Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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28

Cäsar Godeffroy

Der Gedanke an Godeffroy ließ Amalie keine Ruhe; wenigstens die Straße und das Haus wollte sie sich ansehen, wenn auch nur von draußen. Sie war in fieberhafter Aufregung. Welche Pracht würde den Fürsten der Südsee umgeben! Aber konnte denn dies die richtige Adresse sein? Der »Alte Wandrahm« war eine düstere Straße mit hohen, großen Häusern, die die Giebelseite der Straße zukehrten.

Da drüben lag Nr. 26. Das ganze Haus hatte etwas so Ernstes, Verschlossenes. Hier, das ahnte Amalie, wurde ernst gearbeitet; dies war eins der alten Patrizierhäuser, von denen sie oft gehört hatte. Wie es sie hinzog zu dem alten, würdigen Hause. Ob sie es wagte hineinzugehen? –

Da drüben waren aber zwei Eingänge, welchen sollte sie wählen? Zu der Haustür links führte eine kurze Treppe mit blank geputztem Messinggeländer; diese Tür war verschlossen. An der rechten Seite führte zu ebener Erde ein offener Torweg in einen langen Gang. Amaliens Blicke irrten von dem einen Eingang zu dem anderen.

Sollte sie? – Der offene Eingang war entschieden einladender als der verschlossene. Was konnte ihr denn passieren? – Sie wagte es. – Sie sah, daß weiter hinten im Gange Fässer, Ballen und Kisten standen. Die Tür dem Eingang gegenüber gewährte den Ausblick auf einen geräumigen Hof, der von hohen Speichern eingeschlossen war. In der Mitte des Ganges führte links eine kurze Treppe in ein Hochparterre. Unsicher erstieg Amalie die wenigen Stufen und befand sich nun vor einer Tür, an der »Kontor« stand. Auf ihr schüchternes Klopfen rief jemand sehr laut: »Herein!«

Der große Raum, in den sie jetzt trat, war durch eine Schranke in zwei ungleiche Teile geteilt. In der geräumigeren Hälfte standen eine Anzahl hoher Pulte, an denen viele junge Leute eifrig mit Schreiben beschäftigt waren. Einer der Herren trat an die Schranke und fragte in geschäftsmäßigem Ton nach Amaliens Begehr. Verlegen und verwirrt fragte sie nach Herrn Godeffroy. Der junge Mensch ließ seinen Blick erstaunt flüchtig über Amaliens Gestalt gleiten und ging in einen Nebenraum. Gleich darauf erschien ein hoch gewachsener, stattlicher Herr. Sein charakteristisches, scharfgeschnittenes Gesicht war glatt rasiert, die Züge hatten etwas Festes, Strenges. Die ganze Haltung drückte Hoheit und Würde aus, und der Eindruck des Unnahbaren wurde durch den tadellosen Anzug sowie durch die hohen, steifen Vatermörder noch verschärft.

Das war Cäsar Godeffroy.

»Sie wünschen mich zu sprechen?« fragte er kurz.

Was lag alles in den paar Worten. Mißbilligung, – Staunen, – Ungeduld. Alles, was Amalie hatte sagen wollen, war plötzlich wie weggeblasen. Ihr war zu Mute, als stände sie vor ihrem Richter, und als sie nun noch bemerkte, daß die jungen Leute alle die Köpfe nach ihr drehten, wurde ihr nicht leichter ums Herz. Verworren und ungeschickt erzählte sie, wer sie sei und was sie wünsche. In das strenge, gebietende Gesicht jenseits der Schranke kam keine Bewegung; kurz, in geschäftsmäßigem Ton, fielen die Worte wie Hammerschläge an ihr Ohr: »Was denken Sie denn? Glauben Sie, daß wir Leute, die mal eben von der Straße hereinkommen, gleich anstellen? Wünschen Sie fremde Länder zu sehen, so bezahlen Sie einen Platz auf einem unserer Schiffe. Unsinn! – Noch dazu eine Frau! Was machen Sie sich wohl für einen Begriff von unseren Forderungen!«

Fest, sicher, hocherhobenen Hauptes schritt Godeffroy wieder ins Nebenzimmer.

