Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

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Auch meine Urgroßmutter ist einmal ein junges Mädchen gewesen und ein hübsches dazu. Noch heut' besitzen wir in der Familie ein Bild, wo sie mit frischen, rosigen Wangen in einem grasgrünen Garten sitzt und einen bebänderten Strohhut von Anno dazumal zwischen den schlanken Fingern hält, das feine Blondhaar an den Schläfen in zierliche Löckchen gelegt und vom Nacken aufwärts mit einem Kamme aufgesteckt. So trutzig und lebensfroh blitzen wasserblaue Augen selten in die Welt wie die ihrigen auf diesem Bilde. Und ein munteres und herzhaftes Mädel ist sie auch gewesen, die ehr- und tugendsame Bürgerstochter Barbara Kebach, die blaue Gugucks-Wettl genannt.

Das war in der Zeit, wo die Häuser noch nicht nach Gassen und Konskriptionsnummern bezeichnet wurden, sondern nach ihrem überlieferten Hausnamen, und der ging nicht selten auch auf die Bewohner über. Da gab es zum Beispiel in den westlichen Vorstädten, auf den sogenannten schottischen Freigründen, als da waren: St. Ulrich, Neudeckerlehen, Neustift, Wendelstadt, Neubau und Schottenfeld, die alle unter der Grundobrigkeit des Benediktiner-Stiftes der Schotten standen, unter vielen andern Häusern auch ein Haus »Zu den fünf Spulen« und eines »Zum langen Degen«, eines »Zur goldenen Flauten« und eines »Zur schönen Ungarin«, eines hieß »Zum wunderbarlichen Glück« und ein anderes »Zur Parforcejagd«, eines »Zum geduldigen Job«, eines »Zum graden Michel«, und andere hießen wieder anders. Im Hause »Zum blauen Guguck« in der Zieglergasse betrieb der Seidenzeugweber Kebach sein Fabriklein, im Haus »Zur stillen Andacht« in der Siebensterngasse der Samtmacher Mestrozzi das seine; der Appreteur Woitech hatte sein Geschäft im »Roten Igel« in der Kaiserstraße, der Bandmacher Pointner, der Seidenhändler Kähnel und der Zeugweber Reckenschuß die ihrigen im »Grünen Paperl« in der Bandgasse, im »Auge Gottes« in der Seidengasse und bei der »Munteren Tyrolerin« in der Zieglergasse. Und an all den zierlich benamsten Häusern war über der Torfahrt ein bunt bemaltes oder vergoldetes Hauswappen und Wahrzeichen angebracht, das dem Eintretenden freundlich entgegengrüßte, und in allen regten sich emsig kunstfertige Hände, und sproßten vielverheißend die ersten Blütenknospen eines nach Entwicklung strebenden gewerblichen Lebens und eines in seinen bescheidenen Ansätzen bereits vorgedeuteten behaglichen bürgerlichen Wohlstands.

Der kleine, runde Kebach war in der Stadt gewesen, um Geschäfte abzuschließen und Bestellungen entgegenzunehmen. Ja, dazu gehören aber ihrer zwei. Kein Fabrikant kann Bestellungen entgegennehmen, wenn der Kaufmann und Händler ihm keine aufgibt. An diesem Tage aber lag es in der Luft wie eine allgemeine Entmutigung. Alles klagte darüber, daß die Geschäfte stockten und die Leute nichts kaufen wollten. Und so hatte auch niemand den Mut, etwas zu unternehmen und zu wagen. Sogar in der neuen großen Modewarenhandlung »Zur schönen Wienerin« neben dem Stock im Eisen, wo seit einiger Zeit die lebensgroße Wachspuppe in der Auslage stand, die wie ein wirkliches Frauenzimmer aussah, war es nicht anders: Auch dort nur ein bedauerndes Achselzucken auf alle Anbote Kebachs, und ein unlustiges Wiegen des Kopfes auf seine Vorschläge. Und im Grunde war es begreiflich: außen, auf dem Bürgersteig, drängten sich die Gaffer, um die Modedame im Schaufenster als etwas bisher noch nicht Dagewesenes zu bestaunen; innen jedoch, wo man die neuesten Musseline und Batiste, die geschmackvollsten Zitze, Ribse und Kaschmirs, die glänzendsten Tafte, die kostbarsten glatten, schillernden und gemusterten Seidenstoffe zu kaufen bekam, da war es fast leer.

»Alsdann, so gehn wir halt wieder, und sagen wir, es war nichts,« meinte Kebach etwas bedrückt. Er wickelte sorgfältig seine Warenproben wieder ein, nahm das schmale, längliche Paket unter den Arm und machte sich auf den Heimweg.

