Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Zweiter Teil

1

Amalie Dietrich

Amalie Dietrich

Brisbane, 1.8.1863.

Meine liebe Charitas!

Im Mai war es, als wir Abschied voneinander nahmen, und erst Weihnachten wirst Du diesen Brief von mir erhalten. Der Brief ist mein Weihnachtgeschenk, hoffentlich macht er Dir Freude, da Du daraus siehst, daß ich wirklich in Australien angekommen bin. Ach, denk doch, – von Siebenlehn nach Australien! Kannst Du's Dir eigentlich vorstellen? Mir ist oft, als ob ich das alles geträumt hätte. – Wieviel habe ich auf der langen Seereise erlebt, gesehen und empfunden! Wie neu war mir alles, und wie unbegreiflich ist mir hier alles! – Nach unserer Trennung in Hamburg sah ich noch lange Deine kleine, einsame, traurige Gestalt, die mir nachwinkte. – Glaub' nur nicht, daß ich weniger traurig war, ich war es nicht so sehr für mich selbst, als im Gedanken an Dich. Wie wirst Du Dich in den neuen Verhältnissen zurechtfinden? Sei gehorsam, und habe Geduld! Ja Geduld tut uns not! – Auf der Seereise habe ich gemerkt, daß sie auch mir noch sehr fehlt. Mit welcher Ungeduld erwartete ich das Ende der Reise. Wir waren 81 Tage unterwegs. Stell' Dir das nur mal vor, das ist fast ein Vierteljahr! Und doch hatte ich keinen Grund zur Klage, ich hatte es im Gegenteil ganz besonders gut, ich fuhr ja erster Klasse, gerade als ob ich eine reiche, verwöhnte Dame sei. Mit welchen Gefühlen sah ich oft hinüber zu den Armen, die eingepfercht im Zwischendeck fuhren. Warum war ich nicht bei denen? Begreifst Du, – je besser Godeffroy zu mir ist, desto mehr Verantwortungsgefühl habe ich. – Aus diesem Gefühl entsprang auch meine Ungeduld. Während der 81 Tage nichts tun, als warten, – und ich brannte darauf, loszulaufen und zu sammeln, damit sie sehen, daß ich tun will, was in meinen Kräften steht. Ja, das ist mein täglicher, ernster Vorsatz! Auf dem Schiffe aber konnte ich nicht wandern, war auf einen so kleinen Raum beschränkt, konnte weder Hindernisse überwinden, noch besondere Gefahren bestehen, ausgenommen die Gefahren, die uns Sturm und Unwetter brachten; aber dabei konnten wir uns ja nur abwartend verhalten. Ein recht faules Leben war es, was wir führten. Wir beobachteten die Delphine, die dem Schiff zur Seite schwammen; wir freuten uns, wenn der herrliche Albatros sich hoch in den Lüften schwang, und wir sprachen über die Veränderungen, die Himmel und Wasser boten. Aber wir konnten bei allem nur müßige Zuschauer sein. Im Atlantischen Ozean erlebten wir einen Gewittersturm. Das war schrecklich! Der Sturm peitschte das Wasser, daß unsere Rochelle haushoch geworfen wurde. Nie werde ich den Anblick vergessen! Es war mitten am Tage, und doch war der Himmel stockdunkel. Das Wasser war schwarz, und es brüllte und kochte, und der Donner krachte. Der Blitz schlug in einen Mast, und wir alle meinten, unsere letzte Stunde sei da.

Aber das Wetter beruhigte sich und damit auch unsere erschreckten Gemüter.

Weiter ging's ums Kap der Guten Hoffnung. Wir sahen vom Schiff aus wieder feste Berge.

Endlich, endlich erreichten wir die australische Küste! Wir kamen an Inseln vorbei, deren dunkle Palmenwälder sich scharf gegen den blauen Himmel abzeichneten. Denk' Dir nur, ganze Wälder von diesen herrlichen Palmen!

Am Eingang der Moreton-Bai hatten wir noch mit einer starken Brandung zu kämpfen, und dann ging's auf dem vielfach gewunden Brisbane River etwa 40 km landeinwärts, bis wir bei Brisbane landeten.

