Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

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63. Jetzt kommt nun in Erwägung, welcher von beiden Fällen der wahrscheinlichere sey, ob der, daß die unsterblichen Götter, die über Alles herrlich und erhaben sind, in der ganzen Welt umher bei aller Menschen Betten und gar Schragen herumlaufen; und wenn sie da oder dort Einige schnarchen sehen, ihnen gewisse verwickelte und dunkle Gesichte vorgaukeln, damit Diese sie dann im Schrecken über den Traum früh morgens dem Traumdeuter vortragen; oder der, daß es naturgemäß geschehe, daß das stark aufgeregte Gemüth Das, 967 was der Mensch wachend gesehen hat, im Schlafe wieder zu sehen glaubt? Was ist des Philosophie würdiger, diese Erscheinungen dem Aberglauben der Wahrsagerinnen gemäß zu erklären, oder aus den Naturgesetzen? so daß, gesetzt, es ließe sich auch aus den Träumen etwas Wahres heraus deuten, doch Jene, die ein Gewerbe daraus machen, Dieß nicht zu thun verstünden, weil sie gerade zu der werthlosesten und ungebildetsten Menschenklasse gehören. Deine Stoiker aber behaupten geradezu, es könne Keiner, als ein Weiser, weissagen. Chrysippus gibt von der Weissagung folgende Definition: »Sie sey eine Kraft, welche die Andeutungen, die den Menschen von den Göttern ertheilt werden, erkenne, sehe, und auslege;« ihr Geschäft aber sey, voraus zu erkennen, wie die Götter gegen die Menschen gesinnt seyen, was sie ihnen zu verstehen geben, und wie diese Andeutungen durch religiöse Mittel abgewendet und gesühnt werden müssen. Derselbe definirt die Traumdeutung auf folgende Weise: »Sie sey eine Kraft, welche Das erschaue und erkläre, was den Menschen von den Göttern im Schlafe angedeutet werde.« Nun, wenn Dem so ist, gehört dazu etwa ein mittelmäßiger Grad von Einsicht, oder ein ausgezeichnetes Talent und vollendete Bildung? Ein Solcher aber ist mir unter diesen Leuten noch nicht vorgekommen.


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