Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Amalie an Karl

Lieber Karl!

Seit einigen Tagen bin ich allein. Wilhelm macht eine Reise nach Polen und hat Donath zum Tragen der Sachen mitgenommen. Wilhelm will viel sammeln, es kommt ihm aber diesmal hauptsächlich auf weiße Maikäfer an. Der Donath ist akkurat wie damals der Mendler Fritz, von dem ich Dir in Bukarest erzählt habe. Er war wie verhext und lief Wilhelm auf Schritt und Tritt nach; wie glücklich wird er nun sein, daß er ihn so lange ganz für sich allein hat. Ich bin auch glücklich, daß ich endlich einmal mein armes Kind ganz für mich allein habe, und daß ich neben dem Sammeln mal wieder meine Wirtschaft in Ordnung bringen kann.

Heute kam Dein lieber Brief, der mich sehr aufgeregt hat. Du siehst, ich schreibe sofort, und ich habe auch die Absicht, Dir sehr ausführlich zu schreiben. Du schiltst mich, Du fragst so viel, und Du machst mir so bittere Vorwürfe, daß ich Euch nicht das Kind gelassen habe. Du willst wissen, ob das alles wahr ist, was Vater Dir über unser Leben erzählt hat. Ach ja, der arme, alte Vater ist sehr unglücklich, daß es uns nicht besser geht. Du bietest uns Dein Heim an. Du übst große Geduld an mir, denn so wie Ihr mein Tun auffaßtet, müßtet Ihr ja böse und ungeduldig sein. Lieber Karl! Durch all die Mißverständnisse hindurch habe ich doch immer Deine brüderliche Liebe gefühlt. Deine Fürsorge werde ich Dir nie vergessen, und ich komme zu Dir mit meinem übervollen Herzen. Ich erzähle Dir alles, sind wir doch innerlich verbunden durch unsere gemeinschaftlich verlebte Jugend in unserm Elternhaus in der Niederstadt. Ach das kleine liebe Haus! Mir ist's, als ob Jahrhunderte vergangen wären, seit unsere gute, kluge Mutter in ihrer stillen Weise da schaltete. Wenn ich daran vorbeikomme, möchte ich bitterlich weinen. Wieviel hab' ich gekämpft und gelitten, seit ich die Niederstadt verließ! Wieviel hab' ich gelernt, und wieviel von der Welt gesehen! Ein Zurück gibt's nicht. Nein, lieber Karl, auch nicht zu Dir, trotzdem ich weiß, daß ich bei Euch in bequemen und geschützten Verhältnissen wäre. Nicht zurück!

Sieh, jedesmal, wenn ich Charitas in fremde Hände geben muß, frage ich mich wieder und wieder: »Was ist meine erste Pflicht: soll ich meinem Mann die Gehilfin, oder soll ich dem Kind die Mutter sein?« Aber wie nun auch mein Herz entscheiden mag, die Verhältnisse fragen nicht danach. Wilhelm sagt – und das sehe ich auch ein –, wir müssen reisen, das hängt notwendig mit dem Beruf zusammen; das wußte ich, als ich zurückkam; und ich wußte auch, daß ich die Last durch die Länder schleppen muß. Ich habe mich selbst dazu erboten; Wilhelm hat es nicht von mir verlangt. Der Korb scheuerte mir den Rücken wund, und ich machte den Vorschlag, ob wir es nicht mit einem Wagen und Hund versuchen wollten. Der Wagen bietet den Vorteil, daß wir viel mehr unterbringen können als im Korb, es hat aber anderseits auch seine Schwierigkeiten, denn es ist ein schwerfälliges Vorwärtskommen, selbst wenn Wilhelm dann und wann schiebt. Du fragst erzürnt, weshalb denn nicht Wilhelm trägt, wenn nun einmal getragen werden muß. Habe ich Dir denn nicht oft genug gesagt, daß Wilhelm ein gebildeter, feiner, gelehrter Herr ist, der einen zarten Körper hat. Begreife das doch! – Er kann es nicht. Ich kann es, und warum sollte ich es nicht tun? Hat es doch Stunden für mich gegeben, in denen mir das Leben nichts wert war, – es schien mir damals viel leichter es wegzuwerfen – wofür sollte ich mich schonen? Als ich in Siebenbürgen den Entschluß zur Rückkehr faßte, nahm ich mir vor, alles auf mich zu nehmen. Wilhelm hat mir nichts aufgebürdet; ich habe mich freiwillig erboten; und da wir so arm sind, wüßte ich auch wirklich keinen andern Ausweg.

