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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Die Vorbereitungen zur Operation beängstigen die Kranken eigentlich noch schwerer als die Operation selbst.

Der Rittmeister hatte verlangt, daß man ihm den Tag nenne, und der Professor hatte ihm willfahrt. Als der Rittmeister früh erwachte, rief er mich und fragte:

»Ist schon Tag?«

»Es dämmert.«

»Also heute entscheidet sich's, ob ich je noch einen Tag sehe oder ob ewig Nacht.«

Er verlangte zu essen, und als ich ihm sagte, daß er vorher nichts essen dürfe, lachte er laut auf. »Also Fasten muß man auch lernen!« Dann lag er lange still, und endlich sagte er vor sich hin: »Ich habe ein ruhiges Gewissen . . . Was seufzest du?« schrie er plötzlich auf. Ich hatte es unterdrückt, ihm zuzurufen: Du Räuber und Mörder! Wie kannst du von ruhigem Gewissen reden?

Der Rittmeister wurde hinabgeführt, er ließ alles mit sich geschehen ohne einen Laut. Unser Professor hat ihn chloroformiert, und wie ich ihn so leblos daliegen sah, griff es mich doch an; jetzt aber durfte man an nichts anderes denken, ich mußte alles in die Hand geben und aus der Hand nehmen.

»Wann fangen Sie an?« fragte der Rittmeister mit schwacher Stimme.

»Es ist geschehen, und jetzt nur ruhig, volle Ruhe,« sagte ihm der Professor.

»Ist Gitta da? Gib mir die Hand, Gitta,« sagte der Rittmeister mit wunderbar sanfter Stimme. Ich gab ihm die Hand und kann sagen, ich habe ihm von ganzem Herzen volle Heilung gewünscht. Aller Haß und aller Zorn war mir aus der Seele genommen. Ja, er soll sehend werden und wieder gut machen. Freilich, meinen Vater kann er nicht mehr zum Leben bringen. Aber daran darf ich jetzt nicht denken.

Als der Rittmeister wieder in sein Zimmer zurückgebracht war, fragte er: »Warum spielt die da oben nicht?«

Der Professor winkte mir zu und sagte, es dürfe jetzt nicht gespielt werden; man werde heute das Klavier fortschaffen.

Der Professor ging rasch davon. Der Rittmeister verlangte nach Rack. Das gute Tier hat's gewußt, daß man bald nach ihm verlangt; heut zum erstenmal ist er ungeheißen zum Rittmeister gegangen und hat den Kopf hingelegt, damit der Kranke seine Hand drauflege.

Der Rittmeister schlief bald ein, Rack zog sich leise zurück und legte sich vor mir nieder, er that, als ob er schlafe, aber oftmals blinzelte er zu mir auf. Immer wieder mußte ich denken, wie ist es denn möglich, daß der Hund so alles weiß? Rack aber schüttelte den Kopf, wie wenn er sagen wollte: Besinn dich nicht, du bringst es doch nicht heraus, so wenig als ich die Worte herausbringe, die ich dir sagen möchte. Wenn der Hund aber in diesem Augenblick zu reden angefangen hätte, ich hätte mich gar nicht darüber gewundert, und wie ich ihn jetzt bei den Ohren faßte und streichelte, da verzog er die Lefzen, wie wenn er lachen möchte und bedauerte, daß er das doch nicht könne.

Der Rittmeister wachte auf und frug: »Wie lang ist's, daß ich operiert bin?«

Ich sagte ihm, daß er nur eine gute Stunde geschlafen. Der Rittmeister sprach nun mit großer Erkenntlichkeit davon, wie geschickt und leicht der Professor alles gemacht habe. Ich konnte ihm dagegen von dem großen Doktor von Berlin reden, von dem er's gelernt hatte.

Ich in meiner Einfältigkeit erzählte weiter von dem großen Doktor und schüttelte mein ganzes Herz aus. Mitten drin spürte ich's, daß es nicht wohlgethan war, diesem Mann das zu erzählen; aber ich habe doch fortgeredet, als wenn es sein müßte. – Dazwischen habe ich auch gedacht: wenn er hört, was es für heilige Menschen gibt, wird er sich in seiner Seele umwenden und einen andern Weg gehen.

Er sagte mir kein Wort darauf, und ich fragte, ob er nun nicht essen wolle; er bejahte. Ich klingelte danach, und eben als die Magd das Essen brachte, wurde über uns gerückt und gepoltert.

»Was ist?« frug der Rittmeister, »was ist? Wird das Dach über mir abgebrochen? wird das Haus eingerissen?«

Die Magd sagte: »Es ist weiter nichts, man bringt die Leiche der Frau fort, die sich die Augen ausgeweint hatte.«

Ich stand in Verzweiflung, daß die alberne Person das heraus sagte und noch hinzufügte:

»Essen Sie nur jetzt.«

»Fort! Fort!« schrie der Rittmeister und schleuderte das Geschirr auf den Boden, daß alles zusammenbrach, dann wendete er sich um. Das durfte er ja nicht, er durfte sich ja nicht bewegen.

Ich schickte nach dem Professor, er kam und sagte, es habe in diesem Fall nichts zu bedeuten. Ich wußte nicht, was das heißen sollte.

Gegen Abend erwachte der Rittmeister wieder und verlangte zu essen, ich gab es ihm, und er sagte:

»Es ist doch nicht wahr. Nein, es gibt keine Liebe . . .«


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