Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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17

Ankunft in Bukarest

Es war kein Traum, die Reisenden erwachten in Bukarest! –

Zum letztenmal halfen die freundlichen Ungarn der ängstlichen Amalie zurecht. Der Herr besorgte zuletzt noch einen halbwüchsigen Burschen, dem er die Weisung gab, die beiden an ihr Ziel zu bringen. Mit zitternden Fingern suchte Amalie in ihrem leinenen Geldbeutelchen den Streifen Papier mit Karl Nelles Adresse. Würde der Bursche die Straße kennen? Der Ungar lachte, warf einen Blick auf den Zettel und gab ihn Amalie zurück mit der Bemerkung: »Das nützt uns nichts, der Bursche kann nicht lesen.« Nachdem der Herr sich in rumänischer Sprache mit dem jungen Walachen auseinandergesetzt hatte, übernahm der lebhaft nickend und gestikulierend die Führerschaft. Das Gepäck ließ Amalie im Wirtshaus.

Das Kind führte sie an der Hand; diese weiche Kinderhand schien ihr das einzig Wirkliche, sonst war ihr, als ob sie träume. Sie wanderten durch elende, ungepflasterte Straßen, in denen sich vor ärmlichen Lehmhütten halbnackte Kinder herumtrieben. Weiter kamen sie durch Straßen mit überdeckten Säulengängen, wo fremdartig gekleidete Menschen Waren feilboten. Nach langem Wandern überschritten sie eine Brücke, und als Amalie still stand und sinnend ihre Blicke auf den darunter eilenden Fluß richtete, rief der Bursche lebhaft: »Dombovitza!«

Weiter ging's, und immer lebhafter wurde der Verkehr. Plötzlich blieb der Bursche stehen, deutete auf eine große rote Hand, die vor einem Hause in der Luft baumelte und rief den Namen der Straße »Callea Podo mogoschoae!«

Am Hause selbst stand: Karl Nelle. Handschuhmacher.

Nelle! – Zitternd starrte Amalie diese fünf Buchstaben an. Wie ihr die Kniee bebten! Nelle! Ach, sie war am Ziel! Sie verabschiedete den Burschen und betrat zögernd den Laden. Wie oft während der beschwerlichen Reise hatte sie sich diesen Augenblick vorgestellt, wie hatte sie ihn sich ausgemalt! Nun war er da. Fester faßte sie die Hand ihres Kindes. Der schrille Klang der Ladenglocke erschreckte sie. Mit banger Spannung ruhte ihr Blick auf der dunklen Portiere. Die bewegte sich, und ein Gesicht guckte durch einen kleinen Spalt und sagte: »Setzen Se sich, der Meester kimmt glei!«

Der Kopf verschwand, und Amalie hatte Zeit, sich zu sammeln. Prüfend durchflog ihr Blick den Laden. Sie staunte. Hohe Glasschränke, reich gefüllt mit Ledervorräten und fertigen Waren, erblickte ihr suchendes Auge. Erleichtert atmete sie auf, hier war keine Armut.

Aber jetzt bewegt sich wieder der Vorhang, und ein großgewachsener Herr mit dunklem Vollbart tritt in den Laden.

»Sie wünschen?« fragt er.

Amalie steht zitternd auf, sie stützt sich mit der Hand auf den Ladentisch. Ängstlich forscht sie in des Fremden Zügen, ach – sie wünscht so viel von ihm. – Kein Wort will ihr aus der Kehle, sie bedeckt das Gesicht mit den Händen und ruft endlich schluchzend: »Karl! Ach Karl! Ich bin es! Kennst du mich wirklich nicht mehr –?«

Der Herr tritt zögernd näher, er nimmt sachte die Hände vom Gesicht der Schluchzenden, sieht ihr ernst und forschend in die Augen, dann ruft er in höchster Erregung: »Es kann ja nicht sein! Bist, – bist du Malchen? Meine Schwester Malchen?!«

»Ja Karl! – Ich bin's, ach willst du uns auch haben?« ruft Amalie in höchster Erregung.

