Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

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38. Aristoteles glaubte gar von Denen, die durch Krankheit wahnsinnig werden und Melancholische heissen, sie haben in sich eine Art von Vorahnungs- und Weissagungsgabe. Ich meinerseits möchte dieses Vermögen so wenig den Hypochondrischen als den Gehirnkranken [Verrückten] zuschreiben. Denn zur Weissagung gehört ein gesundes Gemüth, und das ist nicht in einem erkrankten Körper. Daß aber in der That die Weissagung etwas Reelles sey, dafür führen die Stoiker folgenden Beweis: »Gibt es Götter, und sie deuten den Menschen nicht das Zukünftige an, so lieben sie entweder die Menschen nicht, oder sie wissen nicht, was sich ereignen wird, oder sie denken, es liege den Menschen gar Nichts daran, zu wissen, was geschehen werde; oder sie denken, es sey unter 849 ihrer Würde, den Menschen zum voraus anzudeuten, was zukünftig ist; oder es können Dieß die Götter selbst nicht einmal andeuten. Aber es ist weder wahr, daß sie uns nicht lieben: denn sie sind wohlthätig und gegen das Menschengeschlecht wohlwollend; noch kann man sagen, sie wissen Das nicht, was von ihnen selbst beschlossen und bestimmt ist; oder es liege uns Nichts daran, zu wissen, was sich ereignen wird. Denn wir werden vorsichtiger seyn, wenn wir es wissen: auch können sie es nicht unter ihrer Würde halten, denn im Wohlthun zeigt sich ja ein edler Character vorzüglich: endlich ist es auch nicht möglich, daß sie das Künftige gar nicht (anzudeuten) wissen. Also es gibt entweder keine Götter, und dann deuten sie auch die Zukunft nicht an. Oder (und das ist das Wahre) es gibt Götter: also deuten sie die Zukunft an. Deuten sie sie aber an, so ist auch nicht denkbar, daß sie uns keine Mittel geben, diese Andeutungen verstehen zu lernen; denn sonst wäre ja ihr Andeuten vergebens: und geben sie uns die Mittel dazu, so ist es nicht möglich, daß es keine Weissagung gebe: es gibt also eine Weissagung.«


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