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Fruchtbare Einigungsarbeit Eberts

Vor dem Ausbruch des Weltkrieges musterte die Sozialdemokratie mehr als vier Millionen Wähler und die freie Gewerkschaftsbewegung mehr als zwei Millionen organisierter Kampfgenossen. Durch Partei- und Gewerkschaftsbewegung ging der gleiche heiße, nach Befreiung lechzende Odem. Beide Bewegungen erfüllten sich mit der Idee der Beseitigung des kapitalistischen Herrentums aus der Wirtschafts- und Staatsordnung, beide standen auf dem Boden der theoretischen Erkenntnis, daß das Herrschaftsprinzip des Kapitalismus auf ökonomischem und politischem Gebiet dem Prinzip der freien Vergesellschaftung weichen müßte. Beide Bewegungen bekannten sich zu dem Grundsatz der Demokratie und strebten eine demokratisch-genossenschaftliche, gesellschaftliche Produktion und einen demokratisch-sozialen Staat an. Beide Bewegungen prägten scharf den Klassencharakter aus und beschritten die Bahn des Klassenkampfes.

Trotz der tiefen Übereinstimmung beider Bewegungen in ihren Zielen und Mitteln waren Grenzstreitigkeiten zwischen beiden nicht ausgeschlossen. Radikale Sozialdemokraten konnten zum Beispiel die strikte Durchführung der Arbeitsruhe am 1. Mai fordern, während besonnene Gewerkschafter in dieser Forderung die Entzündung gewaltiger, langwieriger Kämpfe befürchteten, die schließlich die gesamte Machtposition der Gewerkschaften schwächen konnten. Radikale Sozialdemokraten sahen in dem Massenstreik vielleicht ein revolutionäres Mittel zur Beseitigung des Kapitalismus, gemäßigte Gewerkschaftler dagegen widerrieten der Anwendung des Massenstreiks, weil er niemals zu einem revolutionären Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaft führen könnte. Der politische Streik griff in den Machtbereich der Gewerkschaften ein. In dieser Frage konnte die Sozialdemokratie nicht selbstherrlich handeln, da mußte sie die Gewerkschaften hören, da war sie auf das engste an die Unterstützung dieser wirtschaftlichen Organisationen gebunden. Das Massenstreikproblem schloß gewisse Konfliktsmöglichkeiten zwischen der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften ein.

In der Frage des politischen Massenstreiks hat Fritz Ebert stets klug zwischen der politischen und der gewerkschaftlichen Bewegung zu vermitteln verstanden. Er wollte mit Bebel den Massenstreik auf die Zurückweisung eines Anschlags gegen das allgemeine Wahlrecht und das Koalitionsrecht, auf die Eroberung eines wichtigen Grundrechts für die Arbeiterschaft begrenzt sehen. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbewegung durften sich nach Ebert nur auf klare, bestimmte, in ihrem Verlauf begrenzte Massenstreikaktionen festlegen. Den Massenstreik hielt Ebert nur dann für gerechtfertigt, wenn er aus den Beschlüssen der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften hervorgehen würde. Er legte daher den Nachdruck auf die völlige Übereinstimmung der politischen Partei und der Gewerkschaften in der Massenstreikfrage. Nur ordnungsmäßig von beiden leitenden Instanzen der Arbeiterbewegung beschlossene Streikaktionen befürwortete er.

Im Jahre 1906 legte der sozialdemokratische Parteitag in Mannheim folgende Taktik bei einem in Aussicht genommenen Massenstreik fest: »Sobald der Parteivorstand die Notwendigkeit eines politischen Massenstreiks für gegeben erachtet, hat er sich mit der Generalkommission der Gewerkschaften in Verbindung zu setzen und alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Aktion erfolgreich durchzuführen.«