Jetzt hastete er mit seinen kurzen, lebhaften Schritten über den Kohlmarkt gegen das Burgtor. Den großen Zylinder aus rauhem Filz, der sich nach oben wie ein Tschako erweiterte, drückte er in die Stirn und machte ein verdrießliches Gesicht: Schlechte Zeiten, schlechte Zeiten!

Aber es war ihm nicht gegeben, lange griesgrämig zu sein.

»Eine geköperte Levantine will ich machen,« dachte er; »mit feinen broschierten Tüpferln drin. Ganz aus entschälter Seide, mudellind, zum Hineinbeißen! Und in dem Karmoisin, wie es seit der Kaiserkrönung von Paris her in die Mode gekommen ist ... Wie die Wespen auf den Honig wird das schöne Geschlecht darauf fliegen!«

Er war an die innere Umwallung herangekommen und trat in den mehrere Klafter langen finsteren Torweg, der unter der Burg-Bastei durchführte. Es herrschte dort ein arges Gedränge von Fußgehern, man konnte nur Schritt für Schritt vom Fleck kommen. Gemächlich spann er seine Gedanken weiter.

»Warum sie gerade das Karmoisin so bevorzugen, die französischen Damen? Wahrscheinlich dem neuen Empereur zu Ehren ... Soll es an den Krönungsmantel erinnern, oder an Blut? ... So ein Menschenschlächter! Daß wir aber auch alles nachmachen müssen, was aus Paris kommt! Wie die Affen! ... Kruzitürken übereinander!«

Jetzt trat er auf die lange Brücke hinaus, die über den Stadtgraben führte, und sah jenseits das Burgtor vor sich liegen. Sein erster Blick galt den offenstehenden Torflügeln.

»Richtig! Noch immer nicht angestrichen! Man weiß nicht, ob es schwarz-gelb oder weiß-rot sein soll! Ich tät' mich genieren!«

Das Stadttor zeigte breite Streifen von unbestimmter, verwitterter Farbe. Ein Streif, der ungefähr nach grau aussah, wechselte immer mit einem andern Streifen ab, der mehr grünlich schien. Und beide Farben waren von einer feingezeichneten Landkarte rotbraunen Eisenrostes durchsetzt. So oft Kebach durch das Burgtor ging, sah er nach, ob noch immer nicht frisch angestrichen sei. Sein Nettigkeitssinn empörte sich, wie man das Holz so verwittern und das Eisenblech so verrosten lassen könne! Überdies fand er es unpassend, gerade vor der Burg, gewissermaßen unter den Augen des Kaisers, eine solche Vernachlässigung!

»Ein Kaiser von Österreich – und so ein Burgtor!« pflegte er ganz bekümmert zu sagen.

Und immer wieder ärgerte er sich, so oft er hinein- oder herausging. Wessen Sache es eigentlich war, die Torflügel anzustreichen, wußte er nicht recht. Vielleicht Sache des Militärärars? Vielleicht Sache des Magistrats? Vielleicht gar Sache des Kaisers selbst? Er behalf sich, indem er die verantwortliche Behörde oder Persönlichkeit einfach »sie« nannte. »Sie« als Plural, nicht als femininum. Und also sagte er jedesmal, wenn er von einem Stadtgang heimkehrte, zu seiner Tochter Wettl, während er den braunen Frack ablegte und den Hausjanker anzog, mit einem tiefen Seufzer:

»Das Burgtor haben sie noch immer nicht frisch angestrichen!« –

Inmitten der Brücke, über die eine Menge Menschen ein und ausgingen, blieb er auf dem Gehsteig stehen und sah den Wagen zu, die langsam und vorsichtig über die Bohlen humpelten. Diese Brücke war die zweite Anklage, die er gegen »sie« auf dem Herzen hatte. Er trat an das hölzerne Brückengeländer vor, um in den Stadtgraben hinunterzuschauen. Mit der Hand faßte er die Brustwehr an und rüttelte ein wenig, er wollte sich überzeugen, ob das Geländer immer noch wackle.

»Wirklich! Noch alleweil! Bis einmal ein Unglück passiert! Wenn die Kuh aus dem Stall ist, nachher werden sie das Tor zumachen. Aber früher nicht! Es hat ja noch Zeit, bis einmal ein paar Leut' hinunterfallen!«

Vorsichtig lehnte er sich über das Geländer und blickte behaglich in den Abgrund. Es machte ihm Freude, daß der Stadtgraben so tief war, und daß die roten, von der Nachmittagssonne beschienenen Backsteinmauern der Burg-Bastei so steil und hoch darüber aufstiegen und sich so klar gegen den dunkelblauen Herbsthimmel abzeichneten, mit ihren scharfgeschnittenen Zinnen, zwischen denen man ein paar Haubitzenrohre schlummern sah.

