Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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20

Heimkehr von Bukarest

Kopfschüttelnd, mißbilligend hörte Karl Amaliens Entschluß. Leanka aber schlug entsetzt die Hände zusammen und rief: »Nach Sachsen willst du wieder? In das kleine Nest? Zurück ins Elend? Du bist doch ganz von Sinnen! Erst kannst du's nicht aushalten, durchjagst die ganze Welt, und nun, da du dich erholt hast, da du kräftig und rosig bist und den Schmerz überwunden hast, nun willst du fort?«

Amalie ließ alles über sich ergehen; sie dachte an die stillen Stunden in den Karpathen. Entgegnen konnte sie ja auch nichts, denn wie hätte sie Leanka gegenüber von Sehnsucht sprechen können?

»Wenigstens,« sagte Leanka, »läßt du uns das Kind. Wir wollen es halten wie unser eigenes; es soll nichts gespart werden; ihr soll jeder Wunsch erfüllt werden.«

Amalie seufzte. Gerade so wollte sie ihr Kind nicht erzogen haben. »Mein Kind geht doch mit mir.«

Da nahm Leanka die Kleine auf den Schoß und fragte zärtlich: »Hör' mal zu, Sophie, du hast doch Onkel und Tante lieb.«

»Ja, Tante.«

»Du willst doch nicht weit, weit fortgehen, so daß du deinen guten Onkel nie wieder siehst? Willst du das wohl?«

Charitas schlang die Arme um den Hals der Tante, weinte und sagte: »Nein, liebe Tante, ich bleib' immer, immer bei euch.«

»So, Amalie, da hörst du's selbst. Es ist eine Grausamkeit gegen das Kind, sie so aufs ungewisse mitzunehmen. Du weißt nicht, wie es dir gehen wird! Wie ärmlich kamt ihr hier an, und die Aussichten haben sich doch nicht gebessert. Treibe es nicht auf die Spitze! Ich will gar nicht von uns reden, wie glücklich du uns machen würdest durch das Kind. Wir haben uns so an sie gewöhnt; ich weiß gar nicht, wie ich es aushalten soll ohne sie. Du kannst ja ohne sie leben, du hast den Beweis geliefert. Zu Tode gegrämt hast du dich nicht. Ich warne dich! Es wird die Stunde kommen, in der du bitter bereust, dein Kind nicht in einem so weichen Nest gelassen zu haben. – Nicht wahr, mein Mäuschen, du bleibst bei uns? Paß mal auf, was für eine schöne Puppe dir die Tante mitbringt, eine, die kann schlafen, wenn du sie hinlegst.«

»Charitas,« sagte die Mutter leise, »du läßt doch deine Mutter nicht allein nach Sachsen gehen?«

Charitas sah fragend, mit einer Art ängstlichem Staunen auf die drei Gesichter, deren Blicke erwartungsvoll an den Lippen des Kindes hingen. Schluchzend streckte es vom Schoß der Tante die Ärmchen hinüber zur Mutter und rief: »Mutter, laß uns beim guten Onkel bleiben! Immer, immer!«

»Da hörst du's! Kinder und Narren sagen die Wahrheit,« rief Leanka triumphierend und drückte das Kind leidenschaftlich an sich.

»Komm!« sagte die Mutter schroff, und sich an die Geschwister wendend fuhr sie kurz fort: »Wie könnt ihr eine solche Entscheidung in die Hände eines Kindes legen!« Sie nahm Charitas mit in ihr Stübchen, preßte sie hier heftig an sich, küßte sie und rief: »Bei mir bleibst du! Ich halte das Leben nicht aus ohne dich! Das möchten sie wohl, – dich behalten! – Und ich? O, ich kann ihretwegen gehen wohin ich will! Nein, – nein, du bleibst bei mir!«


Es war ein ähnlicher trüber Novembermorgen wie vor einem Jahr, als Amalie klopfenden Herzens, ihr Kind an der Hand, den Forsthofhügel hinanstieg. –

Ach, ganz wie früher saß Dietrich an seinem Arbeitstisch, als Mutter und Kind bei ihm eintraten. Er war sprachlos vor Staunen. Amalie und Charitas reichten ihm die Hand. Endlich sagte Amalie tief aufseufzend: »Wilhelm! – Da sind wir wieder!«

Dietrich konnte sich gar nicht fassen. War denn diese Dame in Hut und Schleier, bekleidet mit einem schön wattierten Wintermantel, war das das schlichte, einfache Malchen aus der Niederstadt?

