Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Hamburg, 12. 5. 64.

Meine liebe Mutter!

Wieviel hast Du mir erzählt! Ich versuche, mir eine Vorstellung von Deinem Leben zu machen, aber es wird mir schwer. Herr und Frau Doktor und alle übrigen Hausbewohner nehmen lebhaft teil an Deinem Ergehen. – Von mir habe ich Dir auch schon wieder allerlei Neues zu erzählen. Ostern war mein Jahr in der Schule zu Ende, und da kam ich von Hamm erst mal wieder ein paar Monate hierher, aber Frau Doktor hat mir neulich gesagt, wenn Fräulein Elise erst weg sei, dann müsse ich auch bald meinen Koffer packen und wieder auf die Reise. Ich bin erst mal auf ein Jahr in Eisenach angemeldet, da werde ich in eine kleine Pension kommen zu einem Fräulein Trabert. Ich bin recht traurig, daß ich nicht hier im Hause bleiben kann, aber Frau Doktor sagt, ich müsse unter junge Mädchen, ich sei zu trübselig und schwerfällig, und Spiel und Tanz sei für die Jugend ebenso notwendig wie das Lernen. – Ja, denke Dir nur, das gute Fräulein Elise geht fort! Ich war ganz erschrocken. und als sie meine Betrübnis sah, zog sie mich auf das kleine Rohrsofa und erzählte mir von ihrem Vorhaben. Sie will auch so weit weg, ganz nach Amerika, also auch übers Meer! Sie geht zu einer Familie Schurz, da wird sie Erzieherin der beiden Mädchen. Frau Schurz ist eine Schwester von unserm Herrn Doktor. Die Familie ist hier zum Besuch gewesen, da haben sie einander kennen gelernt, und Fräulein Elise freut sich auf ihre neue Aufgabe. Sie hat die Bilder von den Eltern und den Kindern in ihrem Album, die zeigte sie mir, und dabei sagte sie: »Ja, Charitas, sieh dir nur den Herrn Schurz recht genau an, du wirst vielleicht noch viel Merkwürdiges von ihm hören, vielleicht hast du noch einmal das Glück, ihn persönlich kennen zu lernen, er nimmt in Amerika eine hohe Stellung ein.« Und dann erzählte sie mir viel, was ich noch nicht recht begriff, von einem Aufstand in Süddeutschland, und daß er einen Mann aus dem Kerker befreit hat, der Kinkel hieß. Sie sagte: »Du wirst von diesen Dingen noch öfter hier im Hause hören, deshalb ist es gut, wenn du schon ein wenig davon weißt.« – Nun grade muß sie weggehen, wo ich nicht mehr eine so große Scheu vor ihr habe. Aber sie sagte: »Schurzens kommen sicher wieder zum Besuch hierher, und dann sehen auch wir einander wieder, und dann bist Du auch weiter, gehst vielleicht selbst mal als Erzieherin weit fort.« Ach, ob ich je so weit komme? – Ich will jede Minute mit Fräulein Elise noch recht auskosten.

Nun hab' ich Dir etwas zu erzählen, was Dich gewiß sehr interessieren wird.

Neulich, am 17. Mai, wurde der Zoologische Garten eingeweiht. Den Tag vorher, es war an einem Sonnabend, war hier im Hause ein großes Herrendiner. Alle die Herren waren hier, die in irgend einer Weise mit dem Zoologischen Garten in Verbindung stehen. Zur Aufwartung waren mehrere Lohndiener da, und vom Eßzimmer aus ordnete Frau Doktor selbst alles an, und ich durfte ihr helfen. Ich trug mit herunter und herauf. Unten wirtschaftete eine ganz fremde Kochfrau, und die gute Lisette schien an dem Tage nur zur Bedienung für die Fremde da zu sein. Das viele Laufen und Herumwirtschaften machte mir viel Spaß, und ich freute mich so, daß ich so lange mit Frau Doktor zusammen zu tun hatte. Im großen Saal war eine lange Tafel gedeckt, die Türen vom Eßzimmer nach dem Saal standen offen, und jedesmal, wenn eine Rede gehalten wurde, stellte ich mich in die offene Tür und hörte zu. Mir klopfte das Herz, und ich war ganz stolz, als mein Herr Doktor sprach, und erst recht, als nachher die andern so viel Gutes von ihm zu sagen wußten, wie sie sein Interesse und seinen Opfermut rühmten.

