen Bart.

»Sie sind streng, Herr von Guguck, zu einem armen Juden!« rief er flennend. »Wollen Sie denn, daß ich verlieren soll mein gutes Geld? Und hab' ich nicht gehungert darum Jahre und Jahre und meinen Pünkel geschleppt von Haus zu Haus und mir spucken lassen ins Gesicht von jedem Gassenbuben? Und jetzt, weil ich geb' einen guten Rat dem englischen Herrn von Lord, wie er mir kann zahlen das Meinige und doch dabei bleiben ein vermöglicher Mann – jetzt soll ich deswegen sein ein abgefeimter Halunke?«

»Na, wissen Sie, Schabsel,« sagte Kebach, »ich hab' Ihnen immer die Stange gehalten und hab' mir gedacht: er ist halt auch ein geplagter Mensch. Aber daß Sie den Pimper da so zwicken, das gefällt mir nicht von Ihnen. Und diesen guten Rat mit dem Bankerott, der kein Konkurs ist, den stecken Sie nur wieder ein. Auf dem Schottenfeld gibt es keine solchen Spitzbübereien – verstanden? Aber wie wär' es denn, wenn ich für den Pimper gutstehn tät'? Wär' Ihnen das Sicherheit genug? Oder bin ich Ihnen vielleicht auch nicht gut?«

Schabsel wischte sich ein paarmal mit dem Handrücken über Augen und Nase. Das Gesicht ging ihm auseinander, und eine Zentnerlast fiel ihm vom Herzen. Jetzt war sein gutes, liebes, süßes Geld gerettet! Das war ja von Anfang an sein Gedanke gewesen, wie er den Guguck in der Schreibstube des Lord fand: wenn ihm der bürgen wollte! Freilich wagte er kaum darauf zu hoffen; aber wenigstens leise hinzudrücken nach dieser Seite, wollte er doch nicht unterlassen. Darum hatte er es ja so gedeichselt, daß der Guguck Einsicht in den Schuldschein nahm und über die ganze Angelegenheit unterrichtet wurde. Und darum war er ihnen nicht mehr von der Rockfalte gegangen, weil er immer fürchtete, der Guguck könnte entkommen. Denn daß vom englischen Lord nichts zu holen war, das wußte er lange, bevor er sein Haus betrat.

»Wenn der Herr von Guguck will gutstehn,« sagte er und nahm den Schuldschein vom Tisch, »so zerreiß' ich auf der Stelle das Papierche, auf dem verbrieft steht meine Forderung, so wahr als ich heiß' Schabsel und bin ein ehrlicher Mann!«

»Gar nicht notwendig,« sagte Kebach. »Im Gegenteil! Sie kriegen noch so einen Wisch mit meiner Unterschrift dazu!«

Der Pimperonkel erhob Einspruch. Nein, das dulde er nicht, und das könne er nicht annehmen. Er sei ein wohlhabender Mann und besitze genug, um alle seine Gläubiger zu befriedigen. Und wenn im Augenblick das Bargeld ausgegangen sei, wie es bei dieser Bankozettelwirtschaft wohl vorkommen könne, so brauche er nur sein Tafelsilber und einigen Hausrat und Schmuck und Pferde und Wagen zu verkaufen, so sei alles wieder im Gleichgewicht. Und das wolle er auch auf der Stelle tun, und nachmittag könne Schabsel sein Geld abholen, und jetzt solle er sehen, daß er zur Türe hinauskomme, sonst würd' er ihm Beine machen!

»Nichts da!« beharrte der Guguck. »Dein überflüssiges Zeug verkaufen kannst nach und nach bei Gelegenheit. Hast eh' eine Menge Sachen, die dir nur im Weg herumstehen, und wirst förmlich aufatmen, wenn du sie los bist, paß nur auf! Aber daß jetzt in aller Eil' etwas verschleudert und veruraßt wird, was man viel besser verwerten kann, wenn man sich Zeit läßt, das wär' eine wahre Sünd'. Und das erlaub' ich nicht, und jetzt wirst schon einmal mir folgen müssen. Alsdann, und wir zwei,« sagte er zu Schabsel, »gehn jetzt in eine Kanzlei, daß ich meine Unterschrift setz'.«

Schabsel wehrte sich und war ganz gekränkt. Er sei ein ehrlicher Mann und wisse, was das Wort eines ehrlichen Mannes gelte, und er wolle kein Papier vom Guguck und nehme kein Papier vom Guguck.

So hatte Kebach das Wunder vollbracht, welches vor einer Stunde noch kein Mensch für möglich gehalten hätte, daß der englische Lord sein überflüssiges Zeug verkaufen und der Schabsel nichts Schriftliches nehmen wollte.

Als der Jude sich entfernt hatte, atmete der Pimperonkel auf und stützte seine beiden Ellenbogen auf den Schreibtisch und den Kopf in die Hände und seufzte ein paarmal recht beweglich.

