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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Der Pfarrer hielt zweimal in der Woche, früh am Morgen, bevor die Leute ins Feld gingen, öffentlichen Gottesdienst.

Magdalena begegnete ihrer Tochter, als sie gerade mit dem Gebetbuch in der Hand aus dem Pfarrhause kam.

»Grüß Gott! Ich hab's gewußt, daß Ihr kommet, Mutter,« sagte Lena; weiter wurde kein Wort gesprochen. Die beiden gingen still miteinander, und in der Kirche beteten sie aus einem Gebetbuch.

Der Pfarrer überließ das Vorbeten des Vaterunsers dem Missionär und seine Stimme klang wunderbar. Mutter und Tochter weinten.

Nach Beendigung des Gottesdienstes eilte Lena ins Pfarrhaus, sie hatte Wasser über dem Feuer stehen; der Herr Pfarrer will immer bald den Kaffee, und heut ist noch ein anderer da, dem sie gern das beste bereitet hätte.

Magdalena wurde von der Nachbarin Frau Maier begrüßt, die selbstverständlich keinen Wochengottesdienst versäumte. und es war kein Geringes, daß Frau Maier der Nachbarin mit aufrichtigem Tone Glück wünschte.

»Zu was?« fragten andere Frauen, die sich herzu gesellten. Die Verlobung Lenas mit dem Missionär wurde verkündet.

»Es soll ja ein Baron sein,« rief die Bäckersfrau. Es wurde bestätigt, und die Bäckersfrau eilte heimwärts, um die große Nachricht ihren Kunden mitzuteilen.

Dafür kam eine andere Frau schnell atmend mit dem Gebetbuch in der Hand; es war Frau Süß.

Sie schimpfte auf die Dorfuhr, die nicht richtig mit der Bahnuhr gestellt sei; dadurch habe sie den Morgengottesdienst versäumt. Als sie die Kunde von der Verlobung hörte, rief sie:

»Es ist ja ein Baron, das ist eine große Ehr'.«

»Davon spricht man nicht zuerst,« ermahnte Frau Maier, »da und da,« sie deutete auf die Kirche und auf den Friedhof, »ist davon keine Rede.«

»Und ich brauch' keine Rede von Ihnen,« entgegnete Frau Süß heftig schreiend.

Als Magdalena zu beschwichtigen suchte, rief Frau Süß höhnisch:

»So? hat die Advokatenmagd jetzt auch schon predigen gelernt? Ich könnte der Welt auch was predigen. Wart nur!«

Magdalena entfernte sich, ohne ein Wort zu erwidern. Sie ging ins Pfarrhaus, wo sie die Pfarrersleute und den Missionär beim Frühstück traf. Sie mußte sich zu ihnen setzen.

Der Missionär sagte, er fahre nach dem Städtchen, wo der Eilzug anhält, Mutter und Braut sollten ihn begleiten. Magdalena war bereit, sie hatte vorsorglich ihr Sonntagsgewand angezogen. Der Missionär fügte hinzu, daß es ihm vielleicht nicht möglich wäre, vor seiner Abreise nach Indien nach Deutschland zurückzukehren; Lena müsse dann zur Trauung zu ihm nach England kommen. Das war freilich hart, aber die ganze Sache war ja so ungewöhnlich, daß man auch das hinnehmen mußte, wie es einmal war.

Als man eben aufstehen wollte, kam ein Bote vom Eichhof, der vom Bahnhäuschen hierher gewiesen war, er meldete: der Bauer und Rikele lassen Magdalena bitten, so schnell als möglich zu der Kranken zu kommen.

»Gehen Sie,« sagte die Pfarrerin, »ich begleite dann Lena. Ich könnte wohl,« fügte sie hinzu, »an Ihrer Stelle auf den Eichhof gehen. Ich weiß, Herr Bräutigam, es heißt in der Bibel: es ist besser in ein Klagehaus gehen, denn in das Trinkhaus. Aber ich bin leider Gottes ungeschickt bei Kranken.«

Magdalena nahm eilig Abschied.

Sie traf glücklicherweise den Knecht, der jeden Tag die Milch vom Eichhof an die Eisenbahn bringt; er war auf dem Heimweg und Magdalena trieb ihn an, rasch zu fahren.

Am Ueberweg rief sie Jakob schnell zu, was er für sie und im Hause besorgen solle.

