Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Wolfenbüttel, 28.7.1867.

Liebe Mutter!

Wie hat mich Dein letzter Brief erschreckt! Ich habe ihn gleich Annette vorgelesen. Davon kann man ja träumen! Ich konnte mir so lebhaft vorstellen, wie die Papuas Dein Haus belagerten. Nun hast Du doch nicht mehr so viel Vertrauen zu ihrer Harmlosigkeit! Wie gut, daß Du die bunten Farben hattest. – Alles, was Du mir sonst schriebst, hat mich sehr interessiert, und ich bitte Dich, schreibe mir doch wieder recht ausführlich über Dein Leben in Makay.

Mir geht es hier je länger desto besser. Ich lebe mich ganz ein in dieses regelmäßige Institutsleben. Heimreichs gehen ganz in ihrem Beruf auf und machen das Goethe'sche Wort, das sie uns als Motto mitgeben, erst mal an sich selbst wahr; sie verzichten auf alles, was sich sonst die Menschen leisten. Sie haben nur Verkehr, soweit er für uns förderlich ist, sie gönnen sich keine Bequemlichkeit, sind von früh bis spät nur für uns da. Wer etwa als Besuch ins Haus kommt, wird veranlaßt, von seinen Kenntnissen uns mitzuteilen. Ein Bruder von Heimreichs ist Künstler, er führt uns an der Hand seiner Zeichnungen in das Gebiet der Kunst. Zu unsrer Erheiterung wurden an einigen Abenden lebende Bilder gestellt. Mich verwandte Herr Heimreich als Rotkäppchen. Wir waren sehr vergnügt. –

Ein andrer Bruder, der Arzt ist, erklärte uns das Auge, er hatte ein Modell dafür, und außerdem zeichnete er uns alles an die Wandtafel. An der Wolfenbüttler Bibliothek – weißt Du, einst war Lessing daran, – ist ein Bibliothekar, der uns während des ganzen Winters Vorträge über Baukunst gehalten hat. Überall ist Herr Dr. Beetmann selbst gewesen, in Rom, in Griechenland, ja sogar in Ägypten, da kann er uns alles recht anschaulich schildern. Er zeigt uns schöne Bilder, und zuweilen gehen wir sogar in die Bibliothek selbst und sehen uns Werke an, die Bezug auf die Vorträge haben. Diese Bibliothek! Davon macht man sich doch keinen Begriff, wenn man keine gesehen hat.

Aber auch auf anderen Gebieten wird uns Großes und Schönes geboten. Neulich war Wilhelm Jordan hier, er ist der Dichter der Nibelungen. Aus dieser herrlichen Dichtung trug er uns einige der schönsten Gesänge vor. Wie uns das begeisterte! –

Jetzt darf ich auch schon im Schloß unterrichten. Das habe ich mir schon lange gewünscht, denn man möchte doch gern anwenden, was man gelernt hat.

Ich habe die Kinder sehr lieb, und ich glaube, auch sie mögen mich gern; neulich gab mir ein liebes, kleines Mädchen einen Zettel, darauf stand mit großen, steifen Buchstaben: »Liebe Tante! Ich habe immer solche Langeweile nach Dir!«

O, wie mich das freute, daß sich jemand nach mir sehnt!

Im Schloß zu unterrichten kommt mir sehr merkwürdig vor. Ich muß mir immer vorstellen, wie das wohl früher hier gewesen ist, als noch Herzöge und der ganze Hofstaat sich in diesen Räumen bewegten. So manches erinnert noch an vergangene Pracht. In den Sälen sind noch bunte Deckengemälde mit reicher Stuckverzierung, und an den Wänden hängen Gobelins, die biblische Stoffe veranschaulichen. So sehe ich z. B. immer eine Stadt mit schönen, griechischen Säulen vor mir, das Bild stellt Paulus dar, wie er in Athen den unbekannten Gott predigt.

Nun will ich nur hoffen, daß Dich mein Brief gesund antrifft.

In treuer Liebe
Deine Tochter Charitas.


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