Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eberts Rechenschaft über sein Verhalten im Kriege

Rede auf der Reichskonferenz der Partei
21.9.1916

Genossinnen und Genossen! Der Weltkrieg traf uns bei den Vorbereitungen zum Parteitag. Wir hatten ein Jahr lebhafter politischer Arbeit hinter uns, bei der alle Faktoren der Partei einheitlich und tatkräftig zusammengewirkt haben. Trotz schlechter wirtschaftlicher Konjunktur war es gelungen, die Parteipresse und die Organisation weiter auszubauen und zu festigen; unsere Mitgliederzahl hatte sich um 10 % gesteigert und damit zu unserer großen Freude das lang erstrebte Ziel von einer Million überschritten. Die Steigerung der Abonnentenzahl der Parteipresse war geringer, aber es war doch möglich gewesen, den im Vorjahre erlittenen Verlust an Abonnenten wieder wettzumachen. Die Wirkungen des Krieges haben auf die Organisationen und die Presse gleich mit voller Wucht eingesetzt. Im September 1914, nach vollzogener Mobilmachung, konnten wir durch eine Umfrage feststellen, daß in 331 Wahlkreisen etwa 30 % unserer Mitglieder zum Heeresdienst eingezogen waren; in sechs Bezirken betrug die Zahl der Eingezogenen sogar über 50 %. Die Parteipresse hatte sechs Wochen nach Kriegsausbruch ein Fünftel ihrer Abonnenten verloren. Der Verlust in den einzelnen Provinzen ist nach den militärischen und wirtschaftlichen Verhältnissen verschieden gewesen. Aber auch schon damals hatte bereits Straßburg im Elsaß einen Verlust von 50 % der Abonnenten. Wir haben deshalb bereits bei Kriegsausbruch, Anfang August, die Parteipresse bitten müssen, sich die allergrößte Einschränkung und größtmöglichste Sparsamkeit aufzuerlegen. Es mußten erhebliche Kürzungen der Gehälter der Parteiangestellten vorgenommen werden, nur so war es möglich, den Parteigeschäften über die ersten großen Schwierigkeiten hinwegzuhelfen.

Über die Zahl der zum Heere eingezogenen Mitglieder können zuverlässige Angaben nicht gemacht werden, teils haben die Organisationen darüber überhaupt nicht berichtet, teils sind die Angaben offenbar unvollständig; es fehlt ja auch jede Möglichkeit der Kontrolle und genauen Feststellung. Jedenfalls müssen wir mit der Tatsache rechnen, daß unser Mitgliederstand und der Abonnentenstand der Parteipresse weit über die Zahl der zum Heeresdienst Eingezogenen hinaus zurückgegangen ist. Das zeigt insbesondere der starke Rückgang der weiblichen Mitglieder, trotz der gesteigerten Erwerbsmöglichkeit für Frauen im Kriege. Der Rückgang in den einzelnen Bezirken ist verschieden. Ich kann mich darauf nicht näher einlassen, aber nach dem vorliegenden Material darf gesagt werden: Je fester eine Organisation gefügt ist, je besser insbesondere die Beitragskassierung durchgeführt ist und je mehr die Mitglieder mit den positiven Arbeiten der Partei während des Krieges beschäftigt worden sind, desto geringer ist der Rückgang der Mitglieder. Dort, wo jahrelang das ganze Parteileben ausschließlich vom Parteistreit erfüllt war, ist es durchaus nicht verwunderlich, wenn diejenigen Mitglieder, die nicht gefestigt sind, schließlich der Partei den Rücken kehren.

Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten unserer Parteipresse sind augenblicklich sehr groß. Sie sind verschärft worden durch die ungeheure Verteuerung des Papiers und der sonstigen Betriebsmaterialien. Wir haben, das zeigen die vorhin genannten Ziffern, bisher alles getan, was in unserer Kraft stand, um alle Parteiblätter über Wasser zu halten. Das soll nach Kräften auch in Zukunft geschehen, aber mehr als unsere Kraft zuläßt, können wir nicht leisten; deshalb muß ich auch an dieser Stelle die Geschäftsführer unserer Parteiunternehmungen auf das allerdringendste ersuchen, ihre geschäftlichen Dispositionen so zu treffen, daß sie ohne Zuschüsse der Zentralkasse künftig durchkommen.

Unter dem Kriegszustand und bei seiner langen Dauer ist eine möglichst enge Fühlungnahme zwischen der Zentralleitung der Partei und den einzelnen Organisationen im Lande notwendiger denn je. Wir haben deshalb, sobald sich die Möglichkeit geboten hat, nicht nur den Parteiausschuß, sondern auch die Redakteure unserer Parteipresse, die Geschäftsführer der Parteiunternehmungen und die Bezirksleitung der Jugendbewegung wiederholt zu Konferenzen zusammenberufen, um die Situation mit ihnen zu besprechen. Diese Verhandlungen waren für uns außerordentlich wichtig und haben uns unsere Tätigkeit wesentlich erleichtert. Ich kann freilich auf Einzelheiten dieser Verhandlungen jetzt nicht eingehen, sondern muß mich darauf beschränken, in großen Zügen ein Bild der Tätigkeit der Parteileitung auf den wichtigsten Gebieten zu geben.

Auf unsere Stellung zum Belagerungszustand hat schon Genosse Scheidemann hingewiesen. Gleich in der ersten Zeit nach dem Kriege haben wir der Regierung gegenüber energisch den Standpunkt vertreten, daß die Aufrechterhaltung des Belagerungszustandes in allen Teilen des Reichs und während der ganzen Dauer des Krieges mit der Verfassung unvereinbar ist. Unter keinen Umständen dürfe aber die Vertretung der eigenen politischen Anschauung unterbunden werden. Das Recht der Kritik, insbesondere der Kritik in wirtschaftlichen und sozialen Fragen, müsse gewahrt bleiben. Diesen Standpunkt haben wir fortgesetzt der Regierung gegenüber vertreten, insbesondere auch bei der Erörterung der vielen Beschwerden über Mißgriffe und Übergriffe der Militärbehörden. Wir haben in einer besonderen Denkschrift gegen das System der militärischen Sicherheitshaft und gegen die sinnlosen und vielfach durchaus ungerechtfertigten Verhaftungen den allerschärfsten Protest bei der Reichsregierung erhoben. Noch kürzlich bei Einleitung unserer letzten Aktion haben wir der Regierung gegenüber mit großem Nachdruck die Aufhebung des Belagerungszustandes verlangt. – Auch über das Verhalten der einzelnen Parteigenossen zum Belagerungszustand hat sich der Parteivorstand gleich bei Beginn des Krieges schlüssig gemacht. Am 31. Juli 1914 bereits ist an die Redaktionen unserer Parteipresse ein Rundschreiben ergangen, in dem von uns ausgeführt wird: »Es versteht sich von selbst, daß unsere Presse unseren Standpunkt gegenüber den politischen Ereignissen auch in Zukunft klar zum Ausdruck bringen wird. Wir machen jedoch darauf aufmerksam, daß es im Interesse der Partei unter allen Umständen vermieden werden muß, durch unvorsichtige, zweideutige, herausfordernde, durch die Sache nicht selbst begründete Wendungen Gefahren für die Partei heraufzubeschwören und einzelnen harte Opfer unnütz aufzuerlegen. Besondere Vorsicht ist für die im Rayon von Festungen erscheinenden Zeitungen geboten.« In einem Aufruf an die Partei am 1. August haben wir nach der Richtung hin folgendes gesagt: »Die strengen Vorschriften des Kriegsrechts treffen mit furchtbarer Schärfe die Arbeiterbewegung. Unbesonnenheiten, nutzlose und falsch verstandene Opfer schaden in diesem Augenblick nicht nur dem einzelnen, sondern unserer Sache.« In dieser Auffassung war damals der Parteivorstand vollständig einig. Diese Stellungnahme ist bereits in einer früheren Konferenz der Redakteure, und zwar nach dem Marokkokonflikt, auf Veranlassung und mit Zustimmung des Genossen Bebel festgelegt worden. Diese Auffassung ist damals und auch in der ersten Zeit des Krieges von keiner Seite angefochten worden. Es ist eben die in der Partei gegebene Stellungnahme. Sie ist schon unter dem Sozialistengesetz sowohl unklugem Übereifer als auch sinnlosen putschistischen Neigungen gegenüber mit aller Entschiedenheit zur Durchführung gebracht worden.