Beschämt, gedemütigt, schweren Herzens trat sie den Heimweg an. War ihre Hoffnung so stark gewesen, daß sie sich jetzt so enttäuscht fühlte? –

Am Abend ging sie an die Alster und erzählte, wie es ihr ergangen war.

Doktors hörten teilnehmend zu, und als sie geendet hatte, sann der Doktor eine Weile nach, dann sagte er: »Die Sache ist ja nun aus; und da ist es zwecklos, Ihnen jetzt zu sagen, daß Sie es verkehrt angefangen haben. Schade, daß wir die Einzelheiten nicht vorher besprachen. So ging es ja natürlich nicht. Vielleicht ist's auch wirklich nichts für Sie. – Jetzt schlagen Sie sich die Sache aus dem Sinn. So wie Sie vorgegangen sind, konnte Godeffroy gar nicht anders handeln. Er kennt Sie nicht; niemand hat ein gutes Wort für Sie eingelegt. Nein, – Sie hätten nicht hingehen dürfen, ich hätte gelegentlich an der Börse ein vorbereitendes Wort sagen können. Ja, so hätten wir's machen müssen. Aber geben Sie sich zufrieden, Godeffroy will keine Frau ausschicken, und kein Mensch kann ihn überreden, Leute anzustellen, zu denen er nun mal kein Zutrauen hat.«

»Ist wirklich alles vorbei?«

Der Doktor sah Amalie erstaunt an und sagte: »Ja, Sie selbst erzählen es mir doch soeben!«

»Könnten wir es nicht noch einmal versuchen? Wenn Sie nun jetzt noch an der Börse das Wort sagten?«

»Aber Sie sind doch endgültig abgewiesen! Haben Sie denn wirklich Lust und Mut, Godeffroy Ihre Dienste noch einmal anzubieten?!«

»Ach, was würde ich nicht tun, um in meinem Beruf weiter zu arbeiten!«

Ein Blick warmer Teilnahme traf Amalie, der Doktor stützte den Kopf in die Hand und sann eine Weile nach, dann sagte er lebhaft: »Wenn Sie wirklich diesen Plan weiter verfolgen, so müssen wir uns überlegen, wie wir Godeffroy das Vertrauen stärken können. Vorläufig hat er es doch nicht! – Sie sind ja mit so vielen Botanikern bekannt, wie wäre es, wenn Sie einigen dieser Herren schrieben und sie, nach Darlegung der Sachlage, um eine Art Zeugnis bäten. Diese Herrn haben doch gerade so gut einen Eindruck von Ihnen bekommen, wie wir es haben? Diese Meinung können sie doch in kurzen Worten aussprechen!«

Amalie seufzte. Würden sie das tun? Aber sie wollte nichts unversucht lassen.


In den nächsten Tagen saß Amalie in Madame Piepenbrinks Stube. Hier war es ruhig, denn die Fenster gingen nach dem Fleet hinaus. Mit Hoffnung und bangem Zagen schickte sie ihre Briefe in die Welt und wartete mit fieberhafter Ungeduld auf die Antwort. Endlich kam der erste Brief. Er war aus der Heimat, aus Tharand, von Professor Moritz Willkomm. Wie Amaliens Hand zitterte, als sie das Kuvert öffnete. – Zwei kurz gefaßte Schriftstücke fielen ihr entgegen. In dem Briefe sprach der Professor seine freudige Bereitwilligkeit aus, ihr zu helfen. Das andere Schreiben lautete:

»Seit einer Reihe von Jahren ist mir Frau Amalie Dietrich als tüchtige Botanikerin bekannt. Als Schülerin ihres Mannes: Wilhelm Dietrich, der der altbekannten botanischen Familie angehört, hat sie eine vortreffliche Anleitung gehabt. Die Sammlungen, welche von Wilhelm und Amalie Dietrich in den Handel kamen, waren stets empfehlenswert, sie waren sorgfältig präpariert und mit Geschmack und Verständnis geordnet. Frau Dietrich hat für ihren Beruf eine ungewöhnliche Begabung, einen scharfen, gut geschulten Blick für alles, was die Natur bietet, und eine große Sicherheit im Bestimmen des gesammelten Materials. Auf ihren weiten und meist sehr beschwerlichen Reisen hat sie stets große Ausdauer und Tapferkeit bewiesen. Ich kann ihr nur wünschen, sie möge eine Tätigkeit finden, wo ihre große Begabung die rechte Betätigung findet.

