Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

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In der Bevölkerung hatte sich bald die böse Kunde verbreitet, die durch militärische Kuriere und Privatbriefe in die Stadt gedrungen war: abermals rücke der gefürchtete Erbfeind gegen das Herz des Reiches heran. Eine Zeitlang hielt man es für selbstverständlich, daß jetzt der Generalissimus an der Spitze der Armee herbeieilen und die Hauptstadt verteidigen würde. Aber bald mußte man sich klar darüber werden, daß dies ein Ding der Unmöglichkeit sei. Denn die Hauptarmee war gezwungen worden, einen gewaltigen Umweg zu machen und ihren Rückweg über Böhmen zu nehmen, und vom Hillerschen Korps, das, von der Hauptarmee abgesprengt und gleichfalls aufs linke Ufer der Donau gedrängt, den Franzosen den kürzesten Weg gegen Wien hatte freigeben müssen, trafen nur einzelne Vortruppen, ein paar Linien- und ein paar Wiener Landwehrbataillone noch früh genug in Spitz ein, um über die Taborbrücke zur Verteidigung der Stadt herangezogen werden zu können. Mit fieberhafter Hast ging man jetzt daran, die vorhandenen Kräfte und Mittel zu ordnen und in Bereitschaft zu setzen, die Magazine wurden eiligst gefüllt, auf den Basteien und im Stadtgraben gearbeitet, alle Straßen und Plätze widerhallten von Waffenlärm und Kriegsgeschrei. Die Aufgebotfahne wurde umhergetragen, Bürger und Gesindel liefen hinter ihr drein, und der Werksgeselle Vincenz war auf einmal aus dem Guguckshaus verschwunden und kam nicht wieder.

»Die werden jetzt nicht mehr so Hopataschi sein,« dachte er, »wie die bei der Landwehr und bei den Hohenzoller-Kürassieren, daß ihnen ein altgedienter Krieger von Austerlitz nutzt gut genug wär'!«

Und er hatte recht: jetzt wurde alles genommen, was überhaupt noch zwei Beine hatte. Daß er keine Uniform bekam, das tat dem Vincenz freilich leid; aber er besaß noch einen alten, weißen Soldatenfrack von damals, den zog er an, dazu seine Sonntagshose aus blauem Kaschmir und seinen Sonntagshut, und fand, es passe alles recht gut zusammen, und er sehe fast militärisch aus. Seine Kenntnisse und Erfahrungen wurden bald erkannt und geschätzt. Man übertrug ihm die militärische Ausbildung einer kleinen Aufgebotsabteilung, und er kam sich fast wie ein General vor, wenn er auf dem Minoritenplatze mit seiner Mannschaft Gewehrgriffe übte. Freilich waren es großenteils schiefgewachsene oder halblahme oder irgendwie herabgekommene Leute mit verbundenen Köpfen oder Zahnwehtücheln um die Ohren, die er unter sich hatte. Aber für die Parade Leute abrichten, meinte er, würde ihm ohnedies keine Freud' machen, und das sei schon ein eigenes Gefühl, wenn man wisse, es gelte die Rettung des Vaterlandes.

Auf dem Schottenfeld herrschte helle Bestürzung über die kriegerischen Anstalten, die allenthalben getroffen wurden. Auf den Generalissimus hatten doch alle große Hoffnungen gesetzt, und die meisten es auch an Opferfreudigkeit nicht fehlen lassen. Und die Grundobrigkeit, das Schottenstift, hatte das schwerste Opfer gebracht, das es bringen konnte, und sein Kirchen- und Tafelsilber eingeschmolzen, und ein ganzes Freiwilligenbataillon der Wiener Landwehr bestand aus Bürgern und Bürgerssöhnen der westlichen Vorstädte, Stiftsuntertanen der schottischen Freigründe. Nach solchen Anstrengungen und Vorbereitungen hatte jeder, auch wenn er vielleicht aus Gewohnheit und Freude am Schimpfen zweifelsüchtig tat, im stillen doch gehofft, Haus und Herd nicht abermals vom Feinde bedroht zu sehen. Und trotzdem hieß es jetzt auf einmal, der Bonaparte marschiere in Eilmärschen die Donau herunter, und die Stadt müsse so rasch wie möglich in Verteidigungszustand gesetzt werden.

Der Zeugmacher Reckenschuß von der »Munteren Tyrolerin« in der Zieglergasse hatte als Hauptmann der Bürgermiliz eine gewichtige Stimme in militärischen Dingen, wenigstens am Stammtisch. Der sah die Zukunft in düsterer Beleuchtung. Ohne Basteien sei nichts zu machen, die innere Stadt, ja, die könne man halten, wenn man wolle, aber die Vorstädte lägen offen. Wie man verhindern wolle, daß der Feind von den Vorstädten Besitz ergreift, das gehe über seinen Verstand.

»Über den Kuruzzenwall müssen die Parlezvous stolpern!« rief der Guguck entschlossen, »Hereingelassen werden sie nicht! Nein, das sag' ich gleich: so lang ich noch ein Wörtl mitzureden hab', in die Stadt herein dürfen sie uns dasmal nicht!«

Jeden Abend schlug er in der »Kleinen Kohlkreinzen« mit der Faust auf den Tisch und erleichterte sein Herz durch aufwiegelnde Reden gegen die Franzosen und durch kühne Vorschläge über die Verteidigungsmaßregeln, die man nach seiner Meinung ergreifen müsse.