Über die Kriegswirkungen auf das wirtschaftliche und soziale Leben konnte die Partei von vornherein nicht im Zweifel sein. Das hat uns auch Bebel oft genug, zuletzt auf dem Parteitag in Jena 1911, in allen seinen Konsequenzen geschildert. Wir haben deshalb sofort nach Kriegsausbruch gemeinsam mit der Generalkommission der Gewerkschaften es als eine unserer wichtigsten Aufgaben betrachtet, den wirtschaftlichen Kriegswirkungen nach Möglichkeit entgegenzuwirken. Dabei handelte es sich für uns zunächst um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, um Hergabe von Reichsmitteln zur Unterstützung Arbeitsloser, um Erweiterung und Erhöhung der Unterstützung von Kriegerfamilien, um die Schaffung einer Wöchnerinnenhilfe durch das Reich und um Neuregelung der Fürsorge für Kriegsverletzte und Hinterbliebene gefallener Soldaten. Um diese Fragen vorzubereiten, waren umfangreiche Vorbereitungen mit sachkundigen Genossen erforderlich. Später sind diese Forderungen in vielen Verhandlungen mit der Regierung hartnäckig von uns vertreten worden, ebenso von der Fraktion im Reichstag. Das Erreichte ist allerdings ungenügend und unvollständig. Was aber an Verbesserungen geschaffen ist – das dürfen wir, ohne ruhmredig zu sein, sagen –, das ist fast ausschließlich auf die Initiative und die intensive Tätigkeit der Partei und der Gewerkschaften zurückzuführen. Besonders muß ich hier hervorheben die riesige Arbeit, die auf diesen Gebieten unsere Genossen in den Landtagen und in den Gemeinden, unsere Partei- und Arbeitersekretäre und andere Tausende von Genossinnen und Genossen geleistet haben. Die Partei leistet hier wertvolle soziale Arbeit, die auch von nachhaltigem politischem Werte sein wird.

Die zweite große Aufgabe auf diesem Gebiete ist die Sicherung der Volksernährung. Es kann nicht meine Aufgabe sein, die Ernährungsfrage hier aufzurollen. Nicht um eine Kritik der Ernährungspolitik und des Lebensmittelwuchers kann es sich hier handeln, sondern nur um die Tätigkeit der Parteileitung. Wir haben in einer Broschüre das hier in Betracht kommende Material zusammengestellt, und ich empfehle sie Ihrer besonderen Beachtung. Daraus ergibt sich, daß Partei und Gewerkschaften gleich nach Kriegsausbruch mit einem wohlvorbereiteten Programm, das durchgreifende Maßnahmen forderte, hervorgetreten sind. Deutschland hatte vor dem Kriege eine Einfuhr an Brotgetreide von 10 % seines Gesamtbedarfs und eine Einfuhr von etwa 44 % seiner gesamten Futtermittel. Der Wegfall dieser Zufuhren mußte selbstverständlich unsere Volksernährung aufs höchste gefährden. Deshalb haben wir sofort eine rationelle Neuregelung und Organisation unserer gesamten Lebensmittelversorgung beantragt, soweit das in der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt durchführbar ist. Selbstverständlich war dabei mit dem heftigsten Widerstand der Interessenten zu rechnen, sowohl der Produzenten wie der Händler. Deren Widerstand mußte überall soweit als möglich das Konsumenteninteresse entgegengestellt werden. Dazu gehörte, daß wir unsere Forderungen nicht nur in der Presse und in den Parlamenten vertraten, sondern auch in direkten Verhandlungen der Regierung gegenüber. Dabei haben wir stets eine sehr deutliche Sprache geführt. Es ist von uns immer mit großem Nachdruck auf die Notlage der Arbeiterschaft hingewiesen und scharfe und rücksichtslose Kritik geübt worden. Wie hartnäckig und unablässig wir hier tätig waren, wie immer erneut auf die Mißstände und Fehler der Lebensmittelversorgung hingewiesen und neue Forderungen gestellt wurden, das ergibt sich aus dem vorliegenden Material. Die Ernährungsfrage ist auch fast in jeder Sitzung mit dem Parteiausschuß verhandelt worden, mehrmals sehr eingehend. Einmal ist dieser Frage allein eine zweitägige Verhandlung eingeräumt worden. Wiederholt hat die Partei auch Aktionen gegen den Lebensmittelwucher über das ganze Reich eingeleitet, und zwar ohne Rücksicht auf den Belagerungszustand. Wir haben Parlamentsreden, Aufrufe und Flugblätter zur Massenverbreitung herausgegeben, wir haben die Organisationen aufgefordert, in Mitgliederversammlungen, öffentlichen Versammlungen und wo immer sich die Möglichkeit bietet, die Ernährungsfragen in unserem Sinne zu behandeln, Partei- und gewerkschaftliche Organisationen sind aufgefordert, örtliche Einrichtungen zur Überwachung und Bekämpfung des Wuchers zu schaffen. Die Vertreter unserer Partei in den Landtagen und Gemeindevertretungen haben wir ersucht, fortlaufend die Lebensmittelfrage zu erörtern und zu veranlassen, daß auch von den Bundesstaaten und den Gemeinden ernstere und durchgreifendere Maßnahmen getroffen werden. Soweit wir Berichte der Organisationen erhalten haben, darf gesagt werden, daß überall unsere Parteiorganisationen nach der Richtung hin ihr Bestes und Möglichstes getan haben. Wir haben also alle erfolgversprechenden Kampfmittel und alle taktischen Möglichkeiten, die wir auch in Friedenszeiten im politischen Kampfe anwenden, für den Kampf gegen den Kriegswucher eingesetzt. Dabei kann ich feststellen, daß bei allen Beratungen im Parteiausschuß und ebenso in der Reichstagsfraktion in der Beurteilung der Lebensmittelfrage, in ihrer Kritik und in den Forderungen, die die Partei zu stellen hat, volle Übereinstimmung bestanden hat.

Auch bei der letzten großen Ernährungsdebatte im Reichstag, im Plenum sowohl wie in der Kommission, haben sich Gegensätze zwischen Fraktion und Arbeitsgemeinschaft nicht ergeben. Die Arbeitsgemeinschaft hat zu unseren Anträgen noch nicht einmal Abänderungsanträge eingebracht, sie hat ihnen ohne weiteres zugestimmt. Es kann also festgestellt werden, daß in der Stellung der Partei zu den Ernährungsfragen Gegensätze so gut wie nicht bestehen. Trotzdem hat wohl nichts mehr zur Verschärfung der Parteigegensätze beigetragen als die Lebensmittelschwierigkeiten. Das klingt zwar paradox, aber es ist so. Es ist manchmal im Parteistreit die Lebensmittelfrage zu demagogischen Spekulationszwecken benutzt worden. Manchmal hat man die mit Recht in der Bevölkerung vorhandene leidenschaftliche Erregung die eigene Partei entgelten lassen. Nichts leichter als das. Nutzen von einer solchen Taktik haben allerdings nur die Lebensmittelwucherer, den Schaden hat die Partei, die Partei, die während ihrer ganzen Geschichte auf keinem anderen Gebiete mit so großem Fleiß, mit so großer Hartnäckigkeit die proletarischen Interessen vertreten hat, wie in der Ernährungsfrage. Wenn gleichwohl heute große Mängel in der Organisation der Lebensmittelversorgung vorhanden sind, wenn mit der Politik des Abwartens und der Halbheiten immer noch nicht gebrochen ist, wenn Wucher und Profitsucht sich immer noch breit machen können, so darf doch nicht die Bedeutung der Parteiarbeit verkannt werden. Wie stände es heute, wenn die Genossen in Partei und Gewerkschaften, wenn die Tausende unserer Genossen in den Landtagen und Gemeinden nicht so intensiv auf diesem Gebiete gearbeitet hätten! Daß dann die Interessen der Arbeiterklasse bei der Regelung der Lebensmittelfrage noch weniger berücksichtigt worden wären, liegt auf der Hand. Gerade wir Sozialdemokraten dürfen nicht verkennen, daß die privatkapitalistische Wirtschaftsordnung aufgebaut ist auf Profit und Gewinn, daß es unmöglich ist, in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung Wucher und Ausbeutung auf dem Wege von Verordnungen und Paragraphen aus der Welt zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist eben der Kampf um die Sicherung der Volksernährung ein Teil unseres großen Kampfes um Erringung der politischen Macht. Deshalb gilt es, diesen Kampf mit verstärkter Macht fortzuführen. Je einmütiger und entschlossener die Arbeiterschaft ihn führt und hinter Partei und Gewerkschaften steht, desto sicherer der Erfolg!

