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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

»Wenn du es noch nicht weißt, sollst du es von heute an wissen; ich war eine Jüdin und bin Christin geworden; ich wurde zugleich mit meinem Manne getauft, bald nach unserer Hochzeit. Mein Mann war ungläubig, ihm waren alle Religionsformen gleichgültig. Solange die Juden nicht die gleichen Rechte wie die Christen hatten, wäre er nie Christ geworden, denn er fand es verwerflich, durch Uebertritt zu einer andern Religion einen Gewinn zu erringen. Nun aber schwand durch neue Gesetze jeder bürgerliche Unterschied zwischen den Religionen. Wir ließen uns in der protestantischen Kirche taufen. Mein Mann blieb ungläubig, ich für mich habe eine inbrünstige Liebe zu Jesus Christus, der durch Leben und Lehre so hoch steht, wie keiner außer ihm.

»Freilich, was viele Geistliche aus ihm machen, das macht ihn unkenntlich. Er würde viele seiner Bekenner aus dem Tempel jagen, wenn er sähe, wie sie die Nichtchristen und vor allem die Juden ansehen. Wenn die Apostel heute noch lebten, müßten sie sich getaufte Juden nennen oder vielmehr schelten lassen, denn die Menschen christlicher Abstammung sagen das mit einem gewissen Hochmut.

»Mein Mann war ein gut beschäftigter Arzt, voll Eifer für seinen Beruf und immer einer der ersten, wenn für die Gemeinde und das ganze Land etwas zu thun war.

»Da kam die Revolution vom Jahre 1848 und dann das Jahr drauf die provisorische Regierung in unserem Lande. Mein Mann wurde in dieselbe berufen. Sie wurde niedergeworfen, mein Mann wurde ins Gefängnis gebracht, der standrechtliche Tod drohte ihm. Ich in meinem damaligen Zustande litt unsäglich. Das Kind war tot, und da man für mein Leben fürchtete, durfte mein Mann mich auf meinem Krankenlager besuchen. Zwei Soldaten mit Ober- und Untergewehr traten mit ihm in mein Zimmer. Ich will nicht erzählen, was wir litten; wir hielten uns stark. Wir sahen uns zum letztenmal. Ich wurde wieder gesund, soweit das Gesundheit ist; mein Mann starb im Gefängnis, ich erfuhr es erst nach Wochen, als ich aus dem Fieber erwachte.

»Mein Mann ist auf dem protestantischen Kirchhof der Festung begraben. Ich mußte meines Brustleidens wegen in die südliche Schweiz.

»Ich könnte dir tagelang erzählen. Man hat daran gearbeitet, mir die Seele zu verbittern; es ist nicht gelungen, sowenig es gelungen ist, meinen Vorfahren durch bald zwei jahrtausendelange Qualen das Gemüt zu verderben und sie zu entmenschen.

»Nur eins will ich erzählen. Ich lebte in einer Pension, in der fast nur Deutsche waren. Es war ein schönes geselliges Zusammenleben, bis ein Geistlicher aus – ich will den Ort nicht nennen, die anderen Bewohner sollen damit nicht gekränkt werden – also ein Geistlicher kam, der auch krank war.

»Man sah mir wohl die geborene Jüdin an, ich hatte kohlschwarzes Haar, und nun begann ein Zischeln und Heimlichreden, das mich aber wenig kümmerte.

»Der Geistliche fühlte sich stark genug, sein Amt auch hier zu üben, und er predigte, sich auf Bibeltexte berufend, in den bittersten Worten gegen die Juden.

»Alles sah auf mich, und sie mögen's mir angesehen haben, daß ich dieser Anwendung des Textes widersprach. Der Geistliche hatte ein Zorneswort des Apostels, das noch mitten im Kampfe um die neue Lehre ausgestoßen war, auf die Gegenwart angewendet. Er verstand nicht, die Hoheit Jesu Christi zu fassen und jene erhabene Heilsbotschaft, daß alle Menschen Kinder Gottes sind.

»Ich kam in den Gesellschaftssaal, alles zog sich von mir zurück; ich sah, daß ich in Acht und Bann gethan war. Ich verließ das Haus und zog in ein anderes.

»Ich hätte ja leicht sagen können, ich bin getauft, aber ich schämte mich dessen, daß sich Menschen nach dem Heiland nennen und so zu handeln vermögen.

»Ein Edelmann aus Pommern, er war auch Rittmeister, war der einzige, der sich meiner annahm.

»Er hatte bisher keinen Menschen jüdischer Abstammung und jüdischen Glaubens gekannt, aber er hielt es für Pflicht, sich der von Lieblosigkeit und Härte Verfolgten anzunehmen. Da ich seinen biedern, menschenfreundlichen Sinn erkannte, sagte ich ihm, daß ich Christin sei. Er war ein strenggläubiger Christ, aber von jenem Tage an zerfiel er mit dem Glauben. Ich darf sagen, daß es mir gelungen ist, ihn in der reinen Gotteserkenntnis fest zu halten.

