Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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4

Gevatter Krummbiegeln

Gottlieb Nelle war mit seinen Lederwaren nach Freiberg zum Herbstmarkt gefahren. Mutter Cordel war mit Malchen allein. Als sie sich grade zum Nachmittagskaffee setzen wollten, klopfte es. Auf ihr »Herein!« trat eine frühere Nachbarin, die verwitwete Krummbiegeln, herein. Die »Frau Gevattern« wurde von Mutter Cordel mit großer Herzlichkeit empfangen und zum Kaffee genötigt.

Die Krummbiegeln war ein vertrocknetes Weibchen, deren lebhaftes, neugieriges Gesicht eulenartig aus der Umrahmung der weißen Mütze herausschaute. Auf der stark entwickelten Nase saß eine große, schwarze Hornbrille, hinter der die dunklen, glänzenden Augen in beständigem Wechsel den Beschauer anblitzten. Ach ja, die Krummbiegeln! Die »derlebte« immer so viel und so wunderbare Dinge. Wenn man der zuhörte, war es fast, als wenn man ein spannendes, geheimnisvolles Buch läse. So dachte Malchen, als sie die goldberänderte Tasse von der Kommode holte.

»Ich will mich gar nich aufhalten, habe weder meinen Spinnrocken noch die Laterne mitgebracht, muß deshalb bald wieder fort, denn ich geh ni gern im Finstern den buckligen Berg rauf. Von euch könnt auch mal eine in die Oberstadt kommen. Ihr wißt wohl gar nichts von da oben, wißt nich, daß ich meine Oberstuben vermietet habe?«

»So? – Nein, wir wissen von nichts. Hast du denn hübsche Leute herein gekriegt?«

Die Krummbiegeln setzte sich in Positur und sagte langsam und wichtig: »Ich habe einen Herrn!«

»Einen Herrn?!« riefen Mutter und Tochter überrascht. »Einen Herrn? Ja, wo kommt denn der her?«

»Der kommt nich her, der is schon lange hier, und wenn ihr nur mal aus eurer alten Niederstadt heraus fändet, da könntet ihr ihn schon gesehen haben. Er war doch in der Apotheke beim alten Kleeberg; aber weil du immer selbst die Pflaster und Tees zurecht machst, kommst du ja in keine Apotheke.«

»Du hast recht. Ich wüßt nicht, wann einer von uns in der Entengasse gewesen wäre.«

»Der is lange aus der Entengasse weg, hat bei der Metzeln gewohnt, da war's ihm nich groß genug; nun is er zu mir gezogen.«

»Einen Apotheker hast du! Das ist aber was Feines und Apartes!«

»Freilich, fein und apart, aber doch eben nicht mehr Apotheker.«

»Nicht? – Ja, was tut er denn, wenn er doch beim Kleeberg war?«

»Das is ja grade die Sache! Was tut er, – was is er! – An seiner Tür is ein schwarzes Schild mit gelben Buchstaben, darauf steht:

A. W. S. Dietrich, Naturforscher.«

»Na–tur–forscher?!« – rief Malchen interessiert, »ach Pate, was ist denn das?«

»Bist doch sonst so klug und weißt das nich? Soll ich's euch sagen?« – – sie hob sich in der Erregung halb vom Stuhl auf, hielt die Hand seitwärts an den Mund und sagte in lautem Flüsterton: »Ein – Hexenmeister!«

»Ach,« sagte Malchen lachend und doch zusammenschauernd: »Das gibt's ja gar nicht. Vor ein paar hundert Jahren hat man so was geglaubt, und da hat man solch arme Leute verbrannt. Aber das ist doch Aberglaube!«

»So? Da hast du's, Cordel! Dein Mädel glaubt nichts mehr. Die hat zu viel gelesen. Man liest sich um alle Religion, wenn man immer die Nase in die neumodischen Bücher steckt. Cordel, du sollst sie mehr in der Bibel lesen lassen, hast du nie von der Hexe zu Endor gelesen? Siehst du? Gibt's Hexen, oder gibt's keine?«

