Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Eisenach, 3. 2. 65.

Meine liebe Mutter!

Wie traurig hat mich Dein letzter Brief gestimmt! Du bist so krank gewesen, und ich kann nicht zu Dir, um Dich zu pflegen! So mutlos kenne ich Dich ja gar nicht. Hoffentlich höre ich im nächsten Brief wieder nur Gutes.

Wieder hab' ich ein Weihnachtsfest gefeiert, und wieder war es sehr schön. Wir feierten es unten im Kindergarten. Fräulein Trabert schenkte mir ein Armband, geflochten aus ihren eignen blonden Haaren. Es lag ein Zettel dabei, darauf stand: »Meiner lieben Charitas, von ihrer alten Freundin: Julie Trabert.« War das nicht schön?

Gleich nach Weihnachten wurde ich von Frau Doktor eingeladen, sie auf acht Tage in Würzburg im Hotel zum Kronprinzen zu besuchen. Du kannst Dir denken, wie ich mich darüber freute!

Deine Mahnung habe ich mir diesmal zu Herzen genommen, ich habe fleißig ausgeschaut nach all den Städten, Dörfern, Burgen, Bergen, Kirchen und ach, nach den stillen Friedhöfen, an denen ich vorüber fuhr. Gegen Abend kam ich in Würzburg an. O, wie mir das Herz klopfte vor Freude, Frau Doktor wieder zu sehen!

Wir gingen täglich am Main spazieren. Auf diesen einsamen Gängen examinierte mich Frau Doktor. Ich sagte meine gelernten Gedichte auf, Frau Doktor prüfte mich aber auch in Französisch und in den andern Fächern. Eines Tages waren wir im Schloßpark, da sagte Frau Doktor: »Für Ostern habe ich dich in der Nähe von Wolfenbüttel angemeldet.« Ich stand vor Schreck still und sah sie groß an. Sie fuhr fort: »Neulich habe ich in Berlin mit einer Dame gesprochen, die in Gemeinschaft mit einem Bruder und mehreren Schwestern in der Nähe von Wolfenbüttel ein Institut leitet. Nach allem, was ich von Fräulein Heimreich sah und hörte, habe ich den Eindruck gewonnen, daß dieses Institut der denkbar beste Aufenthalt für ein junges Mädchen ist, die, wie du, sich auf den Beruf einer Erzieherin vorbereiten will. Die Dame ist eine nahe Verwandte von Fröbel, ist von ihm selbst ausgebildet, und ich habe bis jetzt noch niemanden mit solchem Verständnis über seine Ideen sprechen hören. – Sieh es als ein großes Glück an, wenn dir ein Aufenthalt mit geistig so hoch stehenden Menschen geboten wird! Du weißt ja, daß du ganz allein in der Welt stehst, daß du ganz arm bist! Da gibt es ja nichts besseres, als daß du dir einen Schatz an Kenntnissen und an Verständnis für einen Beruf erwirbst, der dich unabhängig macht und dir die Achtung der Menschen sichert. Ehe es aber so weit ist, mußt du viel Fleiß und Mühe aufwenden. Sage dir, du mußt so werden, daß du vorbildlich auf künftige Zöglinge wirken kannst. In deinem Wesen und in deinem Wissen sind noch große Lücken! Freue dich, wenn du in eine Gemeinschaft strebender junger Mädchen aufgenommen wirst, wo deinen Mängeln nachgeholfen wird. Ich hoffe, nur Gutes von dir zu hören. Sei sehr fleißig und gehorsam. Willst du das?«

Ich versprach unter Tränen alles, was Frau Doktor verlangte. Bald darnach reiste ich ab.

Als ich Fräulein Trabert meine Reiseerlebnisse erzählte, schüttelte sie energisch den Kopf, nahm mich in die Arme und sagte: »Nein, nein, mein Charichen: Du bist nicht allein in der Welt! Ich hab' dich lieb, du kommst wieder zu mir, und – das halte fest – wo wir liebend wirken, da sind wir überall daheim!«

Ja, ich komme natürlich wieder hierher, sobald ich ausgelernt habe! Das gute Fräulein Trabert! Für heute lebe wohl, liebe Mutter! Hoffentlich höre ich bald nur Gutes von Dir.

Treu Deine Charitas.


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