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Gegen das Verbrechen der Fleischteuerung

Aus der Bremer Bürger-Zeitung.
24.8.1905

Der Sozialdemokratische Verein hielt eine Versammlung gegen Fleischnot und Fleischteuerung ab. Das Referat hielt Genosse Ebert:

Vor etwa drei Jahren haben wir in Deutschland unter einer ähnlichen Situation gestanden. Überall, in allen Städten, parlamentarischen Körperschaften, Städteverwaltungen ist lebhaft Protest erhoben worden gegen die künstliche Fleischverteuerung, wie sie damals zutage getreten ist. Wenn wir in Deutschland eine Regierung hätten, die auch nur einigermaßen bestrebt wäre, die allgemeinen Interessen zu wahren, so hätte die bisherige Bewegung mit den vielen Beschwerden und Klagen, die jetzt schon der Regierung vorgetragen worden sind, Veranlassung geben müssen, in geeigneter Weise diesen Mißständen entgegenzutreten. Aber die Regierung hat genug zu tun, wenn es irgendwo eine abenteuerliche Faxerei im Ausland zu unternehmen gilt. Aber jetzt, da sich im gesamten deutschen Volk eine Notlage geltend macht, ist von der Reichsregierung nichts zu erblicken. Podbielski hat sich, es klingt wie Hohn, bei einer reich besetzten Tafel in einer Rede mit der Fleischnot beschäftigt und ist zu dem Schluß gekommen, daß eine Fleischnot in Deutschland nicht existiere. Die Junker haben Beifall gebrüllt. Ganz natürlich. Wenn das Fleisch recht teuer ist, feiert jene Gesellschaft Triumphe. Ist die deutsche Landwirtschaft überhaupt in der Lage, so viel Vieh zu produzieren und auf den Markt zu bringen, wie das deutsche Volk zu seiner Ernährung bedarf? Die Agrarier und ihre Presse behaupten dies.

Deutschland hat früher einen großen Teil seines Fleischbedarfs aus dem Auslande gedeckt. Die Zufuhr ist jetzt fast völlig unterbunden worden, dank der agrarischen Räuberpolitik. Man will sich nur die ausländische Konkurrenz vom Halse halten. Podbielski meinte, man solle sich drei bis vier Wochen gedulden, und die Fleischteuerung werde wieder zurückgehen. Das ist sehr zu bezweifeln. Dann aber wissen wir auch, daß im nächsten Jahre der neue Zolltarif mit seinen unerhört hohen Zollsätzen, den die Mehrheit des Reichstages unter Bruch der Geschäftsordnung durchgepeitscht hat, in Kraft treten wird. Wenn dann wirklich die gegenwärtigen Ursachen der Fleischteuerung behoben sein sollten, so bewirken die hohen Zollsätze, daß die Fleischpreise und sämtliche Nahrungsmittel im Preise sehr in die Höhe gehen werden. Die Arbeiter sind es, die darunter am meisten zu leiden haben. Die Volksgesundheit wird dadurch freventlich untergraben. Es steht ohne weiteres fest, daß den Arbeiterkindern kein anderes Erbteil in die Wiege gelegt werden kann als Krankheit und Siechtum. Die Kindersterblichkeit ist unter den Arbeitern vier- bis fünfmal so groß, die Säuglingssterblichkeit zehnmal so groß wie unter den Reichen. Es ist geradezu empörend, wenn die Reichsregierung Zustände züchtet, durch die die Verhältnisse noch verschlimmert werden. Der Reichskanzler, der gegenwärtig in Norderney weilt, mag noch so viel am Strande herumpatschen, die Schuld an diesen Verhältnissen wird er sich nicht abzuwaschen verstehen. Wir müssen mit einer gewaltigen Protestbewegung auf die Regierung einzuwirken versuchen und der Protest muß wie ein Donnerschlag in Bülows Badekasten schlagen. Zum Schluß fordert der Redner die Anwesenden auf, bei allen Aktionen der Partei stets die volle Schuldigkeit zu tun, sowie der politischen und gewerkschaftlichen Organisation beizutreten.

Stürmischer Beifall folgte dem Redner.


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