Denke nun nicht, daß Du uns Geld schicken sollst; ich merke so etwas aus Deinem Brief; sieh, das würde bei uns gar nicht angebracht sein; gründlich helfen könntest Du uns doch nicht, und Wilhelm ist sehr stolz, ich glaube, er verhungerte lieber, als daß er sich auf die Weise helfen ließe.

Der äußere Mensch darbt, das gebe ich zu, nicht aber der inwendige. Lieber Karl, was erlebe ich alles! Bücher könnte ich damit füllen, wollte ich Dir die Eindrücke schildern, die die verschiedenen Länder in meiner Seele zurücklassen, oder wollte ich Dir die Gespräche wiederholen, die ich hören, oder an denen ich teilnehmen darf. Das ist das Schöne in unserem Beruf; er führt uns immer mit gebildeten und gelehrten Leuten zusammen.

So ganz leicht und einfach ist die Sache nicht, ich gehe jedesmal mit einem gewissen Zagen zu den gelehrten Herren, denn Ihr könnt Euch doch wohl vorstellen, daß mein äußerer Mensch nicht in vornehme Häuslichkeiten paßt. Zu Leanka sagte ich einst: »Rein und heil«; und der Standpunkt erschien ihr zu niedrig. Ach, was würde sie sagen, wenn sie mich jetzt sähe? Ich mag mich manchmal selbst kaum sehen! Wenn ich dann aber meinen Namen nenne und die Botanik ins Feld führe, dann werden die Herren aufmerksam, und fast immer fragen sie: »Hängen Sie etwa mit dem Ziegenhainer Botanikus zusammen?« und wenn ich das bestätige, wollen sie mir im Konversations Lexikon den Stammbaum zeigen. Ich wehre dann lachend ab und sage: »Als ob mir der nicht von Adam an seit meiner Brautzeit bekannt wäre!«

Wir kommen dann auf dies und das, und bald vergesse ich mein dürftiges Äußere.

Man begegnet mir in den gebildeten Ständen überall mit großer Achtung, ich werde mit der Familie bekannt gemacht, und oft wird noch der oder jener Professor dazu geholt. Ich freue mich, daß ich meine Beobachtungen in der Natur mitteilen kann. Es wird dann auch gekauft, bestellt und getauscht; und ein so anregendes Zusammensein entschädigt mich auf lange hinaus für kommende Strapazen.

An meinem Hektor habe ich einen guten, treuen Reisegefährten. Ich bin soweit gekommen, daß ich schon ganz selbständig reisen kann, und da ist es mir lieb, wenn ich ein lebendes Wesen zur Seite habe. Wir beide verstehen einander vortrefflich. Durch die langen, einsamen Wanderungen habe ich mir's angewöhnt mit Hektor zu sprechen, als wäre er ein Mensch. Wenn wir nun stundenlang, ohne uns Ruhe zu gönnen, ohne die mindeste Erquickung, uns abgeplagt haben, steht er plötzlich still, sieht mich keuchend, mit herausgestreckter Zunge ordentlich vorwurfsvoll an; er tut mir dann so bitter leid, und ich sage teilnehmend, während ich ihm das Fell streichle: »Hektor, du weißt doch, wenn ich etwas habe, teile ich es mit dir, sieh, ich habe auch Hunger und Durst, ich bin auch müde, aber es nützt doch nichts, daß wir beide hier stehen und einander unsere Not klagen. Meinst du nicht, wir wollen lieber weiter? Komm, mein alter, guter Kerl, komm, zieh an!«

Er sieht mich dann so klug an, in seinem feuchten Blick liegt Entsagung und guter Wille, und unverdrossen ziehen wir gemeinschaftlich unsere Last weiter.