Ein anderes wichtiges Tätigkeitsgebiet sind die Bestrebungen des Parteivorstandes, die Aktionsfähigkeit der Internationale wieder herbeizuführen. Es braucht hier nicht erst gesagt zu werden, wie aufrichtig und ernst es die deutsche Sozialdemokratie allezeit mit ihren internationalen Pflichten gehalten hat. Die internationale Solidarität haben wir stets durch die Tat bekundet, und zwar reichlich und freudig! Dieser Pflicht sind wir bis in die letzten Stunden vor dem Krieg gerecht geworden. Die Kriegsgefahr haben wir mit aller uns zu Gebote stehenden Kraft bekämpft. Wir haben aber auch bei der Internationale niemals Illusionen erweckt über unsere Macht zur Verhinderung des Krieges. Über die Stellung der Partei im Falle eines Krieges ist auf dem Stuttgarter Internationalen Kongreß eingehend verhandelt worden. Bebel hat sich damals mit aller Schärfe gegen den von französischer und englischer Seite geforderten Kriegsstreik ausgesprochen, und auf dem Jenaer Parteitag von 1911 hat Bebel noch einmal auf diese Verhandlungen zurückgegriffen und seinen Standpunkt unter Zustimmung des ganzen Parteitages von neuem dargelegt und vertreten. Als kurz vor Kriegsausbruch das Internationale Bureau am 28. Juli zusammentrat, hat auch niemand vom Kriegsstreik gesprochen. Das Internationale Bureau hat damals das Proletariat in den kriegführenden Ländern aufgefordert, »in den Kundgebungen gegen den Krieg fortzufahren und sie zu verstärken«. Das haben wir getan, soweit unsere Kraft reichte. Wir haben aber ein weiteres getan. Als das Verhängnis schon unabwendbar schien, haben Parteivorstand und Fraktion den Genossen Müller beauftragt, nach Brüssel und Paris zu fahren, Fühlung zu halten mit dem Internationalen Sozialistischen Bureau und der Partei Frankreichs und möglichst eine einheitliche gemeinsame Stellungnahme in die Wege zu leiten. Die Ereignisse haben sich damals überstürzt, die Verhandlungen konnten zu keinem Ergebnis führen; Müller kehrte zurück mit der festen Überzeugung, daß unsere französischen Parteigenossen für die Kriegskredite stimmen würden. – Nach Kriegsausbruch hat dann die Parteileitung ihre Bestrebungen, eine Verständigung und Fühlungnahme mit der Internationale herbeizuführen, von neuem aufgenommen und unausgesetzt fortgeführt. Im September 1914 bereits haben Mitglieder des Parteivorstandes in der Schweiz versucht, mit der französischen Partei in Fühlung zu kommen. Der Versuch ist mißglückt, nicht durch unsere Schuld. – Einige Wochen später erklärte sich die holländische Partei bereit, die Funktionen des Internationalen Bureaus zu übernehmen und eine Verständigungsaktion unter den Parteien der kriegführenden Länder einzuleiten. Der Vorschlag wurde uns erst unterbreitet, als er bereits die Zustimmung der drei skandinavischen Parteien gefunden hatte. Wir haben diesen Vorschlag freudig begrüßt, ebenso unsere österreichischen Freunde. Die französische Partei dagegen hat gegen ihn heftigen Protest erhoben. Später ist das Internationale Bureau doch nach dem Haag verlegt worden. Die Leitung blieb aber in den Händen der belgischen Parteigenossen, sie wurde verstärkt durch die drei holländischen Mitglieder im Bureau. Nun hat das Bureau selbst einen Verständigungsversuch unternommen. Es hat vorgeschlagen, daß zunächst jede Partei in den kriegführenden Ländern mit dem Bureau im Haag einzeln verhandeln solle. Das Ziel dieser Verhandlungen solle sein, eine gemeinsame Sitzung des Internationalen Bureaus herbeizuführen. Zu diesem Vorschlag haben wir unsere Zustimmung abhängig gemacht von der Haltung der französischen Partei. Aber erst als wir im März 1915 im Haag zu Verhandlungen erschienen sind, erfuhren wir, daß die französische Partei auch diesen Vorschlag von vornherein rundweg abgelehnt hatte. Die britische Sektion der Internationale hat sich erst zustimmend erklärt, später sich aber an die Seite der französischen Partei gestellt, – Unsere deutsch-österreichisch-ungarische Konferenz in Wien, die im April 1915 tagte, ist auf Veranlassung des Internationalen Bureaus berufen worden. Auch sie diente dem Versuch der Verständigung. Sie hat sich rückhaltlos auf den Standpunkt der Kopenhagener Beschlüsse gestellt und hat sich entschieden und lebhaft für einen Frieden ausgesprochen, der kein Volk demütigt. Aber auch diese Konferenz hat bei der französischen Partei sowohl wie bei der britischen Sektion der Internationale kein Echo gefunden. – Schließlich hat die deutsche Partei aus eigenem Antriebe einen Versuch unternommen. Wir haben am 30. Juni 1915 eine Kundgebung für den Frieden veröffentlicht, in der wir die Erwartung aussprachen, daß die Parteien in den anderen kriegführenden Ländern im gleichen Sinne auf ihre Regierungen einwirken würden. Leider hatten wir uns auch darin getäuscht. Der Nationalrat der französischen Partei hat bald darauf beschlossen, daß er einträte für entschiedene und ungeschwächte Fortsetzung des Krieges. Der letzte Versuch ist unternommen worden im Dezember vorigen Jahres. Das Internationale Bureau ließ uns durch einen deutschen Genossen, der in Holland gewesen war, mitteilen, daß Ende Dezember oder Anfang Januar Vandervelde, die Franzosen und Engländer nach dem Haag kommen würden, es wäre gut, wenn vorher mit einer Vertretung der deutschen Parteileitung eine Aussprache stattfinden könne. Diese hat dann am 22. Dezember vorigen Jahres stattgefunden. Wir haben uns auch hier wieder bereit erklärt, mit den Parteien der anderen kriegführenden Länder in eine gemeinsame Aktion für den Frieden einzutreten, für einen Frieden ohne Eroberungen. Die Holländer waren sehr optimistisch. Wir hörten später, daß Vandervelde zwar im Januar im Haag gewesen sei, die Franzosen und Engländer sind aber nicht gekommen.

