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Zweiundvierzigstes Kapitel.

Auf dem Eichhof hatte der Staatsrat seine Freude an dem gediegenen Hausstand, vor allem aber an dem ehrenfesten Bauer, der dem vornehmen Herrn gegenüber ein aristokratisches Bewußtsein erkennen ließ, was aber dem Staatsrate besonders wohlgefiel.

Der Bauer erzählte, daß heute wieder Elsässer da gewesen seien, um Hopfenstangen zu kaufen; sie hätten in den ersten Jahren nach dem Krieg mit uns getrutzt, jetzt aber kämen sie doch wieder.

In der Stube, die trotz des Sommers geheizt war, hingen zwei eingerahmte Diplome zum Ehrenpreis vom landwirtschaftlichen Verein für eine Kalbin und ein Fohlen.

»Die hat noch meine verstorbene Frau einrahmen lassen,« erklärte der Bauer; »ich habe noch mehr, hänge sie aber nicht mehr auf.«

Rikele kam mit Speise und Trank.

»Bäuerin,« sagte der Bauer, »richte alles draußen unter der Linde an, die Herrenleute sitzen gern im Freien.«

Man saß wohlgemut beisammen, der Bauer ließ den Fremden reden und blieb karg in Worten. Auf Befragen erklärte er nur, daß es sich nicht mehr austrage, Eichen stehen zu lassen, er erhalte das kleine Wäldchen unweit des Hauses nur zum Wahrzeichen. Als man von der reichlichen und bald beginnenden Weizenernte sprach, kam die landläufige Klage über Dienstbotenmangel. Und da er einmal im Klagen war, schmähte der Bauer auch die neuen Waldgesetze, wodurch man nicht mehr Herr über sein Eigentum sei. Der Staatsrat verteidigte das Gesetz, er konnte das sehr sachlich, es war ja sein letztes gewesen, das er vor das Abgeordnetenhaus gebracht hatte.

Durch den Feldweg herauf sah man eine Frau daherwandern.

»Da kommt meine Mutter,« sagte die Bäuerin.

»Das ist Eure Mutter?« fragte der Staatsrat, der durch das vorgehaltene Augenglas Magdalena erkannt hatte. Die Bäuerin bejahte, und er betrachtete den stolzen Bauer nachdenklich. Wußte der, wer seine Schwiegereltern waren?

Magdalena verschwand im Eichenwäldchen. Rikele sagte: »Ich gehe ihr entgegen,« und »Ich gehe mit,« rief Theodora, nahm ihr Reitkleid hoch auf, und ehe der Großvater Einsprache erheben konnte, war sie den Berg hinabgerannt und verschwand ebenfalls unter den Eichen.

»Mutter!« rief sie dort und umhalste Magdalena. Diese konnte kein Wort hervorbringen und Theodora wendete sich zu Rikele und sagte: »Ich bin die Braut deines Bruders.«

»So schön und groß sind Sie geworden?« konnte Magdalena endlich hervorbringen. »Ja, der Albrecht! Aber liebes herziges Fräulein, es sind noch böse Sachen zu überwinden.«

»Ich weiß, ich weiß.«

»Sie wissen?«

»Wir überwinden alles.«

Theodora erklärte rasch, daß der Großvater auch da sei und nun bald alles offenbar werden müsse. Einstweilen müsse man noch fremd thun.

Magdalena wollte wieder umkehren, aber Theodora fand das unthunlich, und so gingen die drei Frauen nach der Linde.

»Guten Tag, Herr Staatsrat!« sagte Magdalena.

Der Gegrüßte nickte und der Bauer fragte:

»Schwiegermutter! Ihr kennet den Herrn schon?«

»Jawohl, von alters her, aus der Stadt, vom Hause des Herrn Justizrat Heister.«

Dem Staatsrat war diese Begegnung unbehaglich, zumal der Bauer offenbar die Vergangenheit seiner Angehörigen nicht kannte. Er drängte zur Heimkehr, da es so dumpf und trübe wurde.

Bald saßen die beiden wieder zu Pferde, der Bauer begleitete die Reiter noch eine Strecke, um ihnen zu zeigen, wie sie einen bessern Weg heimreiten könnten, dort über die Eisenbahn hinweg und dann eine kurze Strecke Feldweg bis auf die Landstraße.