Ebert wußte in allen grundlegenden politischen Fragen, die auch für die freiheitlich gerichteten Gewerkschaften von entscheidender Bedeutung waren, verbindende Brücken zwischen der Sozialdemokratie und den gewerkschaftlichen Organisationen zu schlagen. Er half damit einen innigen Zusammenhang und eine festgefügte Einheit zwischen beiden Bewegungen schaffen. Die Sozialdemokratie warb erfolgreich für die Gewerkschaften in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft, und die Gewerkschaften machten ihre Mitglieder für die von der Sozialdemokratie eingeleiteten politischen Aktionen mobil. Die deutsche Arbeiterschaft konnte dank dieser klugen Taktik geschlossen bei den großen Bewegungen auftreten, die den politisch entrechteten Massen das allgemeine Wahlrecht erobern wollten. Sozialdemokraten und Gewerkschafter formierten die große Armee der Wahlrechtskämpfer. Die Arbeitermarseillaise erklang im Jahre 1906 bei den großen Wahlrechtsdemonstrationen vor dem königlichen Schloß in Dresden. Zahlreiche gewerkschaftliche und sozialdemokratische Wahlrechtskämpfer wurden in politische Prozesse verwickelt. In Dresden allein wurden 20 Jahre Gefängnis über Wahlrechtsdemonstranten verhängt. Ungeheure Massen bot die Sozialdemokratie in Preußen für ihren Sturm gegen das Dreiklassenwahlrecht auf. Der sogenannte »Wahlrechtssonntag«, die Massendemonstrationen Unter den Linden und im Treptower Park bildeten Höhepunkte der preußischen Wahlrechtsbewegung.

Nur ein Mann, der so klar wie Ebert das Wesen der politischen Kämpfe erfaßt und der sich zugleich so tief in die Eigenart der gewerkschaftlichen Institutionen eingelebt hatte, konnte der Sozialdemokratischen Partei geben, was der Partei ihrem Wesen nach zukam. Sein strenger Gerechtigkeitssinn vermied peinlich die Ausnutzung irgendeines momentanen Vorteils zugunsten der Partei. Er fühlte sich gleichsam als Sachwalter beider Arbeiterorganisationen, er erkannte klar das Gemeinsame und das Trennende in beiden Bestrebungen. Nie griff er in die Kompetenzen der gewerkschaftlichen Instanzen ein, er wußte stets die Partei und die Gewerkschaften zu gemeinsamer harmonischer Arbeit zu vereinigen.

Als ein Mann des geschickten Verhandelns und der durchgreifenden Tat erwirbt sich Ebert denn auch die wärmsten Sympathien der Gewerkschaftler und der sozialdemokratischen Parteipolitiker. Die Vorstände der Gewerkschaften betrauen ihn mit einem Aufsichtsratsposten in der Versicherungs-Organisation der »Volksfürsorge«. Carl Legien, der erfolgreiche Stratege der deutschen Gewerkschaftsbewegung, schlägt ihn 1911 auf dem sozialdemokratischen Parteitag in Jena zum Parteivorsitzenden vor. Legien rühmt ihm nach, daß er in der Beilegung von Parteidifferenzen »eine überaus glückliche Hand« gehabt hat. »Gegenwärtig sowohl, wie vielleicht in der nächsten Zeit«, so betont Legien, »wird es wesentlich darauf ankommen, daß wir den Posten eines Vorsitzenden mit einem Genossen besetzen, der nach der genannten Richtung hin ausgleicht, der bei Differenzen den nötigen Takt und gewisses Geschick bisher bewiesen hat«. Bebel erklärt ausdrücklich, daß er und seine Vorstandskollegen in das Lob, das Legien dem Ebert erteilt hätte, ganz einstimmen. Ulrich, der spätere hessische Ministerpräsident, spricht in Jena, indem er sich gegen die Kandidatur Haases zum Parteivorsitzenden wandte, das bezeichnende Wort: »Die Betätigung von Ebert bietet uns eine viel größere Sicherheit dafür, daß die Partei unter seiner Leitung zusammengehalten und vorwärtsgetrieben wird zum Segen der Partei.«

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Ebert begrüßt Wiener Sänger

Durch Fritz Eberts kluge Taktik, der als Sekretär im sozialdemokratischen Parteivorstand eine starke Initiative entwickelte, flossen die Kräfte der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften in allen den entscheidenden Fragen harmonisch und erfolgreich zusammen, in denen es sich um die Beseitigung des Dreiklassenwahlrechts, um die Aufrichtung der sozialen Demokratie, um die Ausgestaltung der sozialen Versicherung, um die Schaffung eines freien Koalitionsrechts und um die Umbildung des Kapitalcharakters der Wirtschaft handelte.

Die schaffende Hand Fritz Eberts wird überall da sichtbar, wo das neue Deutschland der Arbeit und Demokratie elementargewaltig ins Dasein drängt, um die autoritäre Klassengesellschaft und den militaristisch-obrigkeitlichen Staat zu überwinden.


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