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Mißstände im Bremer Armenhaus

Aus einer Rede in der Bremer Bürgerschaft.
28.2.1900

Es ist ja für uns sehr erfreulich, daß die Anregung, die wir durch unseren Antrag in Bezug auf das Armenwesen gegeben haben, zu einer recht ausführlichen Auseinandersetzung geführt hat. Sie wird, wie wir hoffen, etwas Ersprießliches für das Armenwesen bringen. Nach den Ausführungen des Herrn Hartwig müßte man sagen, daß des Menschendaseins schönster Schluß wäre, ins Armenhaus zu kommen. Es ist traurig genug, wenn die Verhältnisse so schlimm sind, daß sich eine große Zahl von Armen so kümmerlicher Weise ernähren muß. Aber ich meine, daß es notwendig ist, das Armenhaus so einzurichten und seinen Zweck so festzulegen, daß die Ernährung der Insassen sich nicht nach dem richtet, wie die Leute bisher ernährt sind, sondern nach dem, was man auf Grund der Gesundheitslehre und der Menschenfreundlichkeit als Ernährung für notwendig erachtet.

Ich glaube, der Zweck eines solchen Hauses legt der Verwaltung die Verpflichtung auf, für gute Ernährung zu sorgen. Ich will mich zunächst auf die Art der Beköstigung beschränken. Ich habe hier die Speisekarte für das Essen, das alle Tage im Armenhaus den Leuten geboten wird. Ich überlasse es Ihrem objektiven Urteil, zu entscheiden, ob Sie die Ernährung für ausreichend halten oder nicht. Morgens um 7 Uhr, wenn die Leute aufstehen, wird ihnen Anstaltskaffee gereicht ohne jegliche Zutat. Es wird andererseits selbst nach der Hausordnung auch Kaffeewasser in Bereitschaft gehalten für diejenigen, denen der Anstaltskaffee nicht genügt (er ist nicht sehr stark, damit die Leute nicht aufgeregt werden sollen), und die sich dann auf Grund ihrer paar Pfennige Kaffeebohnen kaufen können. Manche verzichten also auf den Anstaltskaffee und lassen sich Wasser auf ihre Bohnen gießen. Um 8 Uhr gibt es ein solennes Frühstück, bestehend aus einer Scheibe Schwarzbrot, auf das Margarine geschmiert ist, aber auch nicht zu dick, damit sie keine Fettflecke in den Magen bekommen. Einen um den anderen Tag gibt es auch einen trocknen Zwieback. Bei der Mittagskost werden Sie jedenfalls finden, daß sie auch allen Ansprüchen genügt: Montags Hafergrützsuppe, mit Kartoffeln angerührt, und eine Scheibe Schwarzbrot. Man hat es als eine große Wohltat hingestellt, daß anstatt Schwarzbrot auf Anordnung des Arztes Kranken auch Weißbrot gegeben wird. Daß dies als besondere Wohltat in der Bürgerschaft hervorgehoben wird, ist bezeichnend genug. Dienstags gibt es Reissuppe mit kleingeschnittenen Fleischstücken (Montags kein Fleisch). Mittwochs Steckrüben mit Kartoffeln ohne Fleisch. Donnerstags dicken Reis mit Kartoffeln und Fleisch. Freitags Kohl mit Kartoffeln ohne Fleisch. Sonnabends Reissuppe mit kleinen Fleischstücken. Sonntags und Festtags Bohnen oder Erbsen mit Speck. Das erhalten unsere Armen im Armenhaus an Verpflegung. Wenn Sie diese Zusammensetzung sehen, so werden Sie ohne weiteres zugeben, daß diese Ernährung für alte Leute im Alter von 60 bis 70 Jahren nicht ausreicht, die vielleicht ein arbeitsreiches Leben hinter sich haben, und denen es nicht möglich gewesen ist, ihrem Körper stets jene Nahrung zuzuführen, die erforderlich gewesen wäre. Es ist durchaus erforderlich, daß sie an ihrem Lebensabend eine einigermaßen kräftige Nahrung erhalten, anstatt daß man diese Speise vorsetzt.