»Ich gestehe aber auch, in mir kochte Zorn und Haß. Ich habe mit diesen bösen Geistern gerungen, bis ich mir sagte: Nein, das sollen die Bösen nicht bewirken, daß sie mir das Herz vergiften. Nein, ich thue denen, die sich lügnerisch Christen, Bekenner der Religion der Liebe nennen, so viel Gutes, als ich kann. Das freilich kann ich nicht, die Feinde lieben kann ich nicht, und ich kenne niemand, der es vermag; ja ich glaube, das Wort ist nicht so gemeint, sondern es gilt nur, was dann gesagt ist; Gutes thun kann ich und muß ich auch denen, die mich kränkten.

»Nun aber geh, Gitta. die Erzählung hat mich doch angegriffen . . .«

So redete die Doktorin. Sie starrte oft drein, wie wenn sie zu einem Unsichtbaren redete, und wenn ich sie ansah, lag auf ihrem Gesichte ein Glanz von Wehmut und erhabener Ueberwindung der Welt.

Ich habe damals nicht vom Fleck fort gekonnt, ich hätte der Dulderin gern die Kniee geküßt, aber sie konnte so was nicht leiden.

Ich fragte sie, was aus dem Rittmeister aus Pommern geworden, und sie sagte, daß er bald gestorben sei, sie habe ihn gepflegt bis zu seinem letzten Atemzug.

Ich wollte nun gehen, die Doktorin aber sagte:

»Nein, bleib jetzt, es ist besser, wenn jetzt jemand bei mir ist.«

Wir haben noch lang stumm bei einander gesessen.

Ich bin bei der Doktorin geblieben, bis sie eingeschlafen ist.

Wenige Tage darauf begleitete ich sie an die Bahn, der Professor und seine Frau waren auch da. Ich traf den Ronymus, und er sagte mir:

»Das Geld reicht jetzt bald aus. Ich treibe das Geschäft hier nicht mehr lang. Der Schmaje sucht uns ein schickliches Wirtshaus mit Aeckern und Wiesen und auch ein Stück Wald dazu. Da haben wir dann alles.«

»Wer wir?«

Der Ronymus sah zu Boden und atmete schwer, dann sagte er:

»Ha, mein Vater und ich. Leider Gottes hat's meine Mutter nicht mehr erlebt –«

Er hielt inne, er merkte, wie mich's angriff, daß ich das jetzt so erfuhr, dann sagte er:

»Sie ist leicht gestorben, und noch in der letzten Stunde hat sie an dich gedacht, aber ich kann dir's jetzt nicht sagen.«

Ich ging heim in unsere Anstalt, mir war der Weg den Berg hinan so schwer wie noch nie; es kann wohl sein, daß ich im voraus gespürt habe, was jetzt erst kommt.

Also die Bonifacia, die treue Seele tot! Wie lebt der Weger, und wie sieht es nun aus dort in dem Häuschen? Wie ich das so denke, sehe ich die Blätter vom Baume fallen, und jener Herbsttag, an dem ich zum erstenmal dem Rittmeister begegnete, geht mir in der Erinnerung auf.

Warum kommt das immer wieder? . . .

Wir hatten diesen Winter wieder das ganze Haus voll, und mir fehlte die gute Doktorin. Oft und oft habe ich gemeint, ich müsse zu ihr gehen und mir Rats bei ihr erholen, ich wußte mir nicht mehr allein zu helfen.

Endlich sagte ich mir: Halt! Das darf nicht sein. Du mußt so vielen Menschen beistehen, du darfst nicht selber hilfsbedürftig sein.

Ich habe meine Pflichten wieder aufgenommen, wie wenn ich jetzt erst anfinge. Es war mir eine wahre Lust, und es war mir leicht, treppauf treppab von einem zum andern zu gehen und jedem etwas zu leisten.

Im Zimmer der Doktorin wohnte jetzt eine feine, aber schwächliche Frau, die sich die Augen ausgeweint hatte um den Tod ihres Mannes.

Unser Professor meinte, es sei ihr schwerlich zu helfen, und er ließ es zu, daß sie fast den ganzen Tag Klavier spielte, obschon sie sehr schwächlich war. Ihr Mann war ein berühmter Musiker, sie war seine Schülerin und ist mit ihm entflohen, er ist bald gestorben; sie spielte nun alle Stücke zu seiner Erinnerung.

Wir hatten auch einen berühmten Professor der Sternkunde, der sich in seinem Beruf das Augenlicht verdorben hatte. Er war in meiner besondern Obhut, und unser Professor sagte, er werde geheilt; er war ein gar lieber geduldiger alter Herr, er bekam viel Besuch von überall her, lauter feine Männer und Frauen, und alle dankten mir für meine gute Pflege.

O lieber Gott! Es gibt so viele gute Menschen auf der Welt, warum hat gerade so ein grundschlechter zu meinen Eltern auf den Hof kommen und uns verderben müssen?

Der Sternkundige ist geheilt entlassen worden. Man freut sich doch, wenn die Kranken uns geheilt verlassen, aber der Abschied von so guten feinen Menschen thut doch weh.

Das Zimmer des Sternkundigen wurde neu hergerichtet, und noch ein zweites ward dazu genommen; es hieß, wir bekämen einen vornehmen und anspruchsvollen Kranken. und ich war zu seinem besonderen Dienst bestimmt.

Warum war mir jetzt so bang?

Was mich wie eine schlimme Ahnung gepeinigt hatte, ist wirklich geworden. Der Rittmeister ist gekommen.


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