Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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30

Abschied von der Heimat

Nachdem in Hamburg alles geordnet war, reiste Amalie nach Sachsen. –

Ihr erster Gang in Siebenlehn war zu Madame Hänel, hier zählte sie ohne weitere Einleitung das Geld auf den Tisch, das sie schuldig war. Die schlug in maßlosem Staunen die Hände zusammen und rief triumphierend: »Na! – Hab' ich's nicht immer gesagt, wenn alle an Ihnen zweifelten und mich bange machen wollten. Ich hab' gesagt: ›Sobald die was hat, bezahlt sie,‹ und ich hab' recht gehabt!«


Bei Madame Hänel litt es Amalie nicht lange, sie suchte den alten kranken Vater auf, der noch immer das Bett hütete.

»Du bist mal wieder da?« fragte er, »alle meinten, da du die Charitas hast so weit hinausreisen lassen, nun würden wir keinen von euch je wieder sehen, – und nun bist du doch da? –! Aber wie siehst du denn nur aus? Ganz anders! Geht es dir denn plötzlich gut?« und des Vaters Blick musterte erstaunt die Gestalt der Tochter. Es war nicht nur die bessere Kleidung, die ihm auffiel, nein, die ganze Erscheinung trug den Stempel ruhiger, sicherer Würde. Eine nie vorher gesehene Reife und Milde lag über dem Wesen der Tochter. Was konnte ihr nur passiert sein; sie hatte doch wahrhaftig keinen Grund, so glücklich und zufrieden auszusehen?! –

»Vater,« sagte Amalie weich und herzlich, »ich komme, um Abschied von dir zu nehmen!«

»Du? Wieso? – Willst du denn schon gleich wieder fort? Du mußt doch erst deine Sammlungen fertig machen!«

»Diesmal nicht, Vater, jetzt haben andere es übernommen, mich für die Reise auszurüsten.«

Der Vater sah sie verständnislos an, und da erzählte sie ihm von ihren Hamburger Erlebnissen.

Unverwandt ruhte der Blick des Alten auf der Tochter, seine Stimme zitterte als er nach langem Sinnen sagte: »Ach Malchen! – Seine Gedanken sind wahrlich nicht unsere Gedanken, und seine Wege nicht unsere Wege! – Ach Gott, wie schwer haben wir dir's alle gemacht! Wie hab' ich dich immer nicht begreifen können! Wie hab' ich innerlich oft mit dir gehadert, weil ich immer meinte, du seiest nur dickköpfig und eigensinnig! Die gute Mutter! Ach, was würde die sagen! Über das große Meer mußt du? – Deine Mutter ist nicht einmal bis Dresden gekommen, und unsere beiden Kinder so weit fort! Fürchtest du dich denn gar nicht?«

»Ach Vater, kann es mir denn schlimmer ergehen als hier? Ich hoffe doch, es soll für Charitas und mich ein besseres Leben anfangen.«

Der Alte nickte, und immer wieder mußte Amalie sowohl von Charitas wie von sich selbst erzählen.

Beim Abschied sagte der Vater mit bebenden Lippen: »Malchen, bis mir nich mehr böse! Ich bin meist hart zu dir gewesen, – ich hab' dich wohl nie recht gekannt, und nun, – nun ist's wohl zu spät. Nun gehst du, und wir sehen einander in diesem Leben nicht wieder. Geh' mit Gott! Es geh' dir gut!«


Als Amalie über den Markt ging, kam die alte Krummbiegeln dahergehumpelt. Als sie Amalie sah, blieb sie stehen und rief lebhaft: »'s is de Meglichkeet! Das bist ja du, Male? –! Dich kennt man aber heite doch gar ni! Wie siehste denn nur aus? Haste 's große Los gewonnen? Oder? – Na – was denn?«

»Ja,« sagte Amalie lächelnd, »freilich hab' ich 's große Los gewonnen.«

Die Krummbiegeln sah sie unsicher von der Seite an, sie schüttelte den Kopf und befühlte den Stoff von Amaliens Kleid.

»Recht hibsch, aber nor leichte Ware, keene reene Wolle.«

»Kann ich jetzt auch nicht brauchen, ich gehe in warme Länder.«

»Wieder mal weit weg? Etwa da runter, wo dei Bruder is, zu den Derken?«

»Ach, viel weiter!«

»Geh! Du bist ni gescheit! Was das mit dir wohl noch emal für e Ende nehmen wird! Wo willst'n hin?«

»Nach Australien.«

»Das is wohl weit draußen?«

»Ach ja, es geht!« lachte Amalie.

»Wie de dich nor getraust! Und de Kleene is ja jetzt ooch so weit draußen.«

Amalie nickte.

»Wo is'n die?«

»In Hamburg.«

»Is'n das weit, von wo du hingehst?«

»Ach, furchtbar weit!«

»Is de Möglichkeit! Da könnt ihr eich nich manchmal Sonntags sehen?«

»Kein Gedanke! Ich hoffe, in etwa zehn Jahren sehen wir einander wieder.«

»O, du bist eine hartherzige Mutter, das hab' ich egal gesagt. Was soll denn das arme Kind so weit draußen, wo sie unter fremden Leiten is? Die kriegt dochs 's Heemweh?«

»Viel lernen soll sie.«

»Ä', dummes Zeig! Egal hast du gelernt, und wie is der'sch denn gegang'n? Arm biste, aber e Dickkopp biste ooch! Was man von dir wohl noch mal hört!«

Damit humpelte die Krummbiegeln kopfschüttelnd davon.


