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Lohnungerechtigkeiten bei den Postbeamten

Aus einer Reichstagsrede.
13.2.1913.

Den heftigsten Widerspruch fordert die Personalpolitik der Reichspostverwaltung heraus. Der Reichstag ist in sozialpolitischen Dingen doch wahrlich recht zaghaft und zurückhaltend, und doch steht die Postverwaltung auf diesem Gebiet mit ihm sozusagen ständig auf Kriegsfuß. Die Besprechung der Denkschrift über die Personalverhältnisse der Post war eine glatte Absage des ganzen Reichstages an die Postverwaltung. Nach einem bekannten Kaiserwort sollen Staatsbetriebe Musterbetriebe sein. Die Kaiserliche Post ist wohl der größte Reichsbetrieb; aber sie wird nicht nach den Grundsätzen jener Kaiserlichen Botschaft, sondern ganz im Geiste privatkapitalistischer Profitmacherei geleitet. Ein Privatunternehmer kann nicht einmal so nichtachtend an den berechtigten Wünschen seines Personals vorübergehen wie die Postverwaltung. Der Reichstag wird nicht besser beachtet! Im vorigen Jahr sind hier eine ganze Anzahl Resolutionen beschlossen worden, in denen Besserstellung des Personals nach verschiedenen Richtungen hin verlangt wurde. Fast alle diese Resolutionen haben einmütige Annahme gefunden – wohl der beste Beweis, wie bescheiden das Verlangte war. Nun hat uns aber der Bundesrat eröffnet, daß diese Beschlüsse fast alle unberücksichtigt in seinen großen Papierkorb gewandert sind. Die Begründung der Ablehnungen, wenn man überhaupt hier die Randbemerkungen in dem Aktenstücke so ansprechen darf, sind durchweg geradezu nichtssagend. Das ist so recht bezeichnend für die Wertschätzung der Reichstagsbeschlüsse beim Bundesrat. Wenn solche Beschlüsse draußen im Lande nicht völlig an Bedeutung verlieren sollen, wenn man draußen nicht zu der Auffassung kommen soll, daß es dem Reichstag mit solchen Beschlüssen überhaupt nicht Ernst ist, dann muß er andere Wege einschlagen und seinen Entschließungen mehr Nachdruck verleihen als bisher.

Die Stellung der nicht etatmäßig angestellten Unterbeamten, der Postboten, ist das traurigste Kapitel in der Personalpolitik der Reichspostverwaltung. Wenn wir die wirtschaftliche Lage der Postboten nachprüfen, so finden wir, daß der Normaltagegeldsatz 2 bis 3 M, also 2,50 M durchschnittlich, im Reichspostgebiet beträgt. Die erste Zulage erfolgt nach Ablegung des Probejahres und zweier weiterer Dienstjahre, also in der Regel erst nach drei Jahren; und diese Zulage beträgt ganze 10 Pfennig pro Tag und steigert sich bis zum achten Dienstjahre um weitere 10 Pfennig pro Tag. Der Höchstbetrag, den der Postbote zu erreichen vermag, ist also 2,80 bis 3,30 M pro Tag oder im Reichsdurchschnitt 3,30 M. Zu solch elenden Löhnen werden mehr als 34 000 Postboten beschäftigt! Diese Tagegelder, die mit Recht eben als Hungerlöhne bezeichnet worden sind, sind überall schlechter als die Löhne in der Privatindustrie; vielfach bleiben sie sogar hinter den ortsüblichen Tagelöhnen zurück. Ja, man kann wohl sagen, daß jede anständige Stadtverwaltung ihre Straßenfeger besser bezahlt als die Postverwaltung ihre Postboten. Daß mit solchem Einkommen auch nicht die allernötigsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen sind, bedarf wohl keiner näheren Darlegung.

