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Kultur fördern und Gegensätze ausgleichen

In Weimar ist die deutsche Verfassung geboren, in der der Humanitätsgedanke mit der sozialen Idee der modernen Arbeiterbewegung zusammenklingt. Der Reichspräsident Ebert hat wiederholt zu erkennen gegeben, daß er das große Erbe von Goethe und Schiller treu zu verwalten gedenke. In der »Goethe-Woche« in Frankfurt a. M. huldigte er dem großen Dichter, der das Nationale in das Menschliche hinaufentwickelt hat, bei der Eröffnung der Schiller-Festspiele in Weimar rief er an der Stätte, wo die Großen des Reiches des Geistes Unsterbliches geschaffen haben, zur Begeisterung für alles Gute, Edle und Schöne auf. Vor dem demokratischen Einheitsgedanken des Jahres 1848 verneigte er sich tief, als in Frankfurt a. M. im Mai 1923 die Eröffnung der ersten deutschen Nationalversammlung gefeiert wurde. Wiederholt gedachte er in seinen Reden des Wiederaufbaus der europäischen Wirtschaft und Kultur, er bemühte sich rastlos, eine wirkliche Verständigung der Völker herbeizuführen, um damit der ganzen Welt Genesung und Gesundung bringen zu helfen.

Durch seine kluge und unparteiische Amtsführung gewann Fritz Ebert die Sympathien aller gerecht urteilenden Volkskreise. Er wurde daher am 24. Oktober 1922 im Reichstage mit 314 gegen 76 Stimmen und 1 Stimmenthaltung zum verfassungsmäßigen Reichspräsidenten bis zum 30. Juni 1925 gewählt. Als diese Wahl lebhaft diskutiert wurde, schrieb das Organ der Deutschen Volkspartei, die »Deutsche Allgemeine Zeitung«: »Herr Ebert gewann während seiner Amtszeit in hohem Maße die Achtung des Bürgertums, namentlich aller, die sein erfolgreiches Wirken beurteilen konnten. Er zeigte sich in schwerer Zeit seinen gewiß nicht leichten Aufgaben weit eher gewachsen, als zu erwarten schien, und ist in der Erscheinungen Flucht der Nachkriegszeit eine seltene Ausnahme als Persönlichkeit, deren Ansehen und Bedeutung sich nicht minderten, sondern vermehrten. Der Ausgleich mit Frankreich, die mehr sachliche als rein politische Behandlung der Reparationsfrage, die Lösung manches andern internationalen Problems erscheinen möglich. Dies böte dem bewährten und daher gegenwärtig kaum ersetzbaren Staatschef Gelegenheit, sich das Vertrauen und die Dankbarkeit aller Deutschen zu gewinnen.«

Am 11. Februar 1919 hat sich Ebert in der deutschen Nationalversammlung offen und stolz als Sohn des Arbeiterstandes bekannt, der in der Gedankenwelt des Sozialismus aufgewachsen ist und der weder seine Herkunft noch seine Überzeugung jemals zu verleugnen gesonnen sei. Aber zugleich versprach er mit der ruhigen, vertrauenerweckenden Festigkeit, mit der er alle seine Entscheidungen abzugeben pflegt, sein Amt gerecht und unparteiisch zu führen. Und dieses Versprechen hat er treulich gehalten. Jede parteiische Rechthaberei ist ihm fremd, er will vereinigen, nicht scheiden, er will zusammen- und nicht auseinanderführen. Sein langjähriger Bremer Waffengefährte, Dr. Franz Diederich, sagt einmal mit Recht, daß das Handeln Eberts »auf eine Natur deutet, in der nach dem Wort des amerikanischen Lebensdenkers Emerson das ›Geheimnis‹ Kraft hat, daß das Beste im Leben gegenseitiger Austausch, daß der größte Erfolg Vertrauen ist, das heißt, ein vollkommenes gegenseitiges Verständnis zwischen aufrichtigen Menschen. Man darf Ebert eine ausgleichende Strebigkeit zuschreiben. Aber das Wort will mit Maß benutzt sein. Es umfaßt nicht alles. Denn er will ausgleichen, ohne der festen Entscheidung auszuweichen. Er weiß: Verhandeln ist notwendig; aber es wäre falsch und würde sich schwer rächen, dies Verhandeln-wollen für Schwäche zu nehmen, der das feste Zugreifen nicht gegeben ist.« (Franz Diederich.)