Sprachlos sah er sie an. Sie war ja viel hübscher geworden, welch schönen Ausdruck hatten die großen, graublauen Augen, und der Mund zeigte so feste, fast herbe Linien. Ihre ganze Haltung machte den Eindruck, als sei sie gewachsen. Dann fiel sein stummer Blick auf das Kind, seine Hand ruhte auf ihrem Scheitel; ja, die Kleine war tatsächlich gewachsen.

»Komm, Wilhelm,« sagte Amalie, »laß uns in die andere Stube gehen, wir haben einander viel zu sagen, und hier könnten wir leicht gestört werden.«

»Wilhelm,« so schloß sie ihre Rede in der andern Stube, »ich habe viel Erfahrungen gemacht, ich denke heute ruhiger über manches als vorm Jahr, sonst war ich jetzt nicht hier. Versprich mir, daß nichts und niemand sich je wieder zwischen uns drängen soll. Wir brauchen keine Stütze mehr, ich habe mich in Hausarbeit geübt, ich werde versuchen die doppelte Aufgabe zu erfüllen.«

»Du?« sagte Dietrich stirnrunzelnd, während sein Blick Amaliens Gestalt überflog, »du bist ja eine Dame geworden. Ich bin noch ebenso arm wie vorher, ich kann euch nicht so halten. Wer soll denn, wenn ich reise, die Sammlungen tragen? Pauline will es.«

»Habe ich mich je um hübsche Kleider gekümmert? Da unten haben sie's getan, aber mir liegt doch daran nichts! Was du hier an mir siehst, ich lege es alles in die grüne Truhe und ziehe nichts wieder davon an, bis es uns so geht, daß das alles zum übrigen paßt. Ich will geduldig warten, vielleicht kommen einst bessere Zeiten. Ich biete dir meine Hilfe an. Ich habe in Siebenbürgen Kräfte gesammelt, ich kann und ich will dir die Sammlungen tragen. – Versuch's!«

Zögernd legte Dietrich seine Hand in die dargebotene Amaliens. ›Jawohl,‹ dachte er, ›es ist die alte Hingabe, aber es ist allerlei Neues hinzugekommen: was ist es nur?‹

Sie war ihm in vieler Beziehung neu und fremd geworden.


Die Stütze wurde abgelohnt. Amalie zog ihr dürftiges Arbeitskleid an, und nach außen hin war sie wieder ganz die Nellen Male aus der Niederstadt. Man sah sie übrigens selten, denn sie vertiefte sich mehr denn je in ihre Arbeit.

Ihre Rückkehr erregte aber nicht nur Dietrich und den alten Nelle; es war ein Ereignis, an dem eine Weile das ganze Städtchen lebhaften Anteil nahm. Der eine fragte den andern: »Was hat sie denn nur wieder hergetrieben? Sie scheint es da unten doch so gut gehabt zu haben! Einige haben doch sie und das Kind ankommen sehen! Kostbare Kleider haben sie angehabt. Wo ist sie nur damit geblieben? Was in aller Welt ist es nur, daß sie wieder ins Elend zurück muß? Hat der verrückte Naturforscher ihr's so angetan, daß sie nie wieder von ihm los kann?«

Die Krummbiegeln nickte bedeutungsvoll: »Ich hab' gewußt, daß die wiederkommen mußte, paßt mal uf, es kommt ooch noch so weit, daß sie de Molche und Drachen durch de Welt schleppt!«

Aber als der Stadtrichter ihr begegnete, reichte er ihr herzlich die Hand und sagte: »Meine Hoffnung hat sich erfüllt, ich sehe Sie wieder in Ihrer alten Heimat. Die Fremde ist Ihnen nicht schlecht bekommen!«


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