Ich will nur Bezug nehmen auf ein mir zugegangenes Schreiben, in dem das meines Erachtens trefflich illustriert wird. Dort heißt es: »Da möchte ich Ihnen noch ein Beispiel anführen. Bei mir wohnt nämlich ein Kollege, welcher ein Tagegeld von 2,90 M bezieht. Er bezahlt an Pension monatlich 60 M. Im Spar- und Vorschußverein, wo er einen Pump hat, muß er 10 M bezahlen. Dann kommt jedes Vierteljahr das Kleidergeld; er muß seine Wäsche bezahlen, er muß seine Schuhe besohlen lassen, er muß Zivilzeug haben; dann muß er schließlich für seinen Vater noch 5 M monatlich der Stadt bezahlen! Der Mann hat also ein Einkommen von monatlich 87 M. Er zahlt 60 M an Pension, 10 M für den Sparverein und 5 M für den Unterhalt seines Vaters; das sind allein 75 M, so daß ihm zur Befriedigung aller übrigen Bedürfnisse noch ganze 12 M übrigbleiben.« Noch schlimmer liegen freilich die Verhältnisse, wenn der Postbote verheiratet ist. Im vorigen Jahre ist von dem Herrn Unterstaatssekretär mir gegenüber gesagt worden: Ja, die Postboten sind in der Regel junge Leute, die sich noch nicht zu verheiraten pflegten. Mittlerweile ist uns eine Statistik von der Reichspostverwaltung zugegangen über die Familienverhältnisse der Beamten, und da findet sich, daß das Alter und die Familienverhältnisse der Postboten sich wie folgt gestalten: über 20 bis 25 Jahre alt sind 5985 Postboten, und 11,6 % davon haben einen eigenen Haushalt; über 25 bis 30 Jahre alt sind 19 891, und 57,7 % haben einen eigenen Haushalt; über 30 bis 35 Jahre alt sind 7914 und 85,4 % verheiratet; über 35 bis 40 Jahre 248, 94,8 % verheiratet. Kurz, von 34 123 Postboten sind 56,4 % verheiratet. In der Tat ist also mehr als die Hälfte aller Postbeamten gezwungen, mit dem schon näher bezeichneten Lohn eine Familie ernähren zu müssen. Hinge es von der Verwaltung ab, dann würde sie allerdings von Amts wegen die Postboten zum Zölibat zwingen. Schon heute ist es für einen Postboten ein besonderes Wagnis, sich zu verheiraten; denn er gerät dabei in Schulden, dann läuft er Gefahr, überhaupt nicht etatmäßig angestellt zu werden. Bei einem solchen Verdienst ist es aber für einen Familienvater geradezu ein Kunststück, sich vor Schulden zu bewahren!

Hier in Berlin klagt man über Mangel an Personal und die daraus resultierende Überlastung. Ich will da nur auf eine Gerichtsverhandlung hinweisen, die recht bezeichnend ist. Die Verhandlung fand vor der Ferienstrafkammer des Landgerichts III Berlin statt. Dort stand ein Arbeiter, der bei der Postanstalt Lichtenberg 2 als Postaushelfer beschäftigt war, unter der Anklage der Amtsunterschlagung. Als dieser Arbeiter stellenlos war, ging er nämlich zur Postzentrale in der Königstraße. Dort wurde er nach Lichtenberg geschickt, wo man einen Aushelfer brauchte. Vor Gericht behauptete er nun unwidersprochen, daß der Oberpostsekretär in Lichtenberg ihn lediglich danach gefragt habe, ob er lesen und Briefe austragen könne; da er das bejaht und erklärt habe, daß er vor längerer Zeit schon einmal Postaushelfer gewesen sei, sei er ohne weitere Legitimationsprüfung, und ohne daß er, wie es die Dienstanweisung vorschreibt, durch Handschlag verpflichtet worden wäre, dem Postamt Lichtenberg 2 zugewiesen worden und habe schon am nächsten Tag den Dienst als Briefträger begonnen, wobei ihm die Arbeit bald über den Kopf gewachsen sei. Es kamen dann Klagen über schlechte Bestellung der Briefe, und eine Hausuntersuchung ergab, daß bei ihm in der Wohnung 205 Briefe, die nicht bestellt worden waren, gefunden wurden. Außerdem hatte sich der Arbeiter eine Unterschlagung von 6 M zuschulden kommen lassen. Er ist dann vom Landgericht wegen Vergehens gegen § 359 des Strafgesetzbuches zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht hat also angenommen, daß der Angeklagte Beamtenqualität besaß. Ich meine, der ganze Vorgang, insbesondere die Art bei der Anstellung und die sofortige Beschäftigung als Briefträger, spricht dafür, daß zu jener Zeit in Berlin kein Überfluß an Bewerbern vorhanden gewesen sein kann.