Auf einmal lehnte ein anderer neben ihm auf der Brüstung, so dicht, daß ihre Ellenbogen sich berührten. Waren das Manieren! Er fand es ein bißchen sonderbar. Hatte der Mensch auf der ganzen langen Brücke keinen andern Platz als knapp neben ihm? Mit einem kleinen Brummen rückte er etwas beiseite. Aber sofort rückte der andere nach und berührte wieder seinen Ellenbogen.

»Fix noch einmal!«

Mit einer heftigen Bewegung fuhr er in die Höhe und faßte den zudringlichen Nachbar ins Auge. Der riß den Mund groß auf und lachte still in sich hinein.

»Grüß dich Gott, blauer Guguck!«

»Da schau her, du bist es! Warum hast denn das nicht gleich gesagt?«

Der Färber Kitzinger war es, aus dem »Paradeisvogel« im Ratzenstadtl! Sie waren gut Freund miteinander, soweit eben ein Zeugmacher und ein Färber gut Freund miteinander sein können.

Kebach rüttelte ein wenig an dem Geländer.

»Jetzt schau dir einmal so etwas an!«

»Es trägt ihnen halt kein Ausbessern,« meinte Kitzinger gleichmütig. »Geht alles auf Uniformen und Kanonen auf. Und vielleicht wird die alte Brücke eh' bald abgerissen, wenn die Franzosen wieder kommen.«

»Na sei so gut!« polterte Kebach. »Dasmal wird ihnen der Generalissimus doch früher einen Riegel vorschieben, daß sie nicht bis auf Wien kommen? Wo wir so viel Geld für die Landwehr gezahlt haben!«

»So, seid ihr auch geschröpft worden? Ich hab' gemeint, das hätt' nur die Bezirke unter magistratischer Grundobrigkeit betroffen.«

»Was, geschröpft! Niemand ist geschröpft worden! Was glaubst denn? Lauter freiwillige Spenden! Zwölftausend Gulden haben wir schottischen Freigründe in einer einzigen Woche für die Landwehrmänner und ihre mittellosen Familien aufgebracht! Was sagst denn da dazu? Gelt, da schaust?«

»Alle Achtung! Alle Achtung!« sagte Kitzinger.

Kebach fühlte sich geschmeichelt und meinte gutmütig:

»Na, ihr vom Magdalenagrund und vom Gumpendorf, ihr habt euch sicher auch angestrengt. Jeder halt so viel, als er kann.«

Der väterliche Ton ärgerte den Färber. Er sah nicht ein, warum er Gumpendorf und das Ratzenstadtl sollte behandeln lassen wie einen Armeleut'-Grund.

»Tröst dich, blauer Guguck,« sagte er protzig; »wir werden noch gerade soviel aufbringen wie das Schottenfeld. Wir sind schon mit dem guten Beispiel vorangegangen, wir Färber aus dem Ratzenstadtl.«

So –? Eben war es noch geschröpft, und jetzt auf einmal ein gutes Beispiel? Das reizte ihn. Und noch mehr, daß die Färber es den Fabrikanten und die Ratzenstadtler es den Schottenfeldern gleichtun wollten. Überdies war es noch geflunkert auch!

»Ihr Färber habt es leicht,« sagte Kebach. »Ihr habt nicht nötig, euch spotten zu lassen!«

»Und warum hätten denn gerade wir es besonders leicht?«

»Wer leicht verdient, gibt leicht aus. Greift nur ordentlich hinein, in euren Sack, recht tief, bis auf den Grund! Da findet sich mancher Gulden, von dem ihr selber nicht recht wißt, wie er hineinkommt. Wenigstens soviel solltet ihr schandenhalber beisteuern, als die Seide wert ist, die ihr uns Fabrikanten schon geschnipst habt. Fürs Vaterland und zur heilsamen Buße!«

Er sprach das Vaterland wie »Vatterland« mit hellem A aus. Immer, wenn er das Ehrwürdige und Unantastbare der väterlichen Gewalt betonen wollte, sagte er »Vatter« statt Vater.

Jetzt geriet Kitzinger ein wenig aus dem Gleichgewicht.