Professor Dr. Moritz Willkomm
Forstakademie Tharand, 1862.

O, welcher Zauber ging von dem Stückchen Papier aus! So dachte man über sie? –! Ganz überwältigt legte sie den Kopf auf den Tisch und schluchzte, daß ihr Körper bebte.

In den nächsten Tagen liefen die übrigen Antworten ein, und alle waren in demselben Sinne abgefaßt wie die erste. Als sie alle beisammen hatte, ging sie an die Alster.

Johann wollte sie melden, sie schob ihn aber erregt beiseite und sagte: »Lassen Sie mich gleich zu Herrn Doktor!« Der saß in seiner Bibliothek, und zwar so, daß er der Tür den Rücken kehrte. Er war so in seine Arbeit vertieft, daß er Amaliens Kommen nicht bemerkt hatte. Amalie trat von hinten her an ihn heran, legte ein umfangreiches, dick angefülltes Kuvert vor ihn hin und sagte mit bebender Stimme: »Hier! – Meine Zeugnisse! –«

»Hallo! – Sind Sie es, Frau Dietrich? –! Aber so setzen Sie sich doch!«

Er las alles durch, dann reichte er Amalie bewegt die Hand und sagte: Das ist eine Freude! – Ich muß sagen, ich hatte es so erwartet; aber man mag seine Erwartungen doch gern bestätigt sehen. – Sehen Sie, nun haben wir's wohl richtig gemacht. – Damit,« und der Doktor reichte ihr das Kuvert zurück, – »gehen Sie nun morgen zu Godeffroy, – ich habe ihn übrigens auf Ihr Kommen vorbereitet.«

»Ach, das haben Sie getan!« rief Amalie erregt.

»Ja wohl! Aber nun machen Sie's richtig! Wählen Sie auch den rechten Eingang!«

Mit einem freundlichen Scherzwort wehrte er jeden Dank ab.


Am nächsten Tage meldete der Diener bei Godeffroy: »Frau Dietrich aus Sachsen mit einer Empfehlung von Herrn Dr. Meyer.«

»Sie mag kommen.«

Der Diener wies sie in den kleinen teppichbelegten Nebenraum, Godeffroy stand hoch aufgerichtet an seinem Schreibtisch.

»Würden Sie, bitte, einen Einblick in diese Papiere tun?«

»Papiere? – Setzen Sie sich! – Na, Sie kommen doch wieder? Nicht bange geworden, hm? – Na, lassen Sie mal sehen!«

Godeffroy setzte sich auch, und eine lange Weile hörte man nichts als das regelmäßige Ticken des Regulators. Vergebens suchte Amalie in den Zügen Godeffroys zu lesen, sein Gesicht blieb ernst und unbeweglich. Endlich aber legte er die Hand auf die Papiere und sagte: »Gute Namen! – Leunis, – Hofrat Reichenbach, – Garke, – alles gute Namen. Und was die Herren über Sie aussagen, ist auch gut, sehr gut sogar! Ihr Entschluß steht fest, wie ich sehe. Nun, gesund sind Sie, das ist ja auch in Betracht zu ziehen. Die Papiere lassen Sie vorläufig hier, ich werde sie meinem Sohne zeigen. Kommen Sie in den nächsten Tagen wieder vor, damit wir der Angelegenheit näher treten. Sie sind einverstanden, wenn wir Sie nach Australien schicken?«

»Ja, ich bin einverstanden,« sagte Amalie fest.

»Nun, dann auf Wiedersehen!«


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