»Ist die Möglichkeit! Du hier in Bukarest? – und zu dieser Jahreszeit – und mit dem Kinde! Sag' mir nur, was bedeutet dies? Ist – bist du denn ganz allein mit dem Kinde hier herunter gereist? Ach du armes Kind, was mag dir passiert sein! Aber kommt hier fort, hier können wir gestört werden. Ich will dem Gesellen sagen, daß er derweile auf den Laden achtet, Leanka ist in der Messe, aber sie wird bald kommen. – Laßt uns hier in die Stube gehen. So, jetzt setz' dich zu mir auf den Diwan, und erzähl' mir ganz offen und ruhig deinen Kummer.«

Karl nimmt das Kind auf den Schoß und drückt das widerstrebende Köpfchen zärtlich an seine Brust, dann streichelt er Amalie während der erregten Erzählung die tränennassen Wangen, wischt sich wiederholt die feuchten Augen und streut hie und da ein Trostwort in die Rede.

»Soviel Mut hätte ich meiner kleinen Schwester gar nicht zugetraut,« sagt er mit wehmütigem Lächeln. »Ach Karl, – Mut? Ich mußte wohl weiter. Habe ich wirklich ein wenig gehabt, so war ich jetzt gerade, sowohl mit dem Mut, wie mit dem Gelde zu Ende. O, die Angst in Wien und Pest, ob ich auch mit dem Gelde auskäme! Siehst du, damit ging mir's sonderbar! In dumpfer Verzweiflung, mit entsetzlichen Gedanken, war ich an der Mutter Grab getreten; ich habe mich eine Weile mit ihr herumgestritten; sie wollte immer anders als ich, aber endlich redete sie mich zur Ruhe. Und als ich dann den Brief mit dem Gelde in der Hand hielt, da war mir's, als hätte sie mir's tatsächlich gegeben und mir zugeflüstert: ›Geh, – flieh! Räche dich nicht! Fort, fort! weit fort!‹ Und da stand der Entschluß fest bei mir: hinunter zum Karl! Mir ist sterbenselend zumute, und ich glaube nicht, daß ich diesen Schmerz überlebe; da wollte ich doch auch für das Kind gesorgt haben. Wollt ihr sie behalten, wenn ich sterbe?«

»Das Kind? – Freilich wollen wir das behalten! Wir sind kinderlos, was könnte mir lieber sein, als so ein kleines Abbild unserer guten, unvergeßlichen Mutter! Das Sterben schlag dir aus dem Sinn! In deinen Jahren überwindet man auch einen schweren Kummer. Aber das Kind läßt du uns, sie soll es gut haben, das versprech' ich dir. – Sieh, da kommt Leanka!«

Ganz sachte stellte Karl die Kleine auf die Füße, trat der Eintretenden aufgeregt entgegen und sagte: »Leanka, eine große Überraschung! Das ist meine Schwester Malchen mit ihrer kleinen Tochter!«

Leanka betrachtete zuerst sprachlos die beiden. Ihr prüfender Blick glitt mit leisem Kopfschütteln über die ärmliche Kleidung, sie seufzte tief auf; dann kam ein krauses Durcheinander von lebhafter Begrüßung und einer Menge Fragen, deren Beantwortung sie aber nicht abwartete.

Endlich rief sie: »Aber ihr seid doch hungrig. Die Maritza soll euch gleich zu essen bringen, ich muß jetzt in die Küche und schnell die Fastenspeise richten. Aber ihr braucht ja nicht zu fasten, die Maritza soll schnell einen Braten besorgen. Sieh, der Kleinen gefallen meine Heiligenbilder und mein Hausaltar. So ist's recht! Komm her, Kind, sag' deiner Tante guten Tag. Wie heißt du, und wie alt bist du?«

Statt des Kindes, das sich schüchtern näherte, antwortete Amalie: »Sie heißt Charitas und wird bald fünf Jahr.«

»Charitas? – Pfui! Wie kann man ein so liebes, kleines Ding Charitas nennen; einen so häßlichen Namen würde ich höchstens einem Hunde oder Pferde geben. Hast du keinen andern Namen?«

»Concordia, Sophie,« sagte Amalie.

