Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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6

Waldeszauber

Es war Herbst. Mutter Cordel und Amalie gingen in den Zellwald, um Pilze zu suchen. Die Mutter mahnte zur Vorsicht. »Nur Pfifferlinge und Steinpilze!« sagte sie warnend, »und zeig' sie mir, eh' du sie in den Korb tust, man kann sich sonst den Tod nach Hause tragen. Paß auf, wenn du Arnika-Blumen oder Baldrian findest, die laß uns mit nehmen.«

Und als sie im Walde waren, bückte sich die weißhaarige Frau mit jugendlichem Eifer, um aus dem grünen Moos und Rasen die hübsch geformten gelben Schwämme zu pflücken. Nun stiegen sie den sanft gebogenen Hügel hinauf; oben angekommen, fällt der Blick auf den klaren Waldbach. »Die gute Bache« nennen ihn die Leute. Von oben sahen sie, daß jemand am Ufer im grünen Moos lagerte. Ein Herr war's. Über den dunkelgrünen Tuchrock fiel ein breiter weißer Kragen mit Hohlsaum bis herab auf die Schultern. Das braun gewellte Haar war ihm über die Stirn gefallen, denn er hielt den Kopf vornüber gebeugt. In der linken Hand hielt er ein winziges Zweiglein Moos, das er durch ein großes Augenglas aufmerksam betrachtete. Jetzt richtete er den Kopf in die Höhe, und die beiden Frauen sahen, daß er ein feines, blasses Gesicht hatte. Neben ihm lag eine grüne Blechkapsel und der leichte Strohhut, am nächsten Stamme lehnte »der lange Stock mit dem Mullbeutel«.

Beide wußten, das ist »Herr Dietrich«, das ist »der Zauber- und Hexenmeister«, von dem die Krummbiegeln an jenem Nachmittag so wunderliche Dinge erzählt hat. Also das ist er! So sieht er aus! So schmächtig und fein! Das Gesicht kann man ja noch nicht recht sehen. Wie lächerlich, von ihm solche Geschichten zu erzählen. Wenn er sie nicht sieht, können sie ihn ja ruhig von hier aus beobachten. Er sieht ganz anders aus, als andere Leute.

Aber jetzt griff er nach dem Hut, und dabei fiel sein Blick auf die beiden Frauengestalten. Ein Lächeln flog über sein feines Gesicht, und lebhaft rief er: »Ei, da haben Sie Arnica montana und Valerina officinalis? Hoffentlich haben Sie noch einige für mich stehen lassen, ich will heute auch noch welche haben.«

Mutter und Tochter sahen einander verlegen an: was sagte er außer »Arnika« noch? War das etwa einer der Zaubersprüche, von denen die Krummbiegeln gesprochen hatte?

Mutter Cordel sagte zögernd: »Nein, wir haben sie nicht alle abgepflückt. Wollen Sie meinen Strauß haben? Wir finden wohl wieder welche.«

Mit ausgestrecktem Arm ging Mutter Cordel auf den Herrn zu und Malchen folgte ihr.

»Da!« sagte Mutter Cordel und reichte ihren Strauß hin.

»Was soll ich denn damit?« sagte der Herr hochmütig und mißbilligend; »die Blumen sind ohne Sinn und Verstand gepflückt! Ganz gedankenlos abgerissen! Keine Wurzelblätter! Was wollen Sie denn damit? Ein hübscher Strauß ist's doch auch nicht?«

Mutter Cordel zog errötend die gescholtenen Blumen zurück und sagte gekränkt:

»Was brauch' ich denn Wurzelblätter! – Ich setz' die Blumen auf Spiritus. Arnika ist gut gegen das Reißen, und den Baldrian trockne ich zu Tee. Ich hab' schon manchem damit gut getan.«

»So, so!« sagte der Herr, »haben Sie denn noch mehr Kräuter da in Ihrem Korbe?«

»Da haben wir Pilze.«

»Na, damit nehmen Sie sich in acht! Kennen Sie sie auch genug?«

»Wir nehmen nur Pfifferlinge und Steinpilze.«

»Es gibt hier viele eßbare Sorten, aber sicher muß man sein.«

»Na, ich nehme immer eine Zwiebel oder – –«

»Oder einen silbernen Löffel,« fiel der Herr der Cordel in die Rede, »das ist ja alles Unsinn und Aberglaube! Kennen lernen, kennen lernen, das allein schützt vor Irrtum!«