»Eine Schand' wär' es, wenn sie wieder durch die Mariahilferstraße hereinmarschieren täten! Jetzt, wo wir einen Generalissimus und eine Landwehr haben! Und wenn wir sie ruhig in die Vorstädte hereinlassen – wie will man denn nachher die innere Stadt halten? Sollen wir vielleicht unsere eigenen Vorstädte bombardieren? No also! Die Vorstädte stehen heut' ein bissel anders da als wie in der Türkenzeit. Damals waren's ein paar Häuseln und Hütten. Heut' aber machen die Vorstädt' mit ihren 150,000 Inwohnern den weitaus größten Teil der Stadt aus! Den werden wir doch nicht den Parlezvous auf dem Präsentierteller entgegentragen! Und zu was ist denn der Kuruzzenwall eigentlich da, vom Erdberger Mais bis zur Spittelauer-Lände hinüber? Und haben unsere Altvordern eigenhändig Schanzarbeit verrichtet, ihn aufzuheben, nur damit die Aufschlagämter weiter hinausverlegt werden können? Das laß' ich mir nicht gefallen, ich nicht, Himmel fix hallelujah noch einmal! Über den Kuruzzenwall müssen die Parlezvous stolpern! – Aber freilich, wenn die hohe Militärbehörde nichts tut! ...«

Ja, gegen die Kuruzzen, meinte Reckenschuß, vor hundert Jahren, da sei der Linienwall vielleicht gut gewesen, aber die Franzosen mit ihren Kanonen, die seien etwas anderes als die Kuruzzen, und der Napoleon etwas anderes als der Rakoczy.

»Wir sind halt einmal die Schwächeren,« sagte der hünenhafte Mestrozzi. »Das Militär ist rar geworden, und wir Bürger können doch den Kuruzzenwall nicht halten – wir Bürger doch nicht!«

»Warum nicht?« eiferte Kebach. »Warum nicht wir Bürger?«

»Matto! Weil wir keine Waffen und keine Courage haben! Was willst du also machen? Gib dich drein und schweig still, das ist immer das Gescheiteste, so lange es einem nicht selbst an den Kragen geht!«

Einen Abend kam der Guguck sehr aufgeräumt daher.

»Jetzt paßt einmal auf, von jetzt ab wird der Wind aus einem andern Loch blasen!«

Der Woitech, den sie den roten Igel nannten, nach dem Haus und weil sein kurzes rötliches Haar wie ein Stachelfeld zum Himmel starrte, machte sich lustig über die Hitze des blauen Gugucks.

»Der Wind kann blasen aus welchem Loch daß er will; deswegen werden wir doch bald auf dem letzten Loch blasen, schwant mir!«

»So kann auch nur ein Appreteur reden!« sagte Kebach mit Geringschätzung.

Der rote Igel ärgerte sich blau, aber er schwieg. Immer, wenn er sich mit dem Guguck zankte, drohte dieser: »Du, ich geh' dir weiter!« Und das machte den Woitech sofort mundtot. Denn ein Appreteur ist auf den Fabrikanten angewiesen.

Was denn eigentlich los wär'? wollte Mestrozzi endlich wissen. Eine Neuigkeit hätt' er, frohlockte der Guguck und eine gute obendrein. Der Reckenschuß sah gelangweilt drein und bewegte seine Nüstern, um ein Gähnen zu verbergen. Diese vielen Neuigkeiten wüchsen einem schon zum Halse heraus, meinte er. Zwölfe vom Dutzend seien ohnedies erfunden und erlogen. Aber der Guguck wehrte sich und verteidigte seine Neuigkeit. Er sei kein Wassermacher, und wenn er sage so oder so, so könne man sich darauf verlassen.

»So sag doch endlich einmal so oder so!« rief der Erzengel Michael ungeduldig.

Aus des Gugucks Augen loderte es wie Wachtfeuer. Ganz kriegerisch war der sonst so friedliebende Mann in der letzten Woche geworden.

»Der MaxlErzherzog Maximilian, Bruder der Kaiserin, vom 2. bis 12. Mai 1809 Stadtkommandant von Wien. hat das Stadtkommando übernommen!«

»Soll der das Kraut fett machen?« meinte Mestrozzi und lachte lärmend. Sein geräuschvolles Wesen stand zum Namen seines Hauses, das »Zur stillen Andacht« hieß, in scharfem Gegensatz. Wenn er lachte oder sich räusperte oder sich schneuzte oder gar nieste – das war jedesmal wie ein kleines Elementarereignis für seine ganze Umgebung.

»Da gibt es nichts zu lachen,« eiferte der Guguck, »Der Maxl ist ein junger Mann, der geht scharf ins Zeug. In der ganzen Umgegend hat er Werbstationen errichtet, und auch an uns wird der Ruf ergehen. Jeder, der ein eigenes Gewehr und Pulver und Blei besitzt, soll es mitbringen. Und wer nichts anderes hat, der soll mit seiner Sense oder seiner Hacke, oder was es sonst immer ist, kommen und dem Vaterland dienen.«

»Ich bring' meine Mollettine mit und zwick' die Franzosen so lange in die Waden, bis sie davonlaufen,« spottete der Erzengel Michael.

