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1901.

Die Bremer Verfassung

Aus einer Rede in der Bremer Bürgerschaft.
30.1.1901

Wenn wir einmal an eine Verfassungsänderung gehen, halte ich es für ungeschickt, wenn wir uns mit einer kleinlichen Flickerei bescheiden wollten, die die Sache selbst im Kern unberührt läßt. Die Verfassung des bremischen Staates, des republikanischen Freistaates, trägt einen so reaktionären Charakter, daß eine im alten Ständewesen versunkene Monarchie sich zu einer solchen Verfassung gratulieren könnte. Wenn Ihnen dies verwunderlich erscheint, so dürfen Sie nur der Herkunft der Verfassung nachgehen. Sie brauchen sich nur in die politischen Verhältnisse hineinzuversetzen, aus denen sie entstanden ist. Als 1848 im ganzen deutschen Land das Volk überall energisch dafür eintrat, daß es frei würde von der Bevormundung der feudalen Herren, der Junker, der Geistlichkeit, da hat sich auch in Bremen eine gewaltige Bewegung in dieser Beziehung geltend gemacht. Die Bewegung hat schließlich erreicht, daß hier eine auf freiheitlichem demokratischen Boden aufgebaute Verfassung seitens des Senats, und zwar vom Rathaus herunter, feierlich versprochen worden ist. Wie nun so manche Versprechungen in Stunden der Gefahr, so ist auch dieses Versprechen, das von dem Bürgermeister dem Volke vom Rathaus herunter gegeben ist, schließlich nach einem Jahre ins Wasser gefallen. Nachdem man sich hinter den Bundestag in Frankfurt gesteckt hatte, ist diese freiheitliche Verfassung der bremischen Bevölkerung im Jahre 1852 einfach wieder genommen. Diese Verfassung ist weggenommen gegen den Willen der Mehrheit der bestehenden Bürgerschaft, weggenommen gegen den lebhaftesten Protest des Bürgeramtes, weggenommen gegen den Protest der ganzen bremischen Bevölkerung, und man hat ihr mit Hilfe eines Staatsstreichs einfach eine reaktionäre Verfassung aufoktroyiert. Die Verfassung sagt ausdrücklich: »Jeder Staatsbürger ist vor dem Gesetz gleich«, und an einer anderen Stelle: »Der Senat wird von Senat und Bürgerschaft gemeinschaftlich gewählt.« Das ist ja annehmbar. Wenn man aber das »Gesetz, den Senat betreffend« durchliest, so merkt man gleich den reaktionären Charakter, und es muß zugestanden werden, daß der Verfasser dieser Bestimmungen ein geriebener Diplomat gewesen ist, gegen den die Verfasser der lex Heinze oder der Zuchthausvorlage als große Stümper erscheinen. Wenn Sie Gelegenheit gehabt haben, nach einem Blick über gesetzliche Bestimmungen einmal selbst an einer solchen Wahl teilzunehmen, wie ich kürzlich das Vergnügen gehabt habe, so müssen Sie zugeben, daß es einem erscheint, als ob man an einem Possenspiel mitgewirkt hätte. Als wir bei der letzten Wahl den ganzen Tag hier gesessen hatten und ich abends nach Hause ging, da habe ich darüber nachgedacht: Was habt ihr denn heute eigentlich gemacht? Was soll aus der Sache werden? Ich habe dann noch einmal die Verfassung genau nachgesehen, und dann bin ich zu der festen Überzeugung gekommen, daß wir da eigentlich Harlekinspiel aufgeführt haben.


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