Welche Eindrücke bekomme ich da! Geht die Reise im Sommer vor sich, so halten wir oft, wenn es etwas zu sammeln gibt. Ich spanne Hektor aus, setze mich in den Schatten an einen Wegrain und lege die Pflanzen sofort in Papier. Hektor liegt zu meinen Füßen und blinzelt müde zu mir herüber.

Es ist viel vorteilhafter, wenn ich allein reise, und Wilhelm arbeitet im Hause. Wenn Wilhelm auch weiter keine Ansprüche macht, so kann er als gebildeter Herr sich nicht so behelfen, wie ich das kann. Daraus mache ich ihm keinen Vorwurf, bewahre! es liegt in der Natur der Sache. Wilhelm muß nachts doch ein Bett haben, mir ist's ganz einerlei; ich bin abends immer so müde, daß ich grade so gut auf einer Schütte Stroh schlafe wie in dem weichsten Bett. – Manchmal freilich bin ich auch recht mutlos.

Wenn ich in gebirgigen Wäldern sammle, sehe ich oft mit Staunen, wie manche Bäume, besonders Birken und Tannen, ohne ein Krümchen Erdreich in die Höhe wachsen. Mit all ihren Wurzeln umklammern sie fest ein kahles Felsstück. Ich sehe sie verwundert an und frage: »Wovon nährt ihr euch? Man sieht euch nicht einmal das Darben, den Hunger an, so streckt ihr eure grünen Wipfel gen Himmel. Ach, mein Los gleicht dem euren, dürr und liebeleer ist auch mein Nährboden, aber ihr sagt mir, daß man trotzdem grünen und gedeihen kann.«

Meine Stimmungen wechseln wie das Wetter. Peitscht mich der Regen, und geht es mit dem schweren Wagen bergan, dann beneide ich den Steinklopfer auf der Straße. »Siehst du, Hektor,« sag' ich, »der weiß, daß er zur rechten Zeit sein Essen kriegt, und wo er heute abend sein müdes Haupt hinlegt.« Hektor sieht mich dann verständnisvoll an und bellt zustimmend: »Ja, ja!«

Komme ich aber von den Professoren, dann fühle ich mich reich und glücklich, und ich sage zu Hektor: »Was fällt dir ein? Schielst du nach den fetten Bauernhöfen! Haben wir's nicht gut, daß wir im Sonnenschein wandern und alles bewundern dürfen, was uns vor Augen kommt?« Wie findest Du das: in Marburg bat mich ein Professor, doch mit ihm und seinen Studenten eine Exkursion in die Umgegend zu machen, um ihnen zu zeigen, wie man zu sammeln hätte. Das mochte ich aber doch nicht. Ich kann wohl einen einzelnen anleiten, aber eine ganze Schar? Wilhelm kann das. Manchmal kommen die Lehrer mit ihren Seminaristen, oder die Professoren aus Tharand mit den Studenten von der Forstakademie; denen hält Wilhelm Vorträge und geht mit ihnen in den nahen Zellaer Wald, und da wird unter seiner Anleitung gesammelt.

Es verkehrt niemand bei uns, der nicht naturwissenschaftliche Interessen hat. Von den adligen Gütern im weiten Umkreis kommen die jungen Hauslehrer und nehmen Stunden bei Wilhelm. Es sind ihm auch Anträge von Schulen und Museen gemacht, – ach, wie gerne möchte ich, daß er eine derartige Stelle annähme, – er tut es aber nicht. »Meinetwegen Schwarzbrot, – aber Freiheit,« sagt er stolz.