Eine Stunde darauf fuhren in einer offenen Kutsche die beiden Pfarrer mit der Pfarrerin und Lena durch das Dorf. Alle, an denen sie vorbeifuhren, grüßten ehrerbietig, aber Lena, die neben der Pfarrerin im Vordersitze saß, schaute nicht auf, sie schämte sich des wunderbaren Glückes. Draußen vor dem Dorfe, wo man das einsame Gehöfte sah, sagte Lena zu ihrem Bräutigam:

»Dort oben ist meine Mutter und meine Schwester. Wir sind hier so froh und dort ist so Trauriges . . .«

Ja. Magdalena erfuhr in zwiefacher Weise Herzbeklemmendes dort oben.

Die Kranke schlief, als sie ankam. Sie verkündete leise dem Bauer die Verlobung Lenas und er sagte:

»Wünsche Glück. Es ist doch noch Glück auf der Welt.«

»Ist deine Mutter da?« rief es aus der Kammer.

»Mutter, kommet herein,« sagte Rikele, aus der Kammer in die Stube tretend.

»Anton! komm auch herein!« rief die Kranke.

Magdalena und der Bauer traten ein und die Kranke sagte:

»Richtet mich auf. So! Jetzt sterb ich ruhig. Du, Anton, gib mir die Hand, und Ihr, Magdalena, gebt mir auch die Hand. Wenn ich sterbe . . . weinet nicht . . . es thut mir weh . . . Ja, wenn ich sterb, dann heiratest du das Rikele und du hast's gut und meine Kinder auch. O meine armen Kinder!« Sie konnte vor Herzstößen nicht weiter reden.

»Bäuerin, nimm dich zusammen,« konnte der Bauer hervorbringen.

»Ja, ja,« rief die Kranke. »Du hast selbst einmal gesagt, mit der wird einmal ein Mann glücklich, und meine Kinder –«

Statt der Antwort wendete sich der Bauer an Magdalena und sagte:

»Seid so gut und lasset mich ein paar Minuten mit meiner Frau allein, nur ein paar Minuten.«

»Ja, ich hab' nicht mehr viel,« klagte die Frau, »gehet und kommet gleich wieder.«

Magdalena ging in die andere Stube und der Bauer sagte zu seiner Frau:

»Plag dich nicht und mich nicht. Du kommst wieder auf.«

»Nein, ich komm nicht mehr auf, und ich will's gut für dich und für meine verlassenen Kinder. O, meine Kinder!

»Rikele!« schrie die Kranke mit mächtiger Stimme, »Rikele! Komm herein. Komm hurtig! Deine Mutter auch. Kommet schnell!«

Rikele kam mit dem ältern Kind auf dem Arm und die Bäuerin, die in die Kissen zurückgesunken war, richtete sich mit aller Macht auf und sagte:

»Rikele, versprich mir, daß du meine Kinder nicht verlassen und eine gute Mutter an ihnen sein willst . . .«

Statt der Antwort küßte Rikele das Kind auf ihrem Arme, und das Kind umhalste sie.

Mit verklärtem Blick sah die Kranke auf und sagte endlich: »Gott sei Lob und Dank. Ich sterbe ruhig. Anton, gib dem Rikele die Hand und redet weiter nichts«

Magdalena schickte Rikele mit dem Kinde aus der Kammer. Die junge Wöchnerin verschied in den Armen Magdalenas. Der Bauer kniete schluchzend am Bette.

Als er endlich sich aufrichtete und mit Magdalena in die Stube ging, sagte sie:

»Bauer, merket auf, was ich Euch sag': die Selige ist in Ruhe gestorben, und das ist gut. Ihr aber seid frei und ledig. Ich lass' mein Kind keinem aufzwingen und wenn er der König wär.«

Mit kummervollem Blick und unter Schluchzen stotterte der Bauer: »Die Selige hat . . . es ist so . . . ich kann jetzt nicht weiter reden . . .«

»Soll ich das Rikele heimschicken und bei Euch bleiben?« fragte Magdalena.

»Nein, es bleibt alles, wie es ist, und ich muß es tragen. Das Wort ist . . . Ich kann jetzt nicht viel reden . . .«

In derselben Stunde riß sich Lena mit schwerem Herzen von ihrem Bräutigam los.


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