Durch seine »ausgleichende Strebigkeit« hat Fritz Ebert die Institutionen schaffen helfen, in denen sich das neue Deutschland vollkräftig auswirken kann. Mit der Charakteristik dieser Institutionen und mit der Darstellung der aufbauenden Tätigkeit Eberts an diesen Einrichtungen schließt unsere kurze Arbeit ab. Wir würden uns einer unverzeihlichen Überhebung schuldig machen, wenn wir bei mangelnder Kenntnis der intimen Regierungsvorgänge heute schon über die verflossenen fünf Jahre deutscher Republik zu Gericht sitzen wollten.

Heute ringt das neue Deutschland erbittert um seine Selbstbehauptung. Das alte autoritäre, obrigkeitliche Regime ist noch nicht tot. Mehr oder weniger künstlich ist in ihm das Lebensfeuer entfacht worden. Vielleicht verbrennt es aber in eigener Flamme? Die nächsten Wochen und Monate werden schwere Zusammenstöße des neuen mit dem alten Deutschland bringen. Niemals aber wird die schöpferische Kraft des neuen Deutschlands, da keine Energie in dem großen Kosmos verschwindet, in nichts zerfließen. Diese Kraft wird Europa sozial und politisch neugestalten, denn sie hat es nicht nur äußerlich gehäutet, sondern auch innerlich gewandelt. Eine Wandlung, in der überall der leitende Kopf und die gestaltende Hand Fritz Eberts sichtbar werden.

Gegen das alte, von oben gegängelte Europa steht ein neues, sich selbst bestimmendes Europa auf, in dem die Arbeiter, Angestellten und Beamten nicht mehr passive Lasttiere, sondern bewußte, selbsttätige Träger der Kultur sind.

Das alte Europa wurde durch die militärisch-autoritären Dreikaisermächte stark beherrscht, die sich bei aller Gegensätzlichkeit ihrer Interessen in dem Gedanken der rücksichtslosen Niederhaltung der arbeitenden Demokratie zusammenfanden. Diese Mächte sind im Weltkrieg zusammengebrochen.

Das neue Deutschland ist vor allem durch die politische und wirtschaftliche Organisation der Arbeiterschaft aufwärts geführt worden. 1922 zählten allein die freien Gewerkschaften zirka 8 Millionen organisierter Arbeiter, und ihre Presse erschien 1922 in einer Auflage von 9 Millionen Exemplaren. In den Gewerkschaften ist eine »industrielle Demokratie« entstanden, die – nicht zuletzt durch die Institution der Betriebsräte – die Produktion wesentlich beeinflussen, rationalisieren und steigern kann. Von den 250 000 Betriebsräten Deutschlands sind 75-80 Prozent freigewerkschaftlich organisiert.

Die Arbeiterschaft hat sich machtvolle politische Organisationen geschaffen, durch die sie im Reich und in den deutschen Einzelstaaten wiederholt den politischen Kurs gesteuert hat. Sie befreite die Frau sozial und politisch und verlieh ihr das Wahlrecht. Die Arbeiterschaft rief eine umfassende wissenschaftlich hochstehende Literatur ins Leben, in der sie stets zu allen großen politischen und kulturellen Problemen Stellung nahm. Sie erschloß dem Volke die moderne Literatur und verknüpfte es in der großen, sich über ganz Deutschland erstreckenden Volksbühnenbewegung mit der Kunst.

Die Arbeiterschaft setzte ferner ihre starken Kräfte ein, um die Angestellten und die Beamten aus den Fesseln eines autoritären Herrentums zu lösen. Die Angestellten verfügen heute über leistungsfähige, sich ganz in den Bahnen der Gewerkschaftspolitik bewegende Verbände. Nach der Revolution taten große Beamtenvereinigungen das bürokratische Kastenwesen von sich ab, das sie zu bloßen Werkzeugen eines obrigkeitlichen Staates herabdrückte. Im Jahre 1923 kam ein Dreibund der gewerkschaftlichen Arbeiter, der freien Angestellten und der Beamten zustande. Die Grundlage des modernen Staates ist durch das organisierte Beamtentum im großen Umfange demokratisiert worden. Mit einem Wort: Das neue Deutschland lebt und ringt sich elementarkräftig empor.

Die schöpferischen Kräfte dieses Deutschlands hat Fritz Ebert vor allem mit entfesseln und in politische Bahnen leiten helfen – und das ist sein großes, historisch-kulturelles Verdienst.


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