D. 10. Juli 1858.

Aus dem Briefe wird ein Buch, wenn ich so fortfahre. Ich hätte abends auch eigentlich noch anderes zu tun; aber wenn das Kind zu Bett ist, und alles um mich so still ist, da kommt mir die Einsamkeit meiner Lage doppelt zum Bewußtsein. Ja, Karl, ich fühle mich hier sehr vereinsamt, trotzdem ich in meiner Heimat bin. Wenn ich von einer Reise zurückkomme, ist's mir immer, als träte ich in eine mir ganz fremde Welt. Ich komme hier ja überhaupt wenig zu Menschen; aber ich muß doch besorgen, was wir brauchen; und das führt mich mit dem einen und anderen zusammen. Wie sie uns auslachen! Manche fühlen sich berufen, offen ihre Meinung auszusprechen; und die nicht sprechen, mustern mich mit spöttischen Blicken.

Aber das alles würde ich ja freudig auf mich nehmen, wenn nur Wilhelm wieder so wäre wie in den ersten Jahren. Wie half da die Liebe die Last tragen! – Immerhin ist es mir doch eine große Freude, daß Wilhelm wenigstens Anerkennung für meine Fortschritte hat; er sagt, ich könnte jetzt schon gut unsern Namen vertreten; und vor allem wäre es praktisch, wenn ich die Sammelreisen im Sommer allein unternähme. Wenn ich reise, fehle ich natürlich hier. Nachtwächter Christel sieht manchmal nach dem Rechten, aber es wird mir doch immer schwer.

Denke nur, vorigen Sommer habe ich ganz selbständig eine Fußwanderung in die Salzburger Alpen gemacht. Wilhelm hat recht; man lernt ganz anders, als wenn man sich in den Dampfwagen setzt und durch die Länder saust. Besonders in unserem Beruf, wo wir so auf das Beobachten und Sammeln angewiesen sind, müssen wir möglichst zu Fuß gehen. Nicht nur das Leben in der Tier- und Pflanzenwelt erschließt sich uns auf Fußwanderungen besser, nein, wir lernen auch Land und Leute ganz anders kennen. –

Die Salzburger Reise machte ich mit dem Tragkorb. In Salzburg ließ ich mir an den Alpenstock ein Schmetterlingsnetz machen. Uns fehlte in den Sammlungen ein Schmetterling, den ich in den Alpen suchen sollte. Da ich ihn nicht kannte, zeigte Wilhelm mir sein Bild in einem Buche und las mir die Beschreibung vor. Damit Wilhelm sieht, daß ich verstanden habe, worauf es ankommt, muß ich die Beschreibung wiederholen. Da der Apollo, so heißt der Schmetterling, besonders auf dem Untersberg vorkommen soll, so bin ich da hinaufgeklettert. Ich bin viel länger da oben geblieben, als ich vorher dachte. Ich habe eine reiche Ausbeute an seltenen Alpenpflanzen gehabt und habe viele von den gewünschten Schmetterlingen gefangen und immer alles gleich nach Hause geschickt.

Wieviel erhebende, großartige Eindrücke habe ich wieder auf dieser Reise aufgenommen. Beschreiben kann ich Dir das nicht alles. Wenn aber die wunderbar schöne Welt zu meinen Füßen liegt, dann mache ich mir Vorwürfe über all die kleinlichen Sorgen, die mir oft die Seele beunruhigen.

Elf Wochen war ich unterwegs. Wilhelm sprach sich anerkennend aus über alles, was ich gesammelt hatte.