»Concordia?« rief Karl erfreut, nach »unserer guten Mutter! Wenn wir sie nicht Charitas nennen, so rufen wir sie Cordel.«

»Nein,« entschied Leanka, »das ist ja lächerlich altmodisch! Meinetwegen mag sie Sophie heißen. So Sophie, küß deiner Tante die Hand! Das kannst du wohl gar nicht? Das glaube ich! So weit ist man schwerlich in Siebenlehn. Na freut euch, daß das Kind hier Bildung lernt. Wie vernachlässigt sieht das arme Ding aus!«

»Ver-nach-lässigt?« fragte Amalie gekränkt, »das ist sie aber nicht, im Gegenteil – –«

Karl warf Amalie einen vielsagend bittenden Blick zu und sagte zu Leanka gewandt: »Bedenk' die lange und beschwerliche Reise!«

»Ja, ja,« sagte Leanka zerstreut, »wo habt ihr denn euer Gepäck? Die Maritza soll es nachher hinauftragen, wenn sie euch die Oberstube zurecht macht.«

»Ich ließ es im Gasthof, aber ich will es jetzt holen, ich habe ja Zeit dazu.«

»Holen?« rief Leanka erstaunt, »wieso kannst du es denn holen! Der Lehrjunge nimmt einen Karren, und du sorgst fürs Auspacken, wenn alles da ist.«

Als nach einer Stunde der Junge mit den Sachen kam, rief Leanka: »Drei Körbe hat sie! Was ist denn das, was so hoch aufbauscht?«

»Das sind Betten!« sagte Amalie mit einem gewissen Stolz, und sich an Karl wendend, sagte sie mit einer Art Feierlichkeit: »Karl, das ist ein Gruß von unserer Mutter! Einst, ach, es war noch in der Niederstadt, als sie hörte, daß du in Bukarest bliebst, bedauerte sie so sehr, daß sie dir nicht von ihren schönen Betten geben könnte, sie meinte damals: wenn sie dächte, daß jemals einer aus der Heimat hier herunter reiste, würde sie ihm die dir zugedachten Betten mitgeben. Als ich nun den Entschluß faßte, fiel mir Mutters Wunsch ein, ich nahm sie mit, sie gehören dir!«

Leanka schnitt Karl sofort jede Erwiderung ab und sagte erregt: »Ist es denkbar! Für uns hast du diese Last in der Welt herumgeschleppt?! Was fällt dir ein, wir wollen doch keine so schweren, dicken Federbetten haben. Die sollen geradezu ungesund sein. Federn achten wir hier gar nicht, die werfen wir in die Dombovitza!«

»Meiner Mutter Betten sind weder schwer noch ungesund! Du solltest mal hören, was sie in der Niederstadt sagen: ›Die Betten von der Nellen Cordel, die kann man mit dem großen Zeh' über die höchsten Häuser werfen, so leicht sind sie.‹

»Sie haben für mich keinen Wert; solltest du sie selbst brauchen können, so behalte sie für dich.«

»Sieh, Malchen, hier ist's wärmer, das wirst du selbst erfahren. Leanka meint es nicht böse.«

Die Schwägerin lachte übermütig, nestelte an ihren funkelnden Armbändern herum und ließ Karl mit den Gästen eine Weile allein.

Dann rief sie zu Tisch. Als Amalie die reichlichen und guten Speisen und gar den Wein sah, wehrte sie verlegen ab; aber Karl und Leanka lachten, und Karl sagte: »Beruhige dich, wir sind hier nicht in dem armen Siebenlehn; auf eine Flasche Wein und einen Braten kommt's wahrlich nicht an. Komm,« sagte er zu Charitas, »du mußt immer bei deinem Onkel sitzen. So, liebes Malchen, wir wollen auf euer Wohl trinken. Bukarest heißt Freudenstadt! Möge der Name eine gute Vorbedeutung für euch haben. Viel Freude in Bukarest!«

»Ja,« sagte Leanka munter, »paß mal auf, wie lustig es sich hier leben läßt! Du wirst bald das kleine sächsische Nest vergessen.«

Als Amalie sich am Abend auf ihr mitgebrachtes Kopfkissen legte, dachte sie weinend an ihre sächsische Heimat. Sie sah sich im Geiste in der Wohnstube in der Niederstadt; sie sah wie die Mutter geschäftig die großen Steintöpfe herbeischleppte, wie sie lächelnd, behutsam die weichen Federn auf dem Tisch auftürmte, sie hörte, wie sie rief: »So, nun kommt zum Federschleißen! Laßt mir aber keine Kiele daran, die zerstechen das Inlett; und nehmt das liebe Gut hübsch in acht; laßt keine unter den Tisch fallen, ihr wißt doch: um einer Feder willen muß ein Mädel über zehn Zäune springen!«

Ja, so hatte die gute Mutter gesprochen. Sie hatte gesorgt und gespart und hatte ihre Ehre darin gesucht, leichte, schöne Betten zu haben. Und hier? –! Hier sagte die da unten, der Mutter Betten seien ungesund! –


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