Marcus Tullius Cicero
Von der Weissagung
Marcus Tullius Cicero

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Erstes Buch.

1. Einem alten Glauben zu Folge, der sich schon aus den Heroenzeiten herschreibt, und in der Uebereinstimmung des Römischen Volkes mit allen Nationen seine Bestätigung findet, gibt es eine Weissagekunst, in deren Besitz einige 796 Menschen sind, und die bei den Griechen Mantik heißt, d. i. Vorgefühl und Wissen von künftigen Dingen. Eine herrliche und heilbringende Kunst, wenn es anders eine solche gibt; eine Kunst, durch welche sich ein sterbliches Wesen der Kraft göttlichen Waltens nähert. Hier tritt, wie in so manchem Andern, der Fall ein, daß die Griechen hinter uns Römern zurückstehen: indem wir von jeher diese so treffliche Sache mit einem von der Gottheit hergenommenen Namen (divinatio) bezeichnen, während die Griechen, nach Platons Deutung, sie mit einem Werke benennen, das auf den Wahnsinn (μανια) hindeutet. Meines Wissens gibt es kein so hochgebildetes und aufgeklärtes, so wie kein in so hohem Grade verwildertes und rohes Volk, wo nicht der Glaube herrschend wäre, es gebe Andeutungen und Vorzeichen der Zukunft, und zugleich Menschen, die dieselben verstehen und zu erklären wüßten. Zu allererst haben die Assyrier (ich belege meine Behauptung absichtlich mit der Sitte der ältesten Nation) durch ihre weiten Ebenen und Gefilde veranlaßt, weil diese ihnen einen überall freien Horizont und einen unbeschränkten Blick an den Himmel gewährten, die Bewegungen der Wandelsterne und ihren Lauf an den Fixsternen vorbei zum Gegenstande ihrer Beobachtungen gemacht, dieselben ausgezeichnet, und die jedesmalige Bedeutung für die Nachwelt aufbewahrt. Ein Volk aus jener großen Nation, die Chaldäer (ein Name, welcher nicht ihre Kunst, sondern einen Völkerstamm bezeichnet)Die Ungebildetern unter den Römern glaubten nämlich, das Wort Chaldäer sey der Name des Gewerbes der Astrologen. bildete sich, wie man glaubt, 797 durch lange Beobachtung der Gestirne, eine Wissenschaft, durch die es möglich wurde, einem Jeden sein künftiges Geschick, und zu welchem Schicksal er durch die Geburt bestimmt sey, vorauszusagen. In derselben Kunst sollen auch die Aegyptier im langen Laufe der Zeiten und einer fast zahllosen Reihe von Jahrhunderten gelangt seyn. Die Cilicier aber und Pisidier, und die den Letztern benachbarten Pamphylier, Nationen, denen ich selbst [als Proconsul] vorgestanden, glauben an eine Vorandeutung künftiger Ereignisse durch den verschiedenen Flug und Gesang der Vögel, und halten diese Anzeichen für vollkommen zuverläßig. Und hat selbst das Griechenvolk je eine Kolonie nach Aeolien, Ionien, Asien, Sicilien, Italien ausgesendet, ohne das Orakel zu Delphi, oder das zu Dodona, oder das des Jupiter Hammon zu befragen? oder wann haben sie je einen Krieg unternommen, ohne erst darüber den Rath der Götter einzuholen?


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