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1904.

Aus den Anfangsjahren

Die Organisation der bremischen Sozialdemokratie. Aus der Festschrift zum Parteitag in Bremen 1904. Eberts Bericht über seinen ersten Wirkungskreis.

Die Organisation der bremischen Parteigenossen bildet der gleich nach Fall des Sozialistengesetzes gegründete Sozialdemokratische Verein Bremen. Er umfaßt heute die Stadt Bremen und das Landgebiet und zählte beim letzten Jahresschluß 3217 Mitglieder. Darunter befanden sich 123 weibliche Mitglieder, deren Mitgliedschaft vereinsgesetzliche Hindernisse hier nicht im Wege stehen.

Außerdem bestehen in den bremischen Hafenstädten, Bremerhaven und Vegesack, Parteiorganisationen, die 1200 bezw. 300 Mitglieder zählen. Diese umschließen aber auch die benachbarten preußischen Gemeinden und haben dort ihren hauptsächlichen Mitgliederbestand. Nur ein Drittel ihrer Mitglieder hat im bremischen Staatsgebiet seinen Wohnsitz. Danach beträgt die Mitgliederzahl der Organisation in unserem Wahlkreise 14,8 % der bei der letzten Reichstagswahl abgegebenen sozialdemokratischen Stimmen.

Der Sozialdemokratische Verein Bremen bildet 12 Distrikte, von denen wieder jeder einzelne nach Maßgabe der amtlichen Wahlbezirkseinteilung in Bezirke eingeteilt ist. An der Spitze dieser Bezirke stehen Bezirksführer, die dem Distriktsführer unterstellt sind. Diese bilden zusammen mit dem Vereinsvorstand die Leitung der gesamten Organisation.

Die allgemeinen Vereinsversammlungen finden monatlich statt. In diesen werden die Parteigeschäfte erledigt und belehrende Vorträge entgegengenommen. In den Distrikten finden in der Regel auch monatliche Versammlungen statt, die ausschließlich belehrenden und agitatorischen Zwecken dienen.

Finanziell ist die Organisation von vornherein gut fundiert. Seit ihrem Bestehen wird ein Wochenbeitrag von 10 Pf. erhoben, weibliche Mitglieder zahlen die Hälfte. Die Gesamteinnahme im letzten Rechnungsjahr betrug 16 163.65 M, wovon 11 331.48 M auf Mitgliederbeiträge entfallen, Der Vertrieb des »Wahren Jakob« brachte 2 289.77 M ein. Ausgegeben wurden 13 259.29 M, und zwar für Agitationen 7 142.29 M, darunter 1 352.92 M für benachbarte, nicht leistungsfähige Wahlkreise. An Verschiedenem wurden 4 420.97 M verausgabt, darunter 1 200 M an die Hauptkasse in Berlin, während die Verwaltung an persönlichen und sachlichen Ausgaben 1 695.96 M kostete.

Bei dieser Aufmachung sind die Kosten der letzten Reichstagswahl außer acht geblieben. Diese werden aus dem besonders verwalteten Wahlfonds gedeckt, dessen Einnahmen hauptsächlich aus Festüberschüssen, sonstigen gelegentlichen Einkünften und den Erträgnissen der zu Wahlzeiten vorzunehmenden Sammlungen bestehen. Die Kosten des Wahlkampfes für den Bremer Kreis betrugen 19 108.66 M, außerdem wurden noch namhafte Ausgaben für benachbarte Wahlkreise geleistet.

Der Verein ist im Besitz einer sehr wertvollen Bibliothek, die mehr als 4500 Bände umfaßt. Ausgeliehen wurden im letzten Geschäftsjahr 800 Bände. Mit der Bibliothek verbunden ist ein Lesezimmer, das an zwei Abenden der Woche den Genossen offensteht. Zieht man in Betracht, daß auch fast alle Gewerkschaften über meist gute Bibliotheken verfügen, dann ist die Frequenz unserer beiden Einrichtungen einigermaßen befriedigend.

An ständigen Kommissionen besteht (außer einer Zeitungs-Kommission) eine Kommission zur Erwerbung des bremischen Staatsbürgerrechts, die eine systematische Agitation zu diesem Zweck betreibt und durch Ausgabe von Sparkarten die Erwerbung des Bürgerrechts erleichtert.

