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1905.

Der Goethebund-Konflikt, Sombart und Ebert

Nach dem Bericht der Bremer Bürger-Zeitung.
2.2.1905

Hierauf wird die Diskussion über Kunst, Wissenschaft und Klassenkampf aufgenommen. Zunächst erhält das Wort Genosse Müller: Genosse Schulz ist der Meinung, daß sich bei den Arbeitern wohl Bildungsbedürfnis zeige, daß es aber abgelenkt werde vom Klassenkampf, und darum predige er: Zurück zum Klassenkampf. Wenn es wirklich so wäre, daß die Arbeiter durch die jetzige Befriedigung ihres Bildungsbedürfnisses in ihrer sozialistischen Überzeugung gefährdet würden, dann stimme ich Schulz zu. Ich bin auch darin mit Schulz einverstanden, daß durch solche Bildungsbestrebungen, wie sie in den Vorträgen über Lessing zum Ausdruck kommen, unmöglich die Arbeiter vorwärtsgebracht werden können; das ist nur ein Naschen und befriedigt nur ein Unterhaltungsbedürfnis. Ich muß Schulz aber darin entgegentreten, daß es für die Arbeiter unnötig sei, sich in den Elementarfächern auszubilden. Ich kenne die Arbeiter besser als Schulz. Neben dem Klassenkampf sind wir auch noch selbst da. Darum sind Fortbildungsvereine wohl am Platz. Die Erziehung zum Klassenkampf ist allerdings die Hauptsache. Aber man kämpft doch nicht immer im Klassenkampf, man lebt doch auch noch außerdem, es sind noch Nebensachen vorhanden, die uns gelegentlich ein paar freudige Minuten bereiten können. Das sind nicht Biertisch und Skat, sondern die schöngeistigen Bestrebungen. Diese müssen wir fördern. Wir wollen uns in der sozialistischen Gesellschaft doch nicht nur den Magen vollpumpen, sondern auch ideelle Bestrebungen fördern.

Sollen wir nun heute an solchen Genüssen vorübergehen? Sollen wir an das Theater herantreten und dreimal an die Tür klopfen und rufen: Klassenkampf? Auch Schulz hat ja gesagt, daß die Arbeiter sich schon jetzt solche Genüsse verschaffen sollen. Aber er hat zu gleicher Zeit uns das Verständnis abgesprochen, wir seien nicht in der Lage, alles das zu begreifen. Es müsse zunächst eine ganze Umwälzung der Erziehungsmethode Platz greifen, also gelte das erst für den Zukunftsstaat. Und doch sind die Arbeiter wohl in der Lage, das alles zu verstehen. Schulz sagt nun, wir wollen uns das alles selbst schaffen. Und damit tritt er in Gegensatz zum Goethebund.

Der Goethebund hat in Bremen von Anfang an geblüht, er hat sich hier ein unbestreitbares Verdienst erworben durch die Veranstaltung von Volksvorstellungen und billigen Konzerten. Der ›Verein für Volks-Kunstabende‹ ist Mitglied des Goethebundes. Die Bürgerschaftsfraktion hat erklärt, daß sie die Bestrebungen billige, die Gewerkschaften hätten sie zum Teil unterstützt, und auch die ›Bürger-Zeitung‹ sei früher für den Goethebund eingetreten. Da kam Genosse Schulz hierher. Er hat in der Beteiligung der Arbeiter am Goethebund eine Gefahr erblickt. Das war sein gutes Recht. Aber Schulz hätte zuerst den Beteiligten ein kleines Privatissimum darüber halten sollen. Schulz hat aber, ohne die Verhältnisse zu kennen, in der Bürger-Zeitung oft in hämischer Weise den Goethebund angegriffen. Das durfte nicht geschehen. Dadurch ist persönliche Verbitterung erzeugt.

