Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

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49. Doch ich kehre nach dieser Abschweifung zu dem Gegenstande zurück, von welchem ich ausging. Vermag ich immerhin gar nicht auseinander zu setzen, warum jedes Einzelne sich ereigne, und beweise ich auch blos, daß das Angegebene geschehe, ist Das nicht hinlängliche Erwiederung gegen den Epikurus und Karneades? Ja gibt es nicht sogar einen Grund, auf dem die künstliche Weissagung beruht, und zwar einen leicht begreiflichen; und einen etwas schwerer verständlichen für die natürliche? Denn was aus Opfereingeweiden, aus Blitzen, aus Wunderzeichen, aus Sternen vorausgeahnet wird, das sind die aufgezeichneten Ergebnisse langwieriger Beobachtung. Die Länge der Zeit aber verschafft uns in allen Gegenständen bei lang fortgesetzter Beobachtung eine unglaubliche Gewandtheit, die auch möglich ist ohne Antrieb und Anstoß von Seiten der Götter; da, was auf jedes Anzeichen erfolgt, und was jeder Sache für ein Ereigniß vorauszugehen pflegt, durch häufige Wahrnehmung zu klarer Erkenntniß gebracht ist. Die andere Weissagung ist, wie gesagt, die natürliche, und diese muß durch eine feine in die Naturforschung eingehende Untersuchung mit dem Wesen der Gottheit in Beziehung gesetzt werden, von deren Natur, wie 865 die gelehrtesten und weisesten Forscher angenommen haben, unsere Seelen gleichsam vereinzelte Tropfen und Ausflüsse sind. Und da das All von unendlichem Lebensgefühl und göttlichem Selbstbewußtseyn durchdrungen ist, so muß die Verwandtschaft der Menschenseelen mit dem überall waltenden göttlichen Lebensgeiste auf dieselben wirken. Im Wachen freilich sind unsere Seelen im Dienste der Lebensbedürfnisse, und reißen sich von der Gemeinschaft mit dem Göttlichen los, weil sie von den Banden des Körpers sich nicht frei machen können: und nur ganz selten finden sich Menschen, die durch ihre Willensthätigkeit sich vom Körper losreißen, und sich mit angestrengtem Streben und Eifer der Betrachtung göttlicher Dinge hingeben. Sprechen Diese ein Augurium aus, so ist Dieß nicht ein Produkt [unbewußter] göttlicher Eingebung, sondern menschlicher Geistesthätigkeit. denn sie ahnen nicht nur künftige Ereignisse voraus, wo die [Andern unbemerkten] Naturkräfte walten, z. B. Ueberschwemmungen, sondern auch die einstige Auflösung des Himmels und der Erde durch Feuer. Andere aber im Staatsleben Bewanderte, wie uns die Geschichte von dem Athener Solon meldet, sehen eine sich erhebende Tyrannenherrschaft lange Zeit voraus: wir können diese Vorsichtige (prudentes) nennen, d. h. Vorsehende; Weissagende auf keine Weise, eben so wenig als den Thales von Milet, welcher, der Sage nach, um seine Tadler zum Schweigen zu bringen, und zu zeigen, daß auch ein Philosoph, wenn er es für der Mühe werth halte, Geld gewinnen könne, den gesammten Oehlertrag, noch vor der Blüthe der Oehlbäume, in dem Gebiete von Milet zusammenkaufte. Er mochte nämlich vermöge einer besondern [Natur-] 866 Kenntniß bemerkt haben, daß [dieses Jahr] der Oehlertrag ergiebig seyn werde. Derselbe Mann soll auch zuerst eine Sonnenfinsterniß, die sich unter des Astyages Regierung ereignete, vorausgesagt habenIm J. 597. v. C. Siehe die Stellen darüber in Simsoni Chronicon zum J. d. W. 3424..


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