»Und was soll ich denn also jetzt anfangen?«

»Weißt du, Pimper,« sagte der Guguck, »wenn einer in der Tinte sitzt, so ist es grauslich, wenn dann der andere hergeht und sagt: Siehst du, das und das, und hab' ich dir's nicht immer gesagt, und warum hast du mir nicht gefolgt? – Und deswegen, weil es grauslich wär', so zu reden, so schluck' ich jetzt alles hinunter, was mir in der Gurgel steckt, und will kein Wörtl sagen und dich nicht daran erinnern, daß ich dir immer gesagt hab': Gib nur acht, mit dem vermaledeiten Negozieren geht es noch einmal schief! Und daß ich dich immer ermahnt hab', dein Haus einzuschränken und das Radl nicht so laufen zu lassen! – An das alles will ich dich jetzt mit keinem Sterbenswörtl erinnern. Wenn du mich aber fragst, was du jetzt weiter anfangen sollst, so ist die Antwort nicht schwer: Vor allem das große Loch zustopfen, durch das alles wieder hinausrinnt, was hereinkommt. Wird eh' deinem Herrn Sohn und der Fany nur gesund sein, wenn sie sich ein bissel nach der Decke strecken lernen, überhaupt war der kleine Schreckschuß vielleicht nur zu eurem Segen und zu eurem Glück! Denn mir kommt vor, das Leben ist euch allen miteinander schon ein bissel langweilig geworden vor lauter Gutgehn! – Alsdann,« sagte er, »und jetzt tu nicht länger Trübsal blasen, und wenn es dir recht ist, so halt für morgen oder übermorgen deine Bücher bereit, und dann wollen wir alles im Einzelnen miteinander durchgehn und beraten. Das müßt' doch des Teuxels sein, wenn sich die Geschichte nicht wieder einrenken ließ'!«

Pimper erhob sich mühsam.

»Herzlichen Dank, blauer Guguck, herzlichen Dank!«

»Nichts zu danken,« sagte Kebach: »geschenkt hab' ich dir ja nichts – außer ein bissel Vertrauen allenfalls, und das wirst du schon verdienen, das weiß ich. Dazu sind wir Schottenfelder ja Menschen, daß wir in der Not einer für den andern einstehn, das hätt' ein jeder getan.«

»Es hätt' nicht jeder so gehandelt,« sagte der Pimperonkel gerührt. »Ich weiß nicht, ob zum Beispiel der Schroll ...«

»Auch der Schroll wär' für dich gutgestanden!« fiel ihm der Guguck ins Wort. »Ich bin ganz sicher, daß der Schroll genau dasselbe getan hätt' wie ich. Freilich ist er schließlich nur ein Bandmacher, und über den Bürgerstand und über die Landwehr da hat er schon einmal ganz verdrehte Ansichten – aber ein Verlaß ist deswegen doch auf ihn!«

»Und du wirst sehen, Guguck,« sagte der Pimperonkel, indem er lang und fest seine Hand schüttelte, »daß auch auf mich ein Verlaß ist! Nicht einen Kreuzer sollst du in die Hand nehmen müssen wegen dem Gutstehen – das laß nur meine Sorge sein!«

»Wär' mir schon recht! Wär' mir wirklich sehr recht!« meinte der Guguck aufrichtig; »denn sauer verdient hab' ich mir das Meinige auch. Erinnerst du dich noch, wie verschieden wir zwei angefangen haben? Du bist in die Schuh' hineingetreten, die dein Herr Vater ausgezogen hat, das war schon ein bissel leichter. Ich aber, an meinem Hochzeitstag – vormittag war die Trauung, und nachmittag, da bin ich in die Stadt hineingegangen und hab' um die Hälfte von den hundert Gulden, die meine Frau von ihrem Vater, dem Salzküfel, mitbekommen hat, Seide und Garn gekauft und hab' alles bar bezahlt und auf dem Buckel nach Haus getragen – denn von den Seidenhändlern auf dem Schottenfeld hat mir keiner einen Kredit gewährt. No, und so hab' ich halt mit einem Stuhl und einer Windmaschin' angefangen, und auf der Windmaschin' hat meine gute Selige mir vorgearbeitet und gespult, und auf dem Stuhl, auf dem hab' ich gewebt. Und nach dritthalb Jahren, wie wir uns haben ein bissel was verdient gehabt, da hab' ich mir halt einen zweiten Stuhl anschaffen wollen. Aber der Kaufmann, der mein Kunde war, der hat umgeworfen, und ich hab' meinen ganzen Verdienst verloren und hab' wieder so viel gehabt wie am Anfang. Du, das war bitter! Da lernt einer schon begreifen, daß das Geld auch etwas wert ist im Leben! – No alsdann,« sagte er gemütlich, »so haben wir halt wieder von vorn angefangen. Und nachher ist es immer besser gegangen, und wir sind schön langsam vorwärts gekommen, erst mit zwei Stühlen, dann mit drei und vier Stühlen, und schließlich ist fast eine kleine Fabrik daraus geworden. Aber meine gute Selige hat es halt nicht mehr erlebt ...«

Er seufzte und nahm seinen Hut.

»Ja, siehst es,« sagte er, »so hat halt jeder Mensch seinen stillen Kummer.«

Er war fast ein wenig ergriffen, die Erinnerung hatte ihn übermannt. Stumm verabschiedete er sich und ging.

An der Tür blieb er noch einmal stehen und rief zurück:

»Also, und was dein Kummer ist, Pimper – den werden wir schon kurieren, das ist kein unheilbarer! Laß dir deswegen keine grauen Haar' nicht wachsen! Aus der Schlamastik kommen wir schon wieder heraus – wär' nicht aus!«


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