Besteht denn nun wirklich Gefahr, daß man rufen muß: Genossen, ihr müßt zurück? Wenn der Goethebund von der gegnerischen Seite wirklich zu politischen Zwecken mißbraucht werden sollte, so beweist die letzte Reichstagswahl, daß es nicht gelungen ist. Auch können Gewerkschaften im Goethebund ein gewichtiges Wort mitreden, ja sie sind zumeist ausschlaggebend. Es ist kein taktischer Fehler, wenn wir uns an ihm beteiligen. Schulz hat selbst Gelegenheit gehabt, in den Goethebund einzutreten. Man hat ihm angeboten, eine Stelle im Ausschuß bezw. Vorstand einzunehmen. Schulz hat aber abgelehnt; er hat gesagt, er stecke seine Beine nicht mit Gegnern unter denselben Tisch. Es kommt doch bisweilen vor, daß wir mit Gegnern gemeinsam arbeiten, z. B. beim Heimarbeiterschutzkongreß. Das ist kein Fehler, wenn nur etwas dabei herauskommt.

Nun hat es Schulz immer an dem eigentlichen Grund zum Angriff gefehlt. Da ist Sombart gekommen, und zu ihm sagte nun Schulz, da sehe man es, wie die Arbeiter mißbraucht werden. Schulz ist kleingläubig in seinen Artikeln zur Sombartfrage. Ich habe von den Arbeitern eine höhere Meinung, denn sie fallen nicht gleich um, wenn sie einmal einen Vortrag von einem bürgerlichen Professor hören. Den Arbeitern paukt ihre Klassenlage genügend Dialektik ein. Warum soll man Furcht vor Sombart haben? Aber, sagt nun Schulz, dadurch müsse Verwirrung in die Masse kommen, daß unsere Partei für solche Vorträge die Verantwortung trüge. Nun ist es jedoch Anstandspflicht von den sozialdemokratischen Mitgliedern des Goethebundes gewesen, Sombart dort zu einem Vortrag zuzulassen. Es liegt also auch trotz dem Vortrag von Sombart kein Grund vor, vom Goethebund abzurücken. Wir vergeben uns nichts, wenn wir im Goethebund mit ehrlichen Gegnern zusammenarbeiten, uns kann dort viel geboten werden, was wir bislang nicht hatten.

Nach dieser Rede erhält das Wort Genosse Ebert. Schulz hat den Anschein erweckt, als ob das bremische Proletariat in Gefahr sei, zu versumpfen, außerdem hat er schiefe Urteile über das geistige Niveau und das Bildungsbedürfnis der Arbeiter aufgestellt. Wie der Goethebund entstanden ist, ist bekannt; nämlich im Anschluß an den Kampf um die lex Heinze. Das Zitat aus einem Artikel der Genossin Luxemburg kann es nicht abschwächen, daß damals im Reichstag unsere Fraktion wie ein Mann für die Freiheit der Kunst eintrat. Wir waren also stolz auf die Haltung der Fraktion. Darum wurde auch nichts dagegen eingewendet, daß hier in Bremen auf diesem Gebiet mit einigen bürgerlichen Ideologen Hand in Hand gearbeitet wurde, auch wurde es begrüßt, daß vom Goethebund positive Maßnahmen in der Richtung der Erziehung des Volkes zur Kunst getroffen wurden. Einige Genossen, die als besonders sachverständig gelten, sind mit eingetreten. Einige Jahre haben diese Bestrebungen in Bremen gewährt, ohne daß es deshalb zu Meinungsverschiedenheiten in der Partei oder in den Gewerkschaften gekommen ist. Schulz hat bald nach seiner Herkunft privatim mehrfach erklärt, daß er mit dem Verhältnis der Arbeiterschaft zum Goethebund nicht einverstanden sei. Aber als die Sache im Vorstande des Sozialdemokratischen Vereins zur Sprache kam, stand Schulz völlig isoliert. Der Fall Sombart ist allerdings für Schulz ein sehr günstiger Fall, Ich bin in dieser Beziehung anderer Meinung wie Müller. Der Goethebund muß Fragen volkswirtschaftlicher Natur von seinen Erörterungen ausschließen, denn hier müssen Meinungsverschiedenheiten zum Ausdruck kommen, Sombart ist Partei, er mußte als Wissenschaftler seine abweichende Meinung zum Ausdruck bringen. Ich bin auch damit einverstanden, daß die Bürger-Zeitung die Notiz des Goethebundes über Sombart vor dem Vortrag zurückgewiesen hat. Auch mit der scharfen Abfertigung Sombarts bin ich einverstanden. Aber es hätten nicht drei Artikel zu sein brauchen, ein gründlicher Artikel hätte der Würde der Partei mehr entsprochen.

