Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Geburt und Tod

Da das Jahr 1847 für ganz Sachsen eine große Hungersnot brachte, war es für Dietrichs ein Glück, daß Nelles sie mit der Kaufsumme des Häuschens und den mancherlei Vorräten unterstützen konnten. Der Mut zu gemeinschaftlicher Arbeit wurde gestärkt durch einen Auftrag aus Leipzig. Ein Herr Döpelmann bestellte im Namen mehrerer Studenten Herbarien. Die gesamte Flora von Sachsen sollte dreimal geliefert werden.

»Seht ihr!« sagte Dietrich, »eine Flora von Sachsen kostet dreißig Taler, nun nehmt das dreimal, dann haben wir fast hundert Taler.«

Es kam aber anders. Als man nach Ablieferung der Sammlungen lange vergeblich auf Geld gewartet hatte, kam ein Brief mit der niederschmetternden Nachricht: die Studenten seien außer sich über die Summe; bei so schlechten Zeiten wäre kein Gedanke daran, so viel Geld an getrocknete Pflanzen zu wenden. Höchstens neun Taler wollten sie opfern, wolle Dietrich sich damit zufrieden geben, gut, sonst würden sie die Sammlungen zurückschicken.

Das war ein harter Schlag! Die viele, mühsame Arbeit! Aber man brauchte so nötig Geld, da nahm man doch lieber die neun Taler.

Im nächsten Jahre wurde bei Dietrichs ein Kind erwartet. Dietrich selbst sprach nur noch von dem künftigen Jungen; und eines Tages, als Cordel in die Stube trat, sah sie, wie die beiden vor Humboldts Bild standen, und staunend hörte sie, wie Dietrich zu Malchen sagte: »Unser künftiger Junge hat große Vorbilder! Ich selbst werde seine Erziehung und Ausbildung in die Hand nehmen. Linné, Humboldt und meine eignen Verwandten werde ich ihm vorführen; denen muß er nacheifern. Ich will ihn früh mit auf weite Reisen nehmen, damit er abgehärtet wird, denn er muß einst weit hinaus in ferne, noch unerforschte Länder, er muß neue Arten finden, die den Namen ›Dietrich‹ tragen. Und Gottlieb muß er heißen.«

»Ach Wilhelm, deinetwegen will ich wünschen, daß es ein Junge wird.«

»Natürlich wird's ein Junge!« sagte Dietrich zuversichtlich.

Cordel aber schüttelte den Kopf und sagte: »Und das will ein Naturforscher sein!«


Nicht lange danach, an einem feuchten Märztag, steckte Cordel eilig den Kopf zur Tür herein und rief Dietrich zu: »Ein sehr kleines Mädchen!« Damit war sie wieder verschwunden.

Nur ein Mädchen? – Ein sehr kleines Mädchen? – ! Ach, welche große Täuschung. –

Amalie schwebte wochenlang in Lebensgefahr, und die gute Cordel hatte Tag und Nacht keine Ruhe, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Da nahm sie die Wiege, trug sie hinüber und sagte zu ihrem Mann: »Man mag das kleine Dingelchen gar nicht anfassen. Gottlieb, in Watte möchte man es packen! Hab' du nur ein Auge darauf, wenn ich drüben zu tun habe.«

So kam das Kind vom ersten Tage an zu den Großeltern. Wenn Malchen es anders haben wollte, sagte Cordel: »Laß nur das Kind, wo es ist. Bei euch ist ja gar kein Platz für eine Wiege, und wenn das Kind mal schreit, gerät dein Mann ganz außer sich. Euch stört die Kleine, und mich macht sie glücklich. Erhol' du dich; dein Mann stöhnt schon lange, daß er deine Hilfe braucht.«

Nur nicht Wilhelm stören! Da konnte Amalie lieber zu den Eltern gehen, wenn sie das Kind haben wollte. Aber auch das durfte sie nicht oft, es wartete ihrer immer so viel Arbeit.

In der Taufe erhielt das Kind die Namen: Charitas Concordia Sophie. So wünschte es der Vater.


Unter der liebevollen, fürsorglichen Obhut der Großmutter wuchs das Kind heran. Die gute Cordel hatte es beständig um sich; sie erzählte dem lebhaften Kinde die biblischen Geschichten, lehrte es morgens und abends beten; sie spielte und scherzte aber auch mit ihm.

Charitas war vier Jahre alt, da sagte die Großmutter eines Tages: »Charitas, geh mal hinüber und hol' die Mutter.«

Und als Malchen kam, sagte sie: »Es ist mir gar nicht hübsch. – Du mußt mir ins Bett helfen. – Mich schüttelt's, und alle Glieder tun mir weh, und wenn ich Atem hole, sticht's in der Brust.«

»Ach, Mutter,« sagte Amalie erschrocken, »du wirst uns doch nicht krank werden? Du hast dich natürlich beim Brotbacken überanstrengt, hast Zug gekriegt. Wenn ich dich im Bett habe, hole ich Wilhelm, der verschreibt dir was.«

Dietrich kam und untersuchte die Kranke, schrieb ein Rezept und schickte Gottlieb damit in die Apotheke. Bis der Gottlieb mit der Medizin kam, wurde allerlei versucht, aber das Fieber schüttelte die Cordel, sie phantasierte. Es kamen aber auch lichte Augenblicke, dann ruhte ihr Auge besorgt auf der weinenden Tochter und mühsam sagte sie: »O, die – Luft! – Malchen, ich mach's nicht lange. – Gott! O, Gott!

O Gott, ich bitt' durch Christi Blut,
Mach's nur mit meinem Ende gut!«

Nach einer Pause tastete sie nach Amaliens Hand und flüsterte: »Wo hast du denn das Kind – ach das liebe Charichen! Hol' sie her, gib ihr ja nicht von dem neubacknen Brot! Im Tischkasten liegt noch ein Ränftchen. Geh, hol' sie, daß ich sie segne.«

Amalie eilte davon, kam gleich darauf wieder und setzte das verwunderte Kind aufs Bett. Unsicher suchten die zitternden Hände den Kopf des Kindes, dann sagte sie seufzend: »Ach, die Sorge um euch – um dich, macht mir den – Abschied schwer! Du, so – unerfahren! – Ach – Gott! Hausstand? Kochen? – Weißt – keinen Be – scheid mit dem lieben Kinde! Wie soll es euch allen – gehen?« Sie faltete mühsam die Hände und betete: »Ach Gott! – dein guter – Geist führe sie alle auf ebener Bahn! Malchen, es wird mir – so dunkel! Ach Malchen, dunkle – Stunden kommen – auch – für – dich! –« Sie versuchte nach oben zu weisen und rief mit letzter Kraft: »Aber: es sollen wohl Berge weichen, – und – Hügel – hinfallen, – aber – meine – Gnade – – – Gottlieb! – Ach – so dunkel! – Dunkles – Tal! – Aber, – ja Fritzchen, ja – ich –!« Noch ein Röcheln, und das treue Herz stand still. – –


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