Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

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43. O unbegreifliche Verirrung des Verstandes! Denn nicht jeden Irrthum muß man Thorheit nennen. Doch auch der Stoiker Diogenes gibt ihnen in einem Punkte Etwas zu, nämlich daß sie blos voraussagen können, was Jeder für ein Temperament, und wozu er ein besonderes Talent haben werde. Was sie über Dieses hinaus noch wissen zu können vorgeben, Das, sagt er, sey zu wissen schlechterdings unmöglich; sehen ja doch Zwillingsbrüder einander gleich, während ihr Leben und ihr Schicksal gemeiniglich ungleich sey. So waren die Könige der Lacedämonier, Prokles und Eurysthenes, Zwillingsbrüder. Aber sie erreichten kein gleiches Lebensalter, denn Prokles starb ein Jahr vor seinem Bruder, dabei übertraf er aber Denselben weit an Thatenruhm. Ich aber behaupte, selbst Das, was der ehrliche Diogenes den Chaldäern durch eine Art von Inconsequenz zugesteht, hat keinen vernünftigen Sinn. Denn da, wie sie sagen, der Mond einen Einfluß auf das Entstehen der Geburten hat, und die Chaldäer diejenigen Sterne der Geburtsstunde bemerken und aufzeichnen, die mit dem Monde zusammen zu kommen scheinen, so beurtheilen sie nach dem so trüglichen Sinne des Gesichts Das, wo eigentlich das Auge der Vernunft und des Geistes zusehen sollte. Denn es lehrt die Berechnung der Mathematiker, die Jenen bekannt seyn sollte, wie niedrig die Bahn des Mondes geht, und wie sie fast an die Erde streift; wie weit er entfernt ist von dem nächsten (Wandel-)Sterne, dem 944 Mercur, und noch viel weiter von der Venus; und welcher andere Zwischenraum dann wieder zwischen ihm und der Sonne sey, der er, wie man annimmt, sein Licht verdankt. Die drei übrigen Zwischenräume aber – wie unendlich und unermeßlich sind sie nicht! nämlich der von der Sonne bis zum Mars, von da zum Jupiter und von diesem zum Saturnus, endlich bis an's Firmament den letzten und äussersten der Weltkreise. Wie ist nun ein Einfluß aus einer fast unendlichen Entfernung bis auf den Mond, oder vielmehr bis auf die Erde möglich?


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