Der Herr hatte sich erhoben, hing sich die Kapsel über den Rücken und nahm das Netz, dann sagte er, und zog dabei die Augenbrauen hoch:

»Ich weiß aber, wo Pilze stehen! An der Stelle heißt's: Pilze, Pilze überall! So viel verschiedene Sorten! Einen Tragkorb könnten Sie füllen; der Handkorb, so groß er ist, faßt sie nicht. Kommen Sie, ich zeig' sie Ihnen.« Und als die beiden zögerten, sagte er lebhaft: »Sie trauen mir wohl nicht? Nur ganz ruhig, ich kenne sie! Also vorwärts!«

»Nein, bange bin ich nicht, daß Sie sie nicht kennen, denn wir können uns ja denken, wer Sie sind: Sie sind der Herr Dietrich, der bei der Krummbiegeln oben wohnt. O, die hat uns viel von Ihnen erzählt.«

Dietrich lachte auf und sagte: »Die Krummbiegeln hat Ihnen von mir erzählt, na, das möchte ich gehört haben! Ich bin ein Hexenmeister und so weiter!« Und nun wandte er sich an Malchen und sagte: »Was hat denn die Alte erzählt? Ach ich kenne ihre Rederei; Mendler lacht sich ja halbtot über die Alte.«

Malchen wagte einen scheuen Blick nach Dietrich hinüber. Er war ja schön! Das hatte die Krummbiegeln gar nicht gesagt. Das Gesicht war fein und vornehm, die blauen Augen so groß und klug; wenn er sprach, hatte er ein so lebhaftes Mienenspiel. Wie gern sah man ihn an! Aber ein bißchen Furcht hatte sie vor ihm, das hing wohl mit dem großen Respekt zusammen, den sie in seiner Nähe empfand. Nur vorm Pastor hatte sie solchen Respekt. Den jungen Burschen ihrer Bekanntschaft gegenüber hatte sie nichts von Verlegenheit oder von Schüchternheit empfunden.

Merkwürdige Pfade führte er sie. Hier waren sie früher nie gegangen. Der Weg war dicht verwachsen von nicht allzu hohen Fichten, die in ihrem Wachstum gehemmt schienen. Durch dürre Zweige mußten sie sich hindurcharbeiten, die mit lang herabhängenden grauen Flechten bewachsen waren. Und unter ihnen ein elastischer Teppich von grauen Flechten, soweit das Auge reichte. Aber der Blick reichte nicht weit, immer hatten sie mit dem Auseinanderbiegen der dürren Zweige zu tun, dabei kamen ihnen beständig Spinneweben und Sommerfäden ins Gesicht, so daß Amalie ganz ungeduldig mit beiden Händen ihr Gesicht wischte und abwehrend die Hände nach vorn bewegte. Ab und zu sah sie in dem einfarbigen Grau einen Pilz, der sich durch seine dunklere Färbung von der grünlichgrauen Flechtenfläche abhob. Einmal blieb sie stehen und zeigte darauf.

»Den lassen wir; es ist nur ein Habichtschwamm. Nur weiter!«

Aber endlich gab's Luft! Eine weite Lichtung mit viel abgehauenen Baumstümpfen lag vor ihnen. Durch den Gegensatz wirkte dieser Platz ganz überraschend. Keine grauen Flechten mehr, sondern smaragdgrünes, glänzendes Moos, dazwischen schwankende Gräser und o, so viel Pilze! Es war, als könnten sie sich nicht genug tun! Nicht nur daß sie auf der flachen Ebene wuchsen, – nein, – auch die abgehauenen Baumstümpfe zeigten eine Fülle von Schwämmen in fast allen Farben. An den Stämmen drängten sie sich förmlich, einer schien über den andern zu purzeln, alte und junge, große und kleine. Hier machten sie aufatmend halt. Die Sonne warf spielende Lichter durch das kurze Gestrüpp, das hie und da die Ebene unterbrach. Dietrich sah so glücklich aus; sein Gesicht hatte fast einen verklärten Ausdruck, als sein Blick über diesen saftig grünen Platz schweifte. Er machte eine einladende Handbewegung, etwa als sei er hier Herr, und biete das, was sich hier fand, zum gefälligen Gebrauch an. »Sehen Sie? Da! Dieser Anblick war die kleine Unbequemlichkeit durch das Dickicht doch wohl wert! Sammeln Sie; aber zeigen Sie mir alles, denn hier wächst Gut und Böse friedlich nebeneinander. – Bist du auch hier?« rief er lebhaft und bückte sich; und Amalie, die wie gebannt an seiner Seite blieb, sah mit Staunen, daß er mit zarter Sorgfalt ein kleines Etwas aus dem Boden löste, es auf seine flache Hand legte und es mit glücklichem Ausdruck betrachtete. Er sah Amaliens fragenden Blick und sagte: »Sehen Sie her, das ist ein Erdstern. Sie sehen die Form des Sternes?«

