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1915.

Zur Kriegserklärung Italiens

Aus einer Reichstagsrede.
29.5.1915

Nach den Erklärungen, die uns der Herr Reichskanzler hier gegeben hat, sind von Österreich-Ungarn und von Deutschland die größten Anstrengungen gemacht worden, um den Krieg mit Italien zu vermeiden. Österreich-Ungarn hat sehr weitgehende Zugeständnisse gemacht, Zugeständnisse, die den ernsten Friedenswillen stark zum Ausdruck brachten. Bei einigermaßen gutem Willen Italiens hätte der Frieden erhalten werden können. Aber man wollte den Krieg! Das bisher mit uns verbündete italienische Volk ist frivol in die Schrecknisse des Krieges hineingestürzt worden. Man wollte nicht nur die Angliederung der italienischen Sprachgebiete Österreichs an Italien, die man ja ohne Schwertstreich haben konnte, man wollte weit darüber hinaus Machterweiterungen sogar mit Vergewaltigung fremdsprachlicher Gebiete. Italien führt also keinen Verteidigungskrieg, sondern einen Angriffs- und Eroberungskrieg! Mit dieser Auffassung befinden wir uns in Übereinstimmung mit unseren tapferen Parteigenossen Italiens, die alles taten, auch im Parlament, um das Unheil des Krieges von ihrem Lande und ihrem Volke fernzuhalten und Italien zu einem Friedensfaktor für Europa zu machen.

Nun werden neue Hunderttausende auf die Schlachtfelder geführt. Unser Land, das schon seitdem gegen eine Übermacht zu Lande und zu Wasser stand, wird vor eine neue blutige Kraftprobe gestellt. In dieser Stunde gesteigerter Gefahr bekennen wir uns rückhaltlos zu dem, was wir am 4. August und später hier erklärt haben. Wir stehen zu unserem Volk! Einmütig wird das deutsche Volk seine ganze Kraft einsetzen, um dieser neuen Gefahr Herr zu werden und unser Land zu schützen.

Aber wir beklagen es tief, daß mit dieser Erweiterung und Verschärfung des Krieges die aufkeimenden Hoffnungen auf baldigen Frieden in weitere Ferne gerückt sind. Unerhört sind die Opfer an Menschenleben in allen kriegführenden Ländern. Unermeßliche Kulturgüter sind vernichtet. Mehr und mehr macht sich überall das Verlangen geltend, dem Entsetzlichen endlich ein Ende zu machen. Trotz der verschärften Situation glauben wir, getreu unserer sozialistischen Weltanschauung, auch heute dieser Friedenssehnsucht Ausdruck geben zu sollen. Dabei wissen wir uns in Übereinstimmung mit großen Schichten aller Völker, die mit uns erstreben: einen Frieden ohne Vergewaltigung eines anderen Volkes, einen Frieden, der ein dauerndes Zusammenwirken aller Kulturvölker wieder ermöglicht. Darum wenden wir uns mit Entschiedenheit gegen diejenigen Bestrebungen, die den Frieden abhängig machen wollen von allerlei Eroberungen. Wir haben von Anfang an den Standpunkt eingenommen, daß wir jeden Eroberungskrieg verurteilen. Daran halten wir fest! Angesichts der glänzend betätigten wirtschaftlichen und militärischen Widerstandskraft unseres Volkes und angesichts des durch unsere tapferen Volksgenossen erkämpften günstigen Standes des Krieges kann dieses Aussprechen unserer Friedensbereitschaft von niemandem als Schwäche gedeutet werden.

Unser Volk hat in diesem Kriege Gewaltiges geleistet; draußen vor dem Feinde und daheim hat es alles daran gesetzt, um seine Pflicht zu tun. »Alle Heerführer bekunden ihre unbedingte Hochachtung vor der Masse« – so schrieb kürzlich ein bürgerlicher Kollege. Und ein anderes Mitglied dieses Hauses sagte in einer Versammlungsrede: »Das ganze Volk ist ein Held!« Einem solchen Volke darf nicht länger vorenthalten werden, worauf es längst berechtigten Anspruch hat, das es längst besitzen müßte: staatsbürgerliche Gleichberechtigung aller auf allen Gebieten! Gleiche Entwicklungsfähigkeit für jeden! Nur so wird es möglich sein, unserem innerpolitischen Leben eine gesunde Basis zu geben; nur so wird es allen Volksgenossen möglich sein, freudig mitzuarbeiten an den gewaltigen Aufgaben auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiete, die das deutsche Volk nach dem Kriege erfüllen muß.

Entschlossen, unser Vaterland in diesem Sinne zu einem wohnlichen Hause für alle auszubauen, wehren wir jede Gefahr von außen mit allen Kräften ab. Niemals haben wir Sozialdemokraten einen Zweifel darüber gelassen, daß wir mit unserem Volke für unsere wirtschaftliche und politische Selbstbehauptung alles einsetzen werden. Das gilt besonders heute, wo durch den Beitritt der letzten europäischen Großmacht zur Koalition unserer Feinde dieser Krieg ein Riesenkampf für die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des deutschen Volkes geworden ist.


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