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1908.

Aus einer Parteitagsrede

Nürnberg 1908

 

I.

In der politischen Haltung der Lokalisten ist seit dem letzten Parteitage eine wesentliche Änderung nicht eingetreten, Sie sind zwischen Sozialismus und Anarchismus hin- und hergependelt, und der Rest der Mitglieder, der bei der Freien Vereinigung verblieben ist, hat sich schließlich ganz offen zu den anarchistelnden Bestrebungen der Syndikalisten in den romanischen Ländern bekannt. Auf ihrem letzten Kongreß im Januar d. J. hat die Freie Vereinigung zwar nicht ihr früheres Programm geändert, sie gab ihm aber eine andere Interpretation, hat diese Interpretation für authentisch erklärt und weiter bestimmt, daß sie für die Geschäftsleitung und für die Redaktion der ›Einigkeit‹ verbindlich sein soll. Auf einige Punkte dieser Programmrede muß ich hinweisen, um darzutun, daß unsere Charakterisierung der Freien Vereinigung gerechtfertigt ist. So sagte der Referent: »Wir müssen uns das Organ der französischen Syndikalisten zum Muster nehmen, das nicht hin- und herpendelt, das nicht anarchistelt, aber auch nicht parlamentarisch-sozialdemokratisch, sondern einfach ein Organ der syndizierten Gewerkschaften ist, die sich aus Interessenvertretungen zusammensetzen – das bedeutet Syndikat –,die aber, weil sie Gewerkschaftler sind, auf dem Boden des Klassenkampfes stehen. Dieser Kampf kann jedoch nach ihrer Meinung nicht durch Beteiligung an der Gesetzgebung geführt werden; sie verstehen darunter nicht, daß sie irgendeiner politischen Partei angehören müssen, sondern sie meinen, den Klassenkampf auf wirtschaftlichem, auf ökonomischem Gebiete durch Generalstreik, action directe, Sabotage, die sogenannte passive Resistenz usw. führen zu müssen. Wenn wir uns die Leitsätze unseres auf dem siebenten Kongresse beschlossenen Programms ansehen, wo es heißt, daß wir die auf Beseitigung der Klassenherrschaft gerichteten Bestrebungen unterstützen, die begründet sind in der sozialistischen Weltanschauung und ihren Ausdruck finden in der Propaganda für die Idee des Massen- resp. Generalstreiks, und diesen Satz richtig verstehen und auslegen wollen, so unterscheiden wir uns in keiner Weise von den syndikalistischen Gewerkschaften in Frankreich, Italien und anderen Ländern ...« Auch in bezug auf die Stellung zum Massenstreik hat man eine neue Interpretation gegeben, die zur Charakterisierung der Freien Vereinigung wesentlich ist. Der Referent sagte: »Wir müssen definieren, daß wir nicht nur den Massenstreik, sondern jeden Solidaritätsstreik, bei dem es sich um die Verbesserung der Lage der Arbeiter, um die Herbeiführung höherer Menschenrechte handelt, mitzumachen haben. All dies gehört zum Massenstreik, solange es sich nicht um einen politischen Massenstreik, das heißt um einen Streik des Parlamentarismus wegen, handelt. Diesen lehnen wir ab, denn es ist ein Ding der Unmöglichkeit, Arbeiter aller Art nur zu dem Zwecke zur Niederlegung der Arbeit zu bewegen, um dadurch irgendein Wahlrecht zu einem Stadt- oder Landesparlament zu erreichen.« Es ist zweifellos, daß die Freie Vereinigung sich mit dieser Programmerklärung in offenen Gegensatz zur Sozialdemokratie gestellt hat. Allerdings hat man nicht den Mut gehabt, das offen und klar zum Ausdruck zu bringen, man treibt vielmehr ein erbärmliches Versteckenspiel, indem man sich hinter einer parteipolitischen Neutralität versteckt. Das was man jahrelang den Zentralverbänden zum Vorwurf gemacht hat, die angebliche parteipolitische Neutralität, das hat jetzt die Freie Vereinigung zu ihrem Grundsatz erklärt. Wie nun aber diese Neutralität, auf die auch die Redaktion der ›Einigkeit‹ verpflichtet ist, gegenüber der Sozialdemokratie geübt wird, dafür nur ein Beispiel. In der Nummer 26 der ›Einigkeit‹ vom 27. Juni d. J. wird in bezug auf die Sozialdemokratie gesagt: »An der hündischen Ergebenheit der bezahlten Schreiber der Parteipresse, an den servilen, feinohrigen Redakteuren liegt es, daß die deutsche Sozialdemokratie entweder so gut wie nichts oder schlimmer noch, nur tendenziös Entstelltes von der Geringschätzung und dem Hohn erfährt, welchen die ausländischen Genossen der ohnmächtigen, feigen deutschen Dreimillionenpartei zuteil werden lassen, die nichts weiter kann, als ihren Parteigötzen, den Führern, nachlaufen, die die revolutionäre internationale Aufgabe des Sozialismus preisgegeben haben, aus Eitelkeit, Schwäche und Bequemlichkeit oder um sich eine gute Einnahme zu sichern.« Ich glaube, diese Probe genügt, um Ihnen zu zeigen, wie man in der Praxis die parteipolitische Neutralität übt. Man hat sich diesen Grundsatz einfach aus Zweckmäßigkeitsgründen geschaffen. Die Erfahrung lehrt nämlich, daß die Freie Vereinigung in der Regel an solchen Orten auftaucht, wo infolge gewerkschaftlicher Kämpfe Differenzen, Unstimmigkeiten zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Gewerkschaftsleitung entstanden sind. Da sucht dann die Freie Vereinigung ihr Süppchen zu kochen. Und bei dieser Gelegenheit ist es ihr auch lieb, wenn sie sich den harmlosen Charakter der parteipolitischen Neutralität geben kann. Das ist auf dem Kongreß von einem Redner ziemlich unverblümt zum Ausdruck gekommen. Er sagte nämlich: »Auf Grund dieses Kommentars – das ist die Programmrede – können wir in der Agitation den Gegnern klarmachen, daß wir nicht Anarchisten sind.« Man kann mit Fug und Recht sagen, daß die Hauptbetätigung der Freien Vereinigung heute nur noch besteht in gemeiner, perfider Bekämpfung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Diesem Treiben muß nun endlich ein Ende bereitet werden, wir müssen eine klare, unzweideutige Scheidelinie ziehen zwischen uns und jenen. Diese bietet unsere Resolution, Sie ist so aufzufassen, daß nicht allein die Mitgliedschaft, sondern jede Betätigung für die Freie Vereinigung der Gewerkschaften unvereinbar ist mit der Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie.

Nun noch einige Worte zu der Stellung gegenüber dem Allgemeinen deutschen Metallarbeiterverband, dem sogenannten Wiesenthalschen Verband. Schon auf dem Mannheimer Parteitag hat die Kontrollkommission gelegentlich einer Beschwerde die Entstehungsgeschichte dieses Verbandes nachgeprüft und hat dabei festgestellt, daß die früheren Mitglieder des Deutschen Metallarbeiterverbandes nach entstandenen Differenzen ihr Beschwerderecht nicht ausgenutzt haben, sondern sofort zur Gründung des Wiesenthalschen Verbandes geschritten sind. Die Kontrollkommission hat damals gesagt, daß diese Zersplitterung entschieden zurückgewiesen werden müsse. In Essen lag dann ein Ausschließungsantrag gegen Wiesenthal vor. Bei ihrem Bericht zu diesem Antrag hat die Kontrollkommission erklärt, daß die Gründung und Existenz dieser Sonderorganisation im Interesse des Klassenkampfes auf das schwerste zu verurteilen sei. Die Parteitage haben dem zugestimmt und es liegt kein Anlaß vor, von dieser grundsätzlichen Auffassung abzuweichen, die insbesondere auch nach den Vorkommnissen der letzten Zeit sich als richtig erwiesen hat. Ich erinnere nur an das Verhalten dieser Organisation bei dem augenblicklich in Berlin tobenden Kampfe im Rohrlegergewerbe. Auch mit diesem Verbände sind seit Essen Einigungsverhandlungen gepflogen worden, ich habe dem Bericht in dieser Beziehung nichts hinzuzufügen und bitte Sie, auch hier unserem Antrag zuzustimmen. Wenn auf jener Seite der ernstliche Wille vorhanden gewesen wäre, sich dem Beschlüsse des Essener Parteitages anzuschließen, dann hätte es auch in diesem Falle zu einer Einigung kommen müssen.

Es gilt eine klare Scheidelinie zwischen uns und den Elementen zu ziehen, die absichtlich und bewußt bestrebt sind, die Einheit und Geschlossenheit des proletarischen Klassenkampfes zu stören.

 

Nürnberg 1908

 

II.

Die Geschlossenheit der Partei ist die Vorbedingung für unseren Erfolg. Sie verlangt aber die Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit, sie verlangt die Respektierung der Parteitagsbeschlüsse von jedem einzelnen. Wenn das nicht mehr geschieht, dann kommen wir zur Desorganisation, dann kommen wir zu anarchischen Zuständen, dann ist die Aktionskraft, die Schlagkraft der Partei gelähmt.

Uns ist der Ernst der Situation wohl bewußt! Nichtsdestoweniger wissen wir keinen anderen Ausweg, als die Entscheidung in die Hände des Parteitages zu legen. Möge die Entscheidung ausfallen, wie sie wolle, wir erwarten mit aller Bestimmtheit, daß jeder Parteigenosse, mag er heißen, wie er will, so viel demokratisches Prinzip besitzt, daß er sich der Entscheidung unterwirft. Es sind in der Auseinandersetzung heftige Worte gefallen. Man hat von Trennung gesprochen. Das wäre ein Verbrechen an der deutschen Arbeiterbewegung, wie es schlimmer nicht gedacht werden kann. Die Phalanx, die ein Bismarck mit den brutalsten Mitteln des Polizeistaates nicht zu sprengen vermochte, die bisher allen Stürmen standgehalten hat, sie sollte gelöst und gebrochen werden wegen dieser Frage, um die wir uns hier streiten? Die machtvollste Kulturbewegung, welche die Welt bisher gesehen hat, sollte zum Gespött aller Volksfeinde werden? Dort oben im Saale leuchtet der Spruch: »Proletarier aller Länder vereinigt Euch!« Das ist die Mahnung, die wir den Arbeitern der ganzen Welt zurufen. Und das deutsche Proletariat, das bisher den Arbeitern der ganzen Erde ein leuchtendes Vorbild zielsicherer Einigkeit gewesen ist, das sollte von dieser Höhe herabsteigen, sollte sich zum Gaudium der Gegner selbst zerfleischen? Das kann nicht geschehen, das darf nicht geschehen! Wenn wir diesen Parteitag verlassen, dann soll es weder Sieger noch Besiegte geben, sondern nur Kampfgenossen, die gewohnt sind, nach erfolgter Aussprache den Willen der gesamten Partei zu respektieren und wieder einig und geschlossen zu marschieren. Zu marschieren gegen den gemeinsamen Feind!


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