Endlich hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen. Wir waren aber so an das Schwanken gewöhnt, daß wir auch auf dem Lande noch hin und her taumelten. –

Eine große Menge Menschen stand am Strande und erwartete mit Spannung das Schiff. Viele von den Passagieren wurden von Verwandten und Bekannten in Empfang genommen. Wie bewegt waren wir alle! Mir war ganz feierlich zumute. Da lag sie vor mir, die hochgebaute Stadt. Die untergehende Sonne tauchte die Neue Welt in glühendes Gold. Ich konnte mich ganz der Bewunderung hingeben. Aber trotz der Freude über die endliche Erfüllung meiner Wünsche wollte ein Gefühl ängstlicher Spannung, ein wehes Gefühl der Vereinsamung mich übermannen. Wie ich mich sinnend umschaute, wollten mich Bekannte aus der ersten Kajüte mit in ihr Hotel nehmen, aber ich nahm von allen, besonders von unserm guten Kapitän, bewegten Abschied und suchte mir ein billiges Wirtshaus. Endlich, – so sagte ich mir, muß doch das Schlaraffenleben mal ein Ende nehmen! – Trotzdem ich mich unterwegs viel mit meinen Büchern beschäftigt hatte, merkte ich nicht, daß ich mit meinem bißchen Englisch etwas ausrichten konnte. Das kommt wohl mit der Zeit. Schwer ist mir's immer geworden, wenn ich mit der deutschen Sprache nicht weiter konnte. –

Am nächsten Morgen suchte ich gleich den Agenten, Herrn Heußler, auf. Da holte ich mir Geld und guten Rat. Ach, sich so Geld holen zu können! Gar keine Sorgen mehr um's tägliche Brot! – Ein Gefühl frohen Stolzes erfüllte mich bei dem Gedanken, Angestellte eines solchen Hauses zu sein.

O, wie leicht und frei fühlte ich mich einerseits, und anderseits fühlte ich mich in dem fremden Weltteil einsam und unsicher. Herr Heußler sagte mir, Australien sei noch wenig durchforscht, und ich würde auf Schritt und Tritt Neues und Interessantes finden. Ferner sagte er mir, ich möge mich mit jedem Anliegen nur vertrauensvoll an ihn wenden; auch wenn ich Geld brauche, solle ich es nur sagen, Godeffroys hätten ihm den Auftrag gegeben, mir in jeder Weise beizustehen. Kannst Du das fassen? Ich nicht! Ich bin tief bewegt und – o, – so dankbar!

Wie sind Gottes Wege doch wunderbar! Ich muß immer staunen, wie merkwürdig er mich geführt hat. –

Ich werde eine europäische Niederlassung am Brisbane River aufsuchen, und sobald ich eine Wohnung habe, schickt mir Herr Heußler mein Material. Wir sprachen dann noch manches, was mir hier auffällt, er erklärte mir alles.

Die Häuser sehen nämlich aus, als hätten sie Beine und wollten davonlaufen. Als ich das Herrn Heußler sagte, lachte er und erklärte mir, man baue die Häuser auf Pfählen, der weißen Ameisen wegen, die hier eine große Plage sind. – Ich dachte: ›Na, da gibt's ja gleich was zu sammeln!‹

Brisbane River, den 20.8.

Jetzt bin ich an meinem neuen Wohnort, der am Brisbane River liegt. Ich fand hier ein Häuschen, was grade leer stand, das habe ich gemietet. Bis meine Sachen kamen, wohnte ich in einer Squatter-Familie, dann richtete ich mich mit meinen Kisten, Decken und Tonnen ein. Etwas Kochgeschirr habe ich mir in Brisbane noch besorgt. – Nun kann ich endlich mit meiner Arbeit anfangen! –

Am ersten Morgen, nachdem ich in meinem Haus geschlafen hatte, ging ich auf die Suche nach Wasser. Nicht allzu weit von meiner Wohnung entfernt kam ich an eine Art Bassin und schöpfte mein Kesselchen voll, aber denke Dir, da trat ganz unvermutet ein gelbes Männchen mit geschlitzten Augen und mit einem langen, dünnen Zopf versehen, auf mich zu, hielt die Hand hin und schnarrte: »Three Pence m'am!«

»Ach was!« sagte ich, »da behalt dein bißchen Wasser,« damit schüttete ich den Inhalt wieder zurück.