Einmal wagte ich mich zu weit an die offene Tür, ich sah zu meinem freudigen Staunen zwei bekannte Gesichter außer unserm lieben Herrn Doktor, die beiden waren Godeffroy und Dr. Karl Möbius. Der letztere kommt täglich ins Haus, er hat immer viel mit dem Aquarium zu tun, setzt sich auch oft in die Bibliothek und schreibt und liest da. Ich vergaß mich ganz, bis plötzlich Frau Doktor sehr erregt rief: »Aber Charitas! – Willst du mal gleich da weg, was denkst du denn? Wenn Dich nun jemand sieht! Hier, trag mal gleich die Flaschen in den Keller.«

Dann, als die Herren fertig waren, kamen viele Wagen vor die Tür, Frau Doktor hatte sich schnell umgezogen, und nun fuhren alle miteinander in den Zoologischen Garten. Wir hörten, es sei schönes Feuerwerk da gewesen. Hans und ich waren im Ankleidezimmer und sahen aus dem Fenster, und die Alster sah im Abendschein aus wie lauter Gold.

Als wir später zum Gutenachtsagen hinuntergingen, sagte Frau Doktor sehr freundlich zu mir: »Na, du hast ja heute tüchtig geholfen, – ein bißchen naseweis bist du freilich auch gewesen, – das soll dir aber verziehen sein. Du und Hans dürft morgen, – denkt mal, gleich am ersten Tage, – in den Zoologischen Garten gehen. Geht nur recht früh hin, es wird voll werden, und ihr werdet lange bleiben wollen; bis ein Uhr habt ihr Zeit, dann müßt ihr zum Essen hier sein.« – Ich konnte vor Freude kaum schlafen.

Sehr früh, an dem herrlichen Sonntagmorgen, wanderten wir zusammen an der Alster entlang aus dem Dammtor, wo wir gleich im Zoologischen Garten waren. Einträchtig hatten wir einander angefaßt und betraten voll froher Erwartung den schön angelegten Garten. Hans war sehr lebhaft und belehrte mich über vieles, denn da er öfters bei seinen Eltern war als ich, wußte er mehr. Er erzählte sehr stolz, sein Papa sei Präsident, er habe auch die schöne Eulenburg bauen lassen. Gleich links vom Eingange waren die drolligen Maskenschweine, da standen wir still. Alles war so neu und frisch, die Bäume und Sträucher im ersten Grün, da waren auch wir sehr glücklich und fröhlich. Als ob wir ein besonderes Recht auf die schöne Eulenburg hätten, erstiegen wir sie; wie staunten wir über die vielen, schönen Eulen, wenn sie uns aus den dunklen Felsnischen mit großen, klugen Augen würdevoll ansahen. Was gab's da alles zu sehen, wir konnten es kaum bewältigen! Die drolligen Affen, die merkwürdigen Vögel und schließlich die entzückenden und wunderbaren Tiere im Aquarium. Wir waren aber endlich ganz ermüdet von dem vielen Sehen und Herumstehen.

Liebe Mutter, wie hübsch wäre es, wenn Du auch mal was für den Zoologischen Garten schicktest; ich denke, das würde Herrn Doktor gewiß sehr freuen.

Hast Du noch viel da zu tun? Bitte komm doch bald wieder! Für heute sage ich Dir Lebewohl und bleibe mit herzlichem Kuß

Deine Dich liebende
Charitas.


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