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1913.

Gegen Ausbeutung der Arbeitskraft

Aus einer Reichstagsrede.
9.1.1913.

Die große Masse der Unterbeamten, die große Masse der Befähigten in dem etwa 120 000 Köpfe zählenden Heere der Unterbeamten hat überhaupt keine Möglichkeit, vorwärts zu kommen. Sie sind für alle Zeit fest eingeschlossen in die enge Klasse der Unterbeamten. Wenn hier eine durchgreifende Änderung eintreten soll, dann muß mindestens das Arbeitsgebiet der gehobenen Unterbeamten erheblich erweitert werden, und zwar in weit größerem Maße, als es nach der Denkschrift zaghaft, allmählich oder ›im Laufe der Zeit‹, wie es dort heißt, geschehen soll. Nicht nur bei den Postämtern erster, sondern auch bei den Postämtern zweiter und dritter Klasse müssen gehobene Unterbeamte beschäftigt werden. Die ganze Einrichtung müßte überhaupt so ausgebaut werden, daß es jedem fähigen Beamten ermöglicht wird, sich emporzuarbeiten. Es müßten Einrichtungen geschaffen werden, die den besonders Befähigten freie Bahn geben, um sich über die Grenze ihrer Klasse hinweg bis zu den höchsten Stellen des Postdienstes emporarbeiten zu können. Ich brauche gar nicht auf das Wort von dem Marschallsstab im Tornister zu verweisen. Denn es gibt keinen plausiblen Grund, zu bestreiten, daß auch in den Kreisen der Unterbeamten sich ein kommender Stephan befinden kann. Mindestens aber müßte dafür Sorge getragen werden, daß es allen befähigten Unterbeamten ermöglicht wird, die mittlere Beamtenlaufbahn zu beschreiten. Den Einwand der ungenügenden Vorbildung, der bei dieser Gelegenheit gern gegen die Unterbeamten erhoben wird, können wir nicht gelten lassen. Ganz abgesehen davon, daß dieser Einwand für die sonst so viel gepriesenen Leistungen unserer Volksschule nicht schmeichelhaft ist, steht fest, daß der Nachweis, den heute die Unterbeamten bei ihrer Prüfung für die gehobenen Stellen erbringen müssen, sich mit dem deckt, was man früher von den Anwärtern der mittleren Laufbahn verlangt hat. Das, was die heutigen Militäranwärter für die mittlere Beamtenlaufbahn an Vorbildung mitbringen, kann die große Mehrzahl unserer Unterbeamten jeden Tag erweisen. Am guten Willen und am Fleiß, sich in posttechnischen Dingen weiter zu bilden, wird es den Unterbeamten auch nicht fehlen.

Die wesentliche Neuerung, die die Denkschrift ankündigt, ist die vermehrte Heranziehung von weiblichem Personal zum Postdienst. Wir Sozialdemokraten haben immer die Auffassung vertreten, daß der Frau die ungehinderte Möglichkeit gegeben werden soll, in das Erwerbsleben einzutreten, abgesehen von Betrieben, wo gesundheitliche oder sittliche Gründe dagegen sprechen. Wir sind also selbstverständlich mit der Beschäftigung von Frauen im Postdienst einverstanden. Wir sind aber auch ebenso entschieden stets dafür eingetreten, daß den Frauen bei gleichen Leistungen auch gleiche Entlohnung gewährt werden müsse, damit die Frau nicht als Konkurrentin oder Lohndrückerin gegen den Mann ausgespielt werden kann. Es sind heute bereits 20 000 Postgehilfinnen tätig, die hauptsächlich bei der Telephonie und an den Rechen- und Schreibmaschinen beschäftigt werden. Nun sollen aber lediglich aus Sparsamkeitsrücksichten etwa 8000 männliche Beamte verschiedener Dienstzweige durch weibliche Kräfte ersetzt werden. Am meisten Aufsehen, auch weit über die Kreise der Postbeamten hinaus, hat die Art und Weise erregt, wie das bei den Postämtern dritter Klasse durchgeführt werden soll. Hier sollen alle nachgeordneten männlichen Beamten durch weibliche Kräfte ersetzt werden. Für die Verwaltung ist das selbstverständlich nur ein höchst einfaches Rechenexempel. Geradezu charakteristisch wird das in der Denkschrift aufgemacht.

Diese in Aussicht genommenen weiblichen Kräfte sollen später nicht etwa in etatmäßige Stellen eintreten; es ist auch nicht eine Pensionsversorgung für sie vorgesehen. Es sollen außeretatmäßige Stellen bleiben. Es handelt sich also bei dieser Maßnahme um eine Lohndrückern schlimmster Art, um eine unerhörte Ausnutzung weiblicher Arbeitskräfte, wie sie im rücksichtslosesten privatkapitalistischen Betriebe nicht schlimmer betrieben werden kann. Es ist doch ganz unmöglich, daß eine Angestellte, selbst mit den bescheidensten Bedürfnissen, bei einem Gehalt von 50 bis 60 M pro Monat ihre Existenz fristen kann. Oder sollen etwa die Unterbeamten von ihren »fetten Pfründen« auch noch ihren Töchtern Zuschüsse gewähren, damit sie gegen eine so elende Bezahlung der Postverwaltung ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen können? Hier muß der Reichstag unter allen Umständen entschieden eingreifen. Es wäre unerhört, wenn bei einer so tief einschneidenden Maßnahme lediglich finanzielle Gesichtspunkte maßgebend sein sollten. Sowohl im Interesse der neuen weiblichen Angestellten als auch der vorhandenen Beamten müssen wir dringend verlangen, daß solch rücksichtslosem Fiskalismus gegenüber mindestens den elementarsten sozialpolitischen Pflichten Rechnung getragen wird.

Bei der hochnotpeinlichen Suche, die man nach Ersparnissen angestellt hat, scheint es mir sehr zweifelhaft, ob man auch in die Verhältnisse des höheren Dienstes gründlich genug hineingeleuchtet hat. Dort sind sicher noch erheblich mehr Ersparnisse zu machen, als die Denkschrift in Aussicht nimmt.

So befriedigt die Denkschrift eigentlich nur nach einer Seite, und diese eine Seite ist das Reichsschatzamt. Der Herr Reichsschatzsekretär blickt schon schmunzelnd nach der von der Denkschrift in Aussicht gestellten Ersparung von 16,5 Millionen Mark Personalausgaben. Es handelt sich also lediglich um eine Verschärfung der Plusmacherei der Postverwaltung, die, wie die ganze Personalpolitik dieser Verwaltung, von keinerlei sozialpolitischen Rücksichten beeinflußt ist. Die Ablehnung einer durchgreifenden Reform der Personalverhältnisse, die Abweisung der berechtigten Wünsche auf Besserung der Beförderungsverhältnisse ist um so schärfer zu verurteilen, als der neue Etatvoranschlag für die Reichspost mit einem Überschuß von fast 113 Millionen Mark abschließt, und in der Denkschrift wiederholt hervorgehoben wird, daß an das Personal infolge der gewaltigen Verkehrssteigerung, infolge des Hinzukommens neuer Dienstzweige gesteigerte Ansprüche gestellt werden müssen. Diese blinde Überschußwut, wie sie sich auch hier wieder bei der Postverwaltung zeigt, ist von uns jederzeit entschieden bekämpft worden. Wir haben diese Politik bekämpft, weil sie jeden ernsten sozialpolitischen Fortschritt hindert und lediglich der Steuerscheu der Besitzenden dient.


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