Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

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51. Dieß nun ist die Art und Weise [der Weissagung] der Seher; wovon die durch Träume nicht verschieden ist. Denn was den Sehern im Wachen begegnet, Das begegnet uns im Schlafe. Wenn wir schlafen, so ist der Geist rege, ist frei von den Sinneseindrücken und aller Störung durch Sorgen, während der Körper da liegt und todtenähnlich ist. Weil aber die Seele von aller Ewigkeit her gelebt hat, und mit zahllosen Geistern umgegangen ist: so sieht sie Alles, was sich in der Natur befindet, vorausgesetzt, daß sie durch gemäßigten Genuß von Speisen und wenig Getränk in solche Stimmung versetzt ist, daß sie noch ihre Lebhaftigkeit behält, während der Körper betäubt ist. Das ist die Weissagung des Träumenden. Hier kommen wir auf die bedeutende, nicht natürliche, sondern künstliche Traumdeutung Antiphons, und wirklich, wie die Grammatiker Erklärer der Dichter sind, so gibt es auch eigene Deuter der Orakelsprüche und Weissagungen. Denn wie die Gottheit das Gold, das Silber, das Kupfer, das Eisen vergebens geschaffen hätte, hätte sie uns nicht auch belehrt, wie man zu den Adern dieser Metalle kommen könne: wie sie auch die Früchte des Bodens und die Baumfrüchte dem Menschengeschlecht ohne allen Nutzen verliehen hätte, hätte sie uns nicht zugleich belehrt, wie wir sie pflegen und aufbewahren müßten, endlich wie das Bauholz uns nichts helfen würde, wenn wir es nicht zu zimmern verständen; so ist mit jedem Vortheile, den die Götter den Menschen verliehen haben, auch eine Kunst in Verbindung, durch die uns der Genuß jenes Vortheils erst möglich wird. 869 Demnach hat man denn auch bei Träumen, Prophezeiungen und Orakelsprüchen, weil manche dunkel, manche zweideutig waren, die Erklärungen der Ausleger zu Rathe gezogen. Wie aber entweder die Seher oder die Träumenden Dinge sehen, die in dem Augenblicke durchaus nirgends vorhanden sind, Das ist eine große Frage. Aber ist einmal herausgebracht, was vorläufig untersucht werden muß, so wird der eigentliche Gegenstand der Frage bedeutend leichter. Denn die ganze Frage beruht auf der Schlußfolge, die du im zweiten Buche deines Werkes über das Wesen der Götter vorgetragen hast. Halten wir diese fest, so bleibt auch Das unumstößlich, was sich um den Punkt herumdreht, von dem jetzt die Rede ist: nämlich daß es Götter gibt, daß durch ihre Vorsehung die Welt regiert wird, und daß ihre Sorge für die menschlichen Angelegenheiten nicht nur ins Allgemeine, sondern auch ins Einzelne geht. Halten wir uns an Das, was mir wenigstens unwiderleglich scheint; so ist wahrhaftig die nothwendige Folge davon, daß die Götter den Menschen die Zukunft andeuten.


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