Aber die Bürger-Zeitung hat es nicht dabei bewenden lassen, dies festzustellen, sondern sie hat einen Angriff gegen die Organisation und die Personen gerichtet, die dem Goethebund angegliedert sind. Man konnte wohl der Meinung sein, ob nicht auf Grund von Sombarts Vortrag die Zeit gekommen sei, unser Verhältnis zum Goethebund zu revidieren. Aber das braucht nicht gleich öffentlich zu geschehen. Vor allem hätte nicht der Redakteur öffentlich vorgehen dürfen. Die angegriffenen Genossen hätten es dann ebenso machen können. Welches Bild ist es für die Gegner, wenn wir die Zerrissenheit in der Partei bloßlegen!

Schulz hat im Verlauf seiner Ausführungen gesagt, die Arbeiter hätten durchaus keine Zeit, sie täten besser, zu Hause zu bleiben. Ich bin der Meinung, es sei besser, die Parteiliteratur zu unterstützen, aber gerade die Genossen, die viel studieren, möchten auch gern einen Einblick in andere Gebiete der Wissenschaft und in die Unterhaltungsliteratur gewinnen. Dieses Bedürfnis ist allezeit von der Partei anerkannt worden. Ich verweise auf den Gothaer Parteitag. Nun fragt es sich, wenn ein solches Bedürfnis vorhanden ist, wie es befriedigt werden soll. In bürgerliche Veranstaltungen können die Genossen nicht gehen, und aus eigener Kraft können sie es höchstens in einigen Großstädten wie Berlin, Hamburg, München und Dresden durchsetzen. Aber wo es so nicht geht, da verlangt es die Sozialdemokratie auf Grund ihrer Kommunalprogramme vom Klassenstaat. Der betreffende Passus in unserem bremischen Programm, der künstlerische Bildung in den Schulen, Veranstaltungen von Volksvorstellungen, Konzerten, Bibliotheken usw. verlangt, ist von Schulz selbst verfaßt und auf seine Initiative in das Programm gekommen. Was geschieht nun heute? In Bremen haben wir die Hoffnung, daß Wesentliches auf diesem Gebiet erreicht wird. Die Subventionierung der Kunsthalle, des Philharmonischen Orchesters, des Handelsmuseums haben wir unterstützt. Nun hören wir von Schulz, daß alle diese Bestrebungen zur Versimpelung führten! Was ist es denn für ein Unterschied, ob Dr. Pauli über Worpswede für den Verein für Volks-Kunstabende oder für den Goethebund oder im Auftrage der Stadt spricht?

Der dritte Artikel von Schulz zur Sombartfrage enthält bei genauer Betrachtung so ungeheuerliche Verdächtigungen, daß sie zurückgewiesen werden müssen. Schulz schreibt darin:

»Es sind Leute am Goethebund beteiligt, bei denen ich – zu ihrer politischen Ehre – annehme, daß sie nicht ihren politischen Adam von Kopf bis zu Füßen ausziehen können, sobald sie in eine Sitzung oder Versammlung des Goethebundes gehen. Ich schließe dabei allerdings von mir auf andere. Ich für mein Teil gestehe offen zu, daß ich immer und überall Sozialdemokrat sein muß. Ich kenne keine neutralen Gebiete im öffentlichen Leben, auf denen ich wirken könnte, ohne daß meine politische Gesinnung dabei ein Wort, und zwar das erste, mitzureden hätte«.

Man soll nicht so marktschreierisch Reklame mit seinem sozialdemokratischen Gefühl machen. Es ist ein Stück Parteigeschichte, das Schulz in Frage stellt. Ist der Klassenkampf in Bremen nicht energisch genug geführt worden? Sind wir nicht von Erfolg zu Erfolg geschritten? Wir haben nicht zu warten brauchen, bis Heinrich Schulz nach Bremen kommt und uns aus dem Sumpfe holt.


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