Die Geschäfte in dem durch die allgemeine Parteiorganisation den Bremer Genossen überwiesenen Agitationsbezirk liegen in Händen einer Subkommission des Vorstandes des Sozialdemokratischen Vereins Bremen. Die einzelnen Wahlkreise des Bezirks haben ihre selbständige Organisation und stehen miteinander in loser Verbindung. Alljährlich erscheint der Nordwestdeutsche Volkskalender, der gemeinsam mit dem benachbarten Oldenburger Agitationsbezirk in einer Auflage von etwa 80 000 Exemplaren herausgegeben wird. Auf den Bremer Gesamtbezirk entfallen 60 000 Exemplare, deren Kosten von den Bremer Genossen getragen werden.

*

Die Wahlkämpfe der letzten Jahre haben, abgesehen von der finanziellen Leistung, an die Organisation der hiesigen Genossen große Anforderungen gestellt. Denn hier treten uns seit 1893 die bürgerlichen Parteien nicht nur gemeinsam, sondern auch mit. einer bis ins kleinste gut durchgeführten Organisation geschlossen gegenüber. Außer der großen schriftlichen und mündlichen Agitation mußte deshalb nicht minder auf sogenannte »Kleinarbeit« große Sorgfalt verwandt werden. Die in dieser Hinsicht für die Stadt Bremen getroffene Regelung ist solcher Art, daß es wohl nicht ohne allgemeines Interesse sein dürfte, wenn wir sie hier näher besprechen.

Sobald die amtlichen Wählerlisten ausgefertigt sind, bilden sie die Unterlage für die fernere Agitation. Die Wähler sind dort nach Straßen und Hausnummern geordnet eingetragen und werden nun, jede Liste für sich abgeschlossen, mit laufenden Nummern versehen. Die Liste wird dann auf sogenannte Straßenkarten übertragen, und zwar so, daß auf keine Karte mehr als 20 Wähler kommen und keine Karte Wähler zweier verschiedener Straßen verzeichnet, d. h. mit Abschluß der Straße schließt auch die Karte ab. Die Verbreitung der Flugblätter und der persönliche Verkehr der tätigen Genossen mit den Wählern erfolgt auf Grund dieser Karten, Auf einige solcher Karten kommt je ein Genosse, der, falls Wähler verzogen sind, auch deren neue Wohnung festzustellen und auf der Karte zu vermerken hat.

Gründlich vorbereitet wird der Schlepperdienst am Wahltag, In jedem Bezirk sind dazu etwa 18 Genossen erforderlich, und zwar: der Bezirksführer und dessen Stellvertreter, zwei Listenführer im Wahllokal, eine Ordonnanz, zwei Stimmzettelverteiler, zehn Schlepper und ein Radfahrer, Von den zwei Listenführern im Wahllokal zeichnet einer in der Wählerliste diejenigen Wähler an, die ihr Wahlrecht ausgeübt haben, wobei der zweite Listenführer behilflich ist. Außerdem hat dieser die laufenden Nummern derjenigen Wähler, die ihr Wahlrecht ausgeübt haben, auf einem besonderen Streifen Papier zu vermerken. Diese Nummern werden von der Ordonnanz möglichst oft nach dem in nächster Nähe befindlichen Bezirksquartier unserer Genossen gebracht. Der Bezirksführer hat dort einen Bogen vor sich, auf dem die laufenden Nummern der Wählerliste, nach Straßenkarten geordnet, verzeichnet sind. Die ihm von der Ordonnanz übergebenen Nummern derjenigen Wähler, die ihr Wahlrecht ausgeübt haben, streicht er auf seinem Bogen sofort durch. Die Straßenkarten werden in geeigneter Weise unter den Schleppern verteilt, die bei den darauf verzeichneten Wählern herumgehen und nach jedem Rundgang im Bezirksquartier erscheinen. Dort werden die Straßenkarten mit dem Bogen des Bezirksführers verglichen, und diejenigen Wähler, die gewählt haben, ebenfalls auf der Straßenkarte angemerkt und bei den folgenden Rundgängen, die bis zum Schluß des Wahlaktes fortgesetzt werden, außer acht gelassen. Schlepper, deren Tätigkeitsfeld verhältnismäßig weit vom Bezirksquartier abliegt, erhalten diese Information zu bestimmter Zeit durch den Radfahrer übermittelt. In zweckmäßiger Weise wird natürlich Vorsorge getroffen, daß die Aufrüttelung gegnerischen Schleppern überlassen bleibt.

Der Erfolg dieser Tätigkeit zeigt sich in der verhältnismäßig hohen Wahlbeteiligung, die bei der letzten Reichstagswahl hier wohl an der äußersten Grenze angelangt ist, die praktisch möglich ist.


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