»Weißt, blauer Guguck, da muß ich schon bitten! Einen G'spaß versteh' ich, aber alles was recht ist! Es kann schon sein, daß bei andern manchmal etwas vorkommt; was geht mich das an, dafür bin ich doch nicht verantwortlich? Aber in meinem Geschäft geht es streng redlich zu! Und das kann ich beschwören: So lange der ›Paradeisvogel‹ steht ...«

Er hob sogar die Schwurfinger. Aber schnell fiel ihm Kebach ins Wort und legte fast wie erschrocken seine Hand auf Kitzingers Mund.

»Pst! Pst! Um Himmelswillen! Nur nicht schwören, nur nicht schwören! Du sollst den Namen Gottes nicht eitel anrufen!«

Daß er ihn am Ende zu einem Meineid verleitet hätte! Der Gedanke war ihm peinlich.

»Weil es nicht wahr ist!« maulte Kitzinger beleidigt. »Weil es die reine Lug' ist! Immer wieder muß man das zu hören kriegen! Und die Seide wird ja eh' gewogen?«

»Na ja, wir wissen's schon, streng dich nicht an!« lenkte Kebach gemütlich ein.

Er sah schmunzelnd von der Seite nach dem Freunde hinüber und fächerte mit der offenen Hand ein paarmal vor den Augen hin und her.

»Durch die Finger muß man halt hie und da ein bissel schauen, bei euch. Das ist eine alte Geschichte. Liegt schon so im Färberblut.«

Es schien, daß der Kitzinger sich nicht ungern hatte unterbrechen lassen. Wenn es ohne heilige Beteuerung abging, war es ihm vielleicht doch noch lieber. Und das »Durch die Finger schauen« konnte er ja allenfalls auf sich sitzen lassen. Wem mußte man nicht durch die Finger sehen? Sind wir nicht alle nur Menschen, in denen der Wille oft stärker ist als das Fleisch?

Er gab sich zufrieden, und sie lehnten wieder versöhnt ihre Ellenbogen nebeneinander auf das Brückengeländer und schauten gemeinschaftlich in den Stadtgraben hinunter.

»Daß sie vor drei Jahren die Parlezvous ganz gemütlich da hereingelassen haben ...?« sagte Kebach den Kopf schüttelnd. »Ich, wenn's auf mich angekommen wäre, ich hätt' sie ruhig in den Graben springen und an der hohen Wand da drüben hinaufkraxeln lassen. Das hätten sie nur einmal probieren sollen! Da wär' ihnen der Übermut schon vergangen!«

»War halt nichts zu machen,« bemerkte Kitzinger gemächlich. »Verflixte Kampeln sind sie schon, diese Franzosen mit ihrem kleinen Général! Das ist damals gegangen, Schlag auf Schlag, wie Blitz und Donner, daß die Unsrigen nur so den Mund aufgerissen haben. Na ja, unsere armen Soldaten haben ja nichts dafür können. Wenn wir solche Generäle haben! Ein Plutzer nach dem andern! Leicht gemacht haben wir's ihnen! ›Nous avons pris le général Mack comme une prise de tabac.‹ So sind wir auch noch ausgelacht worden.«

»Versteh' kein Französch!« brummte Kebach.

»Weißt, wie eine Schnupftabaksprise, haben sie gesagt, so mit zwei Fingern, hätten sie den Mack m Ulm genommen. Ihn und zwanzigtausend Mann Soldaten! So mit zwei Fingern! Zwanzigtausend Mann! Ah, das sind schon Kampeln! Alle Achtung, alle Achtung!«

»Na weißt, Paradeisvogel, gar so bewundern sollte man den Feind des Vatterlandes halt doch nicht!« sagte Kebach bestimmt.

Aber Kitzinger ließ sich nicht irre machen.

»Und wenn man sie dann gesehen hat! Da ist einem erst alles begreiflich geworden. Schöne Leute, prächtige Leute! Ich hab' mir's angeschaut, wie sie die Mariahilferstraße hereinmarschiert sind, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel ...«

»Pfui Teufel!« warf der Guguck dazwischen, empört in Erinnerung an die erlebte Schmach.

»So ein fünfzehntausend Mann werden es gewesen sein, Reiter und Fußvolk. Regimenter wie die Mauern! Da hat man wirklich Respekt kriegen müssen! – Du wirst sie ja auch gesehen haben?« fragte er.