Als der Bauer zurückkam, sagte Magdalena: »Ihr sollet es wissen, es wird Euch auch freuen, aber Ihr saget es vorderhand nicht weiter, zu niemand. Das Fräulein da ist so viel als Braut von unsrem Albrecht.«

Groß war das Staunen des Bauern. Bald aber staunte auch Theodora noch ganz anders.

Am Ueberweg mußten die Reiter anhalten, denn eben sauste ein Bahnzug heran, und Theodora mußte alle Kraft anwenden, um ihr Pferd im Zügel zu halten.

Die Rosenbäumchen am Bahnwärterhäuschen standen über und über in voller Blüte, so daß jeder Baum nur ein einziger Strauß schien.

Der Bahnwärter, der die Reiterin starr betrachtet hatte, war ihrem Blicke gefolgt und wollte Rosen brechen, Theodora aber lehnte ab und sagte:

»Laßt die Rosen am Stock, dann habt Ihr und alle, die da vorüberfahren, noch lange ihre Freude dran.«

Der Zug sauste vorüber, Jakob öffnete den Schlag und grüßte kaum, der Staatsrat dankte verdrossen, Theodora nickte ihm nochmals freundlich zu.

»Großvater, hast du bemerkt, welch wunderbare Augen der Mann hat?«

»Ja. Wir wollen Schritt reiten. Das Gewitter scheint sich wieder zu verziehen. Ja, mein schwärmerisches Kind, da hast du deine Idylle, die gepriesene Rechtschaffenheit und Geradheit deines sogenannten Volkes. Dieser Bahnwärter ist der Vater der Eichbäuerin. Ich kenne ihn von lange.«

Der Staatsrat bemerkte nicht, wie rasch der Atem Theodoras ging, und er fuhr fort:

»Möglich, ja wahrscheinlich, daß der Bauer betrogen ist und nicht weiß, wer seine Schwiegereltern sind.«

»Wer sind sie denn?«

»Zuchthäusler, Sträflinge.«

Das Pferd Theodoras machte einen Seitensprung, so daß sie fast aus dem Sattel fiel. Der Staatsrat sprang ihr schnell bei und als er ihr wieder die Zügel in die Hand gab, sagte er: »Was ist? Deine Hand zittert und du bist so bleich?«

Mit Anspannung aller ihrer Kraft entgegnete Theodora: der Großvater solle ihr weiter berichten, und er fuhr fort:

»Die Frau hat entschuldbare kindliche Diebeshehlerei getrieben, anders der Mann. Ich war sein Untersuchungsrichter und habe ihn weich gekriegt. Ich hätte dir gern deinen Idealismus erhalten, aber da siehst du, es ist nicht eitel Griesgram und Aristokratismus, wenn wir uns von der Krapüle fernhalten. Das sollst du auch; du magst immerhin in der Ferne schwärmen, nur darfst du mit diesen Menschen nicht mehr verkehren. Du kennst diese Frau, sie hat, ich will das nicht leugnen, gute Eigenschaften, sie war Pflegerin der Justizrätin Heister in ihrer letzten Krankheit. Heister hatte immer Anlage zur Sentimentalität und seine Frau hat das Talent noch ausgebildet.«

Der Staatsrat hatte sich so in die Geschichte vertieft, daß er das ausbrechende Gewitter nicht gewahrte, das sich plötzlich in Donner und Blitz und bald in Hagelsturm entlud.

Der Großvater wollte Theodora zulieb bei einem Bauernhofe am Wege absteigen und das Ende des Gewitters abwarten; aber Theodora beteuerte, daß sie Donner und Blitz nicht schrecken, und in scharfem Trab kehrten die beiden mit einbrechender Nacht nach der Sommerfrische zurück.

Hilfreiche Genossinnen beklagten auf Treppe und Flur die Triefende und wollten ihr beistehen, aber Theodora eilte allein auf ihr Zimmer, verschloß hinter sich und riß in Hast und Verzweiflung die nassen Kleider ab.

Draußen raste der Sturm fort, er riß die Zweige der Bäume hin und her, und als Theodora ans Fenster trat, sah sie die schlanke mächtige Pappel zusammenknicken und stürzen.


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