Jetzt habe ich immer nur von mir erzählt, und doch schreibst Du ausdrücklich, daß Ihr recht viel von Charitas hören möchtet. Wie kann ich darüber schreiben; Du müßtest uns zusammen sehen. Wie schön ist grade dieser Sommer mit ihr, wo wir uns beide so frei bewegen können. Wenn Wilhelm hier ist, ist es für das Kind nicht leicht. Wilhelm beansprucht alle freie Zeit; sie muß tüchtig helfen. Wenn ich da bin, sorge ich dafür, daß sie wenigstens in der Dämmerung noch ein Stündchen auf die Straße kommt, um mit anderen Kindern zu spielen. Nach dem Abendbrot muß sie im Winter oft bis Mitternacht vorlesen, während wir unsere Papparbeiten machen. Wie könnte ich es aushalten ohne das Kind!

Du solltest die Freude und das Glück sehen, wenn ich von einer Reise zurückkomme. Ich habe mit dem Lehrer gesprochen, habe ihn gebeten, mir Charitas möglichst viel zu lassen, wenn ich grade zu Hause bin. Es wird mit der Schule nicht so genau genommen. Nun wandern wir zusammen. Ich mache oft weite Touren, die manchmal mehrere Tage dauern; da macht sie alles mit mir durch. Sie bekommt dann, grade so wie ich, eine Botanisierkapsel umgehängt und schreitet leichtfüßig und überglücklich über Berg und Tal. Der Schuh drückt sie nirgends, denn sie geht barfuß. Der Tag wird uns nie lang; auf Schritt und Tritt unterrichte ich sie, sie muß beobachten, was sich unserm Auge bietet; ich leite sie zum Sammeln an; und über das Geschaute muß sie Rechenschaft ablegen; ich sage ihr Namen, Klasse und Ordnung. Das, was wir mit so unsäglicher Mühe erarbeitet haben, das soll sie doch einst übernehmen und weiterführen. Ach, hoffentlich wird es ihr einmal leichter werden als uns!

Wilhelm ist bitter, daß er keinen Jungen hat; er sagt, es hat gar keinen Zweck, Charitas für unseren Beruf auszubilden; mit einem Mädchen sei bei dieser Sache doch nichts zu machen. Am liebsten will er damit die Angelegenheit erledigt haben. Da ich mich dieser Ansicht aber nicht ohne weiteres füge, so lasse ich ihm keine Ruhe. Ich möchte wissen, was wir tun können, um Charitas zu heben. Wilhelm lacht dann bitter und sagt: »Wenn wir Geld hätten, würden wir sie in eine Pension schicken, da bekäme sie wenigstens eine allgemeine Bildung. Nach Herrnhut, wie meine Tante Charitas, müßte sie, aber ist daran wohl zu denken? Können wir wohl den Pensionspreis und die Ausrüstung beschaffen?« Ich muß ja dann endlich still sein, aber wieviel quäle ich mich mit der Frage: Wie verschaffe ich dem armen Kind eine bessere Erziehung? Welchen Händen muß ich sie oft anvertrauen, wenn wir reisen! Alle Saat, die ich während unseres kurzen Beisammenseins in ihr Herz streue: wird die nicht vernichtet, wenn ich sie von mir gebe? –

Habe ich ihr den Sinn für die sichtbare und greifbare Welt erschlossen, so suche ich mit demselben Eifer ihr Empfinden hinüberzuleiten in die unsichtbare Welt. Sie ist so viel auf sich selbst angewiesen; da muß sie wissen, wo sie Trost und Hilfe in Not und Einsamkeit findet. Daß sie ein festes, furchtloses Herz bekäme: das ist mein Wunsch für sie.

Ich rede aber nicht immer auf sie ein; viel lasse ich sie plaudern und gehe möglichst auf ihre Wünsche, die sie mit stürmischer Dringlichkeit vorbringt, ein und suche sie nach besten Kräften zu erfüllen.

