Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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10.

Vor und nach der Hochzeit

Es gab nun alle Hände voll zu tun, um die Aussteuer für Malchen zu beschaffen. Sobald Dietrich zu den Beratungen zugezogen wurde, gerieten Nelles stets in offenen oder stillen Widerspruch. Mutter Cordel plante Mullvorhänge.

»Nein,« entschied Dietrich, »wir brauchen Licht und Luft, und Malchen bekommt keine Zeit, solchen Plunder zu waschen. Wir haben viel Wichtigeres zu tun.« Als ein Kanapee in Erwägung gezogen wurde, sagte Dietrich: »Nichts für die Bequemlichkeit! Als ob wir uns auf die Bärenhaut legen könnten!«

»Aber wenn euch nun mal jemand besucht?« fragte Cordel schüchtern.

»Solche Besuche wie die Krummbiegeln und ihresgleichen nehmen wir nicht an. Der Besuch, der zu mir kommt, kümmert sich um kein Kanapee, der will meine Sammlungen sehen. Alles muß diesen Zwecken dienen! Übrigens muß ich euch sagen, daß ich der Krummbiegeln gekündigt, und daß ich auf dem Forsthof gemietet habe.«

»Auf dem Forsthof!« riefen Nelles erstaunt.

»Ja, der alte Forsthof ist das geräumigste und interessanteste Gebäude im ganzen Städtchen, und ich schätze mich glücklich, daß jetzt grade eine große Wohnung frei ist.«

Nelles schüttelten den Kopf, und Dietrich fuhr begeistert fort: »Seid ihr denn mal drinnen gewesen? Da ist eine Platzverschwendung! So baut man ja gar nicht mehr. Breite, sanft ansteigende Treppen, Vorplätze wie Rennbahnen, viele Stuben und Kammern und alles so hübsch altmodisch und knochentrocken. Das brauche ich für meine Sammlungen, sonst schimmeln sie. Ihr glaubt nicht, was mir das alte, schöne Haus alles erzählte, als ich mit innerem Jubel seine Räume durchschritt. Früher hat es mit dem Kloster Zella in Verbindung gestanden; und die Klöster haben nicht gespart, auch nicht mit Platz. Auch trübe Zeiten hat der Forsthof mit durchgemacht. Als Krieg und Pest hier wüteten, hat er als Lazarett gedient. Ja, so ehrwürdig ist er, daß die Krummbiegeln steif und fest behauptet, auf dem Forsthof gehe es um, böse Geister trieben da ihr Wesen. Nun Malchen, nicht wahr, sie sollen mal kommen, die bösen Geister, wir fürchten sie nicht.« Und nach einer Pause fuhr er fort: »Schade, daß man die halbverfallenen Torbogen abtragen will. Ich sah durch den Bogen wie durch einem Rahmen; bis hin zum Marktplatz, mit der schlanken Kirche als Mittelpunkt, reicht der Blick. Das Allerbeste am Forsthof ist aber die Nähe des großen schönen Zellwaldes. Der Wald wird meine Welt! Von Menschen unbeobachtet kann ich in wenigen Minuten im Walde sein!«

Cordel konnte den Gedanken einer Trennung von ihrem Kinde nicht ertragen. Seit sie das Kind hatte, waren sie keinen Tag getrennt gewesen. Sie ging mit verweinten Augen umher, und als Gottlieb sie fragte, was ihr fehle, da kamen merkwürdige Sachen zutage. So von hinten herum fing sie an, sie könne unmöglich jeden Tag durch die ganze Nieder- und Oberstadt bis ganz hinaus nach dem Forsthof. Die Leute würden an die Fenster laufen und sie auslachen.

»Unsinn!« brummte Gottlieb, »wer verlangt denn, daß du jeden Tag zu den Jungen rennst? Die beiden wohl am allerletzten, glaub' mir! Die wollen ungeschoren sein. Das ist nun mal so der Lauf der Welt; du hast dich drein zu finden, daß du dem Mädel jetzt überflüssig bist.«

»Wenn ich nicht beim Malchen sein kann,« brach es schluchzend los, »dann muß ich sterben! Wirklich, Gottlieb, ich halt's nicht aus!«

»Na, wenn du's nicht kannst, dann mußt du's lernen!«

»Ach, Gottlieb, ich hab' mir das ja schon alles durch den Kopf gehen lassen. Siehst du, wir müssen unsern Kram verkaufen und mit zum Malchen auf den Forsthof ziehen.«