»Auch daß die äußere Umwallung in Stand gesetzt und verteidigt wird, hat der Maxl schon angeordnet,« sagte Kebach. »Und daraus sieht jeder, daß er etwas versteht. Denn ich hab' es immer gesagt: über den Kuruzzenwall müssen die Parlezvous stolpern!«

»Ich bin schon zufrieden, wenn sie über die Basteien der inneren Stadt stolpern,« meinte Reckenschuß.

»Ich auch,« sagte der Bandmacher Kleebinder vom »Luftschützen« in der Rauchfangkehrergasse. »Ich meine nämlich, so wie der blaue Guguck sagt – das ist auch meine Ansicht. Was werden wir ihnen denn die Vorstädte preisgeben!«

Der rote Igel schwieg. Er hatte sich vorgenommen, mit einem Fabrikanten nicht mehr von Politik zu reden und sich das Seinige still für sich zu denken.

Am nächsten Morgen nahm Kebach sein spanisches Rohr und ging hinaus gegen die Schmelz, um nachzusehen. Auf dem Linienwall spielten Kinder und pflückten die gelben Blüten des Huflattichs, die sich zwischen dem Mauerwerk hervordrängten. Von einem Tschako nirgends eine Spur, und von einer Haubitze noch weniger. Nur einen Beamten des Ausschlagamtes sah er, der, die Pfeife im Mund, gemächlich die Böschung entlang bummelte, um sich zu vergewissern, daß niemand ein Pfund Butter oder einen Korb Eier über den Rayon schmuggle. Kebach wunderte sich und setzte sich auf ein Mäuerl und nahm eine Prise Spanisch-Schwarzgebeizten. Das reinigt das Hirn und macht klare Augen. Aber von einem Tschako oder einer Haubitze sah er darum doch genau so viel wie früher, nämlich nichts. Ein Bild des Friedens, breitete sich die weite, prangende Gegend vor ihm aus. Über dem dampfenden Blachfeld funkelte die Sonne, und auf dem Höhenzug, der mit dem Kahlen- und dem Leopoldsberg endete, lag ein zarter Hauch von jungem Grün.

Er blickte zurück und sah den Turm von St. Laurenz über dem Schottenfeld ragen. Das Herz wurde ihm schwer. Es empörte ihn, daß abermals diese welschen Fremdlinge, diese Landsknechte einer rohen Gewalt, es wagen würden, die Gassen dieser friedlichen Vorstadt zu betreten, wie Herren darin zu schalten, ihr Kontributionen aufzuerlegen und sich übermütig in den Häusern der Bürger bewirten zu lassen. Hatte nicht er selbst, hatten nicht seine Väter, wenn auch nur als einfache Arbeiter, mitgeholfen, diese Stätte des Gewerbfleißes zu begründen und zu schaffen? War nicht unter ihren Augen diese ganze rührige Vorstadt durch Emsigkeit und kluges Können emporgewachsen und zu dem geworden, was sie heute war: ein Hort bürgerlicher Arbeit und bürgerlicher Tüchtigkeit? Zur Zeit der zweiten Türkennot, ja zumteil noch in seinen eigenen Kindertagen, da waren diese weiten Besitzungen des Schottenstiftes noch mit ländlichen Kulturen bedeckt gewesen, und wo damals um Wall und Graben Felder und Wiesen grünten und im Herbst die blauen Trauben geschnitten wurden, da reihte sich heute Haus an Haus, und durch die bewohnten Gassen scholl unausgesetzt das Klappern der Webertritte und das Schnurren der Spulen. Und wie ein Schäfer unter seiner Herde blickte der Turm von St. Laurenz auf die vielen freundlichen Dächer nieder, die diese alte, ehrwürdige, friedliche Tätigkeit schirmten, und die Stimme seiner Glocken wachte über ihnen und mahnte sie und segnete sie. Als jüngerer Mann, am Laurenzitag vor mehr als zwanzig Jahren, war Kebach selbst dabeigewesen, wie die neuerbaute Pfarrkirche in der Schottenfelder Kirchengasse ihrem Schutzheiligen feierlich geweiht wurde, und er konnte sich noch gut der zuversichtlichen Gedanken erinnern, die ihn an diesem Festtage erfüllten. Denn durch das neue Gotteshaus hatte seine engste Heimat erst ihren Mittelpunkt erhalten und wurde gewissermaßen zu einer eigenen Stadt für sich, zu einer stillen, freudigen Gemeinde arbeitsamer Menschen. Auf diesem Boden war er geboren wie sein Vater und Großvater, hier hatte er sein kurzes Eheglück gelebt, hier hatte er sein Kind heranwachsen sehen, hier hatte er gesorgt und gespart, gerungen und sich emporgebracht. Und was gefährdete immer wieder seit Jahren und Jahren die Früchte seiner Emsigkeit und trug wüsten Kriegslärm in die stillen Gassen? Der maßlose Ehrgeiz, die rohe Habsucht und Gewalttätigkeit dieses korsischen Emporkömmlings! Der Gedanke an ihn machte ihn ganz wild. Nein! Er wenigstens würde nicht mit verschränkten Armen zusehen und den Feind durch die Mariahilferlinie hereinspazieren lassen!