Über den Verlauf der Besprechung sind wir offiziell bis heute nicht unterrichtet worden. Wir haben kurz danach im Januar 1916 in der »Humanité« einen Bericht gefunden über eine Versammlung, die Vandervelde in Lausanne abgehalten hat. In dieser Versammlung, also unmittelbar nach den Verhandlungen im Haag, hat Vandervelde folgendes gesagt: »In diesem Moment den Frieden wollen, würde heißen, die Verkleinerung Frankreichs und den Verlust Belgiens wollen. Solange es deutsche Soldaten in Frankreich gibt und man mir von Frieden spricht, werde ich mir die Ohren verstopfen.« Wenn sich ein belgischer Minister auf diesen Standpunkt stellt, dann muß man das hinnehmen, aber unvereinbar ist dieser Standpunkt mit dem Präsidium der proletarischen Internationale. Das Internationale Sozialistische Bureau ist kein Instrument der Entente, es hat die Aufgabe und die Pflicht, einer Verständigung der Sozialisten aller Länder die Wege zu ebnen. Glaubt Vandervelde dennoch, eine einseitige und unversöhnliche Haltung einnehmen zu müssen, dann mag er die Konsequenzen ziehen. Bereits auf unserer Wiener Konferenz haben wir mit Zustimmung der Österreicher, Ungarn und Tschechen in unserer damaligen Kundgebung folgendes zum Ausdruck gebracht: »Die Tatsache, daß die sozialistischen Parteien der kriegführenden Länder ihr Land und Volk verteidigen, darf kein Hindernis sein, die internationalen Beziehungen aller sozialistischen Parteien zueinander aufrechtzuerhalten, sowie die Tätigkeit ihrer internationalen Einrichtungen fortzuführen.« An diesem Standpunkt müssen wir mit aller Entschiedenheit festhalten!

Die Stellung der französischen Partei ist von neuem festgelegt worden in der letzten Sitzung des Nationalrats Anfang August. In der dort beschlossenen Kundgebung fordert die französische Partei Fortsetzung des Krieges bis zur Zurückeroberung Elsaß-Lothringens. Zur Herbeiführung des Friedens wird in jener Resolution verlangt: »Kräftige und vollständige Organisation der militärischen Aktion« und eine »entschiedene Führung des Krieges«. Eine Verständigung mit der Internationale lehnt die französische Partei nach wie vor ab. Allerdings hat sich eine erhebliche Minderheit in Frankreich gegen diesen Standpunkt erklärt; ihr hauptsächlichster Vertreter, Longuet, hat im »Populaire du Centre« am 29. August die Stellung der französischen Minderheit präzisiert. Er sagt: »Die Minderheit steht seit Beginn des Krieges auf dem Standpunkt der Politik vom 4. August. Sie arbeitet für die nationale Verteidigung. Die Mehrheit wünscht die vollständige Niederlage des deutschen Imperialismus, denn ohne diese Niederlage sei kein andauernder Friede möglich. Die Minderheit jedoch ist der Ansicht, daß zur Herstellung eines dauernden Friedens das militärische Ergebnis nicht genügt, sondern daß auch ein internationales Einvernehmen nötig ist. Deshalb verlangt die Minderheit die sofortige Wiederaufnahme der internationalen Beziehungen, das heißt den Zusammentritt des Internationalen Sozialistischen Bureaus«. Vergleicht man diese Stellung mit der Stellung der deutschen Mehrheit, so sind trennende Gegensätze wohl kaum festzustellen.

Eine ähnliche Stellung wie die Mehrheit der französischen Partei nimmt die britische Arbeiterpartei ein. Recht charakteristisch für die Stellung der englischen Arbeiter ist der Verlauf des letzten Gewerkschaftskongresses. Dort ist die Anregung des Amerikanischen Arbeiterbundes, am Ort der Friedensverhandlungen einen internationalen Gewerkschaftskongreß abzuhalten, mit zwei Drittel Mehrheit abgelehnt worden. Überaus interessant ist, was dort von dem Unterhausmitglied Thorne, der meines Wissens ein hervorragendes Mitglied der British Socialist Party ist, ausgeführt wurde. Thorne sagte:

»Es ist nicht möglich, daß die Abgeordneten von Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei mit uns tagen, wenn wir über die Friedensziele verhandeln. Eine Beratung über den Frieden darf nicht stattfinden, ehe nicht Deutschland aus Frankreich und Belgien vertrieben ist. 99 % der englischen Arbeiter würden sich gegen die jetzige oder eine andere Regierung erheben, die Frieden schließen würde, bevor das geschehen ist.«

Auch in England gibt es eine Minderheit, und zwar ist es die Unabhängige Arbeiterpartei, die aber der Zahl ihrer Mitglieder und ihrem Einfluß nach von geringer Bedeutung ist. Die Unabhängige Arbeiterpartei steht auf dem Standpunkt der Landesverteidigung, bewilligt die Kriegskredite, tritt ein für eine internationale Verständigung und für einen baldigen Frieden. –

Das Bild unserer Verhandlungen mit der Internationale ist nicht erhebend, Vandervelde, die Mehrheit der französischen Partei und die britische Arbeiterpartei machen ihre Stellung zum Kriege abhängig von der Entscheidung durch das Schwert. Das ist der Krieg bis zum Ende! Das ist aber auch die grundsätzliche Ablehnung des Verhandlungsprinzips. Dabei können die Sozialisten Frankreichs doch nicht im Zweifel sein, daß die Zurückeroberung Elsaß-Lothringens nur gelingt, wenn die deutschen Truppen vollständig geschlagen werden. Und welch ungeheure Blutopfer die gewaltsame Vertreibung der deutschen Soldaten aus Frankreich und Belgien kosten würde, das kann man sich ungefähr nach dem bisherigen Verlauf der Sommeoffensive berechnen. Und selbst wenn es den französischen und englischen Soldaten gelingen würde, unsere Soldaten zurückzudrängen und über die Grenzen hinaus bis in die Rheinprovinz vorzudringen, welche Stellung sollte dann die deutsche Partei zum Frieden einnehmen? Und sind, abgesehen von den Kolonien, nicht auch große Gebiete der Mittelmächte von feindlichen Heeren besetzt? Ich meine, diese Hinweise allein zeigen schon, wie völlig unhaltbar der Standpunkt der Franzosen und Engländer ist. Wird an diesem Standpunkt festgehalten, so heißt das, die Internationale bei der Friedensarbeit überhaupt ausschalten! Hatte die Internationale schon nicht die Macht, den Krieg zu verhindern, so wäre es doppelt verhängnisvoll, wenn sie ihren Einfluß auf die Friedensmöglichkeiten und auf die Gestaltung des Friedens selbst preisgeben wollte. Mit Recht hat Troelstra schon im vorigen Frühjahr auf diese Gefahr hingewiesen. Es gelte den Blick in die Zukunft zu richten, alle Kräfte müßten auf den einen Punkt: den Frieden, konzentriert werden. Troelstra bezeichnete es als dringendstes Gebot der Sozialisten aller Länder, in diesem Sinne zu wirken. Ich darf für die deutsche Partei und die deutsche Parteileitung in Anspruch nehmen, daß sie seit Kriegsausbruch unausgesetzt in diesem Sinne gewirkt haben. Wo immer sich die Gelegenheit geboten hat, hat sich die deutsche Partei zum Frieden bereit erklärt, und zwar zu einem Frieden ohne Eroberungen.