»Ich bin nicht hingegangen,« murrte Kebach. »Hab' zu tun gehabt. So fleißig bin ich nie gewesen, als wie die Franzosen herinnen waren. Zehn Ochsen hätten mich von meinem Webstuhl nicht weggebracht. Hab' mir gedacht: sollen machen, was sie wollen – ich arbeit'; wenigstens brauch' ich sie nicht anschauen auch noch!«

»Sehenswert war es! So etwas sieht man nicht alle Tage!« beteuerte Kitzinger. »Diese Grenadiere! Lauter Riesen! Leute zum Fürchten! Mit ihren schwerem Musketen, oben das blitzende Bajonett! Fast ganz in weiß alle, weiße Hose, Weste und Gamaschen. Mit der Bärenmütze und links einen roten Federnstoß. Dazu blauer Frack mit roten Aufschlägen. Du, das war dir ein Blau! Französischblau! So eins bringen wir hier nicht heraus, nicht einmal im ›Paradeisvogel‹. Ich gesteh's offen, so ein Französischblau bring' ich nicht heraus!«

»Patzer!« sagte der Guguck.

»Wie meinst du?«

»Patzer!« wiederholte er. »Das bissel Französischblau nicht herausbringen! Was wird da weiter dabei sein? Ich bring' alles heraus, was sie in Lyon herausbringen, ganz das nämliche – wär' nicht aus! Aber weil wir gerade von den Farben reden: Ein feines Modekarmoisin will ich mir nächstens bei dir aussuchen. Es muß aber etwas besonderes sein. Denk derweil ein bissel nach, mach's Hirnkastel auf, vielleicht kommt was heraus.«

Kitzinger versicherte, daß die neuesten Schattierungen bei ihm zu finden wären.

»Wie geht denn jetzt das Geschäft?« fragte er.

»Hm! So ungefähr wie die Bankozetteln. An jedem Gulden verliert man wenigstens fünfundvierzig Kreuzer.«

»Aber einen Haufen Bestellungen trägst doch heim, was?«

»Ja natürlich, du stellst dir das sehr einfach vor! Ihr Färber habt es gut! Sei froh, daß du mit keinem Kaufmann zu tun hast! Weißt du, was sie mir heute gemacht haben? Sogar in dem großen, neuen Geschäft am Stock im Eisen, weißt, wo die ›Schöne Wienerin‹ in der Auslag' steht? Dasselbe haben sie mir gemacht, was unsere Voreltern vor langer Zeit einmal dem Sultan Soliman gemacht haben.«

»Und was wär' denn das nachher?« fragte Kitzinger.

»Kannst es nicht erraten? Also, der Soliman, als echter Heide, hat es besonders scharf auf den Stephansturm gehabt und hat alle seine Stücke gerade auf ihn richten lassen. Da schicken die Wiener eine Bittabordnung, das Gott'shaus wenigstens mög' er schonen. Ja, sagt er, wenn sie das Kreuz herunter und Stern und Halbmond dafür hinauftun. Ihnen ist nichts anderes übriggeblieben, als zu folgen. Damit sie aber auch eine Freud' dabei haben, da ist es ihnen eingefallen, und sie haben in den Halbmond eine Hand eingravieren lassen: So!«

Er zeigte seine Faust und steckte den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger durch. Kitzinger lachte.

»Eine Feige?«

»Jawohl, eine Feige. Die haben damals die Wiener dem Soliman und mir heut' die Kaufleute gemacht. Die Wiener auf dem Turm oben, und die Kaufleut' freilich nur im Hosensack, aber gespürt hab' ich's doch. Und eine Feige bedeutet bekanntlich auf deutsch: Geh nachhaus und sag, es war nichts.«

Er zog seine Uhr.

»Und nachhausgehn muß ich aber jetzt auch endlich einmal. Die Wettl wird schon mit der Jausen auf mich warten und glauben, ich bin in Bach gefallen. Grüß dich Gott, Paradeisvogel!«

»Wart ein bissel, wart ein bissel!« sagte Kitzinger und hielt ihn zurück. »Ich hab' noch etwas sagen wollen ... Was war es denn nur? Etwas Wichtiges!...«

Es fiel ihm nicht ein.

»Alsdann, denk halt derweil nach, bis wir uns wiedersehen,« sagte Kebach sich losmachend und wollte gehen.

In dem Augenblick fiel es ihm aber doch ein.

»Ja, richtig! Und hat denn der Halbmond auf dem Stephansturm etwas genützt? Trotz der Feige?«

»Den Halbmond haben sie doch nicht bombardieren können!« sagte Kebach. »Und die Sultansfeige – vielleicht haben sie die gar nicht bemerkt. Aber mein Herr Großvater selig hat mir immer erzählt, die Belagerten hätten doch eine große Freud' daran gehabt. Denn so haben sie den Türken einen Spott angetan und dabei noch ihren Turm gerettet.«

Der Paradeisvogel freute sich und der Guguck auch.

Sie empfahlen sich von einander. Kitzinger wendete sich stadtwärts. Kebach aber setzte seinen Weg in der Richtung gegen das Glacis fort.


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