»Eccolo! Blauer Guguck! Evviva!« hörte er jetzt eine bekannte Stimme im Rücken. Er wendete sich um und wurde ein wenig verlegen, als er die herkulische Gestalt des Freundes daherkommen sah.

»Je, der Mestrozzi!«

»Also, wo sind die Kanonen? Ich komm' heraus, sie zu zählen, aber sie sind so gut verschanzt, daß ich sie nicht finde. Vielleicht kannst du sie mir zeigen, Caro mio

Von italienischer Abstammung, war er doch der Muttersprache nicht mehr mächtig. Aber das lebhafte und laute Wesen des Südländers hatte er beibehalten und warf gern mit den wenigen welschen Brocken um sich, die ihm noch geläufig waren.

»Wiederum schief gegangen!« schimpfte er. »Steuern, Landwehr, schöne Proklamationen – alles für die Katz'! Eh, maladetto!«

Kebach kraute sich mit dem mächtigen silbernen Knauf seines Stockes hinter dem Hut.

»Wir sind die nächsten am Schuß,« sagte er leise erzitternd.

»Cospetto! Die nächsten am Schuß? So eine Idee! – Wir werden es doch nicht bis zum Schuß kommen lassen? Daß uns am Ende eine Kugel trifft – dank' schön! Weißt du, was wir tun? Nicht scheren tun wir uns um die ganze Komödie! Einfach hereinlassen tun wir sie! Das bissel Einquartierung wird uns auch nicht mehr umbringen.«

»Sakrament, stille Andacht, halt's Maul, sonst geht mir's Häferl über!« schrie der blaue Guguck ganz ergrimmt und hob mit einer unzweideutigen Bewegung sein spanisches Rohr.

Die schwungvollen Aufrufe, die jeden Morgen an den Straßenecken klebten, die Flugschriften gegen die Franzosen, die von Haus zu Haus flatterten, die aufreizenden Aufsätze in der Zeitung – das alles hatte sein sonst so friedliebendes Herz in ein wahres Kriegslager verwandelt. Sein vaterländischer Stolz bäumte sich auf, und diese Stadt, die es jetzt zu verteidigen galt, war es nicht auch die Stadt seines Kaisers, den jener übermütige Empereur absetzen wollte?

»Einfach hereinlassen sollen wir sie?« schrie er wütend. »Nicht scheren sollen wir uns um die ganze Komödie? Wo unser Kaiser uns in einem Brief hat ermahnen lassen, wir möchten unsern Vorfahren keine Schande machen, die sich zweimal heldenmütig gegen die Türken gehalten haben? Und das traust du dich zu sagen und willst ein Österreicher sein?«

Noch immer hielt er sein spanisches Rohr wie einen Säbel in der Faust, und es sah aus, als wollt' er im nächsten Augenblick zuschlagen. Aber er besann sich. Nein, dachte er, einbläuen könne man die vaterländische Gesinnung doch keinem Menschen. Schmachvoll genug, wenn sie nicht von selbst vorhanden. Er zuckte die Achsel und ließ den Stock sinken.

»Jetzt wär' ich fast zornig geworden!« entschuldigte er sich. »Nichts für ungut! Eigentlich geht es mich ja gar nichts an – ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr vom Neudeckerlehen, von St. Ulrich, Neustift, Wendelstadt und Neubau. Aber wir, wir sind auch noch da, verstehst? Wir, der ganze Grund!«

»Ganz Schottenfeld gegen den Napoleon!« sagte Mestrozzi. »Du, der wird sich fürchten!«

»Lach mich nur aus, wenn's dir Freud' macht,« sagte der Guguck ärgerlich. »Manchmal kommt es mir selber g'spaßig vor, daß ich jetzt auch noch mittun soll. Aber ich kann mir halt nicht helfen, die Parlezvous, die laß' ich dasmal nicht herein! Seh' auch gar nicht ein, warum wir den Linienwall nicht wenigstens so lang sollten halten können, bis uns der Erzherzog Karl zu Hilf' kommt? Das muß halt einmal sein, und folglich muß es auch gehen – wär' nicht aus! Und wenn wir Schottenfelder es ganz allein machen müßten – gut, so werden wir es halt ganz allein machen!«

***

Es standen aber auch Neudeck und St. Ulrich unteren und oberen Gutes zum Schottenfeld. Alle schottischen Freigründe insgesamt setzten einen Ehrgeiz darein, in diesen Tagen der Not nicht dahinten zu bleiben. Nein, die Stadt durfte nicht in die Hände des Feindes fallen, und nicht bloß die innere Stadt, auch die Vorstädte mußten verteidigt werden. Des Gugucks Ansicht drang durch: Wozu wär' denn nachher der Kuruzzenwall da? Über den Kuruzzenwall müssen die Parlezvous stolpern!

Als die Losung ausgegeben wurde: Alle Wehrfähigen ausrüsten, da brachte, wer irgend eine Waffe im Haus hatte, sie mit wichtiger Miene zur Behörde. Vom Schottenfeld freilich sind nur wenig Waffen eingeliefert worden beim Grundgericht. Aber nicht aus mangelnder Begeisterung, sondern deshalb, weil Zeugweber und Bandmacher keine Schießgewehre besitzen. Große Herren waren sie ja nicht, daß sie Sonntags auf die Jagd gegangen wären. Und mit der Weberschütze kann man wohl durch die Kette, aber durch keine Franzosenbrust schießen.