Der gelbe Kerl, Du kannst Dir wohl schon denken, daß es ein Chinese war, sah mich aus seinen Schlitzaugen sehr verdutzt an, sprach sehr eifrig und gestikulierte dabei. Na, ich ließ ihn reden. –

Freilich, Tee gab's nun vorläufig nicht, aber ich konnte warten, bis ich Wasser fand. Ich hätte mir ja bei den Squatters etwas holen können, aber wo ich irgend kann, mag ich lieber auf mich selbst gestellt sein. Ich muß ja doch lernen, mir in der Einsamkeit selbst zu helfen. – Mit einem wahrhaft feierlichen Gefühl rüstete ich mich für meine erste Sammeltour im neuen Erdteil. Ich hing mir die Kapsel über die Schulter, steckte Mehl, Salz, Tee und Streichhölzer hinein, setzte den großen Strohhut auf und begab mich auf die Wanderschaft. Mit Herzklopfen unternahm ich diesen ersten Gang, ich hatte auch doch etwas Angst, daß ich mir die Richtung einprägte, damit ich mich nur ja wieder in die Ansiedelung zurückfand. Die Gefühle, die mich auf dieser ersten Excursion bewegten, kann ich Dir nicht schildern; war mir doch zumute, als möchte ich mich wohl an diesem ersten Tage von bekannter, lieber Hand führen lassen, als möchte ich Belehrung haben über all die fremden, neuen Erscheinungen. Wie weit, unheimlich, undurchdringlich war mir einst der Zellwald erschienen, da hätte ich mich gefürchtet, stundenlang allein zu sammeln, ich mochte als junge Frau nie ohne Deinen Vater botanisieren gehen, ach – und nun! Ich mußte mich immer selbst fragen: »Bin denn ich das, die hier so allein im australischen Wald herumwandert?« – Es glückte mir endlich, Wasser zu finden. Ich sammelte dürres Holz, machte ein Feuer, suchte mir eine starke Baumrinde, reinigte sie gut, rührte das Mehl mit Wasser an, formte flache, kleine Kuchen, etwa von der Größe eines Quarkkäses und buk die in der heißen Asche, als ich sie für gar hielt, pustete ich die Asche ab, machte Tee und hielt zum erstenmal die Mahlzeit, wie ich sie von nun an wohl oft halten werde.

Dann ging's ans Sammeln. Erst füllte ich die Kapsel. Neu ist ja alles, und eine Fülle von Material wächst einem hier entgegen, daß man gradezu in Verlegenheit gerät, wo man zuerst zugreifen soll. Für Insekten hatte ich nur kleine Gläser mit Spiritus zu mir gesteckt. Man muß sich ja alles erst mal ansehen, und mit der Zeit findet sich's, wie man sich praktischer ausrüstet. Leider muß ich immer einen Schleier tragen; es ist mir sehr ärgerlich, immer so einen albernen Lappen vorm Gesicht zu haben, und ich denke manchmal, das ist wohl die Strafe dafür, daß ich mich über andere Frauen immer so lustig gemacht habe, die sich so ein Ding vor die Augen hingen; aber die Moskitos würden mich zu sehr plagen, sie sind so schlimm, daß ich sogar mit dem Schleier mein bißchen Essen koche. Nachts schlafe ich unter einem großen Netz. – Das Sammeln macht mir viel Freude. Was kommt einem hier auch alles entgegen! Nur zuzugreifen braucht man. Ich stelle mir immer vor, was sie wohl in Hamburg sagen werden, wenn die Sendungen kommen, sie sind doch gewiß ein bißchen ängstlich, ob ich auch der Aufgabe gewachsen bin. Ich selbst bin es doch auch. – Paß doch ein bißchen auf, und frag' mal, wann Schiffe von Australien einlaufen, geh mal hin, und sieh Dir an, was ich geschickt habe. Ich habe gemerkt, ich darf nicht zuviel auf einmal nach Hause schleppen. Es ist zu heiß, die Pflanzen welken zu schnell, und dann muß ich sie fortwerfen. Erwarte nicht zu oft lange Briefe, dazu habe ich gar keine Geduld, denn es gibt glücklicherweise sehr viel Arbeit für mich. – Wie lange werde ich in Australien zu tun haben? Wir müssen uns auf lange Jahre gefaßt machen. Aber sei nicht traurig! Wenn die Sehnsucht über Dich kommen will, dann stelle Dir nur immer vor, wie es einst sein wird, wenn Du wieder am Hafen stehst, wenn Du winken wirst beim Anblick des einlaufenden Schiffes. Dann gibt's für uns auf Erden keine Trennung mehr! Damit tröste Dich nur immer. –

Für heute lebe wohl. Bitte Gott, daß er ein recht gutes Kind aus Dir macht; nur dann kannst Du ein glücklicher Mensch werden.

Mit herzlichem Kuß
Deine Mutter.


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