Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Wilhelm Dietrich als Amaliens Führer und Lehrer

Wilhelm Dietrich

Auf dem Forsthof begann nun ein freudiges, emsiges Schaffen. Die hohen Gestelle für die Herbarien bedeckten alle Wände bis hinauf zur Decke. In der großen Nebenstube standen die Schränke, zum Teil schon gefüllt mit Büchern, Mineralien, Insekten, Amphibien, Muscheln und Samen. –

Bei schönem Wetter ging das junge Paar schon gleich nach der Morgensuppe auf die Wanderschaft.

Es lag stets ein Plan vor, was gesammelt werden sollte; aber auf Schritt und Tritt bot sich unerwartete Gelegenheit zu Erklärungen und Belehrungen. Dietrich machte es aufrichtige Freude, seine junge begeisterte und begabte Frau in allen Dingen zu bilden und zu erziehen und ihr Interesse für die Naturwissenschaft zu beleben und zu vertiefen.

»Die Hauptsache ist,« sagte er, »daß du deine Sinne schärfst. Sieh und höre, – nein lausche! Nicht nur dein Auge und Ohr, deine Seele muß es mit ehrfürchtigem Beben vernehmen, was die Natur uns offenbaren will. O, gib dich ihrem Zauber hin, sie macht dich reich und glücklich. – Achte darauf, daß du bei ihren wechselnden Erscheinungen zunächst das Große und das Allgemeine ins Auge fassest. Deine Seele muß sich weiten. Erst wenn du sozusagen eine Stimmung in dir hergestellt hast, mußt du auf die Einzelheiten eingehen, mußt dir jede Kleinigkeit ansehen. Aber merk dir, das Untersuchen, Trennen und Zählen kommt erst zuletzt.

Werde dir klar darüber, daß die Natur sich anders am Morgen als am Abend in deiner Seele spiegelt. Im Frühling wirkt sie anders als im Herbst und Winter. Deine Seele wird anders angeregt, ob du in einer gebirgigen oder flachen, in einer wild romantischen oder in einer öden und nüchternen Gegend wanderst. Hast du es nicht erlebt, daß du aufjauchzen oder tief seufzen mußt? Ganz vertraut mußt du mit der Natur werden, sie verliert dann ihre Schrecken. Hörst du erst ihre Laute, siehst ihre herrlichen Farben und wunderbaren Formen, dann offenbart sie dir ihre Geheimnisse. Du gewinnst dann dem Schlamm im Graben, dem Moos, das dein Fuß bis dahin achtlos zertreten hat, Interesse ab. Liebst und kennst du erst die Natur, so begehrst du keine lauten Freuden, keine äußeren Dinge, auf die die Menschen sonst Wert legen. Du fühlst dich dann nie allein, denn jeder Feldweg zeigt dir liebe Bekannte.«

Dietrich setzte sich mit Amalie ins Gras, pflückte eine Blume und lehrte sie, diese Pflanze genau zu betrachten und zu beschreiben. Er brachte ihr die botanischen Bezeichnungen bei, ließ sie sich an dem Duft erfreuen und ging dann vorsichtig an das Trennen und Zerlegen. Wie zart löste er den Kelch von der Blumenkrone und zeigte ihr Stempel und Staubfäden. So brachte er ihr sowohl das natürliche wie das Linnésche System bei. Er machte sie aufmerksam auf die geheimen Kräfte, die in den Pflanzen verborgen sind, er sagte ihr, wie in wunderbar zarter Weise ein »Gut und Böse« angedeutet wird. Er zeigte, wie für den, dessen Seele zu lauschen versteht, in diesem Reich ein unerschöpflicher Born an Gleichnissen und leisen Hindeutungen an das menschliche Leben zu finden sei; wie deshalb nicht nur der Arzt und Apotheker sich niederbeugen und beobachten und lernen; wie auch der Dichter, der Erzieher und der Prediger in dieser Schule lernen. Gerade die feine Art der Andeutung hat für die Dichter den größten Reiz.

Ja, das waren reiche, wonnige Tage! Die Liebe war die beste Lehrmeisterin. Wie klein fühlte sie sich diesem wunderbaren Manne gegenüber, wie demütig bat sie ihn um Geduld, wenn sie zuerst die Klassen durcheinanderwarf. Dietrich fand aber keinen Grund zur Ungeduld, im Gegenteil, er war erstaunt über ihr Gedächtnis und ihre leichte Auffassungsgabe.