Für diese Stellungnahme spricht auch unsere letzte Friedensaktion, die wir gegen die Treibereien der Annexionisten eingeleitet und trotz Verschärfung der militärischen Situation durchgeführt haben. Diese Aktion hatte leider nicht nur mit behördlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, sie ist auch offenen Widerständen in der Partei begegnet. So haben die Wahlkreise Braunschweig-Stadt und Hanau die Beteiligung an dieser Aktion abgelehnt. Sie ist ihnen nicht – radikal genug. In Berlin hat der Wortlaut unserer Petition Bedenken erregt. Daß gegen alle Eroberungspläne Einspruch erhoben wird, genügte nicht. Acht Tage, nachdem das Material bereits im ganzen Reich verbreitet war, schlug uns der Vorstand der Berliner Parteiorganisation einen anderen Wortlaut vor. Als wir uns darauf nicht einließen, hat man eine eigene Petition gemacht. So fördert man in Berlin die Parteieinheit. Im 6. Berliner Reichstagswahlkreise hatte es ein Funktionär dennoch gewagt, die Petition des Parteivorstandes in Umlauf zu setzen. Die Folge davon war, daß man ihm ein derbes Mißtrauensvotum erteilte. Und da man in Berlin bekanntlich sehr tolerant ist, hat man diesen Bösewicht auch seines Postens enthoben. Dabei ist dieser Parteigenosse ein Mann, der seit fast drei Jahrzehnten Funktionär der Partei in Berlin ist. Man hat gegen unsere Aktion auch ein Flugblatt verbreitet. Es trägt die Überschrift: »Eine Petition gegen den Frieden?« Am Schluß dieses Flugblattes heißt es:

»Die Petition für den Frieden ist im Grunde genommen eine Aktion gegen den Frieden und für eine Verlängerung des Krieges. Arbeiter! Parteigenossen! Lassen wir uns nicht überrumpeln, lassen wir uns nicht von dem einzigen Weg zum Frieden, vom Weg des rücksichtslosen Massen- und Klassenkampfes abbringen! Schieben wir den elenden Wisch der Durchhalte-Scheidemänner und der anderen Regierungsstützen vom Parteivorstand mit Verachtung von uns und vergessen wir keinen Augenblick, daß unsere Aufgabe nicht darin besteht, die Urheber des Völkermordens erfolglos zu bitten, sondern ihnen durch Massenaktionen den Friedenswillen der Arbeiterklasse mit Gewalt aufzuzwingen.«

Das sinnlose Zeug bedarf natürlich keines Kommentars.

Über das Ergebnis der Unterzeichnung unserer Petition kann ich Endgültiges noch nicht mitteilen. Aber das kann ich wohl sagen, daß trotz der Schwierigkeiten und der eingetretenen Verschiebung der militärischen und politischen Situation das Ergebnis erfreulich ist. Vor allem waren die Versammlungen, die fast überall im Reiche abgehalten wurden, prächtige Kundgebungen für die Friedensarbeit der Partei.

So viel über die positive Seite unserer Arbeit. Leider hat sie auch eine große negative Seite, das sind die Kämpfe innerhalb der Partei. In der ersten Zeit nach dem Kriege ist in der Partei fast übereinstimmend die Auffassung vertreten worden, daß während des Krieges der Burgfriede innerhalb der Partei gewahrt werden müsse. Am nachdrücklichsten ist das von Kautsky geschehen, der am 21. August 1914 in der »Neuen Zeit« schrieb:

»Wir müssen die Organisationen und die Organe der Partei und der Gewerkschaften intakt halten, ihre Mitglieder bewahren ebenso vor Unvorsichtigkeiten wie vor feiger Fahnenflucht. Das ist ja selbstverständlich, und es gibt keinen Genossen, der nicht in diesem Sinne handelte. Nicht minder notwendig wird aber die innere Geschlossenheit der Partei, der Verzicht auf jede Eigenbrötelei. Wir sind eine Partei der Selbstkritik, aber unter dem Kriegszustand muß diese verstummen. Nie war es schwieriger, nie weniger möglich, eine Haltung einzunehmen und zu äußern, die jeden Genossen ohne Ausnahme befriedigt ... Wir begreifen es sehr wohl, wenn manchem dieser oder jener Schritt unserer Partei falsch erscheint, aber noch weit falscher, geradezu verhängnisvoll wäre es, aus irgendeiner Meinungsverschiedenheit jetzt einen inneren Zwiespalt zu entfesseln. Auch in dieser Beziehung hat die Waffe der Kritik jetzt zu schweigen. Disziplin ist im Kriege nicht bloß für die Armee, sondern auch für die Partei das erste Erfordernis. Hinter ihrer Praxis müssen wir alle einmütiger, geschlossener stehen als je. Nicht Kritik, sondern Vertrauen ist jetzt die wichtigste Bedingung unseres Erfolges.«

Kautsky hatte damals mit dieser Auffassung, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, die ganze Partei auf seiner Seite gehabt. Wir im Parteivorstand haben einmütig diese Auffassung vertreten, ebenso der Parteiausschuß, auch eine Redakteurkonferenz im September 1914 hat sich auf diesen Standpunkt gestellt. Leider sind die guten Vorsätze recht bald in die Brüche gegangen. Die Gruppe in der Partei, die schon lange vor dem Krieg, schon seit Jahr und Tag zur Politik der Partei und zur Parteileitung im heftigsten Gegensatz steht, hat sich um den Burgfrieden in der Partei nicht gekümmert. Sie hat im Gegenteil den Krieg ausgenützt, um in schärfster Weise für ihre Taktik Propaganda zu machen. Wie diese Gruppe schon vor dem Kriege zur Partei gestanden hat, dafür nur ein Beispiel. Die »Bremer Bürger-Zeitung« vom 5. April 1913 brachte unter dem Titel: »Patriotismus und Sozialdemokratie« einen Artikel von Pannekoek. Da wird ausgeführt: »Wichtiger noch ist die Frage, was das Vaterland für die Arbeiterklasse bedeutet. Von revisionistischen Wortführern wird wiederholt hervorgehoben, daß auch die Arbeiter ein Interesse an der Unabhängigkeit des Vaterlandes haben, daß ihnen das Vaterland viel wert ist und daß die Arbeiter bereit sind, den nationalen Boden mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.« Und an anderer Stelle: »Es ist aber klar, wie sehr dieser Standpunkt, der nur einen Überrest kleinbürgerlicher Anschauungen darstellt, den grundsätzlichen Kampf gegen den Militarismus erschwert.« Ferner: »Die Arbeiter haben kein Vaterland« sagte schon das kommunistische Manifest. Aus seinem Geburtsort schon früh durch die Not verjagt, wandert der Arbeiter in der Welt herum; bald ist diese, bald jene Stadt sein Wohnort, und überall ist die Mietkaserne sein Heim. Kein eindringender Feind kann seine Wohlfahrt vernichten, denn er hat eigentlich keine Wohlfahrt; sie ist nicht an irgendeinen Besitz gebunden, sondern an Arbeitskraft und Arbeitsgelegenheit.«

