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Kampfansage gegen die Regierung

Aus einer Reichstagsrede.
7.6.1916

Die sozialdemokratische Partei hat schon in der ersten Zeit des Krieges die Forderung erhoben, daß die Kriegsgewinne zur Deckung der Kriegskosten im weitesten Maße herangezogen werden müssen. Die lange Dauer des Krieges gebot, außer den im Kriege gemachten Gewinnen den Besitz im allgemeinen, Einkommen und Vermögen für die Ordnung der Reichsfinanzen in Anspruch zu nehmen. Der Herr Reichskanzler hat hier wiederholt auf die Opferfreudigkeit des deutschen Volkes hingewiesen. Noch in den letzten Tagen hat er in treffenden Worten den Opfermut unseres Volkes gepriesen. Bei den Steuern ist leider nicht nach diesen Worten gehandelt. Mitten im schweren Existenzkampf des Deutschen Reichs waren einzelne Schichten der Bevölkerung in der Lage, sich zu bereichern und oft ohne irgendwelche volkswirtschaftlichen Bemühungen große Kapitalien aufzuhäufen. Der Krieg, der die soziale Gerechtigkeit hätte entwickeln sollen, hat Triumphe der Selbstsucht gezeitigt. Andererseits müssen weiteste Kreise unseres Volkes ganz außerordentliche Opfer bringen. Zahlreiche Gewerbetreibende und Handwerker erleiden schwere Einbußen, und die große Masse der Unbemittelten wurde von der Not der Zeit aufs äußerste heimgesucht. Es wäre in dieser Lage unerläßliche Pflicht des Besitzes gewesen, die durch den Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Volkskreise mit neuen Steuerlasten zu verschonen. Schon deshalb dürften auf keinen Fall neue Verkehrs- und Verbrauchssteuern in Vorschlag gebracht und zum Beschluß erhoben werden. Die verbündeten Regierungen haben aber hartnäckig an dem partikularistischen Gedanken festgehalten, der dem Reiche die Heranziehung des Vermögens und des Einkommens zu den Reichslasten verweigert. Sie sträuben sich gegen die Abkehr von alten und veralteten Bahnen. Wie soll da im Volke Vertrauen erwachsen auf eine gerechtere Verteilung der Lasten bei den in Zukunft bevorstehenden weit größeren Steueraufgaben des Reichs, wenn sogar inmitten der Kriegsnot so schroffe Zumutungen gewagt werden, wie sie in den neuen Verkehrs- und Verbrauchssteuern enthalten sind! Durch diese Steuern wird nach unserer Überzeugung nicht nur ein verhängnisvoller politischer Fehler begangen, sondern auch eine schwere Ungerechtigkeit gegen das Volk, das so viele Opfer gebracht hat und jeden Tag noch bringt.

Es kommt hinzu, daß in der inneren Politik die notwendigsten Forderungen politischen und sozialen Fortschritts unberücksichtigt bleiben. In den ersten Perioden des Krieges konnte noch mit einem Schein von Berechtigung gesagt werden, daß ein Ausbau der politischen Zustände mitten im Kriege allzu große Schwierigkeiten bereite. Aber der Krieg dauert 22 Monate, und in so langer Zeit wäre es sehr wohl möglich gewesen, die Bahn zu Neuem freizumachen. Kaum eine Fessel veralteten Polizeigeistes ist gelöst, und noch immer verlautet nichts von der Reform des Klassenwahlrechts in Preußen und in anderen Bundesstaaten.

Auf dem Gebiete der Versorgung des Volkes mit Nahrungsmitteln hat man nicht die Entschlossenheit aufgebracht, die zur Sicherung der Ernährung und zum Schutze gegen Auswucherung notwendig ist.

Die Energie, mit der man auf dem Gebiete der Heranschaffung, Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln vorgehen mußte, betätigt man auf dem Felde des Belagerungszustandes und der Zensur. Statt durch Aufhebung des Belagerungszustandes zu beweisen, daß man dem deutschen Volke das Vertrauen entgegenbringt, auf das es sich durch seine Leistungen und sein Verhalten Anspruch erworben hat, duldete man die Ausschreitungen der Zensur und überlieferte damit die Presse der Willkür des Zensors.

Dies alles erfüllt die weitesten Kreise unseres Volkes mit Besorgnis nicht nur, sondern mit Mißstimmung und Erbitterung. Es ist unsere Pflicht, dieser Mißstimmung deutlichen Ausdruck zu geben und auf das eindringlichste gegen diesen Kurs der inneren Politik Einspruch zu erheben. Wir fordern, daß dem Volke, das in diesem schweren Kriege so Gewaltiges geleistet hat, in der Entwicklung von Recht und Freiheit sowie in der Besserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse endgültig ein weiteres Entgegenkommen bewiesen wird. Da es die Regierung bisher daran fehlen ließ, ergibt sich auch für uns hieraus die Schlußfolgerung, den Etat abzulehnen.


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