»Macht nichts! Wir haben ja ein Zeughaus!« sagte der Guguck.

Im alten Zeughaus am Hof lagen Mordwerkzeuge aufgehäuft aus allen Zeiten und Ländern, eine greifbare Geschichte der Stadt, des Reiches und seines Fürstenhauses. Besonders viele Trophäen aus den Türkenkriegen gab es da, Gewehre jeder Konstruktion, gerade und krumme Säbel, Roßschweifstandarten, Hellebarden und Morgensterne. Jeder, der keine Waffe besitze, könne sich aus dem Zeughaus eine holen, hieß es. Das würde er auch tun, sagte der Guguck zu Wettl. Eine Muskete oder so was müsse er kriegen, damit wolle er es schon machen. Er kannte ein Plätzchen im Linienwall, hinter der Kaiserstraße, am Garten seines Freundes Woitech, des roten Igels, wo sie schon als Buben Schlacht gespielt hatten. Niemand, der Hofkriegsrat nicht ausgenommen, wußte in diesem Terrain genauer Bescheid als er. Dort gedachte er sich mit einer möglichst großen Schar wehrhafter Mitbürger zu verschanzen und aus dem Hinterhalt gegen alle weißen Gamaschen und blauen Röcke zu feuern, die sich zeigen würden, bis nach Breitensee und Ottakrin hinüber. Von dieser Seite, meinte er, würde also eine Überrumpelung nicht zu befürchten stehen.

Der Wettl pochte das Herz, es bangte ihr um ihren Vater, und doch war sie zugleich stolz auf ihn und entzückt über die Beherztheit, die er an den Tag legte. Eigentlich war sie nicht gewohnt, ihn als Helden zu bestaunen. Aber er schien auf einmal ein ganz anderer. Die Appelle des Kaisers an das Volk, die allgemeine Stimmung in der Stadt, die Briefe des Eipeldauers, die er mit Begeisterung las, der Zorn darüber, daß trotz der äußersten Anstrengungen und schönsten Hoffnungen das Unheil nun doch wieder hereinzubrechen drohte, dies alles hatte plötzlich einen Löwen aus ihm gemacht. Auch er wollte sein Haus und seinen Herd verteidigen.

So wie er dachten freilich nicht alle, und es war bloße Neugierde, was den Färber Kitzinger vom »Paradeisvogel« im Ratzenstadtl in die innere Stadt führte, als er gehört hatte, daß vor dem Zeughaus am Hof Waffen verteilt würden. Das müsse er sich auch ansehen, dachte er, und ließ sich vom Strom der aufgeregten Menge mitreißen, die vom Stephansplatz über den Graben nach dem Hof flutete. In der engen Bognergasse wurde er fast zerquetscht, kam aber schließlich doch heil auf den großen Platz hinaus, auf dem ein ungeheurer Tumult herrschte. Eine Bande von buntem Gesindel, Männer und Weiber, Nichtstuer aller Art, davongelaufene Handwerksgesellen und Lehrbuben, Hökerinnen, vazierende Arbeiter und berufsmäßige Tagediebe – diese ganze schöne, hoffnungsvolle Schar begeisterter Vaterlandsretter hatte das Zeughaus gestürmt und schleppte haufenweis die daselbst aufbewahrten alten Waffen heraus, sie an den Pöbel zu verteilen. Jeder, der Lust dazu hatte, bemächtigte sich irgend eines veralteten Mordwerkzeuges und schwang es in der Luft und gefährdete alle Umstehenden durch seine kriegerische Laune. Wider seinen Willen war Kitzinger bis knapp vor das Haupttor des Gebäudes gedrängt worden. Es wurde ihm angst und bang, er wäre gerne ausgerissen, aber schon erwischte ein zerlumpter Geselle ihn am Rockkragen und fragte ihn, wer er sei. Er wagte nicht aufzumucken, denn der Kerl war in abenteuerlicher Weise bis auf die Zähne bewaffnet und schien einer der Führer der johlenden und schreienden Horde zu sein, die die Verteilung der Waffen ins Werk setzte. Zaghaft nannte er Namen und Stand.

»Gut Freund!« rief der bewaffnete Falott. »Waffen her für den wackeren Bürger!«

Man schnallte ihm einen verrosteten Türkensäbel um und gab ihm einen schweren, eisernen Morgenstern in die Hand. Und zum Schießen müsse er auch etwas haben, meinte der zerlumpte Krieger und steckte ihm eine große Reiterpistole in die Weste. Der Paradeisvogel zitterte am ganzen Leib und beteuerte, daß er mit Waffen nicht umgehen könne, und daß er sich keine verlange. Beständig schwebte er in Todesangst, die Pistole, die ihm in der Brust stak, könnte durch eine unvorsichtige Bewegung nach unten losgehen, und die Kugel ihm in den Leib fahren. Es war aber längst aus dem Feuersteinschloß der Feuerstein herausgefallen, und irgend ein Witzbold hatte ein Stückchen altbackenes Brot dafür in die stählerne Zwinge gesteckt. Das konnte der Färber natürlich nicht wissen, er verstand nicht das geringste von Schießwaffen und traute sich auch nicht, die Pistole herauszunehmen und näher zu untersuchen, weil er sie zu dem Behuf hätte anfassen müssen; wenn er sie aber anfaßte, fürchtete er, würde sie erst recht losgehen.