Nun höre ich im Geiste, wie Du fragst: »Was hat denn das Kind für Wünsche? Kann ich sie vielleicht erfüllen?« Nein, lieber Karl, ich wiederhole, schicke nichts, wir müssen lernen uns selbst zu helfen. Außerdem könntest Du für manches doch nicht eintreten. Da in unseren Räumen kein Plätzchen für Charitas übrig ist, wo sie spielen oder sich beschäftigen kann, so hat sie unaufhörlich gequält, ob sie nicht doch ein kleines Fleckchen ganz für sich haben dürfte. Ich sagte: »Gut, komm mal mit, und sieh dir selbst all unsere Stuben und Kammern an, ob du auch nur ein einziges Eckchen findest, das nicht mit Sammlungen allerart, mit Pflanzenpressen, verschiedenen Papiervorräten, Schmelztiegeln und allerlei Kisten und Kasten angefüllt wäre.«

Wir gingen von einem Raum in den andern, und sie mußte seufzend zugeben, daß ich recht hatte.

»Aber,« meinte sie nachdenklich, »sollte nicht in der Holzkammer Platz zu schaffen sein?«

»In der Holzkammer! Kind, was für ein Einfall! Da kannst du doch nicht sein? Das kleine, blinde Fenster hoch unterm Dach und die braungelben Lehmwände gefallen Dir doch nicht?«

Sie war aber ganz begeistert von dem Plan und zog mich mit in die Holzkammer.

»Sieh mal, Mutter,« rief sie, »ich trage alles Holz und die Reisigbündel in die dunkle Ecke, und die große, grüne Truhe hilfst du mir unter das Fenster schieben. Auf die Truhe stelle ich einen Stuhl, das Fensterbrett ist hübsch breit, das wird dann mein Schreibtisch. Hier daneben schlage ich ein Paar große Pflöcke ein und lege ein Brett darauf, dann habe ich auch noch einen Nähtisch. Und sieh, diese kleine Kiste hier nagle ich mit dem Boden an die Wand, der Schiebedeckel ist die Tür: da habe ich meinen Bücherschrank, da hinein kommt auch Tinte und Papier. O, und wenn ich dann frei habe, gehe ich in mein liebes, kleines Stübchen und setze mich an meinen Schreibtisch auf dem Fensterthron und schreibe!« Sie lief jubelnd in dem halbdunklen Raum umher und schleppte, rückte und räumte und rief glückstrahlend: »Einen richtigen Schrank mit einer Schiebetür hab' ich! O, wie wird meine Stube wunderhübsch! Sieh nur, wie schön!« Und sie führte mich an die Truhe.

»Was willst du denn da schreiben?« fragte ich lachend.

»O,« antwortete sie, »wenn du fort bist, bin ich immer so sehr traurig. Wenn ich allein bin, rede ich laut mit dir, ich erzähle dir alles, ich frage dich auch; das will ich nun alles schreiben. Ich lege alles in den Schrank mit dem Schiebedeckel, und wenn du wiederkommst, – dann – ach nein, dann erzähl' ich dir doch lieber. Aber ich glaube, wenn ich schreibe, weine ich nicht so viel. – Und weißt du,« fuhr sie fort, »Sonntags lade ich mir Kinder ein, dann spielen wir schön. Vater wird dann gar nicht gestört. Nein, was nur die Nendel Ernestine sagen wird, daß ich eine so schöne Stube habe!«

»Und wo soll die sitzen? Auf der Truhe kann nur ein Stuhl stehen.«

»Wir wechseln uns ab!« Und als sie sah, wie mein Blick prüfend durch den Raum glitt, sagte sie, wie sich selbst tröstend: »Weißt du, Mutter, Nendel Ernestine ist gar nicht wie du, wenn ich der erzähle, daß das eine schöne Stube ist, dann findet sie das auch. Mutter, ich weiß mich vor Freude gar nicht zu lassen!«

Da mußte ich durch Tränen lachen, nahm sie in die Arme und sagte: »Ja, Charitas, du hast ganz recht, du bist ein sehr glückliches Kind.«

Seid auch Ihr beruhigt über uns, denn Ihr seht: wir haben auch unsere Freuden. Lebt endlich herzlich wohl, und behaltet uns lieb.

Eure

treue Schwester

Amalie Dietrich.


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