Es wird andererseits behauptet, es herrsche hier peinliche Sauberkeit. Da will ich Ihnen ein anderes Bild vorführen: die Bettwäsche dort wird nur alle acht Wochen gereinigt. Das ist doch wirklich kein Beweis von Reinlichkeit, wie sie in diesem Hause herrscht. Ich möchte die Herren ersuchen, ihr Augenmerk darauf zu richten. Freilich, wenn Sie morgen hinkommen, wird vielleicht die Bettwäsche gewechselt sein. Jedenfalls wird die Verwaltung von den Verhandlungen der Bürgerschaft Kenntnis bekommen und sich auf eine Revision einrichten.

Daß Mißstände bestehen, ist nicht zu bestreiten. Es wird auch vielfach geklagt über die Kleidung. Unterhosen und Strümpfe müssen von den Insassen selbst gewaschen werden – von diesen alten Leuten! Ebensowenig sind die Leute mit guter Kleidung ausgerüstet. Es ist Tatsache, daß manche in der Stadt um Hosen betteln. Die Leute kriegen nur alle zwei Jahre eine neue Hose. Auch das Schuhzeug ist nicht genügend. Sie sollen sich die Schuhe selbst anschaffen! Es werden ihnen nur Hausschuhe geliefert, aber sie kriegen auch hin und wieder ein paar Sohlen von der Anstalt, um sich die Schuhe zu besohlen. Dann laufen die verlassenen Leute in der Stadt herum, um sich die nötigen Kleider zu erbetteln; hauptsächlich diejenigen, die keine Angehörigen haben, sind auf milde Gaben angewiesen. Das ist der Grund, weswegen wir die Verhältnisse des Armenhauses hier zur Sprache gebracht haben.

Dabei tut hier Eile not! Es handelt sich um beinahe 200 Arme. Wir müssen das dringende Bedürfnis anerkennen, daß die Klagen über das Armenhaus verstummen. Das müssen wir schon vom allgemein menschlichen Standpunkt verlangen. Ich möchte bitten, diese Angelegenheit zu beschleunigen.

Ein überaus wesentlicher Punkt ist es ferner, ob die Armenhausverwaltung berechtigt ist, die Renten der Leute, die im Armenhaus untergebracht sind, mit Beschlag zu belegen, und ob überhaupt die Unterbringung der Leute im Armenhaus als eine öffentliche Armenunterstützung zu betrachten sei. Es muß absolut unterschieden werden zwischen dem privaten Armenhaus und der öffentlichen Armenpflege. Daß das Armenhaus aus der alten kirchlichen Armenpflege hervorgegangen ist, ist erklärlich, weil in den vergangenen Jahrhunderten die Armenpflege ausschließlich in den Händen der Kirche lag. Aber damit ist doch nicht ohne weiteres diese Einrichtung, die aus privaten Geldmitteln entstanden ist, zu einer öffentlichen Staatseinrichtung geworden. Eine öffentliche Armenunterstützung liegt nur dann vor, wenn Armen aus den Mitteln des Staates Unterstützungen gegeben werden und der Staat Einrichtungen getroffen hat, diese Mittel wieder in Form von Steuern von den Einwohnern zu erheben oder zwangsweise beizutreiben. Das ist schließlich auch nach dem Urteil bedeutender Rechtsgelehrter der Begriff der öffentlichen Armenpflege. Die Rente der Versicherten darf nur beschlagnahmt werden von den Gemeinden oder Armenverbänden für die Unterstützungen, die von dieser Seite gewährt werden, also nicht für jede Unterstützung, sondern nur für die öffentlichen Armenunterstützungen. Die öffentliche Armenunterstützung wird gegeben lediglich von den Kommunen, von der öffentlichen Armenpflege. Ich bleibe dabei: der Standpunkt ist nicht gerechtfertigt, ich glaube, daß die Rente dieser Leute von seiten des Armenhauses nicht beschlagnahmt werden darf. Nun wird gesagt, die Sache habe hier weniger Bedeutung, weil die Leute unterschreiben, wenn sie ins Armenhaus gehen, daß diesem die Rente übertragen werde; es sei zwar nicht statthaft, daß die Rente verpfändet werde, aber da es sich um freien Willen handele, sei die Sache nicht so schlimm. Aber den Leuten, die sich geweigert haben, hat das Armenhaus einen Prozeß an den Hals geworfen, und dabei sind ihre Rechte nicht so vertreten gewesen, wie es sein muß. So weiß ich aus einem Fall, daß der Anwalt, anstatt auf die Fortsetzung des Prozesses hinzuarbeiten, vor dem Termin in den Kläger gedrungen ist, ein Schriftstück zu unterzeichnen, in dem dieser verzichten sollte. Das ist doch gewiß ein ungesetzlicher Zustand. Bei der schlechten Ernährung im Armenhaus ist es doch absolut notwendig, daß die Leute einige Groschen haben, um kleine Bedürfnisse, die so alte Leute doch haben, befriedigen zu können. Da sollte man doch nicht den Rechtsweg beschreiten, sondern ihnen die Wohltat des Gesetzes, den Genuß der Invaliden- und Altersrente, im vollen Maße zugute kommen lassen, zumal sie doch nicht öffentliche Armenunterstützung bekommen. –