Sein Benehmen war nicht ganz zweckmäßig: er wehrte sich gegen die Waffen und bat, man mög' sie ihm wieder abnehmen. Darob wurde der verlumpte Kerl, der überdies halb betrunken schien, ungehalten und schrie, das sei ein Verdächtiger, der wolle nicht mittun! Mit einem Fauststoß in den Rücken warf er ihn einem Paar Spießgesellen in die Arme und befahl ihnen, ihn zu überwachen und auf die Bastei zu führen. Es sei eine feige Memme von Bürger, die vermutlich entwischen und sich um ihre Pflicht gegen das Vaterland herumdrücken wolle. Und die beiden herabgekommenen Bursche, die mit schweren Reitersäbeln und Hellebarden ausgerüstet waren, nahmen den Paradeisvogel in die Mitte und machten wirklich Miene, ihn fortzuschleppen.

Zum Glück hörte man jetzt gemessene Kommandorufe und sah eine Reihe weißer Waffenröcke blinken. Militär war aufgezogen und hatte die Eingänge des Zeughauses besetzt. Mit gefälltem Bajonett ging ein Zug Soldaten gegen die Menge vor, trieb sie auseinander, verhaftete die Rädelsführer, so weit man ihrer habhaft werden konnte, und bemächtigte sich der geraubten Waffen. Die beiden Krieger, die Kitzinger eskortierten, ließen ihr Opfer fahren und suchten das Weite. Der Färber selbst aber fiel jetzt den richtigen Soldaten in die Hände und wurde vor den kommandierenden Offizier geführt, um sich als Waffenräuber zu verantworten. Indessen kam er mit dem bloßen Schreck davon. Man brauchte ihn wirklich nur anzusehen, um von seiner Engelsunschuld überzeugt zu sein. Der Offizier glaubte ihm aufs Wort, daß er zu seinen Waffen gekommen sei wie die Magd zum Kind, befreite ihn lachend von Säbel, Morgenstern und Pistole und ließ ihn laufen. Vorher aber konnte er sich nicht versagen, aus der Pistole noch einen Schuß gegen ihn abzufeuern, worüber Kitzinger entsetzt aufkreischte, obgleich es nicht geknallt hatte. Der Offizier erklärte ihm vergnügt, zum wirklichen Losgehen bedürfe es erstens eines Pulvers auf der Pfanne und zweitens eines Feuersteines statt des Stückchens trockenen Brotes, das im Schloß stecke. Aber der Färber meinte, es sei doch kein guter Spaß gewesen; denn er wisse von vielen Fällen, wo ein Gewehr losgegangen sei, trotzdem es nicht geladen gewesen wäre.

Jetzt begann unter behördlicher Aufsicht die regelrechte Verteilung der Waffen, und jeder, der sich entsprechend ausweisen konnte, bekam aus dem großen Vorrat, was ihm gerade zu Gesicht stand. An einem schönen Maiabend hatte sich auch der Guguck im Zeughaus eingefunden. Man anvertraute ihm auf seinen Wunsch eine große alte Arkebuse, ein mordsmächtiges Schießgewehr mit einem gewaltigen Haken, der den Rückschlag auffangen sollte, damit man nicht hinpurzle nach jedem Schuß. Das war schon fast eine kleine Kanone, vor der würden die Parlezvous schon Respekt kriegen, meinte er, wenn sie den Lauf über den Linienwall lugen sehen!

Über die Bognergasse und den Kohlmarkt trug er seine Hakenbüchse heimwärts und schwitzte weidlich dabei, denn sie wog gut ihre vierzig Pfund. Auf einmal machte sich im Gewühl der Menschen einer an ihn heran und hängte sich förmlich an ihn und redete etwas, aber er verstand es nicht. Es war, als griffe jemand nach seinem Gewehr und wolle es ihm wegnehmen. Unwillig wendete er sich und blickte um und hörte jetzt eine Stimme:

»Geben Sie mir zu tragen Ihre Muskete, Herr von Guguck, weil sie Ihnen wird zu schwer!«

Schabsel war es, der sich dienstwillig genähert und sich an ihn gehängt hatte. Aber der Guguck war stolz auf seine Hakenbüchse und wollte sie selbst nach Hause tragen. Was fiel dem zudringlichen Menschen ein, daß er sie ihm wegzunehmen versuchte? Er könne sein Gewehr ganz gut allein tragen, sagte er abweisend; und Sacktücheln kaufe er heut' keine.

»Der Herr von Guguck ist nicht stark genug, zu tragen eine so schwere Muskete bis in die Zieglergasse!« sagte Schabsel.

»No, und der Schabsel,« meinte der Guguck, »der ist vielleicht stärker als ich?«

»Der Schabsel ist gewohnt zu tragen seinen schweren Pünkel, aber der Herr von Guguck ist nicht gewohnt zu tragen einen schweren Pünkel.«

Kebach wiederholte, daß er sein Gewehr allein tragen wolle.