Wie leicht übrigens Postangestellte infolge der schlechten Bezahlung in Versuchung geraten und mit dem Strafrichter in Berührung kommen, zeigt eine andere Gerichtsverhandlung in Schelitz in Schlesien, auf die ich auch noch hinweisen muß. Ein Postbote hatte dort im Dezember die Beträge von zwei Postanweisungen in Höhe von 15 und 20 M unterschlagen. Er hatte weiter einen Quittungsvermerk geändert und einen Betrag von 15,49 M für Postwertzeichen unterschlagen. Der betreffende Postbote wurde im März 1909 gegen Tageslohn angenommen und am 14. April 1909 definitiv mit einem Lohn von 1,80 M pro Tag angestellt. Das Gericht berücksichtigte zwar – wie das »Königshütter Tageblatt« berichtet – die Notlage, ferner das Geständnis, die bisherige Unbestraftheit und das jugendliche Alter, nahm auch mildernde Umstände an, erkannte aber trotzdem auf 4 Monate Gefängnis. So ist der junge Mann, der zu einem Lohn von 1,80 M beschäftigt wurde, für seine ganze spätere Zeit gebrandmarkt. Mit Recht kann man hier sagen: »Ihr laßt den Armen schuldig werden und überlaßt ihn dann der Pein!«

Ich glaube, daß eine Besserstellung der Unterbeamten unter allen Umständen dringend und unaufschiebbar notwendig ist. Gewiß kann eingewendet werden, daß es Tausende von Arbeitern gibt, die noch weniger verdienen; aber das beweist doch nur, unter welchen elenden Verhältnissen heute noch weite Schichten der Arbeiterklasse leben müssen. Das zeigt doch nur, wie strafbar der Versuch ist, den Arbeitern das Koalitionsrecht und damit die Möglichkeit zu rauben, sich selbst aus diesen Verhältnissen herauszukämpfen. Eine Regierung, die ihren Beamten jede Möglichkeit der Selbsthilfe nimmt, eine Regierung, die eine Wirtschaftspolitik betreibt, die nach ihren eigenen Erklärungen den Zweck hat, die Preise der Lebensmittel zu steigern, hat das Recht verwirkt, sich zur Rechtfertigung der schlechten Entlohnung ihrer Arbeiter und Beamten auf die noch schlechteren Erwerbsverhältnisse bestimmter Arbeiterschichten zu berufen. Hat doch kürzlich der Landwirtschaftsminister im preußischen Abgeordnetenhause kalten Blutes gesagt, daß das Publikum sich eben daran gewöhnen müsse, auch für die Lebensmittel mehr auszugeben als bisher. Da muß doch gerade hier beim Postetat gesagt werden, daß man von einer Regierung, die eine solche Politik betreibt, auch verlangen muß, daß sie sich schließlich daran gewöhnt, ihre Arbeiter und Beamten so zu bezahlen, daß sie bei diesen Wucherpreisen für Lebensmittel in der Lage sind, sich und ihre Familie einigermaßen menschenwürdig durch das Leben zu bringen.

Ausgerechnet ein Organ der Junker, derselben Leute, die nicht genug über ihre angebliche Notlage schreien können, die sich auf Kosten des Volkes und des Reiches ihre Taschen füllen, macht den Unterbeamten das Recht streitig, öffentlich über ihre tatsächliche Notlage reden zu dürfen. Das nennt man ›demokratisches Teuerungsgeschrei‹, und die Beamtenführer denunziert man als ›demagogische Einpeitscher‹. Dieser Wink des Junkerorgans scheint auch bei der Reichsregierung seine Zwecke nicht verfehlt zu haben; denn wie in der Presse mitgeteilt wurde, wußte die Reichsregierung diese Eingabe des Verbandes der Unterbeamten auf Gewährung von Teuerungszulagen nicht besser zu bewerten, als daß sie nach Mitteilungen in der Presse zunächst eine hochnotpeinliche Untersuchung einleitete, um die Vertrauensmänner des Verbandes der Unterbeamten bei den einzelnen Behörden zu ermitteln. Und trotzdem bei der Teuerungsdebatte der Herr Reichskanzler hier selbst zugeben mußte, daß neben den Arbeitern auch die kleinen Beamten durch die Teuerung stark in Mitleidenschaft gezogen werden, soll doch allen oberen Reichsbehörden die Anweisung gegeben worden sein, der Eingabe des Verbandes der Unterbeamten nicht nur nicht stattzugeben, sondern sie überhaupt nicht zu beantworten!