Am nächsten Tage wanderte Amalie nach Herzogswalde. Sie kam spät am Nachmittag da an, sie meinte, Dietrich sei dann am ersten frei. Dicht am Hause glitt eine Gestalt, fest in ein Tuch gehüllt, an ihr vorüber. Amalie wußte, wer sich unter dem Tuche verbarg. Sie seufzte tief auf. Die da vorüberglitt, sie bedeutete ihr heute nicht mehr, als ein Schatten auf ihrem Wege. War sie so über ihr Leid hinausgewachsen? –

Dietrich saß am Tisch und ordnete Moose. Bei Amaliens Eintritt drehte er sich um, er sah überrascht, fast erschrocken aus.

»Du hier?« rief er, »woher kommst du denn? Willst du Pflanzen haben? Bitte, such' dir nur aus, was du brauchst.«

»Ich brauche keine Pflanzen mehr.«

»Nein? – Keine Pflanzen –?« »Ich komme, um Abschied von dir zu nehmen und um dir zu danken.«

»Mir?« sagte Dietrich verlegen.

»Ja, Wilhelm! Ich weiß ganz gut, was ich dir zu danken habe. Siehst du, einst habe ich mir ein ganz anderes Bild von meinem Glück gemacht! Ach, ein ganz anderes! – Ich stehe jetzt an einem Wendepunkt meines Lebens, da läßt man die Vergangenheit noch einmal an der Seele vorüberziehen. Welche Wandlungen haben meine Empfindungen im Laufe der Jahre durchgemacht! – Du gabst mir großes Glück! Dann kamen die schweren, ach so schweren Jahre! Und nun kommt wieder das Glück. Eine Aufgabe habe ich! Eine große Aufgabe! Wenn ich sie löse, so danke ich es dir. Was wäre ich ohne dich geworden?«

Und nun erzählte sie von Godeffroy. – Dietrich hatte den Kopf in die Hände gestützt und hörte schweigend zu, und als Amalie geendet hatte, rief er erregt: »Dir?! Dir! wird der Auftrag? – Nicht mir? – Ich bin doch der aus dem alten Botanikergeschlecht! – Eine Frau schicken die hinaus? Meine Frau!?? Das Schicksal verfährt hart mit mir! – Gehst du denn schon bald?«

»Mit dem nächsten Segler, der nach Australien geht. Meine Ausrüstung liegt parat.«

»Eine Ausrüstung bekommst du?«

»O, und was für eine!«

»Was ich von klein auf als das Begehrenswerteste erträumte, dir fällt es in den Schoß!«

»Du wärest geeigneter für den Posten.«

»Ist das deine aufrichtige Meinung?«

»Da ist ja gar keine Frage!«

Dietrich sah sinnend vor sich hin, plötzlich sagte er: »Wo ist Charitas?«

»In Hamburg.«

»In Ham-burg? Durch dich?«

»Ja natürlich, ich konnte doch nicht fortgehen und sie so im Elend lassen.«

»Was tut sie da?«

»Sie lernt. Ihr wird endlich das geboten, was wir ihr immer versprochen haben, wozu es aber nie kam.«

»Wir waren so arm,« flüsterte Dietrich, »sie kam nicht zu mir, um Abschied zu nehmen.«

»Nein,« sagte Amalie kurz und herb, »ruf sie nicht zu dir, störe sie nicht, sie hat auch Aufgaben zu erfüllen.«

»Nein, ich störe sie nicht, das verspreche ich dir.«

Da legte Amalie plötzlich beide Arme um Dietrichs Hals, küßte ihn mit einer Art mütterlicher Zärtlichkeit und sagte tief bewegt: »Leb' wohl mein armer Wilhelm! Glücklich, – unglücklich – glücklich bin ich durch dich geworden. Für alles Glück danke ich dir, in dem Sinne werde ich stets deiner gedenken!«


Von der weinenden Charitas begleitet, ging Amalie am 15. Mai 1863 an Bord des Segelschiffes: »La Rochelle.« Ein Herr trat zu ihr, nannte seinen Namen und sagte: »Ich bin der Kapitän des Schiffes. Der Chef hat angeordnet, daß ich Ihnen eine Kajüte erster Klasse anweise. Ich habe die Weisung, ganz besonders gut für Sie zu sorgen.«

Amalie traten die Tränen in die Augen. Sie sah sich um, welch ein Gewühl!

»Wir haben 450 Zwischendeckspassagiere,« sagte der Kapitän.

Wie schwer hatten es wohl die Armen; und sie war nicht dazwischen, sie hatte man der besonderen Obhut des Kapitäns empfohlen! – –

Die Schiffsglocke gab das Zeichen zur Abfahrt. Noch ein eiliger, letzter Kuß, und Charitas eilte an Land. – Nun löste sich der mächtige Segler und glitt stolz den Strom entlang. Solange er sichtbar war, ließen Mutter und Kind die Tücher im Winde flattern.


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