Gottlieb sah seine Frau an, als fürchte er, sie habe den Verstand verloren. Wie war denn nur ein solcher Gedanke möglich? – Ihr Häuschen sollten sie verkaufen? Vergaß denn die Cordel, daß das Häuschen seit Menschengedenken den Nellens gehört hatte? Das kleine sonnige Gärtchen sollten sie verlassen? Dachte denn die Cordel gar nicht mehr daran, wie sie als jung verheiratetes Paar in der Laube gesessen hatten, in der rotblühenden Bohnenlaube? Wie da alle ihre Kinder gespielt hatten? Die munteren Buben, die jetzt so still da draußen schliefen, und auch der, der jetzt so weit da drunten war, – und das gute Fritzchen! Gottlieb seufzte schwer auf und fuhr sich mit der rauhen Hand über die Augen. Ihr Stückchen Feld am Bergesabhang, die Ziege, das Schwein, die Gänse, Hühner und Tauben, das alles sollten sie verkaufen und wie arme Leute in eine Mietswohnung ziehen?! Da war man doch nicht mehr sein eigner Herr, wo noch so allerlei Leute mit wohnten! Mit den jungen Leuten war das ganz was anderes, die wollten das so haben, und überhaupt, in der Jugend hatte man sich zu fügen, aber sie, Nellens, in ihrem Alter! – ? Ach dieser Dietrich! Welche Verwirrung brachte der in die Familie! – Was dachte Cordel nur, wovon sollte man denn leben? Die kleine Ackerwirtschaft hatte doch alles Notwendige zum Unterhalt geliefert.

Ach, Cordel war ja selbst in arger Bedrängnis. Sie sah alles ein, gab alles zu, blieb aber dabei, es würde ihr Tod sein, wenn sie sich vom Malchen trennen müßte.

Da sagte Gottlieb seufzend: »Na, nun weiß ich doch, woher die Male ihren Dickkopp hat!«


Als Dietrichs nach der Hochzeitsreise von Thüringen zurückkamen, fragte Gottlieb: »Na, nu sag' mal, trafst du es denn da draußen wirklich alles so, wie dir's dein Mann gesagt hatte? Waren die Verwandten wirklich so feine, vornehme Leute?«

»Aber freilich, Vater! Denk' doch nur, der Herr Hofrat hat eine Tochter, die ist in Eisenach im Schloß und erzieht junge Prinzen, und Wilhelms Onkel wird von den Leuten ›Herr Hofrat‹ oder ›Herr Professor‹ genannt. O, der ist weit in der Welt herumgekommen, der ist vom Herzog ganz nach England geschickt worden. Mit uns war er auf der Wartburg und in Wilhelmstal. Die schönen Gärten in Wilhelmstal hat er mit eingerichtet,« und nun erzählte Malchen in lebhafter Weise von allem, was sie gesehen hatten. –

Als die Mutter ihr Kind allein hatte, nahm sie es sich noch einmal vor und fragte: »Sind sie auch gut zu dir gewesen? Sag' mir die Wahrheit! Du scheinst mir etwas gedrückt zu sein?«

Malchen traten die Tränen in die Augen, und sie sagte abwehrend: »Laß doch, Mutter.«

Aber die Mutter drang in sie, und da sagte sie: »Was soll ich dir weiter sagen! Es war für uns alle wohl nicht so leicht. Wir wußten einander nicht zu nehmen. Ich merkte, daß sie mich nicht für ihresgleichen ansahen, und das bin ich ja auch nicht. Sie nahmen an, ich sei recht einfältig, und als ich das merkte, da war ich es wirklich. Sie sprachen anders, sie bewegten sich anders, ja, sie aßen sogar anders, und ich wollte es ihnen nachmachen, aber das geht nicht so schnell. – Das Schlimmste war, daß sie mit Wilhelm gar nicht zufrieden waren; und da hätte ich am liebsten immer dazwischenfahren mögen; aber Wilhelm sagte, das Klügste, was ich tun könne, sei, daß ich den Mund hielte.«

»Und was hatten sie an deinem Manne auszusetzen?«

»Ach, sie waren unzufrieden mit allem, was er getan hatte, und ich glaube, am meisten mit seiner Heirat; das konnten sie ja nur nicht so offenkundig heraussagen. – Sie meinten auch, er hätte in der Apotheke bleiben müssen.«