Das ist die glatte Ablehnung der Landesverteidigung. Pannekoek war einer der ersten, der nach dem Kriegsausbruch die ehrenrührigsten Vorwürfe gegen die Partei erhoben hat. Zu ihm gesellten sich bald die edlen ›Lichtstrahlen‹, die damals in der gesamten Partei mit Hochdruck verbreitet wurden. Dazu kam dann die in Düsseldorf herausgegebene ›Internationale‹, in der alles heruntergerissen und beschimpft wurde, was nicht auf die Meinung dieser kleinen Gruppe eingeschworen war. Insbesondere wird Kautsky dort arg mitgenommen. Seine Theorie sei eine »willfährige Magd der offiziellen Parteiinstanzen«, sei die Theorie des »freiwillig übernommenen Eunuchentums«. Die »Neue Zeit« sei »ein gefälliges Mädchen für alle«. Gleichzeitig ist in der Auslandspresse eine wüste Hetze gegen die deutsche Partei und Parteipolitik organisiert worden. Das Zentralorgan unserer Schweizer Bruderpartei, zu der wir allezeit in treuer Kameradschaft gestanden haben, ist zum Sammelpunkt der schamlosesten Verleumdungen der Sozialdemokratie Deutschlands geworden, und sein Redakteur Grimm hat im Ausland Geld zusammengeschnorrt, um die Opposition zu unterstützen. Damals erschien auch von einem »führenden« deutschen Sozialdemokraten im »Daily Citizen«, dem Organ der britischen Arbeiterpartei, ein Bericht über das »Vorwärts«-Verbot. Eingeleitet wird der Bericht damit: »Die Sozialdemokratische Partei stimmte für die Kriegskredite am 4. August allein wegen einer Übereinkunft mit der Regierung, daß die sozialdemokratische Presse während des Krieges alle Freiheiten der übrigen Blätter genießen würde.« Diese giftigen Vorwürfe und Verdächtigungen sind auch in unsere Parteiorganisationen hineingetragen worden. Bereits im August 1914 ist in einer großen Vertrauensmännerversammlung in Stuttgart gegen die Reichstagsfraktion in schlimmster Weise zu Felde gezogen worden. Alle Abgeordneten ohne jede Ausnahme sind Schurken, Schufte, Betrüger genannt worden. In einer späteren Sitzung im September wurde gesagt: »Um welchen Preis der Parteivorstand die Auflösung der Partei verhindert hat, darüber werden wir wohl noch näheres erfahren.« Dieser Vorwurf des Verrats und Verkaufs der Partei kehrt in allen Versammlungen und Flugschriften der Opposition immer und immer wieder, er zieht sich wie ein roter Faden durch alle Auseinandersetzungen. Das Flugblatt »Unsere Blätter« vom 15. Juli 1916 bringt einen Artikel »Parteizerstörer« in dem unter anderem die Rede ist von »der Leibgarde von Parteiredakteuren und Parteisekretären, die sich der Parteivorstand im Parteiausschuß geschaffen hat« und von dem »hysterischen Chorus der Gewerkschaftsführer«. In diesem Artikel heißt es: »Von August Bebel ist uns so oft Mißtrauen gegen die Führer gepredigt worden; wie notwendig es war, zeigt der schmähliche Versuch der Sozialpatrioten, die Partei an die Regierung und Kapitalklasse zu verkaufen.« Also auch hier der Vorwurf des Verrats und Verkaufs der Partei. Selbstverständlich handelt es sich bei allen diesen Behauptungen um freche Ehrabschneiderei! Dennoch ist es notwendig, kurz näher darauf einzugehen. Richtig ist, daß die Partei vor dem Krieg und während des Kriegs vielfach Verhandlungen mit der Regierung geführt hat. Aber bei diesen Verhandlungen handelte es sich stets nur um die Vertretung von Arbeiterinteressen. Nie ist der Versuch einer Schacherpolitik gemacht worden, nie ist von uns von irgendeiner Seite so etwas wie Konzessionspolitik angeboten worden. Und nie ist dabei etwas gesprochen und verabredet worden, was nicht vereinbar wäre mit der Ehre der Partei. Wer etwas anderes behauptet, sagt die Unwahrheit oder verleumdet! Wenn übrigens die Zustimmung der Partei zu den Kriegskrediten durch die Sicherung der Parteiorganisationen und der Parteipresse erkauft wäre, so hätte das doch vor dem 4. August geschehen müssen. Diese Verhandlungen aber hat die Regierung ausschließlich und allein mit Haase geführt. Den Schacher hätte also die Opposition auf dem Gewissen. Aber alle diese Verdächtigungen, in denen allerdings System liegt, sind ebenso ehrlos wie sinnlos.

Der erste größere Vorstoß der Opposition erfolgte mit dem Flugblatt vom 9. Juni 1915, das heuchlerisch in die Form einer Petition gekleidet war. Es strotzt förmlich von Verdächtigungen gegen Reichstagsfraktion und Parteileitung. Es hieß da, die Partei habe den »Widerstand gegen die imperialistische Eroberungspolitik aufgegeben«, ein Teil der Reichstagsfraktion »sei für eine Politik hemmungsloser Völkerzerfleischung« und anderes mehr. Das Gegenteil hat die Fraktion immer im Reichstag erklärt. Und nicht allein das. Fast zur selben Zeit, als diese Behauptungen in die Welt gesetzt wurden, hat die Parteileitung bei der Regierung gegen jede Eroberungspolitik schärfsten Einspruch erhoben. Im Zusammenhang mit diesem Vorstoß steht »das Gebot der Stunde«. Sein Inhalt ist heute völlig überholt. Wenn ich darauf zurückkomme, so nur deshalb, weil die Sache damals in der Partei große Aufregung verursacht hat. In dem Aufruf hieß es, »die Stunde der Entscheidung sei gekommen, die gegenwärtige Gestaltung der Dinge rufe die deutsche Sozialdemokratie auf, einen entscheidenden Schritt zu tun, die leitenden Parteiinstanzen ständen am Scheidewege«. Die Partei ist also in aller Form aufgerufen worden zu einem entscheidenden Schritt, zu einer entscheidenden Aktion. Und diesen Aufruf richtete damals der Vorsitzende der Partei gemeinsam mit zwei anderen Parteigenossen an die gesamte Partei, ohne auch nur die geringste Fühlung mit der Parteileitung zu nehmen oder auch nur einen Kollegen zu informieren. Das war das Entscheidende. Hinzu kam, daß Haase wußte, daß der Parteivorstand damals vor der Ausführung einer Friedensaktion stand, die durch sein Vorgehen gestört werden mußte. Das ganze Vorgehen forderte zum schärfsten Einspruch heraus. Fast die ganze Partei hat sich damals auf diesen Standpunkt gestellt.

Dazu kam eine Reihe anderer Vorgänge, auf die ich im einzelnen nicht eingehen kann, die keinen Zweifel ließen, daß es sich um ein wohlorganisiertes systematisches Vorgehen handelt, um ein Vorgehen, das alle Parteidisziplin gefährdet und zur Zerrüttung des gesamten Parteilebens führen muß. Auf die verworrene Gruppierung der Opposition will ich mich nicht einlassen. Sie haben heute früh ja ein kleines Bild davon bekommen. Dieser Tage ist mir von einem Sachkenner eine kleine Aufzeichnung vorgelegt, die neun verschiedene Spielarten aufweist. Diese Gruppierung erinnert sehr unangenehm an russische Parteiverhältnisse. Gemeinsam ist allen diesen Gruppen das Bestreben, Sonderorganisationen zu schaffen, Organisationen in der Organisation zu bilden. Als wir heute morgen zusammentraten, ehe wir noch in die eigentlichen Verhandlungen eingetreten waren, konnte Ledebour bereits im Auftrage von hundert Teilnehmern eine Erklärung abgeben. Das bestreite ich entschieden, auf keinem Parteitag ist so verfahren. Ich führe das an, um zu zeigen, daß die Organisation in der Organisation bereits da ist. Überall gründet man Ortsgruppen der Opposition. Man hält Kreis- und Bezirkskonferenzen ab, trifft sich auf internationalen Konferenzen und sitzt dort mit anderen Unverantwortlichen über die eigene Partei und ihre Politik zu Gericht. Bei dem Streit in der Opposition sind Einzelheiten über die Sonderorganisationen bekannt geworden, die recht bezeichnend sind. Am 9. März werden in einem Spartacusbriefe darüber nähere Mitteilungen gemacht. Da heißt es: »Die erwähnten Genossen, mit denen wir uns im Sommer 1915 zur Erledigung gewisser Angelegenheiten zusammengefunden hatten, beanspruchten, daß sie als die ausschließliche Vertretung der Groß-Berliner »Opposition« anerkannt würden, daß sie und sie ausschließlich durch Majoritätsbeschluß über alle Aktionen zu bestimmen hätten, daß keine selbständige Betätigung der verschiedenen unter ihnen vertretenen Anschauungen zulässig sei, auch dort nicht, wo es sich um wichtige und grundlegende Meinungsverschiedenheiten handelt; sie erachteten sogar die Zusammenkünfte unserer engeren Gesinnungsfreunde und ihre Verständigung über die großen politischen Probleme für unzulässig.« Darauf haben dann im Namen der anderen Fakultät Hoffmann und Ledebour geantwortet in einem Flugblatt, worin es heißt: »Es ist nicht wahr, daß die Genossen, in deren Namen wir sprechen, verlangt hätten, ausschließlich durch Majoritätsbeschluß über alle Aktionen zu bestimmen. Im Rahmen unserer Beratungen und Besprechungen, an denen die Spartacusleute vollberechtigte Teilnehmer waren, haben sie genau dieselben Rechte ausgeübt wie jeder andere Teilnehmer. Niemals ist der Versuch gemacht worden, ohne Zuziehung der Spartacusleute einen Beschluß zu fassen und ihnen aufzuzwingen. Es ist ferner nicht wahr, daß die selbständige Betätigung der verschiedenen unter den Teilnehmern an unseren Beratungen vertretenen Anschauungen für unzulässig erklärt worden sei. Es wurde vielmehr gegenüber derartigen Behauptungen auf das nachdrücklichste betont, daß keinem Teilnehmer verwehrt sein solle, zu reden oder unter seinem Namen zu schreiben und zu veröffentlichen, was er will ... Verlangt worden ist nur, daß anonyme Schriften, für die die gesamte Opposition verantwortlich gemacht werden könnte, von einigen Genossen, unter denen die Spartacusleute obendrein fast regelmäßig die Mehrheit bildeten, vor der Veröffentlichung nachgeprüft werden sollten.«

