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Schrittmacher der deutschen Demokratie

Die kritische Lage Deutschlands stand klar vor den Augen Eberts, und er berannte mit nie ermüdendem Eifer die von der Obersten Heeresleitung geschützte Front der Annexionisten, die schroff einen Verständigungsfrieden ablehnten. Die Granden des Herrenhauses empörten sich über die Initiative, die von führenden Männern wie Ebert, Scheidemann und Legien in der Außenpolitik ergriffen wurde. »Wie es früher Zusammenkünfte von Kaisern und Königen gab«, so polterte der Graf York, »so jetzt Zusammenkünfte interparlamentarischer Art. Frieden zu schließen, ist nur der Kaiser berufen, und so steht es auch in der Reichs Verfassung.« Ebert war lebhaft beteiligt an den Bestrebungen im Reichstag, ein Zusammenwirken der Sozialdemokraten mit der Fortschrittlichen Volkspartei und dem Zentrum herbeizuführen, um so stärker auf den Gang der Kriegspolitik einwirken zu können. Diese Bestrebungen führten zur Einsetzung des interfraktionellen Ausschusses, der dem Reichstag die berühmte Friedensresolution vorlegte, die einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker, einen Frieden ohne erzwungene Gebietserwerbungen und ohne politische, wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen forderte.

Gegen diese Friedensresolution des Reichstags liefen die »Vaterlandspartei« und viele militärische und zivile Behörden Sturm. Da warf sich Ebert den stürmenden Vaterlandsparteilern entgegen und stellte dem Reichskanzler ein sehr beweiskräftiges Material über die Unterminierung der Friedensresolution durch nationalistische Beamte zu.

Die Friedensresolution des Reichstags, dieses erste Dokument des mündig werdenden deutschen Parlaments, wurde mit einer fast fanatischen Wut von den Anhängern des obrigkeitlichen Militärstaates verfolgt. Im Juli 1918 verbot der Kriegsminister von Stein den Friedensgesellschaften die Erörterung der Friedensresolution, selbst in einer geschlossenen Versammlung. In Frankfurt a. M. verfiel eine Versammlung der Friedensgesellschaft der Auflösung, weil sie sich über diese Resolution aussprechen wollte. Der erste Schritt des Reichstags, sich den Weg für eine selbständige äußere Politik zu bahnen und in der Frage von Krieg und Frieden entscheidend mitzusprechen, beschwor den schärfsten Widerstand aller Militärs und Bürokraten herauf, die den »obersten Kriegsherrn« und die Armee in alter Machtstellung erhalten wollten. Ebert hat den zaghaften Reichstag fortgesetzt auf die Hacken getreten, damit dieser auf der einmal betretenen Bahn der politischen Machteroberung rüstig vorwärts schritte. Die schwankende, unhaltbare Basis des obrigkeitlichen Staates brachte Ebert den weitesten Kreisen des Volkes zum Bewußtsein. Im Hauptausschuß des Reichstags war er die treibende Kraft einer planmäßigen Fortentwicklung der Volksrechte. Hier, im Hauptausschuß des Reichstags, bewies er eine bewundernswerte Klarheit und Schnelligkeit in der Erfassung einer politischen und militärischen Situation. Als Fehrenbach 1918 die Leitung des Hauptausschusses des Reichstags niederlegte, wurde diese Ebert übertragen. Der Hauptausschuß enthüllte nun rücksichtslos die politische Herrschaft der hohen Generale, die den Deputationen der russischen Randstaaten den Weg nach Berlin versperrten, wenn sie bekannte Abgeordnete aufsuchen wollten. Selbst der Zutritt zum Reichskanzler Hertling war diesen Deputationen verwehrt worden.

Die militärische Nebenregierung schritt selbst noch Ende September 1918, als die militärische Lage Deutschlands bereits bedrohlich geworden war, gegen die öffentliche Besprechung der preußischen Wahlreformvorlage ein, die vor allem dem Drängen Eberts und seiner Freunde nach einer Einführung des Reichstagswahlrechts für Preußen geschuldet war. Erst mit dem drohenden Zusammenbruch der Armee legte die Regierung die Hand an einen neuen Aufbau des Staates. Nun wird in aller Eile der Reichskanzler Graf Hertling entlassen, und »Männer, die vom Vertrauen des Volkes getragen sind«, sollen »in weitem Umfang an den Rechten und Pflichten der Regierung teilnehmen«. (Der Kaisererlaß vom 30. September 1918.)