»Na, das haben wir aber auch gesagt; da haben sie vielleicht recht. Aber was dich angeht, das ist was anderes, das ärgert mich! Da hätte dein Mann allerlei tun können und müssen. Der mußte ihnen doch zeigen, daß man dich zu estimieren hat; denn du bist ordentlicher Leute Kind, und ein Mann soll seine Frau lieben und ehren! Daß du ihre Sache nicht gleich kannst, was tut das? Ich kenn' dich, ich weiß, daß du das alles lernen kannst. Es ist gut, daß wir mit auf den Forsthof ziehen, da kannst du mit deinem Manne gehen, und er kann dir das alles beibringen, was er selber weiß, und was er für so wichtig hält. Ich besorg' deinen Hausstand. Da hab' ich was um die Hand, daß ich nicht Langeweile krieg'.«

»Mutter!« jubelte Malchen, »jetzt seh' ich erst, wie gut du's mit uns meinst. Ich darf ganz für Wilhelm da sein! Welche Frau hat's wohl so gut! –«


Als alles an seinem Platze stand, ging Dietrich prüfend in den Räumen umher; und als er die großen Schränke sah, rief er lebhaft bewundernd: »Ei, was für schöne Schränke! Malchen, gibst du mir die?«

»Aber Wilhelm! Die sind ja für Kleider, Leinen und Küchengeschirr!«

»Ach was! Diese Dinge kannst du auch wo anders unterbringen. – Schränke kann ich gar nicht genug bekommen: ich brauch' sie für die Insekten. Wir haben doch in erster Linie an unsern Beruf zu denken.«

»Natürlich, nimm sie nur! Ich will ja nichts für mich!« Und als Nellens dem jungen Paar 300 Taler – das mühsam Ersparte von vielen Jahren – gaben, da rief Dietrich freudig überrascht: »Das ist ja prächtig! Grade überlegte ich, ob ich es wohl wagen könne, bei Kurz in Meißen große Bestellungen auf Lösch- und Schreibpapier zu machen. Ich muß noch vieles haben, auch noch mehrere Pflanzenpressen, Glashäfen und Spiritus; und der Tischler muß hohe Gestelle für die Pflanzen anfertigen.«

Als Mutter Cordel nach einigen Tagen zu Dietrichs kam, suchte Amalie eine ganze Weile kniend nach einem reinen Tischtuch. Mißbilligend schüttelte Cordel den Kopf und sagte ärgerlich: »Was machst du denn da für Unordnung? Hast du denn deine Sachen immer noch nicht in die Schränke gepackt? Das mag man ja gar nicht mit ansehen, wie die gemangelte Wäsche durcheinanderkommt. Gib her, ich will nur gleich einräumen.«

»Nein, Mutter, die Schränke braucht Wilhelm für seine Sammlungen.«

»Deine Schränke?« rief Cordel entrüstet, »da soll das alberne Getier hinein? Das geht zu weit! Dazu haben wir sie dir nicht gegeben! Du fängst deine Sache ganz verkehrt an! Jetzt sagst du zu allem ja, und wenn nachher die Unordnung in deinem Kram da ist, da bleiben die Vorwürfe und scharfen Worte nicht aus. Wie gern hättest du's nachher wieder anders, aber dann ist's schwer, und eines Tages fühlt jeder sich vom andern ungerecht behandelt.«

»Das ist ja unsere Sache!« sagte Malchen kurz.

»Willst du von deiner Mutter keinen Rat annehmen?«

»Wir wollen wohl alleine fertig werden. Wilhelm ist zehn Jahr älter als ich, und er ist außerdem so klug und gut. Was er tut ist wohlgetan.«

»Du machst es nicht richtig. So wirst du nicht seine Gehilfin! Du gehst wie in einem seligen Traum. Ich möchte dir zurufen: ›Wache und bete!‹ Das Leben ist kein Traum, auch nicht für dich!«

»Jetzt gehöre ich Wilhelm an und tue was Wilhelm will! Ich dachte, du kämest zu uns, um uns zu helfen, statt dessen willst du alles nach deinem Sinn haben.«

»Malchen!« sagte die Mutter mit bebenden Lippen.

Aber sie betrieb doch den Umzug, wenn ihr auch das Herz recht schwer war. Denn nicht einmal dem Gottlieb mochte sie es sagen, wie ihr die Rede ihres Kindes wehgetan hatte.


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