Sie sehen also, eine Organisation in aller Form, die Beschlüsse faßt über Aktionen in der Partei, die anonyme Flugschriften nachprüft, die in der Partei verbreitet werden. An der Hand von Material könnte ich leicht den Nachweis bringen, daß auch Bezirkskonferenzen der Sonderorganisationen getagt haben, in denen man in ähnlichem Sinne verhandelt hat. Ich will nur noch auf die Reichskonferenzen hinweisen. Das Züricher »Volksrecht« hat darüber ziemlich genauen Aufschluß gegeben: »Die Mitte Februar zunächst für Berlin vollzogene Abstoßung derjenigen Personen, die auf dem Boden der »Leitsätze« (Spartacusleute) stehen, hat zu einer Scheidung der Opposition in ganz Deutschland geführt. Zur Besprechung der sich daraus ergebenden Fragen fand Mitte März in einem Orte Mitteldeutschlands eine Zusammenkunft statt, die aus allen Teilen des Reiches beschickt war. Die hinter den »Leitsätzen« stehende Opposition Groß-Berlin (8 Wahlkreise) war durch 17 Genossen vertreten. Aus 20 Wahlkreisen des Reiches waren ebensoviele Genossen erschienen, von denen einzelne die Opposition mehrerer Kreise bezw. Bezirke vertraten.«

Also ganz offen wird hier über eine Reichskonferenz der Sonderorganisation berichtet. Und welche Bedeutung in Oppositionskreisen diesen Konferenzen beigemessen wird, dafür hat der Braunschweiger »Volksfreund« ein treffendes Beispiel gegeben. Er hatte im März eine Auseinandersetzung mit dem »Hamburger Echo« über unsere Stellung zur Steuerfrage. Der »Volksfreund« vertrat die Auffassung, daß alle Steuern abzulehnen seien, direkte und indirekte. Dabei wird folgendes gesagt: »Der hier vertretene Standpunkt zur Steuerfrage ist der der Opposition, die sich um die Zeitschrift »Die Internationale« gruppiert und die sich in den Leitsätzen der »Spartacusbriefe« ihr taktisches und prinzipielles Programm gegeben hat. Eine aus allen Teilen des Reiches beschickte Konferenz dieses entschiedensten Flügels der Opposition, die in den letzten Tagen stattfand, hat sich einmütig zu diesem Standpunkt in der Steuerfrage bekannt.« Dann heißt es weiter: »Schließlich sei betont, daß die Opposition der bezeichneten Auffassung sich durch nichts gebunden erachtet, als durch ihr eigenes politisches Programm, das die Anwendung der sozialistischen Prinzipien auf die Fragen der Zeit darstellt.«

In der Jugendbewegung ist die Spaltung der Organisation bereits offen durchgeführt. Man hat eine Sonderorganisation gegründet, die ein eigenes Organ herausgibt, dessen Aufgabe es ist, die von Partei und Gewerkschaften geschaffene Jugendbewegung und deren Organ zu bekämpfen. Die Propaganda treibt man unter der Parole: »Politisierung der Jugend«. Diese Art der Politisierung – Sie haben das Material ja erhalten – ist für die Reaktion ein gefundenes Fressen. An der Partei und der Jugendbewegung ist sie ein großes Verbrechen.

Aus diesen wenigen Beispielen sehen Sie, daß man dabei ist, eine Partei in der Partei zu bilden. Man schafft sich eigene Organisationen, in denen man in aller Form Parteiaktionen beschließt, gibt sich ein eigenes Programm, an das man sich allein gebunden erachtet, und schreit dann im ganzen Lande umher über angebliche Gewaltpolitik des Parteivorstandes, der Parteiprogramm und Parteitagsbeschlüsse nicht halte. Das ist elende Heuchelei. Es ist die alte Spitzbubentaktik. Der Parteivorstand hat es allerdings als seine Pflicht betrachtet, allen Bestrebungen, die auf Parteizerstörung und Parteisprengung hinauslaufen, mit aller Entschiedenheit zu begegnen. Und was nach der Richtung hin geschehen ist, jeder Schritt wird von uns voll verantwortet. Es ist nichts geschehen, was nicht im Einklang stände mit unseren Befugnissen und mit dem Organisationsstatut. Soweit Beschwerden gegen dieses Vorgehen des Parteivorstandes erhoben worden sind, sind sie von der Kontrollkommission abgewiesen worden. Dem ganzen Geschrei über Gewaltpolitik des Parteivorstandes fehlt jede tatsächliche Unterlage. Es ist lediglich demagogische Augenverblendung.

Noch ein Wort zur Schlammflut anonymer Flugschriften. Ist es an sich schon verwerflich, Parteiauseinandersetzungen in anonymen Flugschriften auszutragen, so übersteigt die dabei angewandte Methode an niedriger Gesinnung und Verleumdungssucht alles Dagewesene. Die Tendenz all dieser Sudeleien läuft darauf hinaus, die im Vordergrunde der Arbeiterbewegung stehenden Körperschaften und Personen zu verdächtigen, um sie unmöglich zu machen. Das ist ganz offen ausgesprochen worden in Zusammenkünften und Versammlungen. Das ist die Methode der persönlichen Verunglimpfung, die Methode des berüchtigten Reichsverbandes, von der selbst bürgerliche Kreise sich mit Ekel abgewandt haben. Die politische Brunnenvergiftung ist das System dieser Sudelschriften! Dabei hat keiner der Drahtzieher bisher den Mut gefunden, zu seinem Machwerk zu stehen. All diese grundsatzfesten Mannen waschen ihre Hände in Unschuld. Diese Art der Parteibekämpfung – so muß ich es nennen – wird der Partei noch recht lange zu schaffen machen. Die Gegner sind bereits dabei, dieses Material zu sammeln. Die München-Gladbacher haben dieser Tage eine Broschüre herausgegeben: »Fraktionsspaltung und Parteikrisis«. Auf etwa 100 Seiten sind da alle diese Dinge bereits für die zukünftigen Kämpfe gegen unsere Partei zurechtgemacht. In den kommenden Wahlkämpfen werden die anonymen Flugschriften eine Fundgrube für unsere Gegner sein.

Auf eine dieser Flugschriften muß ich kurz eingehen. Es handelt sich um das Flugblatt »Mitteilung der Opposition Nr. 4«. Wir haben uns zwar schon dieser Tage in der Presse erklärt. Es könnte aber mißdeutet werden, wenn ich hier stillschweigend daran vorbeigehen würde. Warum sind Parteivorstand und Generalkommission zu ihrer Warnung vor wilden politischen Streiks gekommen? Seit Wochen werden anonyme Aufforderungen zum politischen Streik verbreitet. Diese gewissenlosen Aufforderungen können nicht nur für den einzelnen Arbeiter, sondern auch für unsere Organisation zur allergrößten Gefahr werden. Wie man dabei verfährt, dafür nur ein Beispiel: Ich war vor einigen Wochen im niederrheinischen Industriegebiet. Da hat mir einer unserer Wahlkreissekretäre folgendes mitgeteilt: Vor einer Fabrik, in der 7000 bis 8000 Personen beschäftigt sind, von denen 120 gewerkschaftlich und 30 politisch organisiert sind, wurden Flugblätter verbreitet mit der Aufforderung zum Streik. Selbstverständlich sind die harmlosen Leute, die die Verbreitung vorgenommen haben, verhaftet worden. Die eigentlich Schuldigen sitzen natürlich im Schilf und schnitzen die Pfeifen.

Unglückliche Arbeiterfrauen sind mehrfach an uns mündlich und schriftlich herangetreten und haben sich bitter und jammervoll beklagt, daß man ihre Männer so leichtfertig ins Verderben treibe. Mir ist dieser Tage noch ein solcher Brief zugegangen. Ich will ihn Ihnen vorlesen, natürlich kann ich den Namen des Ortes und des Betreffenden nicht nennen: »Deine Vermutung – der Brief geht an eine bekannte Genossin – war richtig, es waren wirklich seine guten Freunde, die ihn ins Unglück gestürzt haben, doch noch anders als Du denkst. Des Mittwochnachmittags kam ... hier an und am nächsten Tage des Abends schon holten ihn die verfluchten Freunde ab, um eine Versammlung zu besuchen. Was sie aber wirklich vorhatten, sagten sie aber nicht hierbei, und so haben die drei denn Flugblätter angeklebt, worin die Munitionsarbeiter zum Streik aufgefordert werden ... ist überrumpelt worden, aber er mußte doch wissen, was er zu tun hatte. – – Von mir und den furchtbaren Qualen der ersten Tage will ich gar nicht reden. Wer viel leidet, wird zuletzt noch stumpfsinnig.«

Der Genosse, um den es sich hier handelt, ist tags zuvor von der Front auf Urlaub gekommen. Und nun, Parteigenossen, soll ich auf das Unsinnige dieser Flugblätter eingehen? In einer Zeit, in der die englischen Munitionsarbeiter auf Feiertage und Sonntage verzichten, in der die ganze Welt mit äußerster Kraftanstrengung für die Entente Munition und Kriegsmaterial herstellt, in der die Entente ein Land nach dem andern in den Krieg hineinzwingt, in der alle feindlichen Staatsmänner grundsätzlich jede Friedensbereitschaft ablehnen und unsere Söhne und Brüder auf allen Fronten im furchtbarsten und mörderischsten Trommelfeuer liegen, in dieser Zeit sollen die deutschen Munitionsarbeiter streiken? Wäre das nicht Wahnsinn?

Auch ich bedaure. Ich habe es mir reiflich überlegt, ob ich auf diese Angelegenheit überhaupt eingehen sollte. Angenehm ist es ja nicht, diese Dinge zu erörtern, Aber es war meine Pflicht, das Vorgehen des Parteivorstandes zu rechtfertigen, nachdem dieser – halb in aller Öffentlichkeit gegen ihn die heftigsten und ehrenrührigsten Vorwürfe erhoben worden sind. Der Entschluß, den Brief vorzutragen, war ein augenblicklicher. Ich bin auf den Briefschreiber mit keinem Wort eingegangen, die Genossin Zietz hatte deshalb gar keine Veranlassung, sich gegen mich zu wenden. Ich habe lediglich gesagt, daß der Mann am Tage zuvor auf Urlaub von der Front zurückgekehrt war. Das ist richtig. Im übrigen spricht der Inhalt des Briefes für sich selbst.

Ich habe dargelegt, daß eine derartige Aktion politisch sinnlos ist. Aber selbst wenn man sie für richtig hält, so war es bei uns in Deutschland bisher doch nicht üblich, daß Aktionen von größter Tragweite von Leuten eingeleitet werden, die niemand kennt, die im Dunkel der Anonymität sitzen. Sowohl für die Gewerkschaften wie für die Partei bestehen dafür Beschlüsse, die für alle bindend sind. Für die Partei der Beschluß des Mannheimer Parteitages. Es war deshalb nicht nur das Recht des Parteivorstandes, hier zu warnen, sondern seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit.

Noch eins: Es wird behauptet, Parteivorstand und Generalkommission seien zu ihrem Vorgehen von der Militärbehörde veranlaßt worden. Ich erkläre auch an dieser Stelle, daß Generalkommission und Parteivorstand aus eigener und selbständiger Entschließung zu ihrem Vorgehen gekommen sind, daß weder von einer Militär- noch von einer Zivilbehörde weder direkt noch indirekt versucht worden ist, auf uns in irgendeiner Weise einzuwirken.

Zur Charakterisierung der anonymen Flugblätter gegen die Partei und Parteipolitik muß ich noch einen anderen Fall besprechen, das ist das Wallfisch-Flugblatt. In Dresden ist unser Geschäftsführer Wallfisch, der dort lange Jahre tätig war, kürzlich wegen Untreue zu einer schweren Gefängnisstrafe verurteilt worden. Dieser traurige Vorfall ist in einem Flugblatt unter der Überschrift »Eine geborstene Mehrheits-Säule« für die Zwecke der Opposition ausgeschlachtet.

Es heißt da: »Aber ist nur der ein Fälscher und Betrüger, der Bücher fälscht, um Geld betrügt und sich an fremdem Gut bereichert? Kann man nicht auch politischen Betrug verüben, unehrliche Politik treiben, das Vertrauen der Wähler täuschen und die Interessen des Volkes verraten? Schaut euch die Freunde und Gesinnungsgenossen Wallfischs an! Fragt sie, mit welchem Einkommen sie durchhalten, warum sie nicht im Schützengraben ihr geliebtes Vaterland verteidigen, wer ihnen das Recht gibt, ihre volksverderbliche Politik eine sozialistische zu nennen! Sie predigen Sozialismus und treiben Imperialismus. Sie behaupten, eure Vertreter zu sein, und sind die Verbündeten des Kapitalismus. Sie lassen sich von euch bezahlen und liefern euch euren Feinden aus! Der eine Wallfisch ist erledigt, aber es gibt noch viele Wallfische! Sagt ihnen, daß sie ebensolche Fälscher und Betrüger und Verräter sind, daß sie genau so auf die Anklagebank gehören und das Schuldig! Schuldig! verdienen.«

Es genügt, dies Machwerk niedriger zu hängen.

Parteigenossen, ich bin der letzte, der die jetzigen Schwierigkeiten der Partei auf persönliche Zänkerei und verwerfliche Kampfesweise zurückführen will. Gegensätze und Meinungsverschiedenheiten hat es in der Partei immer gegeben, das ist naturgemäß und wird wohl immer so bleiben. Der Krieg hat sie ja nicht allein für die deutsche Partei zur Folge gehabt, sie zeigen sich mehr oder weniger in allen sozialistischen Parteien. Dieser Meinungsstreit, der einen tiefen sachlichen Hintergrund hat, muß ausgefochten werden. Niemand will das hindern. Darum handelt es sich also nicht. Aber verderblich für die Partei und verhängnisvoll für das Proletariat ist es, wenn dieser Meinungsstreit in Methoden ausgefochten wird, die jeden parteigenössischen Geist vermissen lassen und jede Kameradschaft ertöten müssen. Zur Lähmung, zum Zusammenbruch der Partei muß es führen, wenn Disziplin und Vertrauen vernichtet und alle Grundlagen der Organisation zermürbt werden. Hier liegt die große Gefahr für die Partei! Diesem Treiben muß Einhalt geboten werden. Das ist für die Partei eine Lebensfrage. Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird. Aber das steht fest: In den Kämpfen der Zukunft wird es ums Ganze gehen! Das Schicksal der Arbeiterklasse wird bei diesen Kämpfen auf Jahrzehnte hinaus entschieden werden. Alles hängt dabei von der Macht und Entschlossenheit der Arbeiterklasse ab. Und da soll der Bruderkampf die stolze deutsche Sozialdemokratie von ihrem festen Weg zur Macht in Ohnmacht zurückschleudern? Das wäre ein Verbrechen an der Arbeiterklasse, das wäre der Triumph der Reaktion. Das darf nicht geschehen! Deshalb ist das Gebot der Parteipflicht: Festigung unserer Organisation, Sicherung der einheitlichen Kampffront!


 << zurück weiter >>