Und welchen Eifer zeigte Malchen beim Sammeln! Ihr war kein Berg zu hoch oder zu steil, keine Wiese zu sumpfig, kein Graben zu breit und kein Bach zu tief. Flink flogen Schuhe und Strümpfe von den Füßen; und die begehrte Pflanze vom jenseitigen Ufer wurde geholt.

So folgte sie willig und freudig ihrem Führer und Lehrer. Hindernisse überwand sie lachend, und Dietrich legte ihr allerlei Kosenamen bei, – bald war sie seine Gemse, bald sein Adler oder auch sein Maulwurf, wenn sie aus der Tiefe die oft wunderbar geformten Wurzeln mit Ausdauer hervorgrub.

Mit Menschen mochten beide nichts zu tun haben, nur wenn sie jemanden trafen, der ein Leiden hatte, dann blieb Dietrich freundlich stehen, ließ sich geduldig die lange Geschichte erzählen und gab ihm dann seinen Rat, so daß bald die Rede ging: Dietrich könne besser helfen als der beste Doktor. Auch hierbei horchte und lernte sie.

Kamen die beiden von solchen Wanderungen schwer beladen, eingestäubt und erschöpft nach Hause, dann erwartete sie der gedeckte Tisch. Mutter Cordel setzte in stiller Weise eine Suppe oder einen Brei vor sie hin.

Wenn Mutter Cordel gemeint hatte, nun sei es doch für heute genug mit der Botanik, dann lachten die beiden Jungen und sagten: nun ginge erst die Arbeit an, bis dahin sei es Vergnügen gewesen; beim Einlegen der Pflanzen durften aber Vater und Mutter gern helfen. Und nun trat Dietrich als Lehrer bei den Eltern auf, er zeigte ihnen, wie man genau darauf achten müsse, daß die Pflanze auf dem Papier möglichst ihre natürliche Lage einzunehmen habe, ein Zweig, der sich rankt, dürfte nicht gerade gelegt werden, eine Blume, die draußen den Kopf senkt, müsse ihn auch hier senken. – Wenn die Alten es verkehrt machten, fragte Dietrich erstaunt: »Aber das ist ja eine so gewöhnliche Blume, sehen Sie gar nicht, wenn Sie durch die Felder gehen?«

Und Nellens lernten auf ihre alten Tage noch das Sehen und Hören in der Natur. Die schwierigsten Pflanzen mußte Amalie einlegen. Bei spröden Zweigen mußte mit einem feinen Federmesser die Rinde vom Holz gelöst werden. Wie sorgfältig mußte das gemacht werden, wieviel Geduld gehörte hierzu! Sie hatte die Geduld.

Dauerte die Arbeit gar zu lange in die Nacht hinein, so verschwand Cordel und kam mit einer Kanne Kaffee wieder, Dietrich runzelte die Stirn über die Unterbrechung, aber das Einlegen ging doch besser.

Wenn Frost die Erde bedeckte, wenn das Sammeln abgeschlossen war, dann kam das Ordnen der sommerlichen Ernte. In der Stube wurde ein möglichst großer, freier Platz geschaffen, der wurde mit Kreide in vierundzwanzig Haupt- und außerdem in Nebenfächer geteilt.

Dietrich rief die Klasse und Ordnung aus, und die andern brachten sie in die bestimmten Fächer. Erst wenn alle Pflanzen geordnet waren, konnte man an die Herstellung von verschiedenen Sammlungen gehen. Da gab es offizielle Pflanzen für Apotheker, Gräser und Futterkräuter für Landwirte, Giftpflanzen für Lehranstalten, Moose, Farne und Flechten für Liebhaber und Gelehrte.

Über alles wurde von Dietrich genau Buch geführt, es wurden Verzeichnisse aufgestellt; und vor allen Dingen wurden im Winter auch Papparbeiten angefertigt. Das Zuschneiden der Pflanzenmappen und der niedlichen Kästen für Erdarten und Mineralien besorgte Dietrich, das Pappen lernte Amalie.

Eine Freude war es für alle, wenn Bestellungen kamen, dann rührten sich die Hände noch viel flinker; und Mutter Cordel mußte zugeben: man brauchte bei Dietrichs kein Kanapee!


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