Die militärische Lage Deutschlands hatte sich im Schnelltempo verschlimmert, und bereits am 10. September war von Hindenburg die Bitte ausgesprochen worden, die Vermittlung einer neutralen Macht »ohne Aufschub« herbeizuführen. Inzwischen brach Bulgarien militärisch zusammen, und am 29. September ersuchte der Staatssekretär v. Hintze die Einwilligung des Reichskanzlers zu dem Vorschlag: Präsident Wilson Frieden anzubieten auf Grund seiner 14 Punkte und ihn einzuladen, eine Friedenskonferenz nach Aufforderung zu sofortigem Waffenstillstand nach Washington zu berufen. Am 1. Oktober liefen beunruhigende Telegramme und Telephongespräche aus dem Großen Hauptquartier in Berlin ein. In diesen Kundgebungen des Großen Hauptquartiers hieß es unter anderem: »Heute halten die Truppen noch – was morgen geschehen werde, sei nicht vorauszusehen. Man solle das Friedensangebot sofort hinausgehen lassen und damit nicht bis zur Bildung der neuen Regierung warten.«

Der neue Reichskanzler Prinz Max von Baden will nun die neue Regierung erst »konsolidieren«, damit nach außen hin nicht der Eindruck erweckt werde, als handelten wir bei unserer Bitte um Friedensvermittlung unter dem Drucke der militärischen Zwangslage. In dieser bedrohlichen Situation tritt an Fritz Ebert die Frage heran: Soll er sich für einen Eintritt von Sozialdemokraten in ein Reichsministerium, das auf zu schwankendem Boden aufgerichtet ist, einlegen?

Er stand in engster Verbindung mit dem Prinzen Max und erfuhr am 3. Oktober diesen Bescheid Hindenburgs über die militärische Lage Deutschlands: »Die Oberste Heeresleitung bleibt auf ihrer am Sonntag, den 29. September, gestellten Forderung der sofortigen Herausgabe des Friedensangebots an unsere Feinde bestehen. Infolge des Zusammenbruchs der mazedonischen Front, der dadurch notwendig gewordenen Schwächung unserer Westreserven und infolge der Unmöglichkeit, die in den Tagen der letzten Schlachten eingetretenen, sehr erheblichen Verluste zu ergänzen, besteht nach menschlichem Ermessen keine Aussicht mehr, dem Feinde den Frieden aufzuzwingen. Der Gegner seinerseits führt beständig frische neue Reserven in die Schlacht. Noch steht das deutsche Heer festgefügt und wehrt siegreich alle Angriffe ab. Die Lage verschärft sich aber täglich und kann die Oberste Heeresleitung zu schwerwiegenden Entschlüssen zwingen ...«

Der niederschmetternde Eindruck, der von diesem Bescheid der Obersten Heeresleitung ausging, wurde noch beträchtlich vermehrt durch den erschütternden Bericht des Majors von dem Bussche über die militärische Lage Deutschlands. Diesen Bericht hörte Ebert ergriffen mit an. Sein Entschluß reifte schnell, den Parteigenossen in der sozialdemokratischen Fraktionsvorstandssitzung entgegenzutreten, die den Eintritt der Sozialdemokratie in die Regierung in der jetzigen verzweifelten Lage für politisch fehlerhaft und für zwecklos in nationaler Hinsicht hielten. Philipp Scheidemann hat in seiner Schrift: »Der Zusammenbruch« Eberts tatkräftige Befürwortung der sozialdemokratischen Besetzung des Ministeriums so festgelegt: Als er (Ebert) meinen ablehnenden Standpunkt abermals hörte, wandte er sich entschieden gegen mich und vertrat den Standpunkt, daß wir nun erst recht in die Regierung gehen müßten. Zwar glaube auch er nicht, daß wir noch irgend etwas retten können, aber wir sollten folgende Erwägung anstellen: Falls nun alles zusammenbricht, außen und innen, wird man uns nicht später den Vorwurf machen, daß wir in einem Augenblick unsere Mitwirkung versagt hätten, in dem man uns dringend von allen Seiten darum gebeten hatte. Nach langem Hin und Her, das sich dann in einer Fraktionssitzung fortsetzte, wurde mit erheblicher Mehrheit die Anteilnahme an der Regierung beschlossen.«

Mit der von Ebert durchgesetzten Beteiligung der Sozialdemokratie an der Regierung erhielt das neue Deutschland einen bestimmenden Einfluß auf die Leitung des Staats. Nach der Ansicht Eberts mußte die Sozialdemokratie, die ja in erster Linie das neue Deutschland repräsentierte, in einem Moment, da der Staat nach innen und außen zusammenzubrechen drohte, einspringen und an der Neugestaltung der deutschen politischen Verhältnisse mitwirken. Wo sich in höchster Gefahr alle Augen erwartend nach der Sozialdemokratie hinwandten, konnte diese nicht passiv die Hände in den Schoß legen.


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