Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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London, d. 28. Mai 1871.

Liebe Mutter!

Du schreibst mir, Du bist heraus aus Deiner Einsamkeit, bist in einer Weltstadt; – ich bin es auch, wir sind wieder in London. Denk Dir nur, ich gehe schon in der nächsten Zeit wieder nach Deutschland! Frau Doktor schrieb mir, ich möge nach Kiel kommen, sie hätte eine Arbeit für mich, die mir gefallen würde; ich soll im Kieler Krankenhaus die Bibliothek verwalten und die Kranken, soweit sie fähig sind, unterrichten. Es liegen auch viele Kinder da, die trotz eines kranken Gliedes sehr gut die Zeit mit Lernen ausnützen können. Aber auch Erwachsenen würde es zugute kommen, wenn sie täglich noch in der einen oder andern Sache unterrichtet würden, sie würden dadurch auch auf andere Gedanken kommen. Ich werde in dem schönen Kieler Hause wohnen und von da täglich zur Stadt gehen.

Die Entscheidung ist mir gar nicht so leicht geworden. Ich wäre sehr gern noch länger hier geblieben, aber es zieht mich doch auch in die Heimat. Von selbst wäre ich noch nicht auf den Gedanken gekommen, denn Du weißt, wie gut ich es hier habe und wie schwer mir jeder Abschied wird.

Hier war inzwischen Käthe Kunkel aus Wolfenbüttel wieder eingetroffen, und da wir gar nicht weit von einander wohnen, können wir einander oft besuchen. –

Du kannst Dir denken, wieviel wir von Wolfenbüttel, von Eisenach und von gemeinsamen Interessen zu erzählen haben. Ich habe unter dem Eindruck unserer Erinnerungen gleich nach Wolfenbüttel und nach Eisenach geschrieben. Fräulein Trabert kann gar nicht begreifen, daß ich noch immer nicht zu ihr komme. Ach, es ist alles anders geworden, und ich muß bekennen, es ist alles gut wie es ist, und ich bin für alles von Herzen dankbar.

Als ich mit Mrs. Buxton von meinen Zukunftsplänen in Deutschland sprach, sagte sie, es täte ihr sehr leid, aber Frau Doktor hätte auch ihr über alles geschrieben, sie wolle mir den Abschied nicht schwer machen und sie wünsche mir alles Gute für die Zukunft. Die letzten vier Wochen, so sagte sie, solle ich mich als Gast betrachten, in dieser Zeit möge ich von London sehen, was irgend zu sehen sei, ich dürfe mir Käthchen einladen, so oft die könnte, sonst müsse ich mich allein zurechtfinden. Angst vor London hätte ich ja wohl nicht mehr. –

Die vier Wochen sind fast zu Ende; ich bekam in diesen Tagen schon eine Vorfrage, ob ich noch nicht käme. Da denke ich an Abschied und Einpacken.

Ich hatte nicht gedacht, daß man vom Sehen und Genießen so müde und abgespannt werden könnte. Was habe ich aber auch alles gesehen! Schöne Kirchen, den Kristall-Palast, den Tower, alte merkwürdige Stadtteile und schließlich die Eröffnung der Weltausstellung! Ich ging schon ganz früh hin, um mir einen guten Platz zu sichern, von wo aus ich den Zug der hohen und höchsten Herrschaften mit ansehen konnte.

Ganz dicht kamen sie alle an mir vorüber: die Königin, der Prinz und die Prinzessin von Wales, der Lord Mayor mit seiner großen, goldenen Kette und viele hohe Würdenträger. Ganz verwirrt vom vielen Sehen kam ich endlich todmüde nach Hause.

Nach diesem vielen Genießen ist mir zumute, als möchte ich mich wochenlang in ein dunkles Zimmer legen, nichts sehen, nichts hören, nichts sprechen, nur schlafen und neue Kräfte sammeln.

Und nun lebe wohl. Mein letzter Gruß aus dem schönen England! Sobald ich in Kiel angekommen bin, erhältst Du eine kurze Nachricht.

Mit vielen Grüßen
Deine Charitas.


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