Danach triebe also die Reichsregierung eine recht zweideutige Beamtenpolitik. Wenden sich die Beamten in ihrer Notlage mit Petitionen an die Regierung, dann würdigt man sie keiner Antwort. Bei Wahlen aber verlangt man in Kundgebungen und Erlassen aller Art von den Beamten, die Regierungspolitik zu unterstützen. Das wäre doch in der Tat der Gipfel unserer erhabenen – um nicht zu sagen: hochnäsigen – Regierungsbureaukratie.

Dieselbe Regierung, die den Agrariern den Tisch nicht üppig genug decken kann, gibt ihren Behörden Anweisung, die Unterbeamten in der Not ihrem Schicksal zu überlassen und ihre Petition nicht einmal einer Antwort zu würdigen.

Mangel an Mitteln kann die Regierung zu ihrer ablehnenden Haltung doch nicht veranlassen; besonders nicht bei der Post, denn es handelt sich hier um eine Verwaltung, die mit einem Überschuß von 140 Millionen Mark aufwartet. Dazu kommt, daß an dem Etat auch erhebliche Abstriche und Ersparnisse gemacht worden sind und durch steigende Überschüsse Ausgaben für Gehaltsaufbesserungen sehr bald wieder ausgeglichen werden. Mangelt es aber im übrigen an Mitteln, dann sollte die Regierung mit der schuldigen Besitzsteuer herauskommen! Aber da scheint es an der nötigen Homogenität oder an dem erforderlichen Mut zu fehlen!

Zum Schluß nur noch einige Worte über die staatsbürgerlichen Rechte der Postarbeiter und Beamten. Aus den Debatten über das Koalitionsrecht der Staatsarbeiter wissen wir, daß die Regierung versucht, das auch ihren Angestellten gesetzlich gewährleistete Koalitionsrecht mit juristischen Finessen zu erdrosseln. Bei der Beratung des Postetats im vorigen Jahr haben wir hier festgestellt, daß die Postverwaltung amtliche Wahlbeeinflussung ihrer Beamten nicht allein duldet, sondern geradezu gutheißt. Wir haben weiter festgestellt, daß hinter Beamten hergeschnüffelt worden ist, um zu ermitteln, wie sie ihr Wahlrecht ausgeübt haben. Die Fachblätter der Staatsarbeiter und -Beamten werden von der Regierung bevormundet, als wenn sie ein Zensurrecht über diese Blätter hätte. Eingaben der Angestellten läßt man unbeantwortet, wenn sie unbequem sind; das Verlangen nach Einrichtung von Beamtenausschüssen lehnt man grundsätzlich ab. Die Arbeiterausschüsse läßt man zu keiner wirksamen Tätigkeit kommen. Meine Herren, wer eine solche Politik treibt und gutheißt, kann in den Beamten keine Männer von Charakter und mit Überzeugung erblicken, der degradiert die Beamten zu Heloten, zu einem willenlosen Werkzeug. Das ist Terrorismus in schlimmster Form! Wo bleibt da die freie Menschenwürde! Wir haben diese Politik immer auf das äußerste bekämpft. Die Staatsarbeiter und -Beamten sind nicht Staatsbürger zweiter Klasse, Die Reichsverfassung garantiert auch ihnen die Freiheit in der Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte, und niemand, mag er heißen wie er will, hat einen Rechtstitel, sie daran zu hindern. Alle diese Versuche sind rechtswidrige Willkürakte!

Wie sich die Beamten zu den politischen Parteien und zur Sozialdemokratie stellen, ist eine Frage, die die Beamten allein zu entscheiden haben. Wer sie an dieser freien Entscheidung hindert, der hat kein reines Gewissen, der hat die Entscheidung der Beamten zu fürchten, der züchtet Gesinnungslumperei! Wenn Sie glauben, mit einer solchen Politik die Sozialdemokratie zu schädigen, dann sind Sie auf dem Holzwege. Wenn wir Sozialdemokraten die Postpolitik lediglich vom Standpunkt unserer Parteipolitik aus betrachten würden, dann könnten wir uns leicht damit abfinden, denn der Herr Staatssekretär und seine Politik sind, wenn auch ungewollt, unsere besten Propagandisten unter dem Postvolk. Von diesem Gesichtspunkt aus können wir sagen: Sie sind ein Teil von jener Kraft, die das Böse will und das Gute schafft!


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