»Der Herr von Guguck muß nicht glauben,« sagte Schabsel gekränkt, »daß ich will tragen die Muskete um Geld. Aber weil jetzt ist eine schwere Zeit, wo einer muß helfen dem andern, so hätt' ich mich gerne gezeigt erkenntlich für das Gute, das mir immer erwiesen hat der Herr von Guguck.«

Kebach freute sich und lachte über sein ganzes Gesicht. Beinah' hätt' er den Schabsel umhalst, hätte die Arkebuse ihn nicht daran gehindert. Von allen Seiten wurde dieser Mensch, wenn Frieden war, getreten wie ein Hund; und doch wollte er jetzt in der allgemeinen Not mithelfen und auch das Seinige tun. Er dankte ihm und sagte, er nehme gern den Willen für das Werk, aber die Hakenbüchse sei ihm wirklich nicht zu schwer, er würde es schon zwingen, und ein Vaterlandsverteidiger müsse sich seine Waffen selbst tragen, sonst wäre es ja eine Schande, und man würde ihn auslachen. Der Schabsel möge sich irgend anders nützlich zu machen suchen.

»Wie soll sich nützlich machen ein armer Jud',« sagte Schabsel traurig, »jetzt, wo es ist Krieg? Selbst geben sie mir keine Muskete, daß ich helfen könnt' verteidigen die Stadt und meine Kalle und meine Kinder. Und wenn sie mir geben täten eine Muskete, so tat' ich mich doch fürchten, daß sie geht los. Seh' ich aus wie ein Held? No also! Der Schabsel ist kein Held, der Schabsel ist ein armer Packesel. Aber wie soll sich nützlich machen ein armer Packesel, wenn niemand ihm gibt etwas zu tragen und alle glauben, er will es machen um Geld?«

Der Guguck meinte, es würde sich schon irgend eine Schanzarbeit oder dergleichen auf den Basteien für ihn finden, wenn er mittun wolle. Er dankte ihm nochmals und trug seine Hakenbüchse weiter, über die Stadtgrabenbrücke, deren Geländer noch immer wackelte, und durch das Burgtor, das noch immer nicht frisch angestrichen war. Auf dem Glacis fiel es ihm auf, daß es so menschenleer war, und als er sich den kaiserlichen Stallungen näherte, bemerkte er, daß es auch auf dem Getreidmarkt und auf der Laimgrube wie ausgestorben aussah. Das Gewehr drückte jetzt wirklich schwer auf der Schulter, und die Abendsonne stach, daß er stehen bleiben und sich die Stirne trocken wischen mußte. Aber wie er wieder weitergehen wollte, da trat auf einmal auf dem Glacis unter der Laimgruben ein Träublein Soldaten hinter der Johanneskapelle nächst den kaiserlichen Stallungen hervor und rief nicht etwa »Wer da!«, sondern ganz ungeniert »Qui vive!«

Erst wollte er lachen über eine solche Dreistigkeit, und dann meinte er einen Augenblick, er habe einen bösen Traum. Als er aber sah, daß es wirklich Franzosen waren, da fuhr ihm der Schreck gehörig in die Beine. Ja, wo kamen denn die her, wie vom Himmel geschneit? War denn der Feind schon in die Vorstädte eingedrungen, ohne daß man drinnen in der Stadt, wo doch ansehnlich genug Militär stand, etwas davon wußte? Am liebsten hätte er geweint vor Zorn und Scham über eine solche Überrumpelung. Und dann wurde er sich auf einmal seiner eigenen Lage bewußt. Ganz schwindelig ward es ihm vor den Augen, denn es fiel ihm ein, daß sie es für Kriegsrecht halten könnten, jeden Nichtkombattanten, der sich mit der Waffe in der Hand betreten ließ, durch Erschießen vom Leben zum Tode zu befördern. Starr und kreidebleich stand er vor ihnen und konnte auf die Fragen, die sie an ihn richteten, nicht antworten, weil er sie nicht verstand. Da er aber annahm, daß sie ihm vermutlich sein Nationale abfragen wollten, so faßte er sich ein Herz und stellte sich vor.

Der blaue Guguck aus der Zieglergasse sei er und einer der vermöglichsten Zeugweber am Grund. Und falls er jetzt ihr Gefangener wär' – auf ein Lösegeld käm' es ihm gerade nicht an, wenn es schon durchaus sein müßt'.

Sie verstanden ihn zwar auch nicht, doch erkannte er zu seiner freudigen Überraschung, daß sie gar nicht besonders aufgebracht waren und sich untereinander ganz gemächlich über ihn zu unterhalten schienen. Da sie ihm weder Handschellen anlegten, noch auch nur Miene machten, ihn gefangen zu nehmen, fiel ihm eine Zentnerlast vom Herzen, und er dachte, das Klügste würd' es wohl sein, so zu tun, als ob nichts geschehen wäre, und sich gesprächsweise mit ihnen einzulassen. Er fragte, wie sie denn hereingekommen wären, und meinte, wenn er aufrichtig sein dürfe, so müsse er schon gestehen, daß es ihm keine besondere Freude mache, sie hier zu sehen. Sie schüttelten aber nur den Kopf, weil sie kein Wort verstanden. Er zuckte die Achsel und drückte durch Handbewegungen sein Bedauern aus, daß es ihm unmöglich sei, sich verständlich zu machen. Und schließlich, da sie jetzt einmal da waren und auch wie Menschen aussahen und sogar wie recht gutmütige, bedachte er, daß die armen Kerle eigentlich nichts dafür könnten, wenn ihr Empereur sie in unsinnigen Tag- und Nachtmärschen auf Wien hetze. Als einzelnen Menschen dürfe man es ihnen nicht nachtragen, genug verstaubt und herabgekommen sähen sie ohnedies schon aus. – Sie würden wohl recht totmüde sein? fragte er; und auch lieber zu Haus bei den Ihrigen sitzen, als da an der Laimgrube herumzustrabanzen? Und als sie abermals den Kopf schüttelten, wurde er ungeduldig und sagte ärgerlich, mit dem Zeigefinger auf seine Brust deutend:

»Parlez-vous français, Monsisur? Non monsieur! Nix französisch! Nurr deitsch! Nurr deitsch!«

Da lachten sie und bedeuteten ihn, er könne jetzt seines Weges gehen. Er war recht froh darüber und ließ es sich nicht zweimal sagen. Er zog den Hut, und als sie ihn höflich salutierten, fand er, daß sie recht gute Umgangsformen hätten und einzeln genommen überhaupt ganz nette Leute wären. Aber erst nachdem er sich ein paar Dutzend Schritte von ihnen entfernt hatte, atmete er tiefer auf und konnte jetzt erst so recht an seine Rettung glauben. Erlöst und erleichtert, mit dem Gefühl, einer ernsten Gefahr entronnen zu sein, setzte er, so schnell als seine Beine ihn tragen wollten, seinen Weg fort und stürmte wie ein Jüngling die Laimgrube hinauf.

Atemlos langte er im »Blauen Guguck« in der Zieglergasse an, und die Wettl schlug vor Schreck und Staunen die Hände zusammen, wie er erzählte, daß er mit den Parlezvous zusammengestoßen sei. Der Kupka war gerade da, sein Schneider, der hatte Kebachs Nankinbeinkleider ausgelassen, die um die Mitte etwas zu knapp geworden waren, und wollte jetzt anprobieren. Aber angesichts solcher Neuigkeiten vergaßen sie beide aufs Hosenprobieren, der eine vor lauter Erzählen, der andere vor lauter Zuhören. Der Kupka mußte sich setzen, es wurde ihm fast ein wenig herzschwach, er sank auf einen Stuhl und kreistete vor Schreck, indem er unausgesetzt die langen, beweglichen Finger wie aufgeregte Schlangen durcheinanderkriechen ließ.

Und ob sie ihn denn nicht standrechtlich erschossen hätten? fragte er ganz benommen.

»Auf ein Haar! Es hat nicht viel gefehlt!« beteuerte der Guguck.

»Nein, den Schrecken! Nein, den Schrecken! Heiliger Johann von Nepomuk!«

»Ich hab' ihnen natürlich gesagt, wer ich bin,« erzählte Kebach. »No, und da haben wir dann ganz friedlich miteinander geredet. Sie können ja eigentlich nichts dafür, die armen Soldaten, daß sie in den Krieg müssen, sicher wären sie auch lieber zu Haus geblieben. So einzeln genommen sind es gar nicht üble Leut'. Man kann ihnen fast nicht bös sein. Und daß sie durchaus kein Lösegeld haben annehmen wollen, war sogar sehr anständig von ihnen, überhaupt – einen gewissen Schliff haben sie, die Parlezvous, das wird jeder sagen müssen, der einmal näher mit ihnen verkehrt hat. Schad', daß wir in Feindschaft mit ihnen leben müssen!«

Er zeigte mit der Hand, wie sie ihm salutiert hatten, und machte eine leichte Verbeugung dazu.

Endlich erinnerte sich Wettl, daß er ja ausgezogen war, um Waffen zu fassen. Ob er denn keine bekommen hätte?

»Freilich,« sagte er, »eine mordsmäßige Hakenbüchse!«

Wo sie denn wäre?

Da wurde es ihm selbst erst recht bewußt, daß die französische Patrouille ihm das Gewehr abgenommen hatte. In seinem Todesschrecken und der darauf folgenden Erleichterung hatte er an die alte Arkebuse gar nicht mehr gedacht.

»Ah sooo?« machte Kupka; »haben sie Ihnen Schießprügel weggenohmen?«

»Tun Sie nicht so böhmakeln!« herrschte Kebach ihn an.

»Und der Herr Vater hat das Gewehr wirklich hergegeben?« stieß Wettl zornig hervor.

»Hätt' ich mich vielleicht sollen massakrieren lassen?« rief er etwas beschämt. »Wär' dir das vielleicht lieber?«

Nein, das mußte sie einsehen, so kriegerisch sie gesinnt war. Eigentlich konnte sie totfroh sein, daß sie den Vater lebendig zurück hatte. Und wenn die Franzosen ohnedies schon an der Laimgruben standen ...

»Alsdann, jetzt mach mich nicht fuchtig!« sagte er. »Es ist traurig genug, daß die Parlezvous sich in die Vorstädt' einschleichen können, ohne daß in der inneren Stadt auch nur ein Mensch eine Ahnung davon hat. Aber wenn sie jetzt schon einmal herinnen sind in Mariahilf und Schottenfeld, so kann ich mich doch nicht mit meiner Hakenbüchse in den Kuruzzenwall legen? Daß sie mich vielleicht von hinten herum umzingeln! Das muß doch jeder einsehen! Na also!«


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