»Aber,« sagte Cordel vermittelnd, »was tut denn dein Herr – –«

»Dietrich!« ergänzte die Krummbiegeln. »Was er tut? Kommt nur mal rauf und seht euch mal seine Stuben an, wenn er mal nich zu Hause is! Er schließt nich ab; er weiß wohl, daß ihm niemand seine Drachen und Molche stiehlt! Aber davon abgesehen, er hat doch den Mendler Fritz dazumalen verhext! Den kennt ihr wohl auch nich? Nach der Konfirmation sollte der Fritz beim Einzelmann das Schneiderhandwerk erlernen. Da kommt er eines Tages vom Dreierhäuschen – ihr wißt, man kriegt da immer die gute Semmelmilch, die reine Sahne, sag' ich euch, – na, wie er da durch den Wald geht, kommt er an den Teich, wo die Mönche von Zella all ihr vieles Gold und Silber versenkt haben, damals, wie die neue Lehre kam. Seitdem geht's da um. Na, wie der Fritz an den Teich kommt, kniet da Herr Dietrich, hat auf dem Rücken eine grüne Blechtrommel, neben sich hat er einen langen Stock in die Erde gesteckt, daran baumelt ein langer, weißer Mullbeutel. Wie der Fritz näher kommt, steckt Dietrich gerade eine feuerrote Hutschje (Kröte) in die Blechtrommel. Der Fritz is neugierig und tritt näher heran, da macht Dietrich so wunderliche Zeichen, murmelt einen Zauberspruch, und seitdem is der Fritze verhext. Glaubt ihr, der wollte dann noch Schneider werden? Kein Ge–dan–ke! Der Mann braucht ihn nur anzusehen, da muß der Fritze hinter ihm her, immer hinter ihm her, schon jahrelang; und was Dietrich will, das muß er tun; er kriegt nichts dafür, höchstens dürftiges Essen. Denkt euch, Dietrich geht weit hinaus, in ganz fremde Länder; und der Fritz muß mit und muß auf seinem Buckel all das giftige Kräuticht und die schrecklichen Tiere tragen. Ja, weit, weit kommen sie herum, ich glaub' zu Türken und Heiden kommen sie. Der Fritz hat erzählt, er hätte so viel Wasser gesehen, wie wir hier Himmel sehen, und Schiffe hat er gesehen! Hitze und Kälte hält er aus, und Hunger und Durst, wenn er bloß bei dem Manne sein darf. Ihr könnt euch denken, daß seine Schwester ganz außer sich darüber ist. Sie hat mich händeringend gefragt, wie sie den Bruder loskriegen könnte; da hab' ich ihr geraten, irgend etwas, was Dietrich dem Fritz geschenkt hat, heimlich wegzunehmen und zu verbrennen, dann hat die Flamme den Bann durchgebrannt. Das hilft sonst immer, aber die Ginzelmann sagte, als sie des Bruders Arbeitsschürze verbrannt hätte, die er vom Dietrich hat, hätte es nur einen furchtbaren Gestank und Qualm gegeben, der sei stundenlang in der Wohnung gewesen; aber dem Fritz sei nichts anzumerken, der sei grade so erpicht auf den Dietrich wie vorher. Jetzt lass' ich meine Hände aus dem Spiel. Der ist mir über! Denkt euch, all das schreckliche Viehzeug kocht er mit einer blauen Flamme in großen Pfannen und Tiegeln ein und setzt es in der Brühe hin, in Glashäfen, grade wie wir Quitten oder Preißelbeeren. Schrecklich! Das sind natürlich die Zaubertränke! Und denkt euch, beim Gastwirt Otto, da hat er manchmal den Saal gemietet, und da hält er Predigten; da kocht er auch manchmal.«

»Ach, davon hab ich nie gehört. Wer sollte denn da hingehen?«

»Na, du und ich freilich nich, aber da sollen ganz vornehme Herren zuhören. Von Reinsberg, von Biederstem, von Hirschfeld, von Neukirchen, na von der ganzen Umgegend kommen Hauslehrer, junge Landwirte, Schullehrer, Apotheker und sogar Pfarrer und hören ihm zu. Sie sollen alle ganz versessen auf ihn sein. Die Otto'n hat an der Tür gehorcht, hat aber nichts klug gekriegt, kann nichts wieder erzählen. Na, das mögen schöne Predigten sein! – Malchen verschling mich nich mit deinen Blicken.«

»Zu gern möcht' ich den kuriosen Mann mal sehen!« sagte Malchen halb lachend, halb erschauernd.

»Wünsch' dir's nicht!« sagte die Krummbiegeln feierlich. »Stell' dir doch nur mal vor, wenn er dich auch verhexte, und wenn du hernach egal Molche und Drachen auf deinem Buckel durch die Welt schleppen müßtest!! Denk, könntest nie los, müßtest immer und immer nur hinter dem Manne her!! Nicht wahr, Cordel, das wäre ein Schicksal!«

»Denkt doch, daß es Abend ist. Ihr macht uns ja gruseln, und wir beide sind doch ganz allein.«

»Ja, ja,« sagte die Krummbiegeln, während sie sich das Tuch umband, »ich könnte euch noch den ganzen Abend erzählen. Das hab' ich noch gar nich gesagt, den Schlangen, die er fängt, kann er das Gift weg hexen; er greift sie mit bloßen Händen an, und keine tut ihm was! Ach ja, was ich alles derleb! Ich hab' jetzt solche schöne Aussicht von meinem Fenstertritt aus. Denkt euch nur, neulich wurde die Spritze probiert; ganz bis zum Kirchturm hin ging der Strahl, alle Leute traten vor die Türen, und der ganze Markt stand voll von Kindern!« Draußen sagte sie zu Malchen: »Wenn du mal kommst, zeig' ich dir all das Teufelszeug. Gute Nacht, schlaft gut!« Mutter und Tochter verharrten ein Weilchen in Schweigen; dann setzte Amalie die hochbeinige Blechlampe auf den Tisch und machte Licht. Beim matten Schein des Öllämpchens sah Cordel, wie Amaliens Gesicht glühte, wie ihre Augen strahlten und wie um ihren Mund ein anmutiges, versonnenes Lächeln spielte. Einem unbestimmten Angstgefühl nachgebend, sagte sie mit Nachdruck: »Malchen, daß du dich nicht unterstehst und zur Krummbiegeln gehst, hörst du?!«

»Ja, was denn, Mutter?« fragte Amalie, wie aus einem Traum erwachend.

»Ach, ich bin ganz ärgerlich! Meinst, ich seh' dir's nicht an, daß dir die Krummbiegeln mit ihren albernen Hexengeschichten den Kopf verdreht hat? Nur gut, daß Vater gar nicht zu Hause war, der kann so was nicht ausstehen. Jetzt komm, laß uns den Abendsegen lesen; und dann vergiß den Unsinn.«

»Hm,« sagte Amalie lächelnd, »ich streit' mich freilich mit der Pate, und da meint sie, ich wäre ihr entgegen. Sie sollte nur wissen, wie gern ich ihr zuhöre, denn, Mutter, das mußt du doch sagen, so spannend wie sie, kann niemand sonst erzählen. Mir ist, als wolle der Kopf auseinander,« und Malchen fuhr sich mit beiden Händen an die Schläfe.

»Ach, du bist ein unverständiges, aufgeregtes Mädel,« schalt die Mutter.


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