»Ach wie hübsch!« rief Amalie interessiert, »ein Erdstern? Den habe ich nie früher gesehen!«

»Sie haben noch vieles nicht gesehen! Die Menschen haben ja Augen und sehen nicht. Nichts sehen sie, als ihren kleinlichen, eitlen Kram! Aber hier ist's schön! Können Sie etwas Entzückenderes sehen als diesen Baumstumpf? Die Waldfee hat ihn hergerichtet, das reine ›Tischchen deck' dich!‹ Sehen Sie hier zwischen Moos und Gras die kleinen blauen Glockenblumen, und das zierliche weiße Hungerblümchen. Und in diesem Zwergen- Urwald spazieren gravitätisch allerlei buntschillernde Käfer, dazwischen stehen kleine rote Täublinge; und hier diese dicke Spinne zieht über das Ganze ihr feines Netz wie einen duftigen Schleier.«

Dietrich kniete am Stamm nieder, holte sein Augenglas hervor und betrachtete interessiert jede Einzelheit dieses Stückchens Waldzauber. Er schien die beiden vergessen zu haben, so vertieft war er in die kleine Wunderwelt. Die beiden standen staunend da und beobachteten ihn. Da blickte er plötzlich auf und rief lebhaft: »Aber so sammeln Sie doch! Hier, hier, Hallimasch, nicht der hellgelbe, sondern dieser bräunliche, er sieht aus wie mit feinem Zimmt bestreut; wenn Sie sich dieses Kennzeichen merken, können Sie gar nicht irren, dann können Sie ihn nicht mit dem Schwefelkopf verwechseln, der sonst die Geselligkeit ebenso liebt. Lassen Sie den schwarzen Einsamen nur stehen, es ist die Totentrompete, er ist nicht eßbar. Aber diese Kapuziner und die Schmerlinge nehmen Sie ja mit, die sind gut.«

Malchen brachte noch einen schönen, festen Pilz und fragte: »Das ist doch ein Steinpilz?«

Dietrich nahm ihn ihr aus der Hand, drehte ihn um, zog sein Taschenmesser hervor und schnitt ihn an.

»Passen Sie auf,« sagte er. Mit einem Ausruf des Staunens trat sie einen Schritt zurück und beobachtete sein Gesicht. Aber die soeben noch helle Fläche des angeschnittenen Pilzes huschte ein schwarzer Schatten; und die dunkle Färbung blieb, sie schien sich sogar zu vertiefen. War das seine Hand, die diesen Schatten auf den Pilz zauberte?

»Das ist Boletus Satanas, ein ganz gefährlicher Mordgeselle! Achten Sie auf das hübsche rote Polster unter dem Hut; und wo Sie ihn finden, da rotten Sie ihn aus; ein kleines Stück davon kann eine ganze Familie verderben.«

Er trat mit dem Fuß auf den Pilz und sah sehr ernst aus.

Solange die drei im Walde waren, kamen sie nur langsam vorwärts; denn jede Erscheinung, jeder Laut nahm Dietrichs Interesse in Anspruch. Aber endlich hatten sie den Wald hinter sich, und bald trennten sich ihre Wege.

Mutter Cordel setzte den schweren Korb nieder und sagte verlegen und zögernd:

»Ihnen haben wir nun die vielen Pilze zu danken. Sie müßten sie doch eigentlich mit uns essen.«

Dietrich überlegte einen Augenblick und sagte dann:

»Nun, warum nicht! Aber ich weiß noch gar nicht, wer Sie sind, wohin soll ich denn kommen?«

»Wir wohnen in der Niederstadt, ungefähr das letzte Haus, wenn Sie ins Muldental gehen. Beutler Nelle! Im Fenster liegen bunte Bälle, lederne Puppenbälge und dergleichen. Jedes Kind kennt uns. Sie können uns nicht verfehlen.«

»Gut. Ich komme morgen abend.«


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