Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

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8. Wenn Alles dem Schicksal zu Folge geschieht, Was hilft mir dann die Weissagung? Denn was Der, welcher weissagt, voraussagt, das ist eben Das, was geschehen wird. Und so begreife ich denn wirklich nicht, Was unsern Freund und Vertrauten Deiotarus bestimmt hat, als ihn ein Adler von der schon angetretenen Reise zurückrief. Wäre er nicht umgekehrt, so hätte er in dem Zimmer übernachten müssen, das in der nächsten Nacht zusammenstürzte. Er wäre also verschüttet worden. Aber Dem wäre er, wäre es vom Schicksal verhängt gewesen, nicht entgangen; und war es nicht über ihn verhängt, so hätte es ihn auch nicht betroffen. Was hilft also die Weissagung, oder was können mich Loose oder Opfereingeweide, oder irgend eine Prophezeiung warnen? Denn war es vom Schicksal bestimmt, daß die Flotten des Römischen Volkes im ersten Punischen Kriege, die eine durch Schiffbruch, die andere durch die Pöner versenkt, zu Grunde gehen, so wären, und hätten auch die Hühner unter dem Consulat des L. Junius und P. Clodius ein Tripudium solistimum verrichtet [auf die erwünschteste Weise gefressen], die Flotten dennoch zu Grunde gegangen; würden aber die Flotten, falls man den Auspicien gehorcht hätte, nicht zu Grunde gegangen seyn, so sind sie nicht dem Schicksal zu Folge zu Grunde gegangen; ihr behauptet aber, (es geschehe) Alles durch's Schicksal, also ist es mit der Weissagung Nichts. Wenn es des Schicksals Spruch war, daß im zweiten 896 Punischen Kriege das Heer des Römischen Volkes am Trasimenus-See aufgerieben werde, war Dieß vermeidlich, wenn der Consul Flaminius denjenigen Vorzeichen und denjenigen Auspicien gehorcht hätte, welche ihn von der Lieferung der Schlacht abmahnten? Das war doch gewiß nicht möglich. Entweder ist also das Heer nicht dem Schicksal zu Folge zu Grunde gegangen – denn die Sprüche des Schicksals sind unwiderruflich – oder geschah es durch's Schicksal (worauf ihr wenigstens bestehen müßt), so hätte sich doch, falls er auch den Auspicien gehorcht hätte, das Nämliche ereignen müssen. Wo bleibt denn nun jene Weissagung der Stoiker, die uns, wenn Alles durch's Schicksal geschieht, vor gar Nichts warnen kann, damit wir vorsichtiger sind? Denn wir mögen uns benehmen wie wir wollen, so geschieht dennoch, was geschehen wird (muß). Läßt sich aber Dieß ändern, so ist es mit dem Schicksal nichts. Aber eben dadurch ist auch die Weissagung aufgehoben, weil sie auf die Dinge geht, die seyn werden. Denn von Nichts läßt sich entschieden sagen, es werde seyn, wobei durch irgend eine religiöse Gegenvorkehrung gemacht werden kann, daß es nicht geschieht.


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