Dann möchte ich noch eine Anfrage stellen. Es besteht hier ein Wohltätigkeitsfonds, der ja auch der Verwaltung der Armenbehörde untersteht. In der Geschäftsordnung dieses Wohltätigkeitsfonds ist nun die Bestimmung getroffen, daß von diesem Fonds nur solche Privatarme unterstützt werden sollen, die schon einmal eine öffentliche Armenunterstützung bekommen haben. Ich habe dies die letzten Tage von einem Armenpfleger erfahren, der mir gesagt hat, der Arme müsse mindestens dreimal eine Armenunterstützung erhalten haben. Das ist auch ungerechtfertigt. Es gibt Leute, die natürlich sich sträuben, eine Armenunterstützung zu empfangen, weil sie wissen, daß sie dadurch politisch unmündig gemacht werden. Demnach sollte ihnen die Möglichkeit offengehalten werden, eine öffentliche Unterstützung erhalten zu können. Ich hatte jemand, den ich empfehlen wollte, damit er eine Unterstützung aus diesem Fonds erhalte. Doch da wurde mir gesagt: »Sie können nichts erhalten, wenn er nicht schon einigemal Armenunterstützung erhalten hat.« Es war ein Mann, nicht ein gewerblicher Arbeiter, nicht versichert, im Handel beschäftigt, er hat den Feldzug mitgemacht, hat nun die alten Tage schwer zu leiden, er will der Armenpflege nicht anheimfallen, kann aber auch hier keine Unterstützung erhalten. Das darf nicht sein! Auf den Wohltätigkeitsfonds beruft man sich oft. Ich erinnere daran, daß bei der Besprechung des Notstandes, Januar 1892 im Reichstag, sich der Minister Böttcher darauf berufen hat, daß der Notstand doch nicht allzu groß sein könnte, weil dieser Wohltätigkeitsfonds in Bremen nicht allzusehr in Anspruch genommen würde. Ich möchte bitten, diesen Wohltätigkeitsfonds mehr der allgemeinen Wohltätigkeit zugänglich zu machen.

Zum Schluß empfehle ich Ihnen folgenden Antrag:

Die Bürgerschaft genehmigt das Budget der Armenpflege. Sie ersucht jedoch gleichzeitig den Senat, eine Reorganisation des Armenhauses und des Verhältnisses der stadtbremischen Armenpflege in der Richtung anzustreben, daß das Armenhaus zu einer Institution sich gestalte, die als moderne Versorgungsanstalt für unterstützungsbedürftige alte Arme den Ansprüchen Bremens genügt.

Sie können den Antrag ruhig annehmen. Es ist der einzig praktische Weg, der diese Mißstände beseitigt. Sie werden damit eine Einrichtung schaffen, daß die Armen, denen das Lebensglück sonst nicht geblüht hat, einen sicheren Hafen finden können. Diese Mißstände zu beseitigen, müssen wir uns zur heiligen Pflicht machen. Ich bitte Sie dringend, wenn Sie die Mißstände beseitigen und etwas tun wollen für die alten Armen der Stadt, damit sie besser aufgehoben sind als jetzt: nehmen Sie unseren Antrag an, der einen Fingerzeig gibt, wie es zu machen ist, aus diesen Verhältnissen herauszukommen